FC Bayern: Was würde eine titellose Saison bedeuten?
Wir schreiben das Jahr 2012. Nach einer turbulenten Saison spielt der FCB in allen drei Wettbewerben nur die zweite Geige. Die Meisterschaft geht an Dortmund. Auch das Pokalfinale gegen den BVB wird verloren. Dazu kommt die Mutter aller Niederlagen: Das Finale Dahoam in der Champions League. Verloren gegen den FC Chelsea. Im Elfmeterschiessen.
Eine titellose Saison schien bei der Dominanz der Bayern in den letzten Jahren fast unmöglich. 2024 sieht die Welt ganz anders aus. Im Meisterschaftskampf hat man acht Punkte Rückstand auf Bayer Leverkusen. Die Pokalreise endete bereits in der zweiten Runde in Saarbrücken. In der Champions League hat man das Achtelfinal-Hinspiel gegen Lazio Rom mit 0:1 verloren.
Titel zu gewinnen liegt in der DNA des FC Bayern München. Das Sieger-Gen. Die Selbstverständlichkeit auf den Platz zu gehen, alles zu geben und zu wissen, heute gewinnen wir. Das oft zitierte „Mia san Mia“ steht stellvertretend für den Erfolg des Vereins. Momentan fehlt aber viel von dieser Selbstverständlichkeit.
Miasanrot analysiert die Bedeutung einer möglichen titellosen Saison. Es wird ein Blick auf die Trophäensammlung geworfen, um zu zeigen wie groß die Überraschung einer Saison ohne Pokal wäre. Die letzte Saison ohne Titel wird unter die Lupe genommen und mit der heutigen Situation verglichen. Was kann man daraus lernen? Welche Fehler sollen vermieden werden?
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Die Trophäensammlung des FC Bayern
Die Trophäenschränke des FC Bayern sind prall gefüllt mit Silberware. 33x Deutscher Meister, 20x Pokalsieger, 6x Champions League. Hinzu kommen noch deutsche Supercups, Ligapokale, UEFA-Supercups, Clubweltmeisterschaften, Weltpokale. Der Verein hat so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.
Gerade auf nationaler Ebene waren die Bayern enorm erfolgreich. In 60 Bundesliga-Saisons wurden die Münchner 32-mal Meister. Somit wurde man in über der Hälfte aller Saisons in der Bundesliga am Ende Deutscher Meister.
Die Dominanz der Bayern im letzten Jahrzehnt ist hervorzuheben. Seit Jahren herrscht der Branchenprimus FC Bayern über Fussballdeutschland. Die Münchner haben die letzten elf Meisterschaften in Folge gewinnen können. In den Top-5-Ligen legte nur Juventus Turin einmal eine ähnliche Serie von neun Titeln in Folge hin.
Die Meisterschaft ist aus mehreren Gründen der wichtigste Titel für einen Fussballverein. Die Leistung lässt sich am besten anhand der Meisterschaft messen. Eine Mannschaft muss Leistungen über den Zeitraum eines ganzen Jahres liefern. Oftmals wird die Meisterschaft deshalb auch als „ehrlichster Titel“ bezeichnet.
Der Einfluss von Zufällen oder Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern fällt auf eine ganze Saison gesehen kleiner aus als beispielsweise in einem Champions-League-Finale. Mit der Meisterschaft qualifiziert man sich zudem für die internationalen Wettbewerbe und liefert sowohl Ansehen als auch Preisgeld, welches man beispielsweise in den Kader investieren kann.
FC Bayern: Einordnung der letzten titellosen Saisons
Der Erfolg des FC Bayern liegt meist an der erfolgreichen Arbeit aus eigener Hand. Es gibt auch Spielzeiten, in denen die Konkurrenz zu fehleranfällig oder inkonstant ist. Manchmal scheint sie besser zu sein, verspielt den Titel aber in letzter Sekunde. Allerdings gibt es Saisons, in denen auch die Bayern Fehler machen und diese bestraft werden.
