Roundtable: Vier Fragen zum Kovač-Aus

Maurice Trenner 05.11.2019

Teil der Runde sind Maurice, Tobi, Christopher und Daniel. Sie erläutern die Faktoren, die zum Rauswurf von Kovač führten, beleuchten die ersten Aufgaben für Interimstrainer Flick und diskutieren den langfristigen Plan des Vereins.

Das 1:5 in Frankfurt war am Ende zu viel. Nach vielen uninspirierten Auftritten wurde Trainer Niko Kovač am Sonntagabend entlassen. Es war die erste Trainerentlassung der Bundesliga-Saison. Teammanagement, Rückendeckung der Chefetage oder die Taktik – über was ist der Kroate schlussendlich gestolpert?

Maurice: Meiner Meinung nach ist Kovač in dem Moment gescheitert, in dem er die Kabine verloren hat. Dies provozierte er hauptsächlich auch durch seine öffentlichen Aussagen. Gerade in letzter Zeit verrannte er sich in blinden Vorwürfen gegen Medien und sprach explizit von dem Team und dem Trainer – als würden die beiden keine Einheit darstellen. Auch nach schwachen Spielen ließ er klare Worte vermissen. Die publike Abwendung von mia san mia, dem Bayern-Mantra, das eine bayerische Übermacht als selbstverständlich ansieht, dürfte intern ebenso schwach angekommen sein. Am Ende scheiterte Kovač ausgerechnet an dem, wofür man ihn geholt hatte, dass die Mannschaft auf dem Rasen wieder für ihren Trainer und Verein brennen sollte.

Tobi: Letztendlich hat Kovač praktisch jede Hürde gerissen, die in seiner Bayernlaufbahn aufgestellt wurde. Der erste Genickanbruch war für mich seine Reaktion auf die Rotationskritik der Führungsetage vor etwa 13 Monaten. Beim ersten Gegenwind schon gab er sein Kaderkonzept auf und versteifte sich krampfhaft auf das Finden und Erhalten einer funktionierenden Stammelf. Auch taktisch verschwanden die zunächst interessanten Ansätze mit dieser Krise spurlos. Daraufhin stabilisierte sich die Situation aufgrund der (wenig nachhaltigen) Erfolgswelle, was Kovač neben dem tollen Double auch eine Sommerpause zur Findung einbrachte. Ob sich nun zuerst nichts änderte und dann die Kabine keinen Bock mehr hatte oder umgekehrt, wissen nur die Insider. Die Aussagen der letzten Wochen waren aber schon eher Resignation als Evolution. Kovač wollte der Ruhepol sein, doch er hatte kaum Anziehungskraft. 

Christopher: Am Ende des Tages war es eine Mischung aus vielen Faktoren. Der Hauptpunkt aus meiner Sicht: Kovač hat es nie verstanden dem Team ein eigenes Gesicht zu geben. Das war der Unterschied zu van Gaal, Heynckes oder Guardiola. Jeder Trainer hatte eine wirkliche Idee und konnte das Team auf seine bestimmte Art und Weise prägen. Das gelang Kovač höchstens in Ansätzen. Allerdings fehlten ihm auch die Spieler. Gerade im Mittelfeld gibt es neben Thiago ein Loch, welches die sportliche Führung zwei Jahre lang nicht stopfen konnte oder wollte.

Daniel: Es ist ein bisschen was von allem. Ich glaube nicht, dass er die Kabine so weit verloren hat, wie es Ancelotti geschafft hatte. Aber doch soweit, dass es anscheinend unüberbrückbare Hindernisse gegeben hat. Seine sprachliche Eloquenz vermochte es nicht seine vielen Fauxpas zu beheben. Müller als Notnagel, Fehlpässe die nichts mit Taktik gemein hatten, und immer, immer wieder auf’s Neue war explizit die Mannschaft schuld.

Im Endeffekt liegt die Wahrheit aber auf dem Platz und das ist der Hauptpunkt. Manchmal ist Fußball dann doch sehr einfach: Ist die ganze Mannschaft außer Form, ist der Trainer schuld. Seit der Länderspielpause jagte ein Tiefpunkt den nächsten. Die Mannschaft schafft es gegen einen abstiegsbedrohten Zweitligisten 85 Minuten lang nichts herauszuspielen und kann vier Tage später froh sein von Frankfurt nur 5 Stück zu kriegen während Fehlpass den nächsten jagt.

Plötzlich Chef: Hans-Dieter Flick übernimmt interimsweise den Trainerposten. Ihm steht ein Berg voller Aufgaben bevor.
(Foto: Simon Hofmann/Bongarts/Getty Images)

Ein schwacher Herbst in der ersten Saison, den die Mannschaft durch eine beispiellose Aufholjagd zu einem Double umdrehen konnte. Das ernüchternde Aus im Achtelfinale der Champions League gegen Liverpool. Und abschließend ein erneut schwacher Herbst. Was bleibt vom Trainer Kovač in Erinnerung?

