Leroy Sané: Gelingt ihm in München der Schritt nach ganz oben?

Justin Trenner 02.07.2020

Update 03.07.2020: Der Transfer ist jetzt auch vom FC Bayern offiziell bestätigt worden.

Er sollte der Königstransfer des letzten Sommers werden. Jenem Sommer, der eigentlich schon durch den 80-Millionen-Euro-Transfer von Lucas Hernández geprägt wurde. Sané sollte diese Marke nochmal überschreiten. Von einer Ablösesumme im neunstelligen Bereich war sogar die Rede.

Für Sané war der FC Bayern offenbar dazu bereit, seine Schmerzgrenze deutlich hinter sich zu lassen. Immerhin war Javi Martínez mit rund 40 Millionen Euro Ablösesumme jahrelang der Rekordtransfer, ehe für Tolisso nochmal knapp mehr bezahlt wurde. Der Martínez-Transfer markierte damals einen Kurswechsel. Für Hernández und Sané waren die Münchner im Sommer 2019 erneut dazu bereit, nochmal mehr für einzelne Transfers in die Hand zu nehmen.

Immer wieder betonten die Bosse, dass dafür eine extrem starke Überzeugung vorhanden sein müsse. Bei Sané war es dem Vernehmen nach vor allem Hasan Salihamidzic, dessen Überzeugung eine große Rolle spielte. Sané wird deshalb nicht nur, aber eben auch sein Transfer sein – ein Jahr später als erhofft, aber zu deutlich besseren Konditionen. Die ganz offizielle Bestätigung soll am morgigen Freitag erfolgen, doch auf der offiziellen arabischen Bayern-Seite waren bereits die Fotos zu sehen.

https://twitter.com/Lahmsteiger/status/1278768421421879303?s=20

Spekuliert wurde wiedermal viel um die Modalitäten des Deals. Letztendlich soll Manchester City von den Bayern aber erheblich weniger Geld kassieren als es noch vor einem Jahr der Fall gewesen wäre. Dass die Münchner damals geduldig blieben und in der durch die Verletzung veränderten Situation nicht sofort zugeschlagen haben, ist retrospektiv als strategisch klug zu bewerten. Doch wird dieser Deal in einigen Jahren auch als sportlich kluge Entscheidung zu bewerten sein?

Leroy Sané: Das Ausnahmetalent einer Generation?

Fakt ist, dass mit Sané ein Spieler kommt, der seine Klasse nicht nur bei Manchester City, sondern zuletzt auch bei der Nationalmannschaft nachweisen konnte. Zwar verpasste er 2018 die Weltmeisterschaft, weil er zuvor keinen richtigen Draht ins Team fand, doch seitdem hat er mehrere Schritte nach vorn machen können.

Der FC Bayern schlägt somit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Deutsche Nationalspieler sind in München immer gern gesehen und das nochmal ganz besonders gern, wenn sie solch herausragende Fähigkeiten mitbringen wie Sané. Schon auf Schalke deutete sich damals an, was unter Pep Guardiola Gewissheit wurde: Sané ist ein ganz besonderes Talent, das in Deutschland seines Gleichen sucht.

Außerdem kommt jemand, der bereits in jungen Jahren polarisiert hat. Jemand, der von seiner Ausstrahlung her das Zeug dazu hat, eine junge Zielgruppe von Fans voll abzuholen. Auch das ist bekanntermaßen nicht unwichtig. Vielerorts wurde ihm auch mal vorgeworfen, er könne sich durch den teils selbst verursachten Hype um seine Person nicht auf seinen sportlichen Weg konzentrieren. Doch ist dieses Argument immer schnell bei der Hand, wenn es bei einem Sportler mal nicht läuft. David Alaba und Jérôme Boateng dürften die Vorwürfe kennen, fanden jeweils aber auch ohne große Veränderungen aus ihren persönlichen Formkrisen heraus. Was Sanés Integration in das Mannschaftsgefüge angeht, sollte es keine Probleme geben. Er hat gute Kontakte zu Goretzka, Gnabry, Kimmich und weiteren Kollegen insbesondere aus der Nationalmannschaft.

