Servus, Basti!

Maurice Trenner 15.10.2019

In dem Werbefilm, mit dem die Sportschau ihren neuen Experten vorstellte, flimmerten einige der ganz großen Momente von Schweinsteiger über die Mattscheibe. Unsere Experten berichten über all die kleinen, persönlichen Erinnerungen an den bayerischen Mittelfeldchef, die in dem Video noch fehlten.

“Die Wutrede machte aus Schweini den Schweinsteiger”

Christian twittert und bloggt als texterstexte und ist gelegentlicher Autor für Miasanrot.

Es war das Jahr 2011, die Saison lief nicht besonders gut für den FC Bayern, sogar der Champions-League-Platz war in Gefahr, als Bastian Schweinsteiger eine denkwürdige Pressekonferenz gab. Er knöpfte sich einen Boulevard-Journalisten vor, der ihn in einem Artikel als „Chefchen“ bezeichnet hatte. Schweinsteiger sei kein echter Führungsspieler, so der Vorwurf. Seine Reaktion werde ich nie vergessen. Sie ließ in ihrer Deutlichkeit Schweinsteiger in meinem Ansehen deutlich steigen. Jahre vor seinen großen Spielen in der Triple-Saison beispielsweise und im WM-Finale 2014:

„Ich bin kein Chefchen! Ich bin lange genug dabei und jeder hört in der Kabine auf das, was ich sage. Ich tue alles für den Verein. Ich spiele mit Schmerzen, versuche jedes Mal, ein gutes Spiel hinzubringen. Man muss nicht nach außen den großen Macker spielen. Das muss man nicht! Intern muss man da sein, und nicht nach außen.“ 

Dann pfefferte er dem Reporter noch „Lügner, Pisser, Arschloch“ entgegen. Nicht gerade souverän, ja, aber in dieser Offenheit und Authentizität gefiel mir sogar das.

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Es war in meiner Wahrnehmung eine Zeitenwende. Bis zu dieser Pressekonferenz war man in Fußballdeutschland ein Führungsspieler, wenn man mit überharten Fouls ein „Zeichen setzte“, wenn man ein Kämpfer war, bei jeder Gelegenheit rumbrüllte und das Alphatier raushängen ließ. Nach dieser PK wurde neu über Führungsspieler diskutiert. Über eine neue Art, eine Mannschaft zusammenzuhalten, die Mitspieler zu motivieren, zu leiten. Einen kooperativen Führungsstil. Die Wutrede von Bastian machte aus „Schweini“ den Schweinsteiger, gemeinsam mit Lahm den erste modernen Führungsspieler beim FC Bayern – und später auch in der Nationalmannschaft. Ein Kämpfer war er übrigens dennoch – und was für einer. Aber das ist eine andere Geschichte.

“Herz gepaart mit Köpfchen und fußballerischer Klasse”

Tobias, schreibt für TheFalseFullback und Miasanrot.

Mit der Ankunft von Louis van Gaal beim FC Bayern war Schweinsteiger nicht mehr der junge, verspielte Rechtsaußen, sondern Kern des bayerischen Mittelfeldes. Generell findet die Entscheidung des Niederländers, Schweinsteiger auf die Sechs zu stellen, immer noch zu wenig Beachtung. Während das Fußballjahr 2010 für den FC Bayern fantastisch verlief, lag der Fokus eher auf Arjen Robben als Bayerns wichtigstem Akteur zusammen mit Franck Ribéry. Zwar spielte Schweinsteiger auch eine überragende WM 2010 – sein junger Teamkollege Thomas Müller aber auch.

Nichtsdestotrotz wurde Schweinsteigers Wichtigkeit nie in Frage gestellt. Seine Vertragsverlängerung im Winter 2010, trotz diverser anderer Angebote, zählte zu den wichtigsten Entscheidungen in der Zeit dieser goldenen Generation beim FC Bayern. Allerdings habe ich Schweinsteigers Relevanz für den FC Bayern erst bei einem DFB-Pokalspiel gegen Werder Bremen in der Saison 2010/2011 realisiert. Robben fehlte verletzt und auch sonst schienen die Bayern nach der WM 2010 erst langsam in die Saison zu kommen. Plötzlich war Bastian Schweinsteiger, der gegen die Bremer zwei Tore erzielte, das wichtigste Puzzlestück in der Mannschaft des FC Bayern – etwas, dass sich bis zum Jahr 2014 nicht ändern sollte.

