10 Jahre, 10 Titel, 10 Geschichten: Triple, Pep-Jahre und Ancelotti-Folklore

Maurice Trenner 09.05.2022

Im ersten Teil dieser zweiteiligen Reihe lassen wir das erste Triple, drei aufregende Pep-Jahre und das uneingelöste Carlo-Versprechen Revue passieren.

2012/13: Prollige Lambo-Propheten rasen zum Triple

Von Günter Klein

München, wo es am bekanntesten ist, am schönsten. Wo die Touristen ehrfürchtig staunen. Kurz vor acht Uhr abends an einem Montag im Februar 2013 ordinäres Motorengeräusch in der Fußgängerzone, und am Marienplatz fahren drei Sportwagen vor, flach wie Flundern. Marke: Lamborghini. Kurz Lambo, wie die Bewunderer sagen. Den Autos entsteigen: Franck Ribery, Mario Mandzukic, Xherdan Shaqiri.

Was für ein PR-Termin! Nike, die Sportartikelfirma, mit der die drei Spieler des FC Bayern einen privaten Werbevertrag haben, hat zu „Sport Münzinger“, einem alten Fachgeschäft im Rathaus,  eingeladen. Weil er ein Adidas-Club ist, hält sich der FC Bayern aus dieser Geschichte heraus. Doch natürlich geht es nicht nur um das neue Schuhmodell von Nike, mit dem man sich angeblich richtig in den Rasen krallen kann, sondern um die Bayern und ein paar kernige Ansagen in ihrem Sinne. 

Borussia Dortmund hat die Münchner zwei Jahre lang geärgert. Das Imperium muss in dieser Saison 2012/13 zurückschlagen und auch das Chelsea-Trauma aus der Champions League überwinden. Es braucht ein Selbstbewusstsein, das mit dem von Jürgen Klopp konkurrieren kann. Es braucht den Glauben, dass man über Monate alle Spiele gewinnen kann. Nicht nur nicht verlieren, sondern gewinnen. „Ja, das wollen wir, das können wir“, sagt Franck Ribery, der wie Mandzukic und Shaqiri Jogginghose trägt, die teurer sind als ein gediegener Anzug.

Die Großmäuligkeit und Breitbeinigkeit wird in den folgenden Wochen in die Realität transferiert. Meisterschaft, Champions League gegen Dortmund, der Pokal – alles wird gewonnen. Die Bayern spannen dem BVB Mario Götze aus und schieben ein Angebot für Robert Lewandowski hinterher. Im Lamborghini rast der FC Bayern an die Spitze Deutschlands und Europas.

2013/14: „Ach Du Scheiße, die 19“

Von Christian

„Guten Tag. Grüß Gott Damen und Herren. Verzeihen Sie mir mein Deutsch. Es ist ein Geschenk, neuer Trainer bei Bayern München sein.“

Mit einem niedlich anmutenden Deutsch, bescheiden, fast schüchtern saß ER da zwischen Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge. Das Führungsduo des FC Bayern strahlte voller Stolz um die Wette. Konnte es noch kaum glauben, dass ihnen dieser Coup gelungen war. ER war tatsächlich da. Pep Guardiola, der damals weltbeste Trainer, hatte sich in seinem Sabbatical nach extrem erfolgreichen Jahren beim FC Barcelona für den deutschen FCB entschieden.

Als in der Winterpause der Vertrag gemacht wurde, war der FC Bayern noch nicht da, wo er nun stehen sollte: Triple-Sieger. Ein großes Erbe für Pep, der die im Jahr 2013 beste Vereinsmannschaft der Welt kaum noch erfolgreicher machen würde können. Und dennoch waren die Erwartungen hoch: Die Spielweise sollte noch attraktiver werden, der Henkelpott schnell wieder in München landen, nebenbei sollte Pep noch der Bundesliga zu neuem Glanz verhelfen und eine Inspiration für die deutsche Nationalmannschaft sein.

Mario Götze jubelt dezent nach dem Treffer gegen seinen Ex-Club.
(Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP via Getty Images)

Bereits 11 Tage nach seinem Amtsantritt erlebte man Pep Guardiola erstmals weniger bescheiden: Überraschend deutlich gab er öffentlich sein Interesse an Thiago Alcantara bekannt. Unmissverständlich forderte Pep „Thiago oder nichts“. Der Spieler könne auf „3, 4, 5 Positionen spielen“ und sei „überragend im 1 gegen 1“. 

Bereits 3 Tage darauf wurde der Wechsel offiziell gemacht: Für „nur“ 25 Millionen Euro unterschrieb der 22jährige einen 4-Jahres-Vertrag bei den Bayern. Wie schon bei Mario Götze, der für die damalige Bundesliga-Rekordablöse von 37 Millionen Euro aus Dortmund kam, profitierten die Bayern auch bei Thiago von einer Ausstiegsklausel.

