Miasanrot Leaks: Folge 2

Alexander Trenner 10.07.2020

Alles begann mit einer Bemerkung von Chris.

Kai Havertz

Chris: Chelsea will angeblich die 100 Mio. für Havertz zahlen

Alex: Ganz im Ernst? Wenn Chelsea Havertz haben und Havertz auch dorthin gehen möchte, soll er ruhig. Die Bayern müssen auch nicht jeden Spieler haben. 

€100m ist sowieso ridiculous.

Chris: Du musst aber auf der anderen Seite auch an den Umbruch in der Offensive denken.

Lewa ist 32, Müller wird 31.

Redrobbery: Aber 100m, dafür wird man auch in den kommenden Jahren noch Toptalente bekommen.

Justin: Havertz ist aber ein Talent, das du in der Form vielleicht alle 5-8 Jahre kriegst.

+ Heimatvorteil + Nationalspieler

Alex: Stimmt, aber ich halte Havertz immer noch nicht für einen potenziellen Ersatz für Lewandowski, tut mir leid. Ein Abschlussstürmer sieht für mich einfach anders aus. Ersatz für Müller vielleicht. Aber da wird sich doch sicherlich noch jemand anderes finden. Der Markt ist riesig und es gibt einen stetigen Nachschub von unten.

Justin: Von einem potenziellen Nachfolger für Lewy sollte man sich verabschieden, will man exakt diesen Spielertyp kopieren. Wird es nicht geben.

Wie schon bei Gomez zu Mandzukic und Mandzukic zu Lewy wird sich auch das Offensivspiel dann ändern.

Alex: Ja, Lewandowski ist der eine Spieler im gesamten Kader der Bayern, der so nicht zu ersetzen sein wird. Der Mann bringt einfach zu viele Sachen auf zu hohem Niveau gleichzeitig mit.

Und zu Havertz: So what? Fußball ist doch ein Mannschaftssport. Für mich wird die Bedeutung des individuellen Talents i. Allg. überschätzt.

Justin: Wer Havertz in dieser Saison regelmäßig verfolgt hat, dürfte gesehen haben, was für ein Riesentalent er ist. Der Anspruch der Bayern sollte sein, dieses Talent irgendwie spätestens 21 an sich zu binden. Andernfalls hat man was verschlafen. Ist halt leider so. Klar gibt es auch Spieler wie João Felix, aber glaubt ernsthaft jemand, dass Bayern ein Talent dieser Kategorie aus dem Ausland in die Bundesliga bekommt? Wenn wir von Inlandstalenten reden, war das letzte Talent der Kategorie Havertz wahrscheinlich Götze vor fast 10 Jahren.

Alex: 1. Ein Talent ist in erster Linie ein Versprechen. Das muss nicht immer gut ausgehen. Siehe Götze.

2. Talent ist immer individuell. Man kann auch sehr attraktiven und erfolgreichen Fußball mit einem hervorragend orchestrierten Kollektiv von Fußballern der Güteklasse Goretzka oder Tolisso spielen. Ich wiederhole mich: Fußball ist ein Mannschaftssport.

3. Kein Spieler ist jedes Geld wert. Für €100.000.000 muss schon was kommen.

4. Leistung ist auch immer eine Frage der Motivation und der Lebenszufriedenheit. Wenn Havertz eigentlich lieber ins Ausland gehen würde, weil er glaubt, dass er dort glücklicher wird oder mehr erreichen kann, ist es vielleicht nicht ideal, wenn er dann eher widerwillig bei den Bayern landet.

Justin: Zu 1: Dann darfst du keinen Spieler mehr verpflichten. Risiko gehört dazu und so wie es richtig war, damals Götze zu holen, wäre es jetzt richtig, Havertz zu holen. Ausnahmetalent mehrerer Generationen und Lückenfüller für die kommenden Baustellen. Insbesondere für Müller der perfekte Ersatz.

4: Mit dem Argument hätte Bayern vermutlich keinen Spieler in den letzten Jahren geholt. Zumal wir gar nicht wissen, was Havertz will. Das ist mir zu hypothetisch.

Fußball mag ein Mannschaftssport sein, aber es liegt weiterhin an der Klasse deiner Spieler, ob du erfolgreich bist oder nicht. Das individuelle Talent ist extrem entscheidend und ohne dieses Talent hast du kaum Chancen, Titel im Profifußball zu holen. Bei den Bayern reicht dieses Talent sogar zum größten Teil aus, um ein Double zu gewinnen (siehe vor allem letzte Saison). 

Unersetzlich ist dennoch nicht mal Lewandowski. Er ist gemeinsam mit Alaba, Thiago und Neuer zwar der Spieler, der am schwersten zu kompensieren wäre, aber Bayern hat es gerade auf der Stürmer-Position immer geschafft, seine hochkarätigen Abgänge durch eine Änderung der Spielweise zu kompensieren. Das sollte im Angriff keine allzu große Krise erzeugen.

Du tust so, als wären Goretzka und Tolisso untalentiert. Mit Verlaub: 17 Bundesliga-Klubs zeigen dir den Vogel.

Das ist auf nationaler Ebene mehr Talent, als die meisten je haben werden.

Alex: Ich: „Dieser Juni ist vergleichsweise regnerisch.“

Du: „Du tust so, als wenn wir hier gerade in monsunartigen Wasserfluten ertrinken.“

Merkste selbst.

Bei der Stürmerfrage gebe ich dir allerdings recht. die Bayern haben es bisher immer noch in jeder Saison geschafft, einen konkurrenzfähigen Sturm auf die Beine zu stellen, der auch mit guten Namen besetzt war. Das wird ihnen auch in der Zukunft weiter gelingen.

Justin: Du sagst „von der Güteklasse“ Tolisso und Goretzka. Ich sag: Wegen dieses Mittelfelds wird kein Trainer CL-Sieger, aber viele deutscher Meister. That’s the difference. Du brauchst individuelles Talent, um die CL gewinnen zu können. National bist du eh enteilt.

Mit der Einschränkung, dass es eben stark auf das restliche Talent im Team ankommt.

Wenn du im Angriff drei Spieler mit dem Talent von Mané, Salah und Firmino hast, dann agree, dann brauchst du dahinter keine absolute Weltklasse, um mit guter Taktik erfolgreich zu sein. Aber ganz ohne dieses Ausnahmetalent geht es halt nicht. Es geht darum, dieses frühzeitig zu erkennen, auch wenn es mal versteckt ist. Und es ist weder überschätzt, noch unwichtig.

Um zurück zum Thema zu kommen: Es geht doch 0,0 darum, dass die Zukunft von Havertz abhängt. Es geht darum, dass hier was versäumt wird, wenn es nicht klappt. So ein Talent kommt nicht mal eben alle zwei Jahre um die Ecke und geht zum FC Bayern. Vergiss es.

Alex: Ok, fair enough. Aber wie viel Qualität ist genug? Gibt es einen oberen Sättigungspunkt, oberhalb dessen jede weitere Steigerung nur noch Geldverschwendung wäre? Mir erscheinen die Bayern gerade auch ohne Havertz auf CL-Niveau mehr als konkurrenzfähig.

Woran misst man einen Bayern-Trainer?

Alex: Und zu deiner Aussage „national bist du eh enteilt“: Ich stimme dir zu. In den Medien wird Flick gerade mit viel Anerkennung dafür gelobt, dass er nach nur einem halben Jahr im Amt schon das Double geholt hat. Zu Kovač wird immer gesagt, dass er ja „immerhin“ das Double mit den Bayern gewonnen hat (in Gedanken: so schlecht kann er also gar nicht sein).

Ich halte beide Aussagen für ziemlich aussagelos, weil mit den Bayern im Rahmen der aktuellen Kräfteverhältnisse, wie sie sich in der Bundesliga darstellen, auch ein halbwegs kompetenter Frischling von der Hennes-Weisweiler-Akademie auf Anhieb dass Double gewinnen würde.

Ich drehe das mal um. Wenn es ein Trainer nicht schafft, mit den Bayern das Double zu gewinnen, das wäre eine Aussage.

