FC Bayern in der Champions League nicht mehr 1A – fünf Thesen zur FCB-Saison

Justin Trenner 06.05.2022

Wie ist denn eigentlich eine Saison einzuordnen, in der der FC Bayern München „nur“ Deutscher Meister wird? Vor 15 Jahren wäre man in München damit wohl schon zufrieden gewesen. In der Champions League reichte es nur alle Jubeljahre zum Halbfinale, ganz zu schweigen vom Titelgewinn.

In dieser Saison aber machte sich Unzufriedenheit breit. Das Ausscheiden gegen den FC Villarreal in der Champions League, die Klatsche im DFB-Pokal gegen Borussia Mönchengladbach und eine Bundesliga-Saison, die bei vielen einen wechselhaften Eindruck hinterließ – obwohl am Ende wieder 81 Punkte möglich sind. Vor genau zehn Jahren war das übrigens noch Bundesliga-Rekord.

Miasanrot hat fünf Thesen zur Bayern-Saison aufgestellt, die bei der Einordnung der Gefühle rund um diese Spielzeit helfen sollen. Die Protagonisten: Der Bundesliga-Wettbewerb, Julian Nagelsmann, der Kader, die Champions League als großes Ziel und die strategische Ausrichtung des Klubs.

Für den FC Bayern ist die Bundesliga kein Indikator mehr

Es gibt Kinder, die dieses Jahr zehn werden und keinen anderen Deutschen Meister als den FC Bayern München kennen. Das ist gleich aus mehreren Perspektiven ein Problem – auch für den Abochampion selbst. Dabei geht es nicht mal primär um die Konkurrenzsituation. Zwar wird niemand bestreiten, dass die besondere Fehde mit Borussia Dortmund ein Teil der Geschichte rund um das erste Triple der Vereinsgeschichte ist.

Doch 2020 sind die Bayern ebenfalls Champions-League-Sieger geworden. In den Jahren davor gab es viele enge Spiele gegen Top-Klubs, die sie nicht deshalb verloren haben, weil die Liga vermeintlich entschieden war. Es gibt genug Gegenbeispiele, um zu zeigen, dass ein enger Wettbewerb nicht zwingend bedeuten muss, dass man auch international konkurrenzfähiger ist.

Dennoch wäre er wünschenswert. Denn es geht auch um Prestige. Robert Lewandowski ist das jüngste Beispiel. Selbstverständlich spielt beim Angreifer das Geld eine große Rolle. Doch dass er seit Jahren mit einem Wechsel nach Spanien liebäugelt, hat auch andere Gründe. Den Ballon d’Or wird er in Deutschland sehr wahrscheinlich nicht gewinnen.

BVB zu schwach? Einfache Mathematik

Wer will es jemandem verübeln, der die Bundesliga für den FC Bayern als Selbstläufer bezeichnet? Das ist sie natürlich nicht. Bayern muss sich in 34 Spielen beweisen, in denen die Gegner für gewöhnlich hochmotiviert sind. Die Meisterschaft zu gewinnen ist nach wie vor ein Indikator für Qualität.

Allerdings ist der Vorsprung zu groß geworden. Bayern kann sich mehr Fehler erlauben als jeder andere Klub – und davon sogar sehr viele. Oft wird der Spieß in Richtung Dortmund umgedreht. Warum gelingt es dem BVB nicht, seinen ebenfalls großen finanziellen Vorsprung auf die Konkurrenz konstanter auszuspielen?

Letztendlich patzen die Schwarz-Gelben zu oft gegen Teams wie Hertha BSC oder den VfL Bochum. Klubs, die ein Vielfaches weniger in der Kasse haben als Dortmund. Aber diese Argumentation hinkt gewaltig. Nicht die Einzelspiele sind das Problem, sondern die Summe dieser. Je mehr Spiele innerhalb einer Saison gespielt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich Qualität (und damit auch Finanzstärke) am Ende durchsetzen. Das ist einfache Mathematik.

Prost! Der FC Bayern München ist zum zehnten Mal in Serie Deutscher Meister geworden.
Foto: Matthias Hangst/Getty Images

Bayern wird auch in den kommenden Jahren Dauermeister sein

Das Argument, die Liga sei die Basis für alles und würde am ehesten zeigen, ob eine Saison erfolgreich war oder nicht, ist hinfällig. Früher war das so. Heute ist das nicht mehr aktuell

Bayern wird auch dann Meister, wenn es holprig läuft. Eine vermeintlich schwache Saison resultiert mittlerweile in Punktzahlen, die in der gesamten Geschichte nur einmal von einem anderen Klub erreicht wurden.

Es geht dabei auch gar nicht um Schuldzuweisungen. Dieser Reflex ist nicht zielführend. Im Kern der Problematik steht der Status-quo für den FC Bayern in dieser Liga: Man wird auch in den kommenden zehn Jahren mindestens neunmal Meister. Es wird maximal kleine Zeitfenster geben, in denen bei der Konkurrenz alles und noch ein bisschen mehr passen muss. Deshalb kann die Bundesliga auch nicht mehr als größter Indikator für die Saisonbewertung des FCB herhalten.