Für Tobias offenbarte Schweinsteigers Doppelpack im Pokalfinale 2010 den Mittelfeld-Strategen als wichtigstes Puzzlestück im Kader.
(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

In diesem Spiel verkörperte Schweinsteiger alles, was ihn in den folgenden Jahren zu einem der erfolgreichsten deutschen Fußballspieler machen sollte. Er zog die Fäden im Münchner Mittelfeld, bestimmte das Tempo der Angriffe und war mit seinen Läufen aus der Tiefe in den Sechzehner eine ständige Gefahr für den Gegner. Darüber hinaus kam der Wille und die Leidenschaft in seinem Spiel – zwar gab es damals noch die Leader-Diskussion, da Schweinsteiger und Lahm nicht wie Effenberg und Kahn waren – doch Schweinsteiger führte sein Team trotzdem an, nur anders, nicht lautstark, sondern mit Taten. Herz gepaart mit Köpfchen und fußballerischer Klasse, so ließ sich Schweinsteigers Leistung in diesem Spiel zusammenfassen – ein Satz, der sich sicherlich auch sehr gut auf seine gesamte Karriere übertragen lässt. In diesem Sinne: Vielen Dank Bastian Schweinsteiger für die vielen herausragenden Momente im Trikot der Nationalmannschaft und des FC Bayern.

“Mit festem Versprechen gemeinsam eine neue Ära prägen”

Steffen, schreibt für Miasanrot und web.de.

„Liebe Bayern-Fans, ich wollte es Euch als allererstes sagen. Ich spiel jetzt schon 12 Jahre hier beim FC Bayern München und ich wollte Euch sagen ich habe meinen Vertrag um fünf Jahre verlängert für Euch.“

Die Allianz-Arena brach in Jubel aus, als hätte Bastian Schweinsteiger gerade in der letzten Minute das Siegtor erzielt. Es war der 11. Dezember 2010. Die Münchner hatten gerade mit 3:0 gegen den FC St. Pauli das letzte Heimspiel des Jahres gewonnen und verabschiedeten sich mit einem Spruchband von den Fans. Schweinsteiger schnappte sich das Mikro und verkündete über die Stadionlautsprecher seine zu diesem Zeitpunkt durchaus überraschende Vertragsverlängerung. Schweinsteiger hatte zuvor unter Louis van Gaal einen enormen Sprung gemacht. Vom Spaßvogel auf dem Flügel, der immer häufiger hinterfragt wurde, zum Spielgestalter im Mittelfeldzentrum. Bei der WM 2010 hatte er der Weltöffentlichkeit gezeigt, dass er es auf dieser Position mit den allerbesten aufnehmen konnte. Und nun war klar, dass Schweinsteiger die wichtigsten Jahre seiner Karriere in München verbringen würde.

Ich weiß nicht, wie oft ich mir diese Szene in den folgenden Tagen, Wochen und Monate angeschaut habe. Immer und immer wieder. Mich berührte der Auftritt. Wahrscheinlich weil schon lange kein Bayern-Spieler mehr seine Verbundenheit zum Club und zu den Fans so deutlich und so glaubwürdig unterstrichen hatte.

Viele nennen das 0:4 in Barcelona 2009 den Ausgangspunkt für die goldene Ära des FC Bayern. Andere die Verpflichtung von Louis van Gaal oder Arjen Robben. Für mich war es der 11. Dezember 2010. Aus einem zerbrechlichen sportlichen Hoch des FC Bayern wurde in diesem Moment ein großes Projekt. Philipp Lahm hatte zuvor seinen Vertrag verlängert. Franck Ribéry ebenfalls. Nun also Schweinsteiger. Verbunden mit dem festen Versprechen gemeinsam in München eine Ära zu prägen.

Und wie sie das taten.

„Verdammt, es gibt wirklich schlechtere Orte dafür.“

Stefan, twittert als nobilor.

Irgendwann fand ich mal heraus, dass seine Karriere beim TSV 1860 begann. Ein fun fact, der im Laufe der Zeit für einige erstaunte Gesichter sorgte. Gemeint war natürlich der TSV 1860 Rosenheim, der neben Bastian Schweinsteiger und seinem Bruder Tobias unter anderen auch Julian Weigl und Thomas Broich hervorbrachte.

Bastian Schweinsteiger war immer schon irgendwie anders. Bayerischer Naturbursche, exzellenter Skifahrer. Trotzdem in den ersten Karrierejahren keinem Experiment zur Veschönerung seiner Haarpracht abgeneigt. Legendär befreundet mit Poldi, dem Spaßmacher. Selbst nie eindimensional, nie in eine Schublade zu stecken. Ein Typ.

Schweini & Poldi waren die Cover-Stars einer ganzen Generation. Während der eine der Spaßvogel blieb, wurde der andere zum Leitwolf.
(Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Er wohnte nicht in Grünwald oder am Tegernsee, sondern in der Stadt. Unter den Leuten. Und vergaß auch nicht mit dem WM-Pokal im Arm den Stadtteil zur Party aufzufordern. Meine Münchener Kontakte berichteten mir, dass er kurz nach dem WM-Sieg eins seiner Stammlokale dort aufsuchte. Alle erhoben sich und klatschten. Er bedankte sich, alle setzten sich und er konnte fortan ungestört essen.

Was bleibt von seiner Karriere? Sein unverkennbarer Laufstil, seine Übersicht und Eleganz im Mittelfeld. Keep calm and pass the ball to Schweinsteiger. Viele tolle Spiele, ein verschossener Elfmeter, ein Triple, ein WM-Finale. Ich schrieb Ende des Jahres 2015, er habe sein Mojo auf dem Feld des Maracana gelassen. Vielleicht war es so, vielleicht nicht. Ich fügte hinzu: „Verdammt, es gibt wirklich schlechtere Orte dafür.“

“Der Fußballgott ist wieder zurück”

Katrin, wohnt in Berlin und ist dort als Autorin und freie Journalistin tätig.

Nach dem großartigen Triumph folgte die Leere. So ging es mir jedenfalls, nachdem Deutschland 2014 in Brasilien den WM-Titel geholt hatte. Nachdem ich vier Wochen lang im Fußball-high gewesen war, fühlte sich die restliche Sommerpause wie eine Bestrafung an. Und es sollte noch schlimmer kommen: bei der Vorbereitungstour des FC Bayern in den USA verletzte sich Bastian Schweinsteiger und verpasste den Beginn der Saison 2014/15.

Er fehlte 132 Tage. In der Zeit verfolgte ich zwar weiterhin treu alle Bayern-Spiele, aber ich litt extrem unter Schweinsteiger-Entzug. 132 lange, unerträgliche Tage. Bis zum 22.11.2014. Da spielte Bayern gegen Hoffenheim, zuhause in der Allianz-Arena. In der 77. Minute brach ein Jubelsturm aus: Mario Götze verließ den Platz, Schweinsteiger wurde eingewechselt. Mit Standing Ovations und donnerndem Applaus begrüßten die Fans ihren Lieblingsspieler, den “WM-Helden” von Rio. Und ich? Ich klebte in Jakarta an meinem Bildschirm, hatte Tränen in den Augen, eine akute Gänsehautentzündung (wie Mehmet Scholl sagen würde) und rief laut “Schweinsteiger, Fußballgott” in den indonesischen Nachthimmel. Nach 132 Tagen war meine Fußballwelt wieder in Ordnung.

Was Schweinsteiger auf dem Platz konnte, musste er zu diesem Zeitpunkt niemandem mehr beweisen – er tat es trotzdem mit der Torvorlage zum 4:0. Aber solch eine emotionale Reaktion in mir auszulösen, lediglich durch seine Einwechslung, das hat zuvor noch noch nie ein Spieler geschafft, und das wird es wohl auch in Zukunft nicht mehr geben. Wie Arjen Robben mit einem strahlenden Lächeln nach dem Spiel im Interview sagte: “Der Fußballgott ist wieder zurück.”

„Hasta la vista, Bayern Finalista!“

Maurice, schreibt für Miasanrot.

La Bestia Negra. Der FC Bayern gegen Real Madrid zählt sicher zur Creme de la Creme des europäischen Spitzenfußballs. Das Halbfinale der Champions League 2012 war das erste Mal, dass ich diese beiden Mannschaften auf Augenhöhe sehen durfte. Nach 210 intensiven Minuten kommt es im Bernabeu zum Elfmeterschießen.

Ich weiß noch genau wie ich Arm in Arm mit meinen Kumpels in einer Kneipe vor dem Fernseher stehe, genauso wie die Mannschaft an der Mittellinie. Wir beginnen. Alaba trifft. Ronaldo? Neuer hält. Gomez trifft. Kaka? Neuer hält. Ich kann meinen Jubel kaum bändigen. Doch dann verschießen Kroos und Lahm. Plötzlich wird es eng. Die Anspannung ist zurück.