Maurice: Für mich bleiben an erster Stelle die positiven Momente von Kovač in Erinnerung, auch trotz all der negativen Aspekte im letzten Halbjahr. Wie die gesamte Kurve den Namen des Kroaten im ehrwürdigen Berliner Olympiastadion skandierte, während die Mannschaft den Pokal in die Höhe reckte und Kovač sich nur zögernd in den Kreis seiner feiernden Spieler begab. Dieser Moment der Harmonie prägte sich bei mir nachhaltig ein. 

Tobi: Ein „tja“, wie es das schon mit Ancelotti und Klinsmann (dort noch seltsamer) gab. Das Saisonende 2019 war intensiv, doch auch hier verblendeten schon die schönen Momente mit Robbery und dem Pokalfinale. Szenen wie in Nürnberg, als der FCB wild agierte, oder wie in vielen der letzten Spiele, als man sich irgendwie durchduselte, bleiben präsent. Mir bereitete die Verpflichtung direkt Bauchschmerzen, doch natürlich wünscht man jedem Bayerntrainer den großen Erfolg. Am Ende geschah jedoch genau das, was befürchtet worden war. Ein eigenes Kapitel in den Geschichtsbüchern wird Kovač leider nicht erhalten. 

Christopher: Viel grau und wenige Glanzlichter, wie zum Beispiel das 5:0 gegen Dortmund in der Rückrunde. Gerade die Heimspiele wurden zu selten dominiert. Ein Faktor auch in dieser Saison. Menschlich bleibt in Erinnerung, dass er den Klub in gewisser Weise menschlicher gemacht hat. Hier überzeugte er vor allem in der Rückrunde mit vielen klugen Pressekonferenzen auch zu seiner Person. Zuletzt wirkte er aber auch in seiner Paradedisziplin fehleranfällig. Man denke nur an die Aussagen zur Geschwindigkeit von Liverpool oder die Rolle von Thomas Müller. 

Daniel: Nur wenn das Herz “Ja” sagt, muss der Verstand ihm nicht folgen. Kovač fühlte sich als Jedermann gut an, zum Fußball gehören aber auch andere Dinge. Nachdem es Heynckes so gut es ging vermochte Ancelottis Probleme zu beseitigen, brauchte es aber keinen Jedermann, sondern jemanden, der an Heynckes anknüpfen und mit der Sommerpause den Verein in ruhige Gewässer schippern konnte. Stattdessen kam Kovač, der noch vor Amtsantritt gegen den omnipräsenten Witz ankämpfte, Heynckes würde ihn ja eh im Oktober beerben. Obwohl er ein guter Trainer ist, war Kovač von Beginn an der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort und als dieser bleibt er mir in Erinnerung: Nicht jeder gute Trainer ist auch ein guter Bayern-Trainer. Gleichwohl gibt es denke ich wenige während der Saison geschasste Trainer, die man in München so sehr wieder willkommen heißen wird, wie man es bei Kovač tun wird. Ein sehr ehrbares Vermächtnis. 

Eine fehleranfällige und größtenteils verletzte Defensive, eine bis auf den herausragenden Robert Lewandowski harmlose Offensive, sowie ein komplett verwahrlostes Positionsspiel – welche dieser Baustellen muss der neue Trainer Hansi Flick als erstes angehen?

Maurice: Den Anfang muss Flick beim Positionsspiel machen, denn mit dem steht und fällt die Saison der Münchner. Aus einer verbesserten Raumaufteilung im Spielaufbau wird die Offensive gestärkt und gleichzeitig der Defensive geholfen, da einfache Ballverluste vermieden werden können. Für den Interimstrainer wird es darauf ankommen den Spielern die scheinbar verlorene Sicherheit vergangener Tage zurückzugeben. Das den Spielern weitestgehend noch bekannte Positionsspiel kann dabei enorm helfen.

Tobi: Zunächst muss die Mannschaft wieder Lust haben. Was dieser Faktor ausmachen kann, erlebten wir schon mit Jonker (nach van Gaal) und Heynckes (nach Ancelotti). Erst darauf kann die Taktik aufbauen. Hier muss eine sinnvolle Staffelung bei Ballbesitz ganz vorne stehen: eine passende Besetzung der Räume insbesondere zwischen den Linien sowie ein griffiges Konzept zum kollektiven Gegenpressing. Unbedrängte Pässe hinter die Abwehr sind Gift für Bayerns Endverteidigung. Sobald die Grundstruktur passt, geht es an die Abläufe. Einstudierte Spielzüge, geeignete Bewegungen innerhalb des Strafraums, korrekte Raumverteidigung der Abwehr bei Hereingaben. 

Christopher: Ich denke kurzfristig wird es darum gehen mehr Stabilität in die Abwehr zu bekommen. Das kann nur gelingen, wenn sich die Spieler besser positionieren und sich an taktische Vorgaben halten. Im zwischenmenschlichen Bereich wird es darum gehen, aufgerissene Wunden zu kitten. Spieler wie Boateng oder Martínez, die zum Teil mehrfach abgesägt wurden, werden jetzt Verantwortung übernehmen müssen. 

Daniel: Erstmal muss Bayern wieder ein stabiles konservatives Positionsspiel bekommen. Der Grundstein allen Übels, also der Fehlpässe, der mangelhaften Defensive, der verwahrlosten Offensive, sind die furchtbaren Abstände zwischen den Spielern. Es muss erstmal nichts spektakuläres sein, aber eine stabile logisch kompakte Raumaufteilung muss Flick so schnell es geht implementieren. Denn es bringt nichts Jérôme Boatengs zweifelhafte Zweikampfführung zu kritisieren ohne den eigentlichen Knackpunkt zu adressieren, dass man nach sechs Minuten so einen Angriff nie kassieren darf.

Nach der Entlassung stellen sich zwei fundamentale Fragen: Wie lange sollte Interimstrainer Flick im Amt bleiben: Bis zur Länderspielpause, bis Weihnachten oder bis zum Saisonende? Und, wie sollte der langfristige Plan der Münchner für die Trainerbank aussehen?

Maurice: Es macht wenig Sinn jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen und den nächstbesten Trainer zu holen, nur um einen großen Namen präsentieren zu können. Anders als bei der Kovač-Verpflichtung sollte man jetzt dem – hoffentlich existenten – Gesamtplan entsprechend handeln und den Wunschkandidaten verpflichten. Wenn man dafür bis zum Saisonende mit Flick weitermachen “muss”, dann sollte man dies auch tun. Wichtig wäre dann, dem Ex-DFB-Sportdirektor einen entsprechenden Co-Trainer zur Seite zu stellen. Ob dieser Schritt für den viel spekulierten Miroslav Klose noch zu früh kommt, darf durchaus angemerkt werden.

Tobi: Hier gibt es erstmal keine falsche Antwort. Sobald der passende Nachfolger identifiziert und verfügbar ist, soll dieser kommen. Bis dahin verdient Flick eine Chance. Ob und wie er diese nutzen kann, bleibt abzuwarten, denn dafür ist er in der Rolle noch zu unbekannt. Langfristig muss es wieder einen Trainer geben, der weiß, wohin er mit der Mannschaft will. Die Ära des Verwaltens, aus post-pep’scher Erschöpfung entstanden, ist beendet. Man kann nicht verwalten, was überhaupt nicht läuft. 

Christopher: Klassische Beraterantwort: “Kommt drauf an”. Die Frage wird sein, wen die sportliche Führung als Lösung ausmacht. Ist es ein Trainer, der sofort verfügbar ist (Allegri oder Mourinho) oder versucht man Ajax einen Abgang von ten Hag schmackhaft zu machen. Gerade zweiteres hat die Gefahr, dass Flick sehr lange die Verantwortung tragen muss. Das bringt viel Unsicherheit hinein. Gepaart wird die Trainerfrage auch mit dem Wechsel innerhalb der sportlichen Führung. Uli Hoeneß scheidet in zwei Wochen aus und hat seinem Nachfolger Hainer jetzt schon eine schwere Aufgabe gegeben. Auch wenn der Präsident formell keinen Durchgriff hat. Parallel dazu startet in zwei Monaten die Ära Kahn. Im Idealfall werden beide schon jetzt in den Entscheidungsprozess mit einbezogen. 

Daniel: Seit Guardiola ist der Typ Verwalter (Ancelotti) und Herz (Kovač) gescheitert. Wirklich glücklich war man nur als kurze Zeit ein in allen Punkten passender Heynckes wiederkam. Es ist an der Zeit den Fußball wieder als Hauptkriterium anzusetzen. Will man also weiterhin Ballbesitzfußball spielen? Falls ja scheint Ten Hag die mögliche Optimallösung zu sein. Höchstwahrscheinlich wird er im Sommer den nächsten Schritt versuchen. Bis dahin fließt noch viel Wasser die Isar runter, doch sollte man wirklich die nächste unpassende Verlegenheitslösung holen nur um die nächsten 7 Monate jemanden zu haben? Und damit die Optimallösung wieder weg ist? Ich meine nein. Keine Verlegenheitslösungen mehr. Man sollte den Spielstil bestimmen und einen Trainer frühzeitig spätestens für den Sommer festmachen.

Wenn nichts außergewöhnliches gegen Dortmund passiert, sollte Flick auch nach der Länderspielpause Interimstrainer bleiben. Er ist ein guter Mann und hat das Potenzial ein solider Interimstrainer zu werden, man sollte ihn nicht ohne Not degradieren oder gar absägen.

Davon ab gibt es noch die großen Sofortlösungen Allegri, Mourinho oder Rangnick. Letzterer hat zwar keine Sprachprobleme, aber erfolgreich war er letztes Jahr mit einer offensiven Art des Defensivfußballs. Hinten standen sie bombensicher und vorne trafen die schnellen Stürmer. Ist das wirklich der Stil des FC Bayern? Von den großen Lösungen ist die für mich interessanteste Arsène Wenger, jedoch nur, falls dieser nicht darauf besteht auch über das Saisonende zu bleiben.