Der Unvermisste. Der FC Bayern ohne Bastian Schweinsteiger

Christopher Trenner 11.10.2015

Als sich der FC Bayern und Schweinsteiger nach 17 Jahren Vereinszugehörigkeit trennten, war der Unmut im Fanlager groß. Auch viele Experten sahen den mehr oder weniger freiwilligen Verzicht auf die Führungs- und Identifikationsfigur kritisch. Der Zorn entlud sich auch auf Trainer Pep Guardiola, der als Schuldiger für den Abgang ausgemacht wurde. Allerdings zeigte das Frühjahr 2015, dass Schweinsteiger zusammen mit Alonso nicht funktionierte. Eine Veränderung war für beide Parteien wohl unausweichlich.

Schweinsteiger und Alonso – zwei waren einer zu viel

Bastian Schweinsteiger war seit jeher ein Schlüsselspieler beim FC Bayern. Nach dem gewonnen WM-Titel war die Hoffnung groß, dass er den berühmten nächsten Schritt geht und die Spielweise von Pep Guardiola auf eine nächste Stufe hebt. Dieser Traum zerschlug sich allerdings schnell. Schweinsteiger verletzte sich bei einer Werbetour in den USA und fiel für die Hinrunde 2014/2015 fast komplett aus. Der FC Bayern reagierte auf die Verletzung, die besonders nach dem Abgang von Toni Kroos eine Lücke in den Kader schlug, indem im Spätsommer 2014 Xabi Alonso verpflichtet wurde. Dieser überragte in den Anfangsmonaten mit seiner Fähigkeit, ein Spiel zu lesen und zu leiten. Die Münchner cruisten durch die Hinrunde, führten die Bundesliga souverän an und hatten wenig Mühe in der Champions League. Im Mittelpunkt stand dabei häufig Xabi Alonso. Schweinsteiger spielte erst am 13. Spieltag, also Mitte Dezember, mehr als 12 Minuten.

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In der Rückrunde fehlte über weite Strecken das Duo Ribéry und Robben. Pep Guardiola suchte krampfhaft eine neue Möglichkeit das Spiel des FC Bayern zu ändern. Das sehr flügellastige Spiel war mit Götze und Müller auf den Außenpositionen nicht so effektiv wie mit Robben und Ribéry. Zugleich ergab sich in der Schaltzentrale im Mittelfeld das Problem, dass Alonso und Schweinsteiger zusammen nicht harmonierten. Sie waren sich beide in ihrer Spielweise zu ähnlich. Im 4-2-3-1 Grundsystem ließen sich beide meist zu sehr fallen. Die Abstände zwischen den einzelnen Reihen wurden zu groß. Gleichzeitig stimmte die Positionierung der beiden nicht. Sie standen sich sprichwörtlich auf den Füßen. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, dass Schweinsteiger nie zu 100 Prozent fit wirkte und Alonso nach vielen Spielen in der Hinrunde überspielt war. Es fehlte in den entscheidenden Spielen die nötige Frische. Die Münchner hatten in vielen Defensivsituationen keinerlei Zugriff auf den Gegner. Negativer Höhepunkt war sicherlich das Champions League Hinspiel gegen Barcelona. Schweinsteiger und Alonso wurden vom Mittelfeld Busquets, Iniesta und Rakitic klar geschlagen. Schweinsteiger hatte in diesem Spiel nur 22% gewonnene Zweikämpfe und eine Passquote von „nur“ 82%. 74 Ballkontakte waren zudem ein ’negativer‘ Höhepunkt, seitdem van Gaal das Ballbesitz-Spiel zum FC Bayern München gebracht hatte.

Nach der klaren 0:3 Niederlage war die Saison der Münchner gelaufen. Das Team konnte sich nicht mehr aufraffen und verlor zum ersten Mal drei Bundesligaspiele in Folge. Das passierte zuletzt im Februar/März 1998 – damals war Trappattoni noch Trainer. Zugleich sind Serien gerissen, die unmittelbar mit dem Führungsquarttet Lahm, Schweinsteiger, Ribery und Robben in Verbindung standen. Wie etwa die 122 Bundesligaspiele, die nach einer Führung nicht mehr verloren wurden. Die Münchner schlitterten trotz gewonnener Meisterschaft und dem Halbfinalteilnahmen in der Champions League und im DFB-Pokal in eine Sinnkrise.

Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben

Im Sommer entschied sich Bastian Schweinsteiger dafür, einen neuen Weg einzuschlagen und wechselte auf eigenen Wunsch zu Manchester United. Vielleicht, um auch selbst wieder einen neuen Impuls in seiner Karriere zu setzen. In Manchester ist sein einstieger Förderer Louis van Gaal Trainer. Er installierte Schweinsteiger nach verlorenen Jahren auf der linken und rechten Außenbahn als zentrale Figur im zentralen Mittelfeld. Es begann 2009 wohl eine der bemerkenswertesten Entwicklungen eines Profis, der mit 25 Jahren bereits im besten Fußballalter war. Schweinsteiger lernte ein Spiel zu lesen und viel wichtiger, dass Tempo einer Partie zu bestimmen. Höhepunkt war sicherlich das Champions League Finale 2013 gegen Dortmund. Im Wembley Stadion bestimmte er nach dem Dortmunder Ausgleich die Partie. Der Rest ist Geschichte.

Schweinsteigers Ankunft wurde bei den Fans von United gefeiert. Endlich, so war die Hoffnung, gibt es mehr Kontrolle im Mittelfeld. Mit Schweinsteiger, so die Idee, sollte endlich das Kombinationsspiel besser zu Geltung gebracht werden. Zu selten konnten im Vorjahr Blind, Ander Herrera und Carrick das Spiel im Sinne von van Gaal aufbauen. Nach dem Totalzusammenbruch in der Nach-Ferguson-Ära und großen Transferausgaben reichte es ’nur‘ zum vierten Platz in der Tabelle. Mit einer Bilanz von 20 Siegen, 10 Unentschieden und 8 Niederlagen konnte United trotz fehlender Mehrfachbelastung nicht ernsthaft um den Titel in der Premier League mitspielen. In dieser Saison sollte sich nun alles ändern.

Ähnlich wie in seiner Zeit beim FC Bayern setzt van Gaal auf ein 4-2-3-1 System. In der Zentrale konkurriert Schweinsteiger mit Schneiderlin und Carrick um einen Platz auf der Doppel-Sechs. Bisher spielte Schweinsteiger in allen acht Partien der bisherigen Saison, wobei er im Schnitt nur 55 Minuten pro Partie auf dem Platz steht. Lediglich drei Partien bestritt Schweinsteiger über die vollen 90 Minuten in der Liga. Hinzu kommt ein Spiel in der Champions League und eines im „League Cup“. Von diesen fünf Partien verlor Manchester United drei Spiele, gegen Swansea in der Liga und gegen Eindhoven in der Champions League. Beide Partien wurden trotz Führung im Verlaufe der zweiten Halbzeit abgegeben. Am vergangenen Wochenende – fast parallel zu Bayern gegen Dortmund – spielte United gegen Arsenal. Es war das erste Spitzenspiel für die Truppe van Gaal, die am vorherigen Spieltag die Tabellenführung übernommen hatten. Arsenal überrollte mit guten Pass- und Kombinationsspiel bzw. mit einem überragend ausgespielten Kontern United binnen 20 Minuten. Bis auf einen geblockten Schuss konnte Schweinsteiger keine Defensivaktion in diesem Spiel zeigen. Das Duo Carrick-Schweinsteiger wirkte vor allem in der ersten Halbzeit viel zu langsam und hatte keinerlei Zugriff. Die Gunners überrannten förmlich das Mittelfeld. United konnte sich zunächst fast nicht befreien – und als sie es konnten, führte Arsenal bereits mit 3:0. Es war eine Demütigung, die die Frage aufwirft, wie dieses United ernsthaft um den Titel mitspielen will.

Unabhängig von diesem Spiel gestaltet sich die Eingewöhnungsphase von Schweinsteiger schwierig. Er spielt nie schlecht, kann aber das Spiel nicht in der Form prägen, wie es viele von ihm erwarten. Häufig ist er deutlich tiefer positioniert als in seinen letzten Jahren beim FC Bayern. Hinzu kommt, dass er scheinbar noch nicht sein optimales Fitnesslevel erreicht hat. Van Gaal muss seine Einsatzzeiten sehr genau dosieren. Erschwert wird die Eingewöhnungszeit aber auch durch wechselnde Partner im Mittelfeld. Mal spielt Schweinsteiger mit Carrick, mal mit Schneiderlin oder mit Ander Herrera, der seit der Verpflichtung von Schweinsteiger aber eher auf der 8er Position spielt. Der im Vorjahr häufig auf der 6er Position eingesetzte Daley Blind spielt mittlerweile in der Innenverteidigung. Den perfekten Counterpart für Schweinsteiger hat van Gaal noch nicht gefunden.