Justin: Ganz so ist es aber auch nicht. Kovac war schon ein besonders unpassender Trainer. Warum hat er trotzdem das Double geholt? Weil die Mannschaft sich ein halbes Jahr lang zusammengerissen hat. Nur funktioniert das eben nur auf nationaler Ebene. Es soll ja damals ein Treffen des Teams ohne Kovac gegeben haben, bei dem man gemeinsam entschieden hat, quasi trotzdem alles zu geben. Auch weil es von den Bossen eine Ansage gab: Kein neuer Trainer. Dass es dann so klappt, ist auch ein Zeichen dafür, wie schwach die nationale Konkurrenz im Vergleich zu Bayern ist, denn wirklich überragend waren sie auch in der Rückrunde nicht. Deshalb: Nicht jeder holt das Double mit den Bayern, aber es sollte der Anspruch sein.

Alex: Damit gibst du mir ja umso mehr recht, Justin. Die Bayern würden sogar ohne Trainer das Double gewinnen.

Ergo: Es ist gemäß deiner Logik eine Null-Leistung des Trainers, wenn es die Mannschaft unter seiner Regie schafft.

Justin: Damit unterstellst du mir Dinge, die ich nie gesagt habe. Aber nochmal: Die Probleme unter Kovac waren offensichtlich. Das Double unter ihm und das unter Flick könnten gar nicht unterschiedlicher sein in der Bewertung, gerade weil ich eine Saison nicht an dem messe, was hinten rauskommt, sondern an dem Weg dorthin. Die Situation mit Kovac war speziell. Nochmal hätten sich die Spieler nicht so zusammengerissen. Das war die Ausnahme und nicht maßgeblich das Verdienst des Trainers, sondern einer einmaligen Atmosphäre, geschaffen durch das „Nein“ der Bosse zu einem neuen Trainer und den Ehrgeiz der Spieler.

Und deshalb ist es auch schwierig zu sagen: Jeder Trainer wird mit Bayern Meister. Richtig ist: Es ist schwer, nicht Meister zu werden. Aber Kovac hätte es geschafft, da bin ich mir sicher.

Eine Null-Leistung ist es trotzdem nicht. Als Komplettpaket hat Flick sogar eine 90-Leistung (wenn man so will) erbracht, bei der eine Entwicklung zu erkennen ist, die bemerkenswert ist. Und hier geht es halt nicht nur um das Double, sondern vor allem um das Wie.

Alex: Schade, jetzt fühle ich mich missverstanden. Ich halte Flick auch für einen hervorragenden Trainer und ich bin froh, dass er bei den Bayern in Amt und Würden ist und würde mir Stand jetzt auch keinen anderen wünschen, aber seine Qualität ausgerechnet mit dem Doublegewinn zu belegen, ist für mich schlicht Banane. 

Und Justin, ich unterstelle dir nichts. Was denn? Für mich klingt das eher so, als wären wir uns sowieso einig. Das Wie ist entscheidend. Wie die Mannschaft spielt, ist Ausweis von Flicks Qualität, nicht dass zufällig gerade er im Amt ist, wenn die Bayern wieder einmal die Meisterschaft gewinnen.

Justin: Natürlich ist es Banane, das am Doublegewinn festzumachen. Genau das habe ich ja gerade versucht, zu erläutern. Sowohl Lob als auch Kritik sollten nicht ausschließlich anhand von Ergebnissen geäußert werden. Ich sage sogar: Nicht mal zum größten Teil.

Redrobbery: Zur Trainerdiskussion: Wir sind hier zum Glück alle glaubwürdig genug, um Flick (anständig dosiert) zu loben. Denjenigen, die Kovač nach dem Double in den Himmel geschrieben haben, schenke ich hingegen keine Aufmerksamkeit in diesem Bereich. Aber wir, als Spielbeobachter statt Ergebnisleser, durften uns ja einig sein, dass die Spielanlage unter Flick eine ganz andere und viel nachhaltigere ist.

Justin: Tobi auf dem hohen Ross. Love it. ♥️

Redrobbery: Bei Kovač wie schon bei Carlo konnte man die Probleme schon nach 4 Monaten riechen. Selbst wenn die Ergebnisse passten, war das immer nur individuell erzwungen. Klar ist Flick (noch) kein Gott, aber er hat fast aus dem Nichts eine Mannschaft geschaffen, die über 65 Minuten beinahe jedes Spiel dominiert.

