Warum Kimmich mit zur EM muss
Kimmich muss mit zur Europameisterschaft, wenn der Bundestrainer dort erfolgreich sein möchte. Ein Kommentar.
Als Joshua Kimmich vor der Saison zum FC Bayern wechselte, gab es nur wenige Leute die ihm so eine Saison zugetraut hätten. Selbst als die Münchner noch nicht vom Verletzungspech verfolgt waren, spielte der Nationalspieler viele Minuten in allen Wettbewerben. Schon in der Hinrunde zeichnete sich dabei ab welch überragenden Qualitäten er in seinem Alter schon mitbringt.
Im Februar analysierte ich hier im Blog seine Grundfähigkeiten die sich in einer enormen Passsicherheit, extrem klugem Positionsspiel, Spielintelligenz, Pressingresistenz und Zweikampfstärke am Boden kurz zusammenfassen lassen. Kimmich bringt nicht nur alles mit was ein Sechser haben sollte, sondern überzeugte zudem auch in den Rollen des Halb-, Innen- und Rechtsverteidigers. Speziell als Innenverteidiger überraschte der ehemalige Stuttgarter. Mit 1,76 Meter Körpergröße scheint er für diese Position nicht gerade prädestiniert zu sein. Er selbst erwähnte immer wieder seine starken Mitspieler und den vielen Ballbesitz, der ihm die Interpretation dieser Position deutlich erleichtert hat. In der Bundesliga zeigte er dennoch großartige Leistungen und wusste mit einer Passquote von 92,5% zu überzeugen. Viele seiner Pässe sind dabei nicht ohne Risiko. Kimmich übernahm über weite Strecken der Rückrunde den Spielaufbau von hinten und hatte dabei viel Vertikalität in seinem Passspiel. Auch die Quote von 60,5% gewonnen Zweikämpfen am Boden ist mehr als solide.
Mit Kimmich in der Innenverteidigung kassierten die Bayern in den Spielen gegen Leverkusen und Dortmund kein Gegentor. Auch im Pokalfinale gegen den BVB konnten Aubameyang, Reus und Mkhitaryan in 120 Minuten kein Tor erzielen. Der Beitrag des 21-jährigen war also in allen Wettbewerben enorm. Er glänzte im zentralen Mittelfeld sowie in der Innenverteidigung, spielte aber beispielsweise gegen Darmstadt im Pokal oder auch in der Rückrunde gegen Hertha schon Rechts- sowie Linksverteidiger. Gerade die Rechtsverteidiger-Position ist in der deutschen Nationalmannschaft nach dem Rücktritt von Philipp Lahm dürftig besetzt. Zuletzt spielten dort Emre Can, Sebastian Rudy und Antonio Rüdiger.
Kimmich muss zur EM
Alle drei konnten nicht vollends überzeugen und so ist es kein Wunder, dass Joachim Löw Kimmich unter der Woche auf dieser Position einsetzte, als die A-Nationalmannschaft gegen die U20 getestet hat. Unter Löw orientierte sich der DFB zuletzt immer wieder an den in Deutschland erfolgreichen Vereinsmannschaften. So setzte man zwischen 2010 und 2012 auf viele Elemente des Klopp-Fußballs, erweiterte dieses System dann in den letzten Jahren aber auch um Bausteine die eher Guardiola-typisch sind.
Kimmich kann unter Druck sehr kluge Entscheidungen treffen und macht kaum Fehler. Unter Guardiola lernte er verschiedene Positionen kennen und erweiterte so sein ohnehin schon gutes Spielverständnis. Als Rechtsverteidiger würde er der Nationalmannschaft ganz sicher weiterhelfen und eine große Lücke schließen können. Löw hatte bei der Bekanntgabe des vorläufigen Kaders betont, dass Flexibilität eine große Rolle spielt. Kimmich bringt das für den Trainer perfekte Paket aus Qualität und Variabilität mit. Nach den beeindruckenden Leistungen in der Bundesliga,aber vor allem in der Champions League – wo er bis auf zwei unglückliche Momente in Turin brillierte – kommt Löw eigentlich nicht mehr an ihm vorbei.
Auch gegen die Slowakei am Sonntagabend zeigte Kimmich eine über weite Strecken ordentliche, wenngleich später unglückliche Leistung. Gegen den Ball bewegte er sich clever und rückte immer klug aus der Dreier- beziehungsweise Fünferkette heraus. Dabei konnte er für einige Ballgewinne sorgen und das Spielgerät solide verteilen. Es war jedoch kein Spiel in dem sich die Verteidiger zeigen konnten, da die Slowakei über weite Strecken gar keinen Zugriff auf das Spiel hatte. Am überraschenden 2:1-Führungstreffer der Slowaken war Kimmich dann beteiligt als sein Gegenspieler ihm bei einer Ecke davon lief und den Ball ins Tor köpfte. Diese Szene sollte Löw allerdings eher zeigen, dass Manndeckung einige entscheidende Nachteile mit sich bringt, als Kimmich nun wegen einer Szene nicht zu nominieren. Der 21-Jährige hatte zugegebenermaßen einen durchwachsenen Tag, der aber auch auf viele, unglückliche Umstände zurückzuführen war. Dieses Spiel war sicher keine gute Bühne für die vier jungen Spieler im DFB-Dress.
Julian Weigl, Julian Brandt und Leroy Sané hätten eine Nominierung ebenso verdient, können aber jeweils nur eine Position bekleiden, auf der ihnen große Konkurrenz gegenüber steht. Kimmich hingegen bringt die Grundfähigkeiten für eine Position mit, die seit Philipp Lahm nicht zufriedenstellend besetzt werden konnte und kann zudem auch in anderen Mannschaftsteilen aushelfen. Erfahrungen in der Champions League hat er den anderen ebenfalls voraus. Kimmich könnte so auch zu einem wichtigen Baustein in der Startelf werden und nicht nur als Tourist mitfahren. Wenn ich Joachim Löw wäre, würde ich auf diesen nahezu einzigartigen Spielertypen in meiner Mannschaft nicht verzichten wollen.