FC Bayern Frauen: Interview mit Alexander Straus – „Wenn wir angreifen, wollen wir kompakt sein“

Alexander Straus ist seit diesem Sommer Trainer der FC Bayern Frauen. Im Interview mit Miasanrot.de gibt er Einblicke in seine Philosophie, seine Vorbereitung auf das Spiel gegen den FC Barcelona in der Champions League und seine Planungen in der Torhüterinnenfrage.

Justin

20.11.2022

Der Norweger hat einen durchaus erfolgreichen Start beim FC Bayern gehabt. In 11 Pflichtspielen feierte er neun Siege. Ein Unentschieden in Frankfurt und die Niederlage in Wolfsburg komplettieren die Bilanz des 47-Jährigen. Im Gespräch mit Miasanrot.de erzählt Straus, woran er konkret arbeitet und wie seine Idealvorstellung von Fußball aussieht.

Miasanrot.de: Die Spiele gegen den FC Barcelona werden wohl mit die größten in Ihrer bisherigen Karriere sein – besonders mit Blick auf die großen Stadien und die Atmosphäre, die dort jeweils erwartet wird. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die beiden Spiele und wie bereiten Sie sich und das Team mental darauf vor?

Alexander Straus: Wir müssen uns auf das Spiel konzentrieren und nicht auf den Anlass, das Event drum herum oder den Ort. Wir spielen ein Spiel auf einem Fußballplatz, der ungefähr die gleiche Größe hat wie die anderen Plätze, auf denen wir spielen. Wir werden jeweils 90 Minuten spielen, alles wie sonst auch. Dementsprechend müssen wir uns auf die technischen und taktischen Aspekte fokussieren. Die Atmosphäre ist etwas für alle anderen. Natürlich sind wir keine Maschinen, und Emotionen spielen immer eine Rolle, es wird eine großartige Erfahrung. Wir haben viele routinierte Spielerinnen, die solche großen Partien bereits absolviert haben. In dieser Saison hatten wir auch schon sehr wichtige Spiele gegen Eintracht Frankfurt und Wolfsburg.

Aber das Camp Nou ist schon nochmal besonders, oder?

Natürlich ist es ein ikonisches Stadion. Es ist ein Highlight in der Karriere eines jeden, der oder die dort spielt oder coacht. Anschließend spielen wir in der Allianz Arena, das ist etwas, woran du dich bis an dein Lebensende immer erinnern wirst. Und dann sollten wir auch nicht vergessen, dass es sehr harte Spiele werden, auf die wir uns sehr intensiv vorbereiten müssen.

Was erwarten Sie vom FC Barcelona?

Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass Barcelona sich gerade in einer Übergangsphase befindet, was ihren Stil angeht. Sie spielen ein bisschen direkter als zuvor, sie sind ein unfassbar gutes Team, haben vor der Länderspielpause 4:0 gegen Real Madrid gewonnen und hätten acht Tore erzielen können. Auch das Spiel gegen Benfica war sehr interessant, weil Benfica zwischen den Strafräumen ganz gut war, aber Barcelona dennoch neun Tore erzielt hat. Sie sind so effizient. Wenn du ihnen nur eine Halbchance gibst, machen sie dich fertig.

Es ist kein Geheimnis, dass sie viel Kontrolle von ihrem Team fordern. Barça ist womöglich das beste Team, wenn es darauf ankommt, den Ball zu haben. Gegen Wolfsburg haben sie letztes Jahr ein sehr reifes Team auf beeindruckende Art und Weise unter Druck gesetzt. Wird es der taktische Schlüssel sein, den Ball so oft wie möglich zu haben, um sie aus ihrer Komfortzone zu holen?

Das ist eine große Frage, an der wir arbeiten, und ich habe bereits meine Ideen, wie wir das schaffen können. Ich denke nicht, dass das ein Spiel wird, in dem wir bei unserem aktuellen Entwicklungsstand erwarten sollten, dass wir an die 90 Minuten das Spiel kontrollieren, wie wir es in der Liga beispielsweise oft tun. In diesem Spiel müssen wir uns auch mal damit wohlfühlen, dass sie den Ball haben werden. Wenn wir das nicht tun, wären wir naiv und das wollen wir nicht sein. Wir wollen auch ohne Ball dazu fähig sein, sie zu verteidigen.

In der Vorbereitung hat Ihr Team 2:1 gegen Barça gewonnen. Kann man daraus Schlüsse für diese Duelle ziehen?

In Frankreich haben wir das im Sommer gut gemacht. Wir wissen also, dass es möglich ist, sie zu schlagen. Sie sind es in Spanien nicht so sehr gewohnt, viel zu verteidigen. Sie schieben viele Spielerinnen nach vorn und versuchen die Bälle schnell zurückzuerobern. Das Gegenpressing ist richtig gut, aber wenn das nicht greift, sind sie ziemlich offen. Dann gibt es Räume, die wir erobern und wo wir mögliche Fehler konsequent nutzen müssen. Die Frage wird sein, ob wir an den jeweiligen Spieltagen die Qualität haben, das zu tun.

Wo wir wieder bei der von Ihnen oft angesprochenen Effizienz wären …

… Wir werden nicht so viele Chancen bekommen, wie wir es gewohnt sind. Eines unserer Probleme in dieser Saison ist, dass wir zwar Chancen herausspielen, aber zu viele benötigen, um ein Tor zu erzielen. Gerade gegen Barcelona müssen wir effizienter sein und schon die Halbchancen nutzen.

Geht es dabei auch darum, in bessere Schusspositionen zu kommen? Nicht nur gegen den FC Barcelona, sondern generell. Wolfsburg hat beispielsweise in der Bundesliga eine durchschnittliche Abschlussdistanz von rund 13 Metern, die Bayern liegen bei 16 Metern. Ist das etwas, woran Sie arbeiten?