Die Zahlen sprechen für den FC Bayern

Schweinsteiger ist noch nicht angekommen in Manchester. Das belegen auch die Zahlen. Ein Vergleich mit der Zeit beim FC Bayern ist natürlich nicht vollends aussagekräftig. Zu sehr dominieren die Münchner mit ihrer Spielweise die Liga. Dennoch ist auffällig, dass Schweinsteiger im Vergleich zur wenig überragenden Vorsaison beim FC Bayern, hochgerechnet auf 90 Minuten, 1.1 Key Passes weniger spielt und demzufolge auch 1.37 Chancen in der Liga weniger kreiert. Auch der Quervergleich mit Alonso ist spannend. Alonsos Passquote ist in der Liga 5% besser. Darüber hinaus spielte er 0.77 Key Passes pro Spiel mehr und erzeugt so auch 0.93 Chancen mehr pro Partie. Immerhin Defensiv kann sich Schweinsteiger besser einbringen als beim FC Bayern: 0.8 mehr abgefangene Bälle und 0.9 Klärungen mehr als in der Vorsaison. Im Vergleich mit Alonso in der laufenden Saison fängt Schweinsteiger einen Ball mehr pro Partie ab und klärt 0.4 mal öfters. Die Zweikampfwerte bewegen sich bei beiden mit 48.44% (Schweinsteiger) und 47.95 (Alonso) eher auf durchschnittlichem Niveau. Wie bereits erwähnt, ist es in der Summe ein schwieriger Vergleich, da der FC Bayern im Schnitt 10% mehr Ballbesitz hat als United. Beide Mannschaften zusammen haben je acht Liga Spiele, aber die Münchner haben bereits 16 Tore mehr erzielt und acht Punkte mehr in der Tabelle. Der FC Bayern bewegt sich aktuell auf einem anderen Niveau. An dieses kommt United trotz Schweinsteiger noch nicht heran.

Unvergessen vergessen

Der FC Bayern München hat (unbewusst) den Umbruch eingeleitet. Mit Schweinsteiger hat der erste große Spieler der Triple-Saison den Verein verlassen. Franck Ribéry und Arjen Robben sind aufgrund von Verletzungen ins zweite Glied gerückt. Im Mittelpunkt steht womöglich eine neue Spieler-Generation. Robert Lewandowski, Jerome Boateng, Manuel Neuer und Thomas Müller sind aktuell die Gesichter der Mannschaft. Dabei werden sie noch getragen von Altmeister Xabi Alonso, der für den Moment zu alter Stärke zurückgefunden hat. Es darf aber nicht übersehen werden, dass dieser Prozess nicht völlig fehlerlos oder ohne Anpassungsschwierigkeiten verläuft. Im Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund wurde das Mittelfeld der Münchner über weite Strecken dominiert. Erst mit der Einwechslung von Arturo Vidal wendete sich das Blatt. Seine extrem physische Spielweise scheint der Mosaikstein zu sein, der in der letzten Saison gefehlt hat. Ob Schweinsteiger anstelle von Alonso ähnlich gut funktioniert hätte? Möglich – aber diese Frage ist eher von theoretischer Natur. Spannender wird die Frage sein, ob Alonso seine aktuelle Form halten kann.

Der FC Bayern vermisst Bastian Schweinsteiger in der aktuellen Saisonphase – zumindest auf dem Feld – nicht. Der Unvergessene ist binnen drei Monaten zum Vergessenen geraten. In keinem der bisherigen zwölf Pfichtspiele hat sich die Frage aufgedrängt: Hätte das Spiel mit Schweinsteiger besser funktioniert? Oder anders formuliert: Wäre die Partie mit ihm anders ausgegangen? An dieser Stelle frisst der Erfolg der Münchner diese Gedankenspiele auf. Allerdings – und das ist auch die Kehrseite der Medaille, ist Schweinsteiger noch nicht vollkommen in Manchester angekommen. Zu selten kann er ein Spiel über 90 Minuten bestreiten. Bisher hat er noch keine Partie so bestimmen können, wie es ihm in der Triple-Saison gelungen ist. Somit speist sich die Liebe der Münchner Fans eher aus den Erinnerungen als der Sehnsucht in der Gegenwart.

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