Wie wichtig ist Talent?

Redrobbery: Ich finde die Nennung von „Mané, Salah und Firmino“ insofern relevant, als dass sich die Bayern jeden der drei vor 3-4 Jahren hätten leisten können. Von denen war auch niemand mit Anfang 20 in den Joao’schen Sphären, wo das Versprechen in Beine mehr kostet als jegliche Steine.

Justin: Wobei es bei Firmino nicht ganz so absehbar war tbf. Der war vorher schon ein guter Kicker, aber hätte den jemand zu Bayern geschrieben?

Firmino auch ein typisches Bundesliga-Beispiel, wo Bayern halt fischen kann und muss.

Redrobbery: Das war bei allen dreien nicht absehbar. Mane war 2015(?) nicht viel überzeugender als Costa. Salah galt als gescheitert, weil er bei Chelsea nichts brachte.

Und ich hätte das Geld für Firmino damals auch nicht ausgegeben. Stehe ich weiterhin zu. (Wen hätte er verdrängen sollen?)

Justin: Ich sag ja nicht: Bayern wird ohne Havertz keine tolle Offensive zusammenkriegen, mit der sie Chancen auf die CL hätten.

Alex: Leute, ich gewinne den Eindruck, ihr denkt zu sehr entlang aussagenlogischer Kategorien wie „immer dann, wenn“ oder „nie, wenn nicht“.

Die Bayern können nicht nur unter der Bedingung die Champions League gewinnen, dass sie Kai Havertz holen bzw. wenn sie Kai Havertz nicht holen, heißt das nicht, dass sie keine Chance haben werden, die Champions League zu gewinnen.

Ihr müsst viel mehr in Wahrscheinlichkeiten und Kontexten denken.

Bleiben wir beim Beispiel des attacking trident von Liverpool: An allen drei Karrierewegen von Firmino, Mané und Salah kann man doch prima erkennen, wie wichtig für die Entwicklung und Leistungsfähigkeit eines Spielers auch solche je individuellen und kontextspezifischen Faktoren wie Trainer-Spieler-Fit, Spieler-Spieler-Fit, Spieler-System-Fit usw. sind. Es hätte in allen drei Fällen auch ganz anders kommen können.

Das individuelle Talent eines Spielers ist nur einer von vielen Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit, dass er einschlagen und zu einem richtigen Topathlet seiner Sportart wird, zweifelsfrei erhöhen. Aber es ist auf keinen Fall der einzige und sehr großes Talent ist auch keine conditio-sine-qua-non für eine große Entwicklung oder Erfolg (individuell und der Mannschaft).

Redrobbery: Ich bin da voll bei dir. Muss ich auch, weil ich die Galacticos noch miterleben durfte, die trotz der Anhäufung von (bewiesenem) Talent jedes Jahr kurz vor dem Ausscheiden gegen Robert Kovač und Hasan Salihamidzic standen.

Meine Position bei Havertz gerade ist ähnlich, wie sie bei De Bruyne war. Talent ist da, Kaderraum eher weniger. Finanziell liegt die Ablöse so an der Grenze, dass ich kein ultimatives Urteil für eine Seite aussprechen könnte.

Bei De Bruyne kann ich mich nachträglich als Idiot bezeichnen, ist bei Havertz in drei Jahren vielleicht auch so. Für mich sind die Gründe gegen den Transfer aber legitim genug, um eine solche Entscheidung zu akzeptieren.

Justin: Das ist ja das Schöne am Fußball: Er ist so komplex, dass beides wahr ist: Individuelles Talent entscheidet ebenso wie Trainertalent und noch einige andere Faktoren. Aber meine Aussage ist ja, dass du, wenn du die CL gewinnen willst, ein enormes individuelles Talent brauchst. Das hat Liverpool. Schau mal, wie viel Geld die rausgehauen haben. Die Lovestory, wie Klopp einen Underdog formte, ist eben auch eine Geldfrage.