Absolut! Aber um ehrlich zu sein, liegt der Unterschied hier auch in der Spielweise. Wir haben unsere Art und Weise, wie wir die Dinge angehen, Wolfsburg hat seinen eigenen Weg. Wenn wir in unserer Entwicklung weit genug fortgeschritten sind, werden wir nicht nur attraktiv spielen, sondern auch konstanter bessere Resultate einfahren. Ich habe Wolfsburg gegen Hoffenheim in dieser Saison gesehen, als sie zurücklagen. Sie haben gegen Ende mit vielen langen Bällen gearbeitet, weil sie den Knoten nicht platzen lassen konnten und sich keine großen Chancen aus dem Ballbesitz heraus erspielten. Also sind sie auf zweite und dritte Bälle gegangen. Im Moment würden wir das genauso machen, aber mein Ziel ist es, dass wir lernen, gegen Teams Lösungen zu finden, die so tief verteidigen wie Hoffenheim in diesem Spiel. Dafür brauchen wir mehr Dynamik, mehr Positionswechsel in der Offensive und daran arbeiten wir. Da sitzt man immer zwischen zwei Stühlen: Einerseits willst du gewinnen und tust dafür alles, wie Wolfsburg in Hoffenheim. Andererseits willst du deinen Spielstil weiterentwickeln und versuchst, die Balance zu finden. Wir dürfen da keine Abkürzungen nehmen.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Saisonstart?

Wir hatten schwere Auswärtsspiele in Frankfurt und in Wolfsburg, die restlichen Spiele haben wir alle gewonnen. Manche Leistung war dabei überzeugender als andere. Der Punkt in Frankfurt gegen ein starkes Team, das etwas unterschätzt wird, war wichtig. Sie haben tolle Spielerinnen, die lange zusammenspielen. Das macht sie zu Geheimfavoritinnen. In Wolfsburg hatten wir eine starke Schlussphase, in der wir das Spiel hätten drehen können wie es gegen Benfica geklappt hat. Wir müssen konstanter werden und diese Leistungen über 90 Minuten abrufen.

Lassen Sie uns darüber sprechen, wie sich der FC Bayern unter Ihnen verändert hat. In den letzten Jahren hat das Team sehr viel über die Flügel gespielt und dementsprechend viele Flanken geschlagen. Ihr Fokus liegt mehr auf den Halbräumen mit meist zwei offensiven Spielerinnen neben der Stürmerin, die Pässe und Läufe in zentraleren Zonen anbieten, während die Außenverteidigerinnen dem Spiel Breite geben. Erstmal: Sind diese Beobachtungen richtig? Und falls ja: Was ist die Idee dahinter beziehungsweise welche Vorteile erhoffen Sie sich davon?

Ich habe den Artikel gelesen, den Sie geschrieben haben, bevor ich hier angekommen bin und ich denke, dass Sie damit ziemlich richtig lagen. Ich habe meine Idee und meine Philosophie. Natürlich will jeder Kontrolle haben, Tore erzielen und viele Chancen herausspielen, aber wir haben ein Konzept, das vielleicht etwas präziser ist als das.

Wie sieht das aus?

Wir wollen die Kontrolle über die zentralen Korridore haben und dementsprechend haben wir dort auch die meisten Spielerinnen. Wir legen Wert darauf, dass die Abstände zwischen den Spielerinnen gering sind. Wenn wir angreifen, wollen wir kompakt sein. Wir sprechen oft über Kompaktheit, wenn wir verteidigen, das liegt in der Natur der Sache, aber wir wollen auch Kompaktheit haben, wenn wir angreifen. Wenn wir kürzere Abstände beim Passspiel haben, haben wir ein höheres Tempo. Im Moment befinden wir uns da noch in einem Entwicklungsprozess, aber wenn wir irgendwann an diesem Punkt sind, werden unsere Kombinationen noch schneller sein und wir können noch häufiger in den zentralen Räumen und in den Halbräumen durchbrechen, was uns dann in hervorragende Abschlusssituationen bringt. Aber auch wenn wir den Ball verlieren, haben wir kürzere Abstände, um ihn zurückzuerobern und anschließend erneut schnell anzugreifen. Wenn viele Spielerinnen in der Breite positioniert sind, vielleicht sogar auf beiden Seiten gleichzeitig, hast du größere Abstände bei Ballverlusten und musst dich meiner Erfahrung nach sofort zurückziehen, um die Räume in der Defensive zu schließen.

Geht es dabei vor allem um Abstände in den ballnahen Räumen?

Das Grundkonzept ist es, Überladungen zu erzeugen. Wir müssen uns bewusst darüber sein, wann und wo wir diese Überladungen anwenden. Dieser Prozess mit all seinen Details ist nicht zu jedem Zeitpunkt für alle zu sehen, aber wir arbeiten jeden Tag hinter geschlossenen Türen daran. Das wird Zeit brauchen, aber wir sind auf einem sehr guten Weg. Wir müssen die Spielerinnen jetzt einfach noch mehr dazu bringen, sich damit zu identifizieren und in den richtigen Situationen dementsprechend zu handeln. An diesem Punkt sind wir noch nicht, aber wir machen Fortschritte. Sie haben über Barcelona gesprochen. Die haben eine Identität kreiert und haben daran über viele Jahre hinweg gearbeitet. Ich bin ein Trainer mit einem Konzept, wie wir Dinge erreichen wollen und wie wir spielen wollen und auf welchem Weg wir die Resultate einfahren wollen.

Wie lange wird das beim FC Bayern dauern?

Das kann man nicht pauschal sagen. Wie gