Luis Díaz zieht sich das Trikot des FC Bayern über den Kopf.
Bild: Adam Pretty/Getty Images

Nur zwei aus neun Großchancen! Wie schlimm ist die Díaz-Abschlusskrise?

Justin 30.10.2025



Und wieder sorgte Luis Díaz für Aufregung, als der FC Bayern München am Mittwochabend gegen den 1. FC Köln gewann. Der Kolumbianer war allein auf dem Weg zum gegnerischen Tor und hätte nur einschieben müssen, um mit dem 3:1 frühzeitig in der 2. Halbzeit alles klar zu machen.

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Der 28-Jährige schaffte es aber nicht, den Ball im Tor unterzubringen. Wie schon gegen Augsburg, Hoffenheim, Pafos, den BVB und Brügge ließ der Neuzugang eine Chance liegen, die mindestens einen Wert von 0,4 Expected Goals (xG) hatte.

In der Öffentlichkeit etabliert sich gerade das Bild des Chancentods. Díaz ist mit acht Toren und fünf Assists in 14 Partien hervorragend in die neue Saison gestartet. Doch er könnte schon deutlich mehr Scorer haben. Miasanrot analysiert seine Werte und vergleicht sie mit den Vorjahren und anderen Bayern-Spielern.

Luis Díaz: In vielen Bereichen gut

Vorab ist es aber wichtig zu erwähnen, wie wichtig Díaz für die Bayern-Mannschaft ist. Er hat ein hohes Laufpensum, ist sowohl mit als auch gegen den Ball ein wichtiger Arbeiter für das Team. Seine kurzen Dribblings und Kombinationen haben Hand und Fuß. Nur selten macht er dabei Fehler.

Díaz ist schon deshalb ein Upgrade zu den Vorjahren, weil er nahezu immer verfügbar ist und trotz hoher Belastung in fast jedem Spiel auf sehr hohem Niveau performt. Dass es im Umfeld des FC Liverpool erste Stimmen gibt, die davon sprechen, dass der Transfer des Außenspielers ein wesentlicher Grund für die Krise ist, ist ein weiteres Indiz dafür, wie sehr vor allem seine Pressingarbeit und seine unermüdlichen Tiefenläufe zu schätzen sind.

Und doch ist da eben dieser Makel, dem wir uns in diesem Artikel widmen wollen, ohne deshalb seine gesamte sportliche Qualität in Frage zu stellen. Es geht viel mehr um eine Einordnung, die letztlich auch einen Ausblick darauf geben soll, ob Besserung in Sicht sein könnte.

Analyse der Chancenverwertung: Unsere Methodik

Wie wollen wir das anstellen? Natürlich könnten wir dafür einfach die Expected-Goals-Werte einzelner Spieler über einen langen Zeitraum zusammenrechnen und dann schauen, ob Díaz seinen Wert ungefähr mit tatsächlich geschossenen Toren trifft oder nicht – und wie das bei anderen Spielern ist. Spoiler: Die allermeisten Fußballprofis matchen ihren xG-Wert über einen langen Zeitraum. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen, die leicht darüber liegen.

Und so ist auch Díaz einer der Angreifer, die ungefähr so viele Tore erzielt haben, wie sie xG auf dem Konto haben. Wir halten diese Methode deshalb für nicht aussagekräftig genug. Also haben wir uns einzelne Spiele von vier Spielern angeschaut: Díaz, Harry Kane, Leroy Sané und Michael Olise. Auf der Plattform FBref haben wir bei Díaz jedes einzelne Spiel seit der Saison 2023/24 auf die jeweiligen Abschlüsse überprüft.

Einige Statistikanbieter legen ihre xG-Grenze für „Großchancen“ bei 0,5 xG fest, manche sogar deutlich niedriger. Wir sind etwas tiefer gegangen und haben die Grenze nach Gefühl bei 0,4 xG festgelegt und geschaut, wie viele Chancen mit mindestens 0,4 xG Díaz verwertet hat und wie viele davon er vergeben hat. Folgend werden wir die Chancen mit mindestens 0,4 xG „Großchancen“ nennen – aber eben nach unserer eigenen Definition. Zum Vergleich, weil aktuell bei vielen präsent: Die Chance, als Díaz gegen Köln allein vor dem Tor auftauchte, hatte laut Fotmob einen xG-Wert von 0,58.

Video: Warum der FC Bayern so stark ist

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Im zweiten Schritt vergleichen wir die Resultate mit den drei genannten Bayern-Spielern. Kane haben wir dabei gewählt, weil er als hervorragender Abschlussspieler gilt. Wie gut ist also einer der besten Knipser der Welt? Sané taucht mit auf, weil er von vielen Bayern-Fans als Paradebeispiel für einen „Chancentod“ gesehen wird. Und Olise ist mit dabei, weil er das aktuelle Flügelpendant zu Díaz ist.