Beispiel: die Bayern haben de Bruyne damals verpennt und in meinen Augen war das ein Fehler. Aber sie haben auch ohne ihn existieren können. So ist das halt.

Alex, nur eine Anmerkung: Dein ganzer Absatz beginnt mit der Aussage zu Havertz. Das hat doch niemand hier behauptet? Das verstehe ich nach wie vor nicht. Deine Aussagen in diesem Absatz und meine stehen ja nicht mal im Widerspruch.

Redrobbery: Für mich ist und bleibt Havertz in der jetzigen Konstellation ein Kann, aber kein Muss. Würde er noch 1-2 Jahre bei Bayer bleiben, wäre die Sache sicherlich eindeutiger. Den Vorteil von früher, dass Bayern einen solchen Spieler per „Vorkaufsrecht“ für 35m kaufen könnte, gibt es leider nicht mehr.

Justin: Ich finde übrigens auch, dass ein Jahr Leverkusen und dann Bayern perfekt wären.

Zum jetzigen Zeitpunkt muss man das aber so versuchen. Andernfalls ist er halt leider weg.

Redrobbery: Vielleicht müssen wir auch in ein paar Jahren eingestehen, dass Flick recht hatte und wir Werner statt Sane hätten holen sollen.

Justin: Wenn das passiert, bin ich mehr als ratlos. Aktuell mMn nicht absehbar, weil Werner schon erhebliche Mismatches mit dem Spielstils des FC Bayern hat.

Redrobbery: Witzigerweise ist der einzige Muss-Transfer eines Talents genau der, der in die Hose gegangen ist. Götze würde ich jeden Tag wieder verpflichten in der damaligen Situation.

@justin: Findest du es nicht teilweise beruhigend, dass Brazzo international orientiert ist? Wer Nianzou (den Namen muss ich immer noch googeln) und Hernandez überzeugen konnte/wollte, der kann doch auch den italienischen Havertz finden. Diese extreme Abhängigkeit von der Bundesliga sehe ich zurzeit nicht.

Außer natürlich, wenn du Havertz als eine solche Granate einschätzt, dass es auch international auf Jahre nichts Vergleichbares geben wird.

Justin: Ja, und Salihamidzic ist eine der größten Fehleinschätzungen meiner Bloggerkarriere.

Es beruhigt mich tatsächlich, was derzeit alles passiert und ich bin deshalb auch nicht extrem enttäuscht, sollte Havertz nicht kommen. Ich sehe in dem Jungen aber etwas, was ihr vielleicht (noch) nicht seht und glaube ernsthaft, dass er der perfekte Müller-Ersatz sein kann, wenn der dann in 2-3 Jahren geht oder gegangen wird. Deshalb wäre es schade. Die Bayern werden es aber auch so hinbekommen. Da habe ich keine Zweifel.

Alex: Nein, Justin, wir sind uns einig. Ich hatte bei dir nur das Gefühl gewonnen, du würdest das individuelle Talent von Kai Havertz in der Frage verpflichten oder nicht über alles stellen und wollte deiner Ansicht etwas temperierendes entgegensetzen.

Du sagst ja selber, de Bruyne nicht zu holen war ein Fehler, aber es ging dann auch ohne ihn recht manierlich weiter. Word! Stimme dir vollkommen zu. Und so wird es auch bei Kai Havertz sein (obwohl ich zugebe, dass du mir den Mund schon verdammt wässrig gemacht hast).

Im übrigen kann ich dein Gefühl vollkommen nachvollziehen. Ich kenne das auch, dass ich das Gefühl habe, ich müsste etwas unbedingt haben und mich da regelrecht reinsteigere. 

Dann kaufe ich es aus irgendwelchen Gründen nicht – und das Leben geht trotzdem weiter.

Und ich bin SO FROH, dass Werner nicht zu den Bayern gekommen ist. Ihr habt da ja was Taktik und so angeht einen besseren Blick als ich, aber wenn ich jemals die Aussage „passt nicht zum Spielsystem“ so richtig 100% zutreffend fand, dann im Fall Werner. (Duckundweg)

Justin: Bei Werner sind wir uns einig. Hatte ich ja auch mehrfach so geschrieben und gesagt. Er hat sich unter Nagelsmann zwar sehr entwickelt. Aber es passt mMn einfach nicht.