Um die aktuelle Situation richtig einordnen zu können, wird die letzte titellose Saison (2011/12) mit der aktuellen verglichen. Es wird zudem die jeweilige Zeit vor der titellosen Saison betrachtet. Hierbei geht es darum, ob beispielsweise Fehler gemacht wurden, die sich aber erst im späteren Verlauf gezeigt haben.
In die Analyse werden Trainerentscheidungen, Führungsprobleme, Kaderzusammenstellung und der generelle Umstand um die Mannschaft miteinbezogen. Es soll so ein möglichst breites Bild mit vielen Faktoren bieten.
Titellos mit Ansage? Situation zwischen 2009 und 2012
Der Verein wurde damals von den Führungspersönlichkeiten Rummenigge (Vorstandsvorsitzender) und Hoeneß (Präsident) geführt. Christian Nerlinger war als Sportdirektor für die Kaderzusammenstellung verantwortlich. Man arbeitete in dieser Konstellation seit 2009 gemeinsam zusammen.
2009 haben die Bayern nach der gescheiterten Amtszeit von Klinsmann einen neuen Trainer präsentiert: Louis Van Gaal. Durch seine Übernahme gab es einen taktisch neuen, fast schon revolutionären Ansatz. „Mia san Mia. Wir sind wir. Und ich bin ich“, sagte van Gaal auf seiner ersten Pressekonferenz nach der Übernahme.
Genau dieser eigene Kopf brachte frischen Wind in die Mannschaft und den Verein. Van Gaal wollte nicht einfach der Mannschaft ein System aufdrängen, sondern eines finden, das zu den Stärken der Spieler passt und in dem jeder seine optimale Position finden kann. Er forderte viel, aber gab den Bayern wieder neuen Schwung und ein Gesicht.
Aufbau in den van-Gaal-Jahren
Ein Beispiel dafür ist Bastian Schweinsteiger. Unter den vorigen Trainern oftmals auf den offensiven Außen zu finden, zog er ihn als Stratege und Ballverteiler ins Zentrum. Mit vollem Erfolg. Die Arbeit mit Jugendspielern lag ihm ebenfalls. Holger Badstuber und Thomas Müller kamen unter seiner Zeit regelmäßig zum Zug und machten große Fortschritte.
Der Kader wurde zudem sehr gut ergänzt, mit Top-Stars wie Arjen Robben oder Mario Gómez. Tymoshchuk und Olic waren ebenfalls sinnvolle Transfers, da sie den Kader in der Breite verbesserten. Jedes Zahnrad sollte in das andere passen. Die Arbeit zeigte nach einer Eingewöhnungszeit schnell Wirkung.
Etwas überraschend stand man 2010 schon im Champions-League-Finale in Madrid und wurde Doublesieger. Aufgrund dieses Erfolgs wurde sich im folgenden Transferfenster möglicherweise etwas ausgeruht und „nur“ Luiz Gustavo im Winter verpflichtet. David Alaba wurde von der Jugend hochgezogen, jedoch sofort an die TSG Hoffenheim verliehen.
In der der zweiten Saison unter van Gaal kam das Team nie wirklich in Tritt und am Ende der Saison stand Platz 3 in der Liga. Noch vor Saisonende wurde er entlassen. Sein Führungsstil habe nicht mehr mit der Vorstellung von Hoeneß zusammengepasst. Es war das erste von zwei titellosen Jahren in Serie.
Auch Jupp Heynckes scheiterte zunächst
Zum Sommer übernahm dann Jupp Heynckes das Zepter. Die Entwicklung unter van Gaal führte er weiter und bekam mit Manuel Neuer und Jérôme Boateng zwei neue Stützen fürs Team.
National blieb man in der Saison 2011/12 trotzdem wieder hinter den Dortmundern. Die Mannschaft von Jürgen Klopp war schlichtweg besser. Zudem lag der gesamte Fokus in der Saison auf dem Finale Dahoam in der Champions League. Insgesamt ein Jahr, in der vieles im Ansatz passte. Doch die Mannschaft spielte insgesamt nach wie vor zu statisch und ließ in der entscheidenden Phase der Saison die Konstanz vermissen.