Was sein Talent angeht, dürfte es erst recht keine Zweifel geben. In einer Generation, die immer wieder für ihre fehlenden Überraschungsmomente und Individualkünstler kritisiert wurde, ist der Linksfuß eine Ausnahme. Sané hat seine Qualitäten ohne Frage im Eins-gegen-eins und ist in der Lage, jedem Verteidiger der Welt Knoten in die Beine zu dribbeln. 

Sané kennt viele Spieler des FC Bayern bereits bestens und dürfte dementsprechend keine Probleme damit haben, sich zu integrieren.
(Foto: Alexandra Beier/Bongarts/Getty Images)

Allein die Statistiken sprechen für sich

Darüber hinaus hat Sané unter Guardiola gelernt, wie er sich durch das richtige Positionsspiel und die richtigen Laufwege noch mehr Platz für seine Aktionen verschaffen kann. Mit seiner Direktheit zum Tor hat er zudem mindestens Kingsley Coman im Bayern-Kader etwas voraus. Ähnlich wie Serge Gnabry geht Sané ständig in Situationen, in denen er das Duell mit den Verteidigern und den Durchbruch in den Strafraum sucht. Dort trifft er dann auch noch extrem gute Entscheidungen.

Und das unterscheidet ihn vielleicht sogar schon am meisten von Coman und Gnabry. Sanés Spiel ist in den letzten Jahren vor seiner Verletzung gereift. Er hat nicht nur an Selbstbewusstsein, sondern auch an Sicherheit gewonnen. Mehrfach machte er auf dem Platz schon den Unterschied und konnte diese Qualität auch nachhaltig unter Beweis stellen.

16 Tore und 18 Torvorlagen in 2694 Pflichtspielminuten für Manchester City in der Saison 2018/19 – auf sehr hohem Level hat der ehemalige Schalker dementsprechend alle 79,2 Minuten eine direkte Torbeteiligung gesammelt, auch wenn er in den ganz großen Spielen selten von Anfang an spielte. Zum Vergleich: Torgefährlichster Bayern-Spieler war in der aktuellen Spielzeit Robert Lewandowski (alle 66,69 Minuten eine Torbeteiligung), der aber auch eine Ausnahmesaison spielt. Im letzten Jahr lag sein Wert noch bei 78,84 Minuten. Coman (alle 160,78; Vorjahr: 113,4 Minuten) sowie Gnabry (alle 92,5; Vorjahr: 115,5 Minuten) kommen hier nicht an den Neuzugang heran. Selbst Arjen Robben und Franck Ribéry haben solche Werte in ihren Karrieren nur selten erreicht. Kann Sané diese Leistungen also transferieren oder sogar noch ausbauen, wäre das allein schon Rechtfertigung genug für den Transfer. Besonders spannend: Seit der Saison 2017/18 hat nur Kevin de Bruyne (49) unter allen Premier-League-Spielern mehr Assists in Pflichtspielen gegeben als Leroy Sané (36). Letzterer hatte dabei 2779 Minuten weniger auf der Uhr.

Überragend nach vorn, ausbaufähig nach hinten

Doch zurück zum FC Bayern: Seitdem Arjen Robben nicht mehr da ist, vermisst man in München einen gewissen Überraschungsfaktor und neben Lewandowski eine absolute Torgarantie. Thomas Müller machte unter Flick wieder Sprünge nach vorn, trifft aber nicht mehr so konstant wie früher. Immerhin scheint sich mit Gnabry eine Alternative zu etablieren, wenngleich der Angreifer noch etwas inkonstant ist. Umso wichtiger ist aber ein weiterer Spieler, der regelmäßig Scorerpunkte sammelt und so den Angriff weniger ausrechenbar macht.

Sané kombiniert die besten Eigenschaften der Legenden „Robbéry“: Er ist schnell auf den Beinen und schnell im Kopf, dazu gut in engen Räumen und kann sich klug positionieren sowie Mitspieler in Szene setzen – wie einst Franck Ribéry. Dazu ist er ständig auf der Suche nach Wegen in den Strafraum, stark im Abschluss und gut im Timing – was wiederum an Robben erinnert. Gerade diese Vielseitigkeit sowie die Fähigkeit, mit wenig Raum viel anfangen zu können, unterscheidet ihn von anderen Spielern, die ebenfalls im vergangenen Sommer auf dem Markt waren. So ist die Einschätzung des Sportdirektors Hasan Salihamidzic auch bei Nicolas Pépé retrospektiv als richtig zu bewerten, dass er für das Spiel der Bayern nicht das optimale Skillset mitbringt. Bei Arsenal zeigen sich einige seiner Schwächen, wenn er nicht den Raum für seine Aktionen bekommt.