Der FC Bayern ist eine Strategie schuldig

Gefordert sind deshalb vor allem Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und Herbert Hainer – die drei großen Gesichter der neuen Bayern-Ära. In den vergangenen ein bis zwei Jahren gab es einen Wandel in der Kommunikation, der nicht allen Fans gefiel. Insbesondere mit Kahn und Hainer ist ein anderer Ton eingekehrt. Wirtschaftlich, kalt, oft unnahbar – eigentlich exakt das Gegenteil von Uli Hoeneß.

Hoeneß wurde oft für seine impulsive, konfrontative Art gerügt. Karl-Heinz Rummenigge war einigen zu kalt. Beide verstanden es aber gut, sich gegenseitig auszubalancieren. Es ist die Aufgabe der immer noch neuen Vereinsführung, diesen Mittelweg zu finden. Kahns jüngster Auftritt im Doppelpass war ein Anfang. Ohne die Fassung komplett zu verlieren, zeigte er etwas Biss und Streitlust – auf einem angemessenen Niveau.

Letztendlich ist die Kommunikation aber nur ein Teilaspekt. Mehr Priorität hat der sportliche Bereich. Läuft es auf dem Platz, ist es beinahe egal, was daneben passiert. Nicht alles, was in dieser Saison nicht funktionierte, ist auf die jetzige Klubführung zurückzuführen.

Nagelsmann als Zahnrad, um das sich alles dreht?

Vor allem Hoeneß war ein Bauchmensch. Die legendäre Reihenfolge aus Louis van Gaal, Jupp Heynckes und Pep Guardiola lässt sich rückblickend als strategisches Meisterwerk betrachten, das die vielleicht erfolgreichste Ära der Vereinsgeschichte erst eingeleitet hat. Aber war das strategisch? Oder doch mehr Zufall?

In den Folgejahren wurde es deutlich wilder auf dem Trainerstuhl. Carlo Ancelotti, Jupp Heynckes, Niko Kovac, Hansi Flick – vier Trainer, die jeweils für ganz anderen Fußball standen. Bayern stellt den Kader zwar in Absprache, aber dennoch möglichst unabhängig vom Trainer zusammen. Ist es an der Zeit, diese Art der Strategie zu überdenken?

Mit Julian Nagelsmann hat man sich auf einen jungen Trainer eingelassen, der viele Ideen mitbringt und das Potenzial hat, eine neue Ära zu starten. Nach Aussagen der Verantwortlichen wird er bereits stark in die Planungen mit einbezogen. Vielleicht ist es an der Zeit, die Zahnräder noch stärker um den Trainer drehen zu lassen. Das Vertrauen in ihn ist trotz des insgesamt holprigen Starts offenbar riesig.

Dass der Kader so schlecht ausbalanciert ist, ist auch das Resultat einer Einkaufspolitik, die oft sogar innerhalb einer Transferperiode irre Wendungen durchlief. Viele Spieler kamen als Reaktion und/oder auf den letzten Drücker.

Auch Hansi Flick spürte die Probleme

Auch Hansi Flick wäre an der Kaderplanung fast gescheitert. Die Unterbrechung durch die Coronapandemie kam für ihn zum richtigen Zeitpunkt. Nämlich genau da, als die Spieler erste Müdigkeitssymptome zeigten und Robert Lewandowski beispielsweise verletzt ausfiel. Flicks Zeit wird wegen der vielen Titel oft etwas glorifiziert – wohl zu Recht.

Andererseits wird verkannt, wie kritisch die Kaderbreite schon damals gesehen wurde – ebenfalls zu Recht. Flick rotierte nicht viel, vertraute den Spielern aber Kaderposition 14 und 15 wenig. Die Quittung kam, als er ohne Sommerpause direkt in die neue Saison starten musste und Bayern sich noch wechselhafter durch die Saison spielte als in diesem Jahr.

Klammert man die Titel mal aus, bleibt die Erkenntnis, dass die Strategie der letzten Jahre vor allem auf dem Transfermarkt zu willkürlich und letztendlich auch zu unkreativ war. Daraus resultiert aber auch ein anderer Anspruch für die Gegenwart. Denn ein solcher Wandel wird Zeit brauchen – insbesondere in der durch Corona so anspruchsvollen Zeit.

Julian Nagelsmann ist der richtige Trainer für den FC Bayern

Julian Nagelsmann sollte in dieser Planung eine übergeordnete Rolle spielen. Nicht alles, was zu Beginn der Saison so gut lief, war ohne Makel. Aber auch nicht alles, was jetzt weniger gut läuft, ist auf ihn zurückzuführen. Dafür sind die Probleme zu tiefgreifend. Im kommenden Sommer wird er erstmals die große Möglichkeit haben, die Kaderplanung so richtig zu beeinflussen. Außerdem wird er in der Vorbereitung länger auf seinen Stammkader zurückgreifen können.