Die Bayern spielten so dominant wie in der Vorsaison und schnappten sich schon am 27. Spieltag die Schale. So früh war noch nie eine Mannschaft Meister geworden. Dazu gewann der FC Bayern den UEFA Supercup „ausgerechnet“ gegen Chelsea, die FIFA Club WM und den DFB-Pokal gegen den BVB. Es war das 10. Double der Vereinsgeschichte. Dass es nicht zum erneuten Triple reichte, lag auch an Pep Guardiola: Gegen Real Madrid war nach einem 0:4 im Rückspiel im Halbfinale der Champions League Endstation. Pep räumte danach ein, bei der taktischen Ausrichtung den Wünschen seiner Spieler gefolgt – und von eigenen Überzeugungen abgerückt zu sein. Es wurde also kein erneutes Triple, aber im Verein und wohl auch bei den meisten Fans wurde die Saison 2013/14 als sehr erfolgreich gefeiert.

Am 13. Spieltag kam es in Dortmund zum Spitzenspiel. In der 56. Minute hallte ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert durch das Stadion, denn Götze wurde eingewechselt. Er hatte sich zuvor aufgrund der hasserfüllten Stimmung gegen ihn nicht draußen warmgemacht, sondern in den Stadionkatakomben. Nach nur 10 Minuten zog er der Südtribüne den Stecker: Von der Strafraumgrenze aus schoss er den Ball knapp am linken Pfosten vorbei ins Tor. Ein „ausgerechnet“-Moment für Spieler, Dortmund- und Bayern-Fans. Stadionsprecher Norbert Dickel kommentierte entsetzt: „Wer hats geschossen? Ach Du Scheiße, die 19.“ Als Stadionbesucher mein Moment der Saison. 

2014/15: Als Pep mit Wingback Robben Rom eroberte

Von Georg

So beeindruckend Peps Debütsaison war, in der Champions League fehlte noch ein Ausrufezeichen. 

Das sollte sich am dritten Spieltag der Vorrunde 2014 ändern. Der FC Bayern war zu Gast bei Rudi Garcias AS Rom, dem damaligen italienischen Vizemeister.  Der Tabellenführer zu Gast beim Tabellenzweiten. Bayern hatte die ersten beiden Spiele in der Gruppe E jeweils effizient mit 1:0 gewonnen, die Roma startete mit einem Unentschieden gegen Manchester City sowie einem 5:1-Sieg gegen ZSKA Moskau. Vor über 60.000 Zuschauern im Olympiastadion empfing die römische Mannschaft um Altmeister Francesco Totti (37) und Stars wie Miralem Pjanić, Radja Nainggolan und Daniele De Rossi die Münchner. 

Und Pep packte die Dreierkette aus. Mit Arjen Robben als Wingback. Ausgerechnet Robben. Jener Robben, der wenige Jahre zuvor Defensivarbeit noch scheute wie ein Groninger die Berge. Die Rolle als Wingback hatte er vorher einmal relativ erfolglos gegen den 1. FC Köln gespielt. Doch diesmal sollte es klappen als hätte er nie etwas anderes gespielt.

Bereits nach acht Minute gelang ihm nach einem doppelten Doppelpass mit Philipp Lahm der Führungstreffer. In unnachahmlicher Weise zog er von rechts nach innen nd schlenzte den Ball unhaltbar in die lange Ecke. 

Es war das Signal für eine furiose Halbzeit. Müller, Götze und Lewandowski kombinierten offensiv, Robben und Bernat brachen immer wieder über außen durch, Lahm und Xabi Alonso ordneten das Zentrum. Die Römer fanden nie eine Antwort auf Bayerns taktische Ausrichtung und spielerische Überlegenheit – und so stand es bereits zur Halbzeit 5:0. Nach 90 Minuten stand mit dem 7:1 der höchste Auswärtssieg in Bayerns Europapokalgeschichte in den Büchern. Arjen Robben traf noch ein zweites Mal und bereitete einen Treffer von Franck Ribéry mit einem Traumpass vor. 

Es war eines jener Spiele, in denen klar wurde, was Guardiolas Positionsspiel leisten kann, wenn es gut läuft. Eines jener Spiele, während derer man sich als Bayernfan ungläubig die Augen rieb. Karl-Heinz Rummenigge sprach später am Abend bei der Bankettrede von einem geschichtsträchtigen Spiel und prognostizierte orakelhaft, dass “wir uns in zehn Jahren an diesen Abend erinnern werden.” Er sollte recht behalten. 

2015/16: Als Guardiola sich Kimmich zur Brust nahm – er „muss darauf achten, was man ihm sagt“

Von Justin

Gerade hatte der FC Bayern München die Deutsche Meisterschaft vorentschieden, da machte ein kurioses Bild die Runde. Pep Guardiola schnappte sich Joshua Kimmich, rüttelte ihn durch und gab ihm lautstark Instruktionen. Nicht das 0:0, mit dem Bayern in Dortmund die Verhältnisse in Deutschland geklärt hatte, sondern Kimmichs letzte Minuten waren das Thema, das den Trainer beschäftigte.