Wichtig: Weil FBref nicht alle Wettbewerbe hat, fallen einige Spiele raus. In Deutschland ist das beispielsweise der DFB-Pokal. Aber auch Länderspiele flossen mit ein, wenn es Daten gab. Wir haben einfach den jeweiligen Saisonverlauf der Spieler angeschaut und jedes Spiel in die Analyse einfließen lassen, zu dem es auf dieser Plattform xG-Werte gab.

Luis Díaz: Außergewöhnlich schwache Chancenverwertung in dieser Saison, aber …

Bei Díaz kamen so elf Pflichtspiele in dieser Saison zusammen. FBref hat hier fünf Chancen verbucht, die über 0,4 Expected Goals haben. Nicht mit dabei ist die Chance gegen den FC Augsburg in den Anfangssekunden, als der Rechtsfuß aus kürzester Distanz nicht den Ball aufs Tor bekommt. Deshalb wurde das statistisch nicht als Torschuss gewertet – obwohl er das Tor in dieser Situation erzielen muss. Auch nicht dabei sind drei Großchancen gegen den 1. FC Köln am Mittwoch: Sein Tor, sein Lauf und eine weitere Situation, in der er aus kurzer Distanz laut Fotmob einen xG-Wert von 0,77 erzeugt hat.

Es mag in der statistischen Arbeit etwas unsauber sein, aber wir empfanden die vier Szenen bei mehrfachem Anschauen als so klar, dass wir sie mit Hilfe der Fotmob-Daten gewertet haben. Aus Zeitgründen konnten wir das bei zurückliegenden Spielzeiten aber nicht tun. So ergeben sich bei Díaz in dieser Saison nur zwei Tore aus neun Chancen mit mindestens 0,4 xG. Selbst wenn man den Augsburg-Schuss streichen würde, der keinen offiziellen xG-Wert hat, wären es nur zwei aus acht und somit 25 Prozent. Nimmt man ihn dazu, sind es 22,22 Prozent.

Hier braucht man nicht mal Vergleichswerte, um das Fazit zu ziehen: Das ist nicht gut für einen Top-Angreifer. Aber: Díaz hat schon gezeigt, dass er es besser kann. In der Saison 2023/24 hat er für Liverpool sieben von zehn Großchancen verwandelt, in der Saison 2024/25 waren es sechs von zehn. Macht also einmal 60 Prozent und einmal 70. Nimmt man alles zusammen, steht die Quote immerhin bei 51,72 Prozent. Streicht man die bisher außergewöhnlich schwache Ausbeute beim FC Bayern, sind es 65 Prozent.

Wie schlagen sich andere (Ex-)Profis des FC Bayern?

Bei den Vergleichswerten haben wir nur auf die letzte Spielzeit und die aktuelle bezogen – beziehungsweise bei Sané auf die Spielzeiten 23/24 und 24/25. Wenig überraschend liegt Harry Kane deutlich über dem Díaz-Wert. Aber auch bei ihm gibt es spannende Erkenntnisse. Zunächst mal: In der Saison 2024/25 kam Kane auf 24 verwertete Großchancen aus 26 Versuchen. In dieser Saison sind es sieben aus neun. Aber: Unter diesen insgesamt 35 Großchancen sind 19 Elfmeter. Auch die müssen erstmal verwandelt werden und das ist eine Superkraft des Engländers.

Beim Blick auf die Chancen aus dem Spiel heraus ergibt sich aber ein interessantes Bild: In dieser Saison hat Kane nur zwei von vier Großchancen verwandelt, in der vergangenen Spielzeit waren es zehn aus zwölf. Ohne Elfmeter kommt er also in diesem Zeitraum auf eine Quote von 80,95 Prozent. In etwa jede fünfte Großchance aus dem Spiel heraus geht bei ihm also nicht rein.

Ein absoluter Weltklasse-Knipser wird aus Díaz also wohl eher nicht mehr. Interessanter ist dementsprechend der Vergleich zu Teamkollege Olise. Der Franzose kam in seiner ersten Bayern-Saison auf einen starken Wert von sieben verwandelten Großchancen bei acht Versuchen. Darunter ein Elfmeter. Mit dem Strafstoß ergab das eine Quote von 87,5 Prozent, ohne stand er bei 85,71 Prozent. In dieser Saison scheint sich seine Ausbeute aber zu normalisieren.

Bei bisher vier Großchancen konnte Olise erst zwei verwandeln. Rechnet man beide Spielzeiten zusammen, kommt er jetzt also auf eine Quote von 75 Prozent beziehungsweise 72,72 Prozent ohne Elfmeter.