Für Nagelsmann war der kometenhafte Erfolg von Flick eine Bürde, die aufgrund der zahlreichen Titel überdeckt hat, dass sein Team im Vergleich zur Vorsaison Fortschritte erzielt hat. Ob man die 99 Bundesliga-Tore der Vorsaison in den verbliebenen zwei Spielen noch knackt (aktuell 93), ist unklar. Aber was Gegentore (von 44 auf derzeit 33), expected Goals (von 75,8 auf 82,8) und expected Goals against (von 41,0 auf 33,9) angeht, gibt es eine kleine Verbesserung.

Es gibt sicher zugleich viele Baustellen, die der Trainer angehen muss. Das betrifft die Konstanz oder einige Personalfragen. Gleichzeitig war er bei vielen Entwicklungen schlicht machtlos. Nagelsmann steht vor einer richtungsweisenden Saison für den FC Bayern. Aber er hat trotz der Rückschläge angedeutet, dass er der Mann ist, um den die Zukunft des Klubs gebaut werden kann.

Die Kaderspitze des FC Bayern wird überschätzt

Um erfolgreicher zu sein, wird Nagelsmann auch eine bessere Kaderstruktur benötigen. Ein berechtigter Kritikpunkt war die Breite des aktuellen Kaders. Zu viele Spieler waren keine echte Alternative für ernsthafte Rotation. Weniger diskutiert wurde aber über die Spitze. Die These, Bayern würde mit der ersten Elf in der Champions League konkurrenzfähig sein, hält sich hartnäckig.

Richtig ist zwar, dass mehr Rotationsmöglichkeiten auch zu mehr Frische bei den Stammspielern führen. Doch wichtige Eckpfeiler wie Serge Gnabry, Leroy Sané, Kingsley Coman, Leon Goretzka und Alphonso Davies blieben unter ihren Möglichkeiten. Alle aus verschiedenen Gründen. Coman, Goretzka und Davies fielen beispielsweise entweder lange oder zwischendrin immer mal wieder aus. Sie hatten keinen Rhythmus.

Sané und Gnabry waren insgesamt zu wechselhaft in ihren Leistungen. In Topform haben sie Weltklasseniveau, doch um wirklich Weltklasse zu sein, müssen sie dieses konstant bringen. Aber selbst Spieler wie Joshua Kimmich, Thomas Müller oder Robert Lewandowski gerieten gegen Ende der Saison in eine Formkrise.

Wie gut ist der Kader des FC Bayern München in der Spitze?
Foto: Alexandra Beier/Getty Images

Der Stamm des Teams funktionierte nicht. Eigentlich müsste die Diskussion um den Kader deshalb hier beginnen: Reicht das in der Spitze für die ganz großen Ziele? Oder brauchen die Bayern einen oder zwei neue Stammspieler? Insgesamt wird die Qualität der Stammelf mittlerweile wohl überschätzt. Neue Impulse würden dem Team gut tun.

Champions League: 1A-Favorit ist nicht die Kragenweite des FCB

Der FC Bayern ist aber ohnehin verwöhnt. Verwöhnt von vielen Champions-League-Endspielen, -Halbfinals und eben auch zwei Triumphen in der Königsklasse. Schnell wurde es als normal akzeptiert, dass die Münchner zu den Top-3-Klubs in Europa zählen. Aber diese Zeit ist eigentlich schon seit dem Weggang von Pep Guardiola wieder vorbei.

Die Erfolge wurden danach seltener und weniger absehbar. Bayern ist sicher nicht so weit von der Weltspitze entfernt, wie es nach dem Aus gegen Villarreal gern dargestellt wird, aber sie sind schon länger nicht mehr im Kreis der absoluten Top-Favoriten.

Selbst 2020 und danach waren sie das nicht. Viele Dinge liefen damals zusammen. Historisch gesehen waren die Bayern ebenfalls nur selten in der Kategorie 1A. Der erweiterte Favoritenkreis ist das natürliche Zuhause des FC Bayern München. Das klingt schlechter, als es ist. Bayern wird auch in Zukunft wieder die Champions League gewinnen.

Titelgewinn? Nur in Ausnahmen

Akzeptieren sie ihre Rolle, können sie daraus auch Energie und Potenziale schöpfen. Zumal es einen Unterschied zwischen der Realität und eigenem Anspruch gibt.

Die Bayern werden und müssen weiter danach streben, in die Riege der Top-Favoriten zu stoßen. Das ist der Anspruch. Intern wird man allerdings realistisch bleiben müssen.

Dementsprechend ergibt sich für die Zukunft ein problematisches Bild: Einerseits die an Bedeutung verlierende Bundesliga, andererseits die Champions League, in der man wohl nur in Ausnahmen den Titel holen wird.