Weiter, immer weiter. Gelebt vom Katalanen, der sich unbedingt mit dem maximalen Erfolg aus München verabschieden wollte. Der Grund: Guardiola brachte mit Medhi Benatia einen Innenverteidiger für Xabi Alonso, der angeschlagen runter musste. Kimmich wiederum half damals häufig als Innenverteidiger aus, so auch in diesem Spiel. Offenbar sollte er nach dem Wechsel ins Mittelffeld aufrücken – erledigte seinen Job aber nicht zur Zufriedenheit des Trainers, wie Benatia 2020 enthüllte.

Dem marokkanischen Portal AllMarssadPro sagte der 28-Jährige: „Als Guardiola mich einwechselte, gab er mir eine Anweisung, die ich dem jungen Kimmich übermitteln sollte.“ Anscheinend hat dieser die Anweisung aber nicht verstanden. Erst machte sich der Trainer nach der Partie auf dem Weg zu Benatia. „Hast du ihm gesagt, womit ich dich beauftragt habe?“, soll er gesagt haben. Als dieser bejahte, knöpfte sich der Trainer Kimmich vor und trichterte ihm ein, „er müsse darauf achten, was man ihm sagt“. So jedenfalls die Perspektive Benatias.

Kimmich selbst sagte schon nach der Partie: „Das ist nichts Ungewöhnliches. Er korrigiert viel, will das Maximum herausholen. Nach dem Spiel hat er ein paar Dinge gesagt, die ich hätte besser machen müssen.“ Die Beziehung zwischen Guardiola und Kimmich war eine besondere, weil zu spüren war, welch hohe Ansprüche der Trainer an seinen noch jungen Schützling hatte – und wie dieser mitzog, daran von Spiel zu Spiel wuchs und schon in seiner Debütsaison ein wichtiger Teil des Teams wurde.

Der FC Bayern in der Saison 2015/16 war der stärkste, den ich je gesehen habe. Daran ändert auch das bittere Ausscheiden gegen Atletico Madrid im Halbfinale der Champions League nichts. Für mich war diese Spielzeit der Leistungspeak der 2010er Jahre. Diese Szene blieb mir ab von rein sportlichen Aspekten in Erinnerung. Stellvertretend für ein Team, das in allen Bereichen absolute Weltklasse verkörperte – und das auch dank Kimmich trotz vieler Verletzungen in der Defensive stabil blieb. Das 0:0 in Dortmund machte Bayern noch nicht zum Meister, aber es bereitete den Weg entscheidend.

2016/17: Ancelotti sprengt die Pep-Fesseln für einen Abend

Von Maurice

Drei Jahre Pep als Fan waren Ekstase pur und Fußball-Hochkultur, doch als Spieler war die Zeit sicherlich die anspruchsvollste in der Karriere. Als nach der Ära Pep der große Titel in der Königsklasse ausblieb, blickten viele sehnsüchtig auf den neuen Trainer. Carlo Ancelotti versprach zwar weniger taktischen Fußball, aber doch vor allem eins: Internationale Titel.

Das erste Ligaspiel von Ancelotti fand standesgemäß im späten August in der heimischen Allianz-Arena statt. Zu Gast war dankenswerterweise Werder Bremen, die im Jahr 2016 zwar noch ein großer Name, aber bei langem kein großes Team mehr waren. Die Münchner waren von Anfang an haushoch überlegen und spielten sich in einen Rausch. Nach nur zehn Minuten eröffnete Maestro Alonso per Dropkick-Traumtor den Torreigen, dem sich Lewandowski per Dreierpack und später sogar Philipp Lahm mit einem seiner selten Tore anschlossen. Am Ende stand ein beeindruckendes 6:0 auf der Anzeigetafel über einem rot-weißen Freudenmeer in der Arena. Der Auftakt unter Ancelotti war gelungen.

Xabi Alonso nimmt Maß und sorgt für einen furiosen Start der Amtszeit von Carlo Ancelotti.
(Foto: CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Die deutsche Presselandschaft, die sich im Vorjahr immer stärker von Pep entfremdet hatte, frohlockte. Allen Voran Ex-Bayer Mehmet Scholl verkündete: “Sie haben die Pep-Ketten abgestreift”. Rückblickend entlockt einem das ein süffisantes Schmunzeln. Denn hatte nicht gerade Pep in der Bundesliga überforderte Gegner gnadenlos auseinander genommen, um dann im Halbfinale der Königsklasse auszuscheiden? 

Nach dem Auftakt gewinnt Bayern die nächsten vier Liga-Spiele, verliert dann aber bei Atlético, in Dortmund und Rostow. Am Saisonende steht der Entfessler Ancelotti nur mit der Meisterschaft auf dem Rathausbalkon. Ein halbes Jahr später löst der FC Bayern die Carlo-Ketten. Es übernimmt mit Jupp Heynckes ein alter Bekannter.

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