Neuer verlängert bis 2023

Maurice Trenner 22.05.2020

Der Vertragspoker

Die Posse um die Vertragsverlängerung von Manuel Neuer bestimmte die Medienlandschaft bereits seit Beginn des Jahres. Im Januar gelangten erste Meldungen über die Verhandlungen in die Öffentlichkeit, im März und April wurden sowohl vermeintlich geforderte Vertragslaufzeiten als auch Gehaltssummen publik. Gerade inmitten der Corona-Krise schienen die genannten Zahlen astronomisch und stellten den Torhüter als Prototyp des geldgierigen Fußballers dar.

Das Publikwerden der Forderungen war ein Wendepunkt, der Neuer und Berater Thomas Kroth überraschte. Der Nationaltorwart entschied sich seine Frustration in der Springer-Presse kund zu tun. Also genau dem Blatt, das die Vertragsdetails überhaupt erst in die Öffentlichkeit gebracht hatte.

Vollkommen zurecht zog Jan bei uns im Blog im April das Fazit, dass eine so öffentlich ausgetragene Vertragsverlängerung auf keiner der beiden Seiten einen Gewinner hervorbringt.

“Der FC Bayern findet auf unpopuläre Art und Weise im Boulevard statt und kann eine weitere wichtige Vertragsentscheidung nicht in Ruhe treffen. Bespricht man eine Vertragsverlängerung in den Medien, bringt das nur Verlierer.”Jan, über die Vertragsverlängerung von Manuel Neuer

Das Machtspiel

Vor allem vier Punkte, so war den Medien über die Monate hinweg zu entnehmen, waren für Neuer kritisch: Die Klärung der Trainerfrage, die Einsatzzeiten des prädestinierten Nachfolgers Nübel, die Personalie Toni Tapalović sowie die Vertragsmodalitäten. Während der FC Bayern bei Hansi Flick bereits Anfang April Nägel mit Köpfen machte und damit wohl auch den Wunschkandidaten der Spieler an den Verein band, gestalteten sich die anderen Punkte schwieriger.

Die Vertragsverlängerung von Neuer im gehobenen Alter von 34 Jahren war auch ein Machtkampf des Kapitäns. Es war sein Test, wie geschlossen der Verein hinter ihm steht und welchen Stellenwert er für den Klub hat. Denn gleichzeitig war von an Anfang an der Tenor: Manuel Neuer will verlängern. Eine Spekulation über einen Wechsel machte nie ernsthaft die Runde. So beschlich einen das Gefühl, dass Neuer mit diesem für ihn vermutlich letzten großen Vertrag das Wasser testen wollte.

Die gesamte Geschichte erinnert einen fast zwangsläufig zurück an Michael Ballack, dessen Vertrag im Sommer 2006 auslief. Ballack war ohne Zweifel einer der zwei oder drei besten Spieler der Münchner zur damaligen Zeit. Ein erstes Vertragsangebot der Bayern mit der “unvorstellbaren” Summe (O-Ton Hoeneß) von 36 Millionen Euro für vier Jahre zog Rummenigge auf der Jahreshauptversammlung 2005 zurück, da sich der Mittelfeldspieler nicht an eine Deadline hielt. Auch in der Folge kam es zwar noch zu Gesprächen zwischen den Parteien, aber zu keiner Einigung. Im Mai 2006 gab er seinen Wechsel zum FC Chelsea bekannt. Gegenüber dem kicker offenbarte er:

“Ich habe das neue Angebot des FC Bayern nicht angenommen, dies hat wohl so manchen im Verein persönlich gekränkt. […] Die Tatsache, dass es im Lauf der Monate von Seiten der Bayern immer mehr populistische Aussagen zu meiner Vertragssituation gab, dass man am Ende sogar versucht hat, die Fans gegen mich aufzuwiegeln, kann ich ganz gut einordnen.”Michael Ballack, über seine Vertragsverhandlungen 2005/06

Die Situation von Ballack und Neuer hat jedoch zwei entscheidende Unterschiede: Zum einen ist der Kader der Bayern im Sommer 2020 besser aufgestellt als in den 2000er-Jahren. Der Schritt zurück an die internationale Spitze scheint kleiner zu sein. Zum anderen gab es bei Neuer nie die Spekulationen um andere Vereine, die die Personalie Ballack von Beginn an umgaben. Real Madrid, Manchester United oder FC Chelsea – fast wöchentlich wurde der Mittelfeldstar mit einem anderen europäischen Spitzenclub in Verbindung gebracht.

Der Spieler

Womit wir beim wichtigsten Punkt angelangt sind, dem Spieler Manuel Neuer. Woran liegt es, dass keine Offerten von europäischen Vereinen öffentlich wurden? 

Neuer ist 34 Jahre alt. Zum Ende seines Vertrages 2023 wird er 37 Jahre alt sein. Für Torhüter ist dies noch kein Methusalem-Alter, man schaue nur auf den ewigen Buffon, der mit 42 Jahren noch ab und an im Tor der alten Dame steht. Selbst Oliver Kahn war zum Ende seiner Karriere 39 Jahre alt. Allerdings wird man bewerten müssen, ob Neuers Spiel so gut altert. Der viermalige Welttorhüter prägte das Bild des mitspielenden Keepers. Es gibt keine Referenz, um zu bewerten wie gut dieser Teil des Torwartspiels altert. 

Manuel Neuer arbeitet mit Toni Tapalovic an seinem Torwartspiel.
(Foto: Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Wird eine abbauende Athletik ihn in seinen Ausflügen aus dem Sechzehner einbremsen, so dass er seine Spielweise umstellen muss? Oder wird ihm das Abfangen von Flanken zunehmend schwerfallen, so wie es bei Kahn in den späten Jahren bemerkbar war. Kann Neuer mit einem anderen Spielstil weiterhin ein Rückhalt von internationalem Top-Niveau sein?

Interessanterweise hat Neuer auf diese Frage bereits in den letzten Jahren eine Antwort gegeben. Seine Ausflüge wurden seltener, seine Spielweise unspektakulärer und dennoch ist Neuer spätestens seit dieser Saison wieder ein Torwart auf höchstem Niveau. Im Spielaufbau ist er weiterhin eine wichtige und sichere Passstation und im klassischen Torhüterspiel auf der Linie glänzt er mit tollen Reflexen und Paraden. Mit 71 % gehaltenen Bällen ist er Dritter in der Bundesliga unter Keepern mit mindestens 20 Einsätzen. 

Der Nachfolger

Dennoch entschied sich der FC Bayern im vergangenen Winter den Transfer von Torwart-Talent Alexander Nübel vom FC Schalke bekannt zu geben. Zudem sickerte durch, dass der vielversprechende Nachwuchskeeper eine Art Einsatzzeit-Garantie bekommen sollte. Dies wurde von Neuers Seite mit großer Verwunderung aufgenommen. Mittlerweile wurde die Absprache auch von Trainer Hansi Flick indirekt wieder zurückgenommen.

Trotzdem sollte man hier die Frage stellen, wieso eine solch wichtige Kaderentscheidung nicht mit dem jahrelang verdienten Leistungsträger, der zudem auch Mannschaftskapitän ist, besprochen wurde. Hier drängt sich für Football-Fans in gewissem Maße die Situation von Green Bays Quarterback Aaron Rodgers auf, dem in der jährlichen Talentauswahl des NFL Draft ein jüngerer, designierter Nachfolger zur Seite gestellt wurde. Eine Entscheidung, die den sensiblen Rodgers wohl sehr überraschte.

Die Entscheidung Nübel zu verpflichten, stelle ich an dieser Stelle gar nicht infrage. Zwar hatte der Schalker in dieser Saison mehrere unglückliche Aktionen, dennoch gilt er zurecht als außergewöhnliches Talent. Ein frühes Talent alleine reicht allerdings in der Torwartbranche nicht, davon können Michael Rensing und Thomas Kraft ein Lied singen. Wenn ein solcher Spieler ablösefrei auf dem Markt ist, ist es für den FC Bayern selbstverständlich ihn zu umwerben.

Fragwürdig erscheint allerdings die Handlungspraxis, seinen Kapitän nicht in diese Entscheidung oder zumindest in die Planung mit einzubeziehen. Dass Neuer immer spielen will, sollte jedem klar sein. Sven Ulreich kennt das auch. Hätte man ihm jedoch einen sinnvollen und ausgearbeiteten Plan aufgezeigt, warum es für die Mannschaft und den Verein in der Zukunft hilfreich sein kann, wenn er einige Spiele an Nübel abgibt, wäre Neuer sicherlich der letzte, der nicht auf eine schlüssige Planung hört. Diese Chance wurde allerdings krachend verpasst.

Das Fazit

Abschließend soll der Blick noch einmal auf die Forderungen von Manuel Neuer gelenkt werden. In der Trainerfrage wurde der Vertrag mit Hansi Flick verlängert. Eine Entscheidung, die Neuer sicherlich gut gefallen hat. Das Gleiche gilt für Torwarttrainer Toni Tapalović, der seit jeher für den gebürtigen Gelsenkirchener als Vertrauensperson fungiert. Dies ist von Seiten des FC Bayern jedoch weniger ein Zugeständnis an Neuer, sondern unabhängig davon die wohl aktuell bestmögliche Entscheidung auf beiden Positionen.

Bei der Vertragslaufzeit und dem Gehalt sind sich beide Seiten entgegengekommen. Eine Entwicklung, die es wohl auch ohne den öffentlichen Aufschrei genauso gegeben hätte. Die Vertragslaufzeit von 2023 war von Vereinsseite wohl sowieso die Wunschlösung. In dem Jahr wird für den FCB sowieso ein größerer Umbruch anstehen, da viele aktuelle Verträge auf diese Saison ausgerichtet sind. Beim Gehalt steigt Neuer verdienterweise und angemessenerweise in die Topverdiener-Region eines Thomas Müller und Robert Lewandowski auf. Die Schallmauer von 20 Millionen Euro soll nach Medienberichten nicht überschritten worden sein.

Es bleibt also die abschließende Frage, warum diese Vertragsverlängerung in der Öffentlichkeit ausgetragen werden musste. Denn am Ende geht keine Partei gestärkt aus dieser Nummer hervor.