Leroy Sané: Besser als sein Ruf?

Bleibt noch Leroy Sané. Der ehemalige Bayern-Profi hatte in der Saison 24/25 sieben Großchancen, wovon er vier verwandelte. Macht eine Quote von 57,14 Prozent, die nur leicht über dem aktuellen Niveau von Díaz liegt. Mit einer starken Ausbeute in der Saison 23/24 reißt er seine Quote aber wieder etwas nach oben: Damals verwandelte er sieben aus neun.

Insgesamt steht er also bei elf von 16 und somit bei 68,75 Prozent. Man könnte hier auch noch weiter zurückgehen, um den Werten noch mehr Aussagekraft zu verleihen, aber es ist davon auszugehen, dass sich die Werte nicht dramatisch verändern würden.

Schwächen in der Methodik

Klar ist auch, dass die Methodik nicht die ganze Wahrheit erzählt. Während der Analyse der einzelnen Abschlüsse in den jeweiligen Partien fiel uns auf, dass die genannten Kandidaten auch zahlreiche Chancen im Bereich zwischen 0,2 und 0,39 xG hatten, was gemeinhin auch als ziemlich gute Chance gilt. Irgendwo mussten wir die Grenze aber setzen und da der Fokus auf absoluten Hochkarätern lag, erschien uns die Grenze von 0,4 als sinnvoll.

Eine noch breitere Analyse mit Chancen ab 0,2 oder 0,25 xG könnte das Bild nochmal verändern. Bei dem einen oder anderen Spieler fielen hier einige vergebene Chancen auf, näher geprüft haben wir es aus Zeitgründen aber nicht.

Grundsätzlich ist auch die Schwäche von xG-Modellen nicht außer Acht zu lassen. Das genannte Augsburg-Beispiel oben ist prädestiniert als Beleg dafür. Wir wissen nicht, wie viele solcher Situationen bei Díaz zu Liverpool-Zeiten oder bei den anderen Spielern in der Vergangenheit mit dabei sind. Entsprechend gibt es hier immer eine mindestens kleine Ungenauigkeit.

Fazit: Díaz kann es besser

Und trotzdem eignen sich die Werte gut, um sich in der Analyse annähern zu können. Die Erkenntnisse sind ausreichend, um folgende Thesen aufstellen zu können:

  • Die Chancenverwertung von Díaz ist in Bezug auf die Großchancen nicht gut genug und wenn er sie nicht bald verbessert, wird seine Torquote in absehbarer Zeit darunter leiden. Aktuell kompensiert er die vergebenen Großchancen mit Toren aus weniger klaren Situationen. Das kann auf Dauer mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so weitergehen.
  • Dass Díaz überhaupt so viele Großchancen hat, spricht für seine enorme Qualität im Freilaufverhalten.
  • Er hat es in der Vergangenheit schon deutlich besser gemacht, aber auch da tendenziell etwas mehr Großchancen liegen lassen als andere Top-Spieler.

Auch kann man im Moment feststellen, dass Díaz relativ gesehen mehr Großchancen auslässt als Sané. Zwar dürfte der Vergleich vielen Bayern-Fans auf den Schlips treten, aber das unterstreicht nochmal, dass Letzterer nicht immer fair bewertet wurde – wenngleich seine Chancenverwertung ebenfalls nicht auf absolutem Top-Niveau war.

Gleichzeitig ist ein Vergleich der beiden Spieler über diesen Aspekt hinaus nicht zielführend. Díaz ist reifer in seinem Spiel und hat eine beeindruckende Präzision in seinen Aktionen. Ein sehr interessanter Faktor ist zudem die Schussauswahl. Díaz hat einen extrem hohen xG-pro-Schuss-Wert. Im Schnitt ist ein Abschluss von ihm in den vergangenen 365 Tagen 0,17 xG wert. Bei Sané sind es beispielsweise 0,12. Díaz hat ein sehr gutes Gespür dafür, wann sich ein Schuss lohnt und wann nicht – auch wenn seine Präzision hier ausbaufähig ist.

Auch im Pressing ist er eine echte Waffe – wobei auch hier gilt, dass die Klischees bei Sané häufig die Realität ausgeblendet haben. Er mag kein Díaz gewesen sein, aber er war deutlich aktiver als sein Ruf. Bei Díaz haben die Laufwege und die Aktionen aber mehr Struktur, sie wirken durchdachter. Unter dem Strich bleibt bisher ein erfolgreicher Start in seine Zeit beim FC Bayern. Um das Niveau halten zu können, wird er seinen Abschluss jedoch mindestens auf das Niveau zu Liverpool-Zeiten zurückbringen müssen.

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