Jens Scheuer blickt nachdenklich auf den Boden und hält sich mit der linken Hand das Kinn.

FC Bayern Frauen: Trennung von Jens Scheuer ist ein positives Signal

Justin Trenner 12.05.2022

Als Jens Scheuer 2019 bei den Bayern begann, hatte er den klaren Auftrag, innerhalb eines von der sportlichen Leitung aufgestellten Plans die Lücke zum VfL Wolfsburg zu schließen und das Team sukzessive an die Spitze zu führen. Als er 2021 dann die Deutsche Meisterschaft mit dem FC Bayern gewann, schien er dieses Ziel erreicht zu haben.

61 Punkte, 82 Tore, neun Gegentore – Bayern spielte eine herausragende Bundesliga-Saison, kam ins Halbfinale der Champions League und scheiterte dort nur knapp am FC Chelsea. „Er hat aufgezeigt, was mit unserer Frauenmannschaft möglich sein kann“, resümierte Teammanagerin Karin Danner in einer insgesamt recht kühl und kurz gehaltenen Pressemitteilung.

Scheuer hatte das Team vor allem stabilisiert. Defensiv kassierten die Bayern in den beiden ersten Spielzeiten unter ihm so wenig Gegentore (14 und neun) wie schon seit der Meisterschaft im Jahr 2016 nicht mehr (acht).

FC Bayern: Letztendlich zu große Zweifel an der Weiterentwicklung?

Scheuer schaffte es nicht nur, sofort ein hohes Niveau zu erreichen, sondern darüber hinaus auch einen Teamgeist innerhalb des über weite Strecken sehr breiten Kaders zu etablieren, der den Klub zu den benannten Erfolgen führte. Unter ihm entstand das Gefühl, dass der Klub mittelfristig Deutschlands Nummer eins werden könnte.

Bei allen Verdiensten, die sich Scheuer auf die Fahne schreiben darf, begleiteten ihn aber auch stets Zweifel. Bayern stagnierte ab einem gewissen Zeitpunkt – und streng genommen wurde auch die Meisterschaft nicht so souverän und dominant gewonnen, wie es Tabelle und die starken Zahlen suggerieren.

Vor allem in den direkten Duellen mit Wolfsburg und in der Champions League gegen Chelsea wurden den Münchnerinnen immer wieder klare Grenzen aufgezeigt – selbst beim 4:1-Sieg gegen die Wölfinnen in der Hinrunde war das der Fall.

https://twitter.com/FCBfrauen/status/1524675837701861377

Jens Scheuer: Gefangen zwischen Konstanz und Berechenbarkeit

Scheuers Ansatz war gefangen zwischen Konstanz und Stabilität einerseits sowie Berechenbarkeit und fehlendem Mut andererseits. Wer die Meisterschaft gewinnt, hat sich aber die Chance verdient, Entwicklungsfähigkeit zu beweisen.

Der nächste Schritt aber blieb aus. Dieser sah vor, dass Bayern sich sukzessive davon löst, gegen die besten Teams der Welt in einer Außenseiterrolle zu sein. Der Kader gab das in den letzten Jahren her. Einige der besten Spielerinnen auf ihren Positionen wurden verpflichtet oder selbst ausgebildet.

Scheuer aber schaffte es nie, sich von seinem pragmatischen Ansatz zu lösen. Zu viel Defensivfokus, zu wenig Überraschung im Ballvortrag, zu viel Statik – die Stabilität wurde zunehmend als biederer Fußball wahrgenommen. Zumal sich auch das Umfeld weiterentwickelt hat. Teams wie die TSG Hoffenheim wissen seit einigen Jahren mit mutigem Offensivfußball zu begeistern.

Bayerns Entscheidung ist mutig und progressiv

Aber auch in der Champions League und beim direkten Konkurrenten aus Wolfsburg fällt auf, dass der Fußball dynamischer und schneller geworden ist. Die harte Realität ist, dass Bayern da nicht mithalten kann.

Die Entscheidung, sich von Scheuer zu trennen, ist eine mutige und progressive. Denn so hart die beschriebene Realität auch klingt, so nachvollziehbar wäre es gewesen, hätte der Klub Argumente für den Trainer ins Feld geführt. Beispielsweise, dass sich die Coronasituation zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt verschärfte.

Auch der Kader war letztendlich nicht optimal aufgestellt. Scheuer musste mit Marina Hegering monatelang auf eine Schlüsselspielerin verzichten und war defensiv häufig zur Improvisation gezwungen. Bayern hätte zudem argumentieren können, dass der Weg nach oben kein Selbstläufer ist. Die Meisterschaft zu holen und Wolfsburgs Dominanz zu brechen, war schwer genug. Sich dort zu halten, erfordert deutlich mehr.

FC Bayern Frauen: Zeit für neue Impulse

Es spricht aber für die Klubführung, dass sie sich nicht für den bequemen Weg entschieden haben. Sie verlieren mit Scheuer eine gewisse Grundsicherheit. Mit ihm würden sie vermutlich immer mal wieder einen Titel gewinnen und das aktuelle Level halten. Sie würden aber auch weiter auf der Stelle treten.

Aber Bayern will weiter hinaus. Sie wollen dauerhaft Titel gewinnen, Wolfsburg stürzen und in der Champions League im ersten Schritt endlich ein großes Team in einem K.-o.-Duell schlagen. Scheuer hat in den großen Spielen regelmäßig zuerst daran gedacht, wie die Stärken des Gegners verhindert werden können. Bayern braucht einen Trainer, der es schafft, in diesen Momenten die eigenen Stärken zu fokussieren.

Sie sind längst über den Status der Außenseiterinnen hinaus. Mit der Trennung von Scheuer beweisen die Bayern Mut und zeigen, dass sie hohe Ansprüche an sich selbst stellen. Es bleibt abzuwarten, wer in der kommenden Saison auf dem Trainerstuhl sitzt. Aber die Entscheidung ist dennoch richtig.

Richtungsweisender Sommer für den FC Bayern

Obwohl sie für alle Beteiligten hart sein dürfte. Mit etwas mehr Glück hätte Scheuer auch in dieser Saison das Halbfinale der Champions League erreicht und die Meisterschaft wäre womöglich etwas enger. Er hinterlässt ein intaktes Team, das in den vergangenen Jahren viele wertvolle Entwicklungsschritte mit ihm gehen könnte.

Und doch ist die Zeit für neue Impulse gekommen. Es wird damit ein richtungsweisender Sommer für die Bayern. Der Trainerwechsel könnte erklären, weshalb auf dem Transfermarkt bisher recht wenig passiert ist. Im Defensivbereich brauchen die Münchner dringend Verstärkung, aber auch in der Offensive drohen Abgänge von wichtigen Stützen wie Viviane Asseyi oder Lineth Beerensteyn.

Wolfsburg hat sich bereits namhaft verstärkt. Es steht einiges an Arbeit an für den FC Bayern. Für den Weitblick, den sie mit der Scheuer-Entscheidung bewiesen haben, kann man der sportlichen Leitung aber nur gratulieren. Die Ansprüche stimmen beim FC Bayern.



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