Es kommt jetzt auf Schweinsteiger an. Alle Blicke richten sich auf ihn. Schweinsteiger tritt den Rasen am Elfmeterpunkt platt. Platziert den Ball sorgfältig. Die Szenen danach habe ich mir seitdem so oft angeschaut, dass ich den Kommentar von Wolff Fuß auswendig aufsagen kann. „Schweini, Go. Schweinsteiger! Schweinsteiger! Hasta la vista, Bayern Finalista!“ Der Jubel bei mir und meinen Freunden fällt fast so aus wie die Jubeltraube, die sich auf dem Rasen rund um Schweinsteiger bildet. Es ist dieser Mannschaft nach all den bitteren Spielen gegen Dortmund einfach zu gönnen.

Für unseren Autor Maurice steht die Champions League-Saison 2012 sinnbildlich für die großartige Karriere von Schweinsteiger.
(Foto: Shaun Botterill/Getty Images)

Dieser Moment hat sich bei mir eingebrannt. Der Moment in dem Schweinsteiger wie selbstverständlich Verantwortung übernommen hat – für seine Mannschaft und für den Traum einer ganzen Stadt. Eine Verantwortung, die er auch knapp einen Monat später übernimmt. Doch ein tschechischer Keeper und ein Pfosten hatten andere Pläne.

Aber es ist genau dieses Scheitern, Aufstehen, daran wachsen und dann schlussendlich Erfolg haben, das Schweinsteigers Karriere prägte, das ihn so menschlich und nahbar erscheinen lässt. Seine Emotionen auf dem Platz waren die gleichen wie meine Emotionen vor dem Fernseher. Echt und ungefiltert.

„Kann ein Moment auch eine ganze WM lang andauern?“

Lukas, schreibt für Football Arguments über die Fußball-Historie.

Ich gebe es ja zu, auch ich denke bei Schweinsteiger zuerst an den Tigerkratzer unterm Auge im Finale 2014. Aber wenn ich ein bisschen länger überlege, dann ist mein persönlicher Schweinsteiger-Moment doch ein anderer. 

Wobei… kann ein Moment auch eine ganze WM lang andauern? Für mich hat Schweinsteiger nämlich nicht bei den ganz großen Triumphen seiner Karriere seinen persönlichen Gipfel erreicht, sondern schon bei der WM 2010. 

Betrachtet man sich die jüngere Fußballgeschichte, dann fällt die WM 2010 exakt in die Mitte der spanisch-katalanischen Regentschaft. „Tiki-taka was king“ und die besten Mittelfeldspieler dieser Zeit kamen klarerweise vom FC Barcelona. Sie prägten eine Ära der Fußballgeschichte und sind im Pantheon des Weltfußballs letztendlich über Schweinsteiger anzusiedeln.

ABER, und das ist kein kleines „aber“, bei der WM 2010, dem Turnier, welches die spanischen Passgenies letztendlich gewinnen sollten, waren sie aus meiner Sicht nicht die besten Spieler. Das war Bastian Schweinsteiger.

„Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi“ sagte Löw am späten Abend des 13.07.2014 zu Mario Götze – und siehe da, für einen Moment zumindest war Götze besser als die globale Hochwassermarke auf seiner Position. Schweinsteiger hingegen schaffte 2010 etwas, was ich noch deutlich höher bewerte: Er übertraf die Granden auf seiner Position nicht nur für einen Moment, sondern für ein ganzes Turnier. Und bei dem Solo gegen Argentinien war er sogar tatsächlich „besser als Messi“!

Natürlich ist ebenjenes Solo die große Szene von Schweinsteigers WM 2010. Ebenso natürlich war dieser Moment aber eher ein Ausreißer, denn typisch für seinen damaligen Spielstil. Darum wähle ich als Moment eine viel unspektakulärere Szene aus. Sie stammt ebenfalls aus dem Spiel gegen Argentinien und zeigt Messis wohl vielversprechendsten Moment im Spiel. Der Argentinier erhält den Ball einige Meter vor dem deutschen Strafraum, kann kurz andribbeln und… schießt den Ball ungewöhnlich harmlos direkt auf Neuer. Erst beim Replay sieht man: Schweinsteiger war noch dran. Besser als Messi – schon 2010! Das war typisch für Bastian Schweinsteigers Turnier. Er zeigte den ganz Großen, dass er zumindest in diesem einen Sommer voll mit ihnen mithalten konnte.

“Dribbling in südamerikanisch südbayerischer Manier”

Dennis, Strippenzieher im Maschinenraum von Miasanrot.