Die Gründe des titellosen Jahres 2012 liegen vor allem an starker Konkurrenz, noch nicht abgeschlossener Entwicklung von Spielern und Taktik und einigen kleineren Baustellen im Kader.
FCB: Situation Saison 2023/24
Die aktuelle Führung besteht aus Jan-Christian Dreesen (Vorstandsvorsitzender) und Herbert Hainer (Präsident & Aufsichtsratvorsitzender). Christoph Freund hat die Rolle als Sportdirektor inne und arbeitet mit dem technischen Direktor Marco Neppe am Kader der Zukunft – wobei Letzterer nicht mehr allzu viel Einfluss haben soll. Dafür ist die Vorgeschichte wichtig.
2017 wurde Hasan Salihamidzic als Sportdirektor eingestellt und 2020 zum Sportvorstand befördert. Im selben Jahr der Beförderung wurde auch Oliver Kahn installiert. 2021 löste er Rummenigge als Vorstandsvorsitzenden ab. Die neue Führung war geboren. Die Übernahme und Ablösung von Hoeneß und Rummenigge wurde intern zunächst als gelungen betrachtet.
Julian Nagelsmann wurde 2021 dazu neuer Trainer des FC Bayern. Mit einem 5-Jahres-Vertrag ausgestattet, schien das wie ein Neustart. Das Ziel sei langfristiger, nachhaltiger Erfolg. Die Zusammenarbeit hielt jedoch nur etwas länger als eineinhalb Jahre. Der Zeitpunkt der Nagelsmann-Entlassung war und ist nach wie vor sehr fragwürdig, markiert aber einen Punkt der Zäsur beim FCB.
Nagelsmann-Entlassung als Zäsur für Bayern
Im April 2022 war man noch in allen drei Wettbewerben vertreten. Die Führung hatte aber wegen einer Leistungsdelle der Mannschaft Angst, die Ziele zu verfehlen. Aus diesem Grund wurde der namhafte Nachfolger Thomas Tuchel verpflichtet, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, er wäre im Sommer nicht mehr verfügbar gewesen.
Thomas Tuchel gewann gerade so mit Ach und Krach die Liga mit 71 Punkten, punktgleich mit Dortmund. Den DFB-Pokal und die Champions League verspielten die Bayern kurz nach seinem Amtsantritt.
Im Sommer 2023 hat dann der Aufsichtsrat entschieden, Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic zu entlassen. Laut Hoeneß waren sie damals mit der Gesamtentwicklung des Vereins unzufrieden. So wurde Rummenigge in den Aufsichtsrat beordert, um den Transfersommer mit Dreesen und Tuchel zu gestalten.
Ein schwieriger Transfersommer
Gerade in der Defensive hat man die Abgänge von Hernández, Pavard und Cancelo nicht wirklich kompensieren können. Dazu lieh man mit Stanišić, ein Talent aus den eigenen Reihen, an einen direkten Konkurrenten nach Leverkusen aus. Dafür wurde Sacha Boey im Winter verpflichtet. Die Kaderplanung wirkte eher reaktiv und wenig konzeptionell.
Allerdings liegt das nicht nur an der aktuellen Situation. Gerade im Mittelfeld werden seit Pep Guardiola immer sehr ähnliche Spielertypen verpflichtet: Vidal, Goretzka, Laimer, Gravenberch, Tolisso – alles athletische Spieler, die viel zwischen den Strafräumen arbeiten, technisch aber nicht zum obersten Top-Niveau zählen. Auch Joshua Kimmich, der viele gute Anlagen fürs Mittelfeld mitbringt, ist eher kein klarer Sechser. Einer wie Javi Martínez oder Xabi Alonso fehlt dem Team spätestens seit dem Abgang von Thiago 2020.
Es fehlt zudem eine klare Handschrift des FC Bayern in der Besetzung der Trainerposition. Der letzte Trainer, der mindestens zwei komplette Spielzeiten absolviert hat, war Pep Guardiola.