Sané bringt den Mut, das Selbstbewusstsein und die Fähigkeiten mit, um Bayerns nächster Superstar auf den Außenbahnen zu werden. Bei allen anderen Talenten wäre die Wette auf die Zukunft eine deutlich gefährlichere gewesen als beim deutschen Nationalspieler.

Doch auch Sané ist noch lange nicht fertig. Die Fußstapfen seiner Vorgänger sind riesig und seine Konkurrenten sind ebenfalls überragende Fußballer mit dem Anspruch, immer zu spielen. Unter Guardiola war Sané vor allem deshalb kein Stammspieler, weil immer noch der letzte Entwicklungsschritt zu noch mehr Konstanz und mehr Defensivbeteiligung fehlte. Diesen Schritt muss er in München gehen und damit wortwörtlich auch den einen oder anderen Schritt mehr nach hinten. Hier wird das Trainerteam rund um Hansi Flick gefragt sein.

Macht Sané den Martínez?

Die Bayern haben nun zukünftig drei Spieler auf sehr hohem Niveau für die offensiven Außenbahnen – und allesamt mit unterschiedlichen Stärken. Allein für diese Traumkonstellation dürfte sich das Warten gelohnt haben. Sané selbst winkt das Upgrade von einem Rollenspieler zu einem Stammspieler. In München kann ihm so der nächste Karriereschritt gelingen. Besonders attraktiv dürfte für ihn jetzt die veränderte Konstellation auf der Trainerbank sein. Zwar kennt Sané Flick nur aus seiner Zeit als U21-Nationalspieler, aber er dürfte mit Interesse verfolgt haben, wie sich der Fußball der Bayern zuletzt entwickelte.

In Flicks flexibler 4-2-3-1- beziehungsweise 4-1-4-1-Variation kann der Nationalspieler sowohl die linke als auch die rechte Seite bekleiden. Das passt nicht nur zur aktuellen Transferpolitik, die auf variable Spieler ausgerichtet ist, sondern auch zu Sané selbst, der sich in einem auf die Flügel fokussierten Spiel wohlfühlen dürfte. Dass es im Zentrum mittlerweile genügend Spieler gibt, die die Aufmerksamkeit ebenfalls auf sich ziehen können, dürfte ihm nur dabei helfen, sein Spiel durchzuziehen.

Der Transfer ist ohne Frage die Geschichte der letzten Monate. Und er ist ein klares Zeichen des FC Bayern, dass man auf dem Transfermarkt durchaus noch mit den Besten mithalten kann. Vor allem ist es auch ein weiterer Meilenstein für Sportdirektor Salihamidzic, der gerade in der Bewertung von Spielern und Transfers viel richtig zu machen scheint. Bei Sané haben er und seine Kollegen lange gepokert. Letztendlich hat sich die Geduld aber gelohnt. Noch hat Sané jedoch kein Spiel für die Münchner bestritten und nach seiner Verletzung muss er erstmal wieder richtig fit werden, was nach einem Kreuzbandriss nicht selbstverständlich ist. Die Bayern aber scheinen sehr überzeugt davon zu sein, dass der Spieler dieses Risiko wert ist. Andernfalls hätten sie sich im vergangenen Jahr nicht so für ihn eingesetzt.

Die Vorschusslorbeeren sind zurecht groß, aber wie bei Martínez damals sind es auch die Erwartungen. Es liegt am FC Bayern, diese von Beginn an einzufangen. Martínez spielte diesen Druck damals nicht nur locker weg, sondern sich als Unterschiedspieler und Garant für das Triple auch in die Herzen der Bayern-Fans. Sieben Jahre später kann er vielleicht hautnah erleben, ob einem weiteren Rekordtransfer dasselbe Kunststück gelingt. Sané bringt zumindest alles dafür mit, um das zu schaffen.

Für unsere englische Seite hat Alex ebenfalls einen Beitrag zum Transfer von Leroy Sané geschrieben, der eine etwas andere Perspektive bietet. Schaut doch mal rein!



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