3.7.2010. Ein sonniger Samstag. WM-Viertelfinale Argentinien gegen Deutschland. Ausgerechnet Argentinien. Sechs Wochen zuvor verwies Diego Milito im Trikot von Inter Mailand den FC Bayern auf die Zuschauerplätze, als der Pokal mit den großen Ohren übergeben wurde. Aus dem WM-Viertelfinale 2006 hat Argentinien noch eine Revanche auf dem Zettel. An all die Schlachten von Schweinsteiger gegen Higuains Real, Messis Barca, Simeones Atletico und das unsterblich machende WM-Finale 2014 ist heute noch nicht zu denken. 

Ich schaue das Spiel auf einem mittelgroßen Fernseher, den man zum Public Viewing nach draußen gestellt hat. Die Sonne kommt von hinten und die Deutschen tragen ihre schwarzen Trikots. Deutschland ist also immer dann im Ballbesitz, wenn der Ball wie eine Flipperkugel über die Leinwand zuckt und die argentinischen Spieler nur hinterhersehen können. So auch in der 74. Minute. Der Ball ist auf dem linken Flügel, zwei Argentinier direkt davor. Zwei Pässe werden gespielt, dann befindet sich der Ball noch weiter außen und noch weiter hinten. Doch dann scheint jemand an der Abschussstange des Flippers gezogen zu haben und alles geht blitzschnell. Von der Ecke des Strafraums bis zur Grundlinie auf Höhe des Fünfmeterraums flippert der Ball in wenigen Sekunden. Vorbei an Di Maria, an Pastore, an Higuain. Dann wieder zurück vors Tor. Vorbei an Abbondanzieri und Heintze, bevor der Ball ins Tor rollt. 3:0 für Deutschland. Wahnsinn.

Schweinsteiger und Argentinien – eine besondere Geschichte. Für Dennis und Christoph waren die Duelle 2010 und 2014 auf unterschiedliche Weise denkwürdig.
(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Angela Merkel jubelt auf der Tribüne. Diego Maradona blickt ratlos und etwas überrascht auf die beiden Deutschen, die hier am Ball waren. Bastian Schweinsteiger (Rückennummer 7) dribbelte sich in südamerikanisch südbayerischer Manier fast schon aufreizend lässig durch den gegnerischen Strafraum. Bei jeder Wiederholung auf dem Fernseher wirkt die Szene aberwitziger. Wahnsinn. Und der Schütze des dritten Tores? Arne Friedrich (Rückennummer 3), der sein erstes Länderspieltor schießt. Im 77. Länderspiel. Da muss selbst der Fußballgott schmunzeln.

“Der wild entschlossene Schweinsteiger hat in mir etwas ausgelöst”

Christoph, kommentiert die Bundesliga für Amazon und hostet den Forecheck.

Sportjournalist und Fan sein, das ist ja so eine Sache. Beim WM-Finale 2002 habe ich noch richtig mitgefiebert. Deutschland – Brasilien, ich mit Irokesen-Schnitt (verlorene Wette, fragt nicht, es war Wein im Spiel) beim Public Viewing. Auch die WM 2006 habe ich gefeiert, ich kann mich daran erinnern, nach dem Sieg im Elfmeterschießen gegen Argentinien einen Wildfremden umarmt zu haben. 2010 wieder gegen Argentinien, ich johlend bei einem Junggesellenabschied. 

Aber 2014? Da war ich Sportjournalist, das war jetzt mein Beruf, ich betrachtete die ganze Geschichte mit viel mehr Distanz. Ich hatte zwar noch nie so richtig bewusst einen deutschen WM-Sieg miterlebt. Aber ob Deutschland oder Argentinien das Finale gewinnen würden, das war mir tatsächlich egal. Das Spiel schaute ich mir recht entspannt auf dem Sofa an. 

Irgendwann hat es mich dann aber doch wieder gepackt. Bastian Schweinsteiger hat mich gepackt. Wie der spielte, kämpfte, voranging, das war sagenhaft. Ich bin überzeugt davon, dass jede erfolgreiche Mannschaft jemand braucht, der die anderen mitreißt. Im Maracanã war das Bastian Schweinsteiger, der Kapitän ohne Binde um den Arm. Ich hätte es nicht gedacht, aber der blutende, wild entschlossene Schweinsteiger hat in mir etwas ausgelöst. Und auch wenn ich nicht gejubelt habe, als das Spiel aus war, sondern nur etwas gelächelt: Bastian Schweinsteiger hat mich für einen Abend wieder zum Fußball-Fan gemacht. Herz statt Kopf. Das hat sich gut angefühlt.