Ein Kommentar: Kein Sommermärchen
Letzte Woche Freitagabend um kurz vor halb Neun. Viele dürften inzwischen durch das Bayern-Magazin, das offizielle FCB-Stadionheft, geblättert haben. Wieso auch nicht, ist es doch eine nicht immer spannende, aber mindestens kurzweilige Lektüre. Vorbereitung auf die Partie gegen Wolfsburg eben.
Dass es darin um mehr als Sport geht – es eher wie eine TV-Zeitschrift ist -, ist inzwischen zum Standard geworden. So verstecken sich in den »Geschenktipps« mehrere Bücher, die mit einer kurzen Rezension empfohlen werden.
Anscheinend hat nur Einer genau gelesen. Alex Feuerherdt twitterte am Samstagabend zur erwähnten Uhrzeit:
Aus dem »Bayern-Magazin«: Olympia 1936 als »Deutschlands erstes Sommermärchen«. Was Kurt Landauer wohl dazu gesagt hätte, @FCBayern? pic.twitter.com/540cTHfbsQ
— Alex Feuerherdt (@LizasWelt) December 9, 2016
Halt. Moment! Was steht dort?
Das raffinierte Buchkonzept über Deutschlands erstes Sommermärchen nimmt den Leser sofort gefangen und sorgt für das größte Lob, das ein Buch erhalten kann: es lässt einen nicht mehr los.
Bayern-Magazin 16|17, Seite 66
Deutschlands erstes Sommermärchen? In Verbindung mit dem Jahr 1936?
Zeit für einen kurzen Exkurs in die Geschichte: Adolf Hitler ist bereits an der Macht, die Nationalsozialisten nutzen die Olympischen Spiele 1936 als propagandistische Inszenierungsfläche. Juden und andere Minderheiten werden verfolgt, der Krieg bereits vorbereitet.
Puh. Wie bekommt der Autor der Buchrezension hier den Gedankengang zum Sommermärchen hin?
Eine Verknüpfung, die zu Oliver Hilmes Buch »Berlin 1936« absolut nicht passend scheint. Auch eine versteckte Kritik, die Verwendung von »Sommermärchen« zur Darstellung der Kontraste dieser Zeit, wird nicht deutlich.
Rezensionen betonen, wie gelungen Hilmer das Licht auf einzelne Personen richtet und ihre Situation mit Blick auf Deutschland unter den Nationalsozialisten beleuchtet. Welcher Konflikt zwischen öffentlicher Inszenierung und den Vorgängen im Land besteht.
Die ZEIT trifft den Ton besser. Zur Einordnung:
Der Historiker Oliver Hilmes nimmt seine Leser in „Berlin 1936“ mit in eine Stadt, die vom Nationalsozialismus überschattet wird und zugleich im Glanz der Olympischen Spiele erstrahlt. […] dass sein geliebtes Deutschland noch ein anderes, hässliches Gesicht besitzt und wird letztlich verstört wieder zurückreisen.
Zeit.de
Nicht jedes große, deutsche Sportereignis ist ein Sommermärchen. Die Olympischen Spiele 1936 waren definitiv kein Sommermärchen.
Man muss nicht immer und immer wieder die Kurt-Landauer-Erinnerungen bemühen, aber das Fingerspitzengefühl des Vereins im Umgang mit dem Nationalsozialismus sollte überall vertreten sein – auch im Werbeteil seines Stadionheftes.
So bleibt beim Lesen der Geschenketipps ein mulmiges Gefühl. Und dank Alex der Hinweis auf diesen Fehler.
P.S. Es bleibt zu hoffen, dass beim Retterspiel für die Offenbacher Kickers der Blick nicht nur auf die abgewendete Insolvenz gerichtet wird. Gründe zur Sorge & für Engagement gibt es genug. Hier, hier oder hier zum Beispiel.
»Ein Kommentar« ist ein (hoffentlich) wöchentlich erscheinendes Meinungsstück, das Themen aufgreift, denen ein wenig Beachtung gut tun würde. Mehr Kolumne, weniger Analyse.