Seitdem haben Ancelotti, Heynckes, Kovač, Flick, Nagelsmann und Tuchel ihr Glück versucht. Sehr viele Trainer mit sehr vielen unterschiedlichen taktischen Ausrichtungen. Eine klare Handschrift der Führung ist hier nicht zu erkennen. So gestaltet sich auch die Kaderplanung schwierig
Die Hauptprobleme aktuell liegen in der Findung einer spielerischen Identität, einer Führung, die sich neu erfinden muss, groß aufspielende Konkurrenz und mangelhafte Weitsicht in der Kaderplanung.
FC Bayern: Welche Änderungen jetzt vornehmen?
Die Lage ist aktuell schwierig und viele Fans würden am liebsten gleich alles auf den Kopf stellen. Die Entscheidung, sich von Thomas Tuchel im Sommer zu trennen, war eine mit Signalwirkung. Der Verein tut gut daran, die Zeit bis dahin zu nutzen, um sich neu aufzustellen.
Im Optimalfall bringt Tuchel seine Mannschaft wieder in Form, zumindest so, dass sie die Saison mit dem Minimalziel Champions-League-Qualifikation abschließen kann. Die Führung muss sich bezüglich eines neuen Trainers nun schnellstmöglich Gedanken machen.
Es geht nicht nur darum, schnell einen Trainer zu finden, sondern auch Alternativen im Auge zu behalten, um ein Szenario wie einst mit Kovač zu vermeiden, der sehr spät kam und von Beginn an nicht die absolute Wunschlösung des Rekordmeisters war. Darüber hinaus wird es wichtig sein, den Kader an einer fußballerischen Idee auszurichten.
FC Bayern: Welche Fehler vermeiden – was aus 2011 und 2012 lernen?
Diese muss von der Führung des Vereins definiert werden. Max Eberl und Christoph Freund sollen in Zukunft dafür zuständig sein. Sie brauchen eine klare Vision, wo sie den Verein hinführen wollen.
Anhand dieser Zielsetzung sollten alle weiteren Entscheidungen gefällt werden. Sie benötigen für den gewünschten Fussball den richtigen Trainer und die passenden Spieler zum System. Das ist ein Aufbau, der möglicherweise mehr Zeit benötigt als der Transfersommer von 2012, wo die Basis bereits vorhanden war.
Die Entscheidung, sich am Ende der Saison von Thomas Tuchel zu trennen, verschafft den Bayern etwas Zeit. Ähnlich wie 2011 bei der Trennung von van Gaal. Wenn man sich zudem die Transferfenster 2012 und vor allem 2013 anschaut, dann wurden auf absoluten Schlüsselpositionen Spieler verpflichtet, die einem inkonstanten Team Sicherheit und Stabilität geben konnten.
Lernen kann man aus den beiden titellosen Jahren auch, dass es nicht immer einen kompletten Umbruch braucht. Auch damals wurde eine ganze Generation an Spielern abgeschrieben, auch damals wurden Mentalität und Einstellung hinterfragt. Am Ende wurde transfertechnisch und taktisch an den richtigen Stellschrauben gedreht und das Triple gelang ausgerechnet nach einer Saison, in der die Münchner am Boden zu liegen schienen.
FC Bayern: Fazit
Eine titellose Saison wäre ein Zeichen an den FC Bayern und an die Bundesliga. Ein neuer Meister nach elf Jahren wäre nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für den Rekordmeister möglicherweise sogar wichtig. Das mag falsch klingen, allerdings wäre das der ultimative Weckruf. Die eigenen Probleme werden nun einmal bestraft und die Grenzen werden einem aufgezeigt.
Die gnadenlose Aufarbeitung der Probleme könnte den FC Bayern in Zukunft weiter voran bringen. Mit einer gezielte Umstrukturierung ergibt sich die Chance, sich erneut zu beweisen und die Vormachtstellung wieder gerade zu rücken. Dafür gilt es jetzt gute Entscheidungen zu treffen.