Redrobbery: Am Ende des Tages (Kalle) wissen weder wir noch die Zuständigen, wie sich diese Spieler entwickeln. Für mich war Mané damals auch nur ein besserer Ibrahima Traore. Hätten die Bayern die Entwicklung erahnt, hätte Kalle sicherlich die letzten 10m locker gemacht. Manchmal passt das Gefühl, manchmal nicht.

Salihamidzic, das Scouting und die Transfers

Alex: Und dann weißt du immer noch nicht, ob er bei den Bayern auch funktioniert hätte.

Apropos Salihamidzic: Ich habe mal eine allgemeine Frage zum Scouting und der Anbahnung einer Verpflichtung:

Wie viel davon liegt eigentlich konkret beim Sportdirektor oder, im Fall von Bayern, bei Salihamidzic? Salihamidzic wurde in den Medien und von den Fans ja immer zerrissen, weil er keine guten Transfers auf die Reihe bringen würde. Jetzt wird er allerorten in den Himmel gehoben, weil er Nianzou, Sané usw. an die Isar gelotst hat (das wollte ich immer schon mal schreiben 😂).

Ist das eigentlich in beiden Fällen gerechtfertigt? Wie Laufen Scouting und Vertragsanbahnung bei einem Fußballverein in der Realität ab? Sitzt da vielleicht ein Team von Fachexperten, die den ganzen Tag Spieler beobachten, Medien studieren und mit Beratern telefonieren, oder macht das tatsächlich alles der Sportdirektor selbst?

Redrobbery: Das macht er hoffentlich nicht alles selbst. Für mich klingt das bei Bayern immer wie eine Art dreistufiges System. Die Scouts finden einen Spieler (oder jemand anders findet ihn und schickt die Scouts los), danach prüft ihn Brazzo und abschließend diskutiert die Elefantenrunde (KHR, Kahn, Brazzo, Trainer etc.) das aus und findet einen Konsens.

Gibt sicherlich auch andere Varianten (gerade von Seiten der Agenten werden die Bayern bestimmt oft angesprochen). Aber ich hoffe stark, dass Brazzo nicht 10 Stunden am Tag bei Youtube hängt.

@justin Unsere Kritik an Brazzo war aber völlig berechtigt, sie zielte ja fast nur auf seine medialen Auftritte ab. Die waren grauenvoll und sind seitdem gefühlt stark verringert. Und bei Hudson-Odoi hat er einfach verkackt. Gehört zum Geschäft, war damals nur viel zu öffentlich.

Alex: Dann ist es ja eigentlich total falsch, Salihamidczic gerade für die Errungenschaften in diesem Bereich entweder alleine zu kritisieren oder zu loben. Man sollte seine Leistung eigentlich eher an dem messen, für was er genuin verantwortlich ist bzw. was alleinig in seinen Aufgabenbereich fällt. Beziehungsweise man sollte das sportlich verantwortliche Gesamtpaket bei den Bayern für gute oder schlechte Transfers und Transferpolitik kritisieren oder loben, also inklusive KHR, Kahn und wer da sonst noch alles mitentscheidet.

Ich z.b. würde zur Kernkompetenz eines Sportdirektors seine Fähigkeit zur Außendarstellung zählen, vielmehr als seine Leistung bei Transfers. Und da war Salihamidczic gerade am Anfang noch extrem ausbaufähig. Inzwischen nehme ich ihn in der Öffentlichkeit allerdings nicht mehr so war. Taucht er eigentlich noch vor Kameras auf? Oder macht das inzwischen alles Kahn?

Redrobbery: Ist sicherlich zu früh, ihn in den Himmel zu loben. Nur, verglichen mit den Befürchtungen der ersten Monate, sind die letzten Transfers sehr ordentlich und kreativ. Alles Weitere zeigt sich in den nächsten Jahren.

Man musste zwischendurch ja wirklich zittern, ob Bayern nicht 110m für Ante Rebic und Kevin Vogt ausgibt…

Alex: Tja, die Leute, die einen Rebic oder Jovic verpflichtet haben, haben garantiert auch geglaubt, dass seien Mega-Talente. 🤷🏻‍♂️

Justin: Ich muss sagen, dass ich ihm auch fachlich nix zugetraut habe und besonders das falsch war.

Alleine loben geht nirgends im Fußball. Nicht mal beim Platzwart.

Salihamidzic trägt aber die Verantwortung, weil fast alles über seinen Schreibtisch geht. Das heißt, er delegiert. Und entweder macht er das eben gut oder nicht. (Oder irgendwo dazwischen.) Mittlerweile finde ich, dass er das gut macht und auch öffentlich kürzer tritt (dafür hat er ja jetzt auch Kahn), was dem Klub gut tut.

Und intern ist sein Einfluss auf Transferentscheidugen groß, wie ich hörte. Dass Werner, Pepe, Vogt und Rebic nicht kamen, lag auch an ihm. Dass Hernández und Pavard gut passen, ist auch ihm zu verdanken.

Er hat einen Plan und eine Idee. Er war meines Wissens nach übrigens auch damals nicht im Team Kovac bei der Verpflichtung, sondern pro Tuchel oder ebenbürtige Alternative.

Was allein vom Fußball her ja zu dem passt, was man sich erwartet.

Brazzo darf jetzt (ohne Hoeneß) – so mein Eindruck – freier entscheiden und er kann seine Ideen, die er definitiv hat (dass Bayern aktuell wieder mehr den Eindruck macht, dass man nach Plan handelt, ist auch sein Verdienst), freier umsetzen. 

Was ich aber auch höre: Er hat einen (zu?) großen Einfluss auf den Jugendbereich, wo sich viele wünschen würden, dass Sauer mehr und freier entscheiden darf, weil der wirklich klasse ist, gut mit vielen im Klub kann und fachlich was drauf hat. Zu viel geht über Brazzos Tisch, was an sich vielleicht normal klingt, letztendlich aber auch zu Problemen führt oder führen kann.

Redrobbery: Ist sehr schade, dass man da keine klare und harmonische Trennung der Kompetenzen hinbekommt. Andererseits auch nicht einfach, da eine eindeutige Linie zu ziehen, ohne völlig zerstückelt zu arbeiten.

Externe Kommunikation und medialer Stellenwert des Fußballs

Alex: @justin: Danke für deine sehr qualifizierten Ausführungen zu Salihamidzic.

Apropos Kahn: Der muss an seiner Außendarstellung auch noch arbeiten. Als Fernsehexperte, wenn er impromptu auf kurze Fragen kurz etwas lustiges antworten konnte, war er gut. Jetzt, wenn er sich in Talkshows oder vor der Kamera am Spielfeldrand etwas ausführlicher am Stück zu Bayern-Themen äußern muss, finde ich seine langatmige, von äähs und ständigen Verzögerungen im Sprechen durchzogene Art doch sehr anstrengend. Ich muss mich immer ziemlich konzentrieren, um ihm zu folgen und gedanklich nicht abzuschweifen, weil er so unendlich langsam ist. Als Kahn z.b. vor einigen Wochen bei Sky90 war, zum Einschlafen! Boah, war das zäh.

Redrobbery: Kommunikation und Darstellung von Inhalten sind im Fußball sowieso grauenvoll. Ich freue mich, wenn KHR mal ein schriftliches Interview gibt, da findet man wenigstens echte Inhalte. Sonst ist das fast immer irgendwo zwischen Lippenbekenntnis und leere Hülsen (die beherrscht Kalle ja auch gut).

Alex: Damit hast du am Ende des Tages recht.

Aber Rummenigge ist schon ein ziemlicher Kommunikationsprofi, das muss ich ihm lassen. Er hat zwar seinen Satz an Lieblingsfloskeln, aber wenn er vor die Kameras tritt, dann haben die gesprochenen Sätze in aller Regel einen Anfang und ein Ende und was dazwischen liegt ergibt einigermaßen Sinn und hat oft auch noch einen gewissen Informationsgehalt.

Nur wenn man sich das mal genauer überlegt, so ganz aus medialer und kommunikativer Sicht, ist das Fußballbusiness eigentlich schon ziemlich pervers. Da wird ein mediales Aufhebens von nationaler Tragweite um ein paar Brocken Inhalt und sonst viel Luft von irgendwelchen Leuten gemacht, die jeden Tag vor die Kameras treten mit der verzweifelten Aufgabe, am nächsten Tag nicht mit irgendwelchen in großen Lettern aufgemachten Wortfetzen in der Presse aufzutachen, wenn sie auf die immer gleichen und völlig belanglosen Fragen nach Spieler X und Transfer Y antworten, als wenn es bei dem, was sie da sagen und protokolliert wird, regelmäßig um Krieg und Frieden ginge und die Sicherheit der Nation auf dem Spiel stünde. 

Und dabei ist es doch nur Fußball. 🤷🏻‍♂️

Redrobbery: Und zugleich sind die Akteure, die täglich mit Millionenbeträgen jonglieren und ständig mit international hochrangigen Funktionären im Austausch sind, PR-mäßig und fast moralisch gezwungen, ihr Handeln stets im Kontext der Leidenschaft und der Fanliebe zu präsentieren. Eine einfache Aufgabe ist das nicht.

Ein KHR war als Vorsitzender der ECA der Vertreter von geschätzt 10 Milliarden Euro Jahresumsatz, sollte dabei aber stets so auftreten, als wäre er der 1. Vorsitzende beim FC Buxtehude und würde gerade diskutieren, ob die Bratwurst nun 1,20€ kosten darf. Da kann nur Grütze rauskommen, wenn es einem nicht egal ist.

Alex: Das ist mir bisher noch nicht aufgefallen. Ich finde es eher irgendwo zwischen anstrengend und belustigend – mit deutlicher Tendenz zu anstrengend – wie sehr sich jeder einzelne Verantwortliche stets wie ein Aal windet, um ja nicht auch nur irgendwie annähernd Gefahr zu laufen, irgendetwas mit Substanz, mit wirklichem, echtem Informationsgehalt, von sich zu geben. Stattdessen wird gesponnen und fabuliert und irgendwas erzählt, um ja nicht auch nur einmal nur ein handfestes Wort zur Vereinspolitik, zur Strategie, zu den Zielen für die nächsten Jahre, zu den sportlichen Ambitionen, zu der finanziellen Situation usw. (take your pick) von sich zu geben. 

Dass sich die Leute besonders bemühen würden, ihren Fans Honig um den Bart zu schmieren, ist mir aber bisher wirklich noch nicht aufgefallen. Na klar, die üblichen Floskeln und Beteuerungen, aber das geht doch im allgemeinen Grundrauschen des großen Nichts unter, oder?

Und bezüglich KHR und FC Buxtehude: Ja, diese Leute sind eben in der Wolle gefärbte Vereinsrepräsentanten. Da klappt der Switch zur Verbandsebene mit dem Blick für das große Ganze nicht immer so einfach. Seifert ist für mich ein Beispiel dafür, wie man das gut macht.

Redrobbery: Ist alles mMn sehr ineinander verwoben. Ein gutes Beispiel dafür waren die Reaktionen auf Klinsis wirtschaftliche Analyse des Herthakaders – macht sicherlich jeder Verein intern, kannst du offenbar aber keinem erzählen. Aber du hast Recht, etwas mehr Weitblick könnte es auch ohne Fandistanz sein.

Und ja, im Vergleich mit dem Dauerstolpern der DFB-Spitzen ist Seifert eine Wohltat.

Alex: Ja, dieses Protokoll von Klinsmann war für mich gefühlt das unverstellteste und substanziellste Zeitdokument, was ich seit langem, vielleicht jemals, aus dem Profifußballs kommend gesehen habe.

Redrobbery: Wenn sowas in 2020 wirklich revolutionär sein soll, dann sorge ich mich um die betroffenen Vereine.

Macht auch jeder Fan am Stammtisch, wenngleich nicht so strukturiert. Wir streichen Ulreich und Martinez auch aus Alters- und Kostengründen aus unseren Kaderplanungen, der einzige Unterschied ist die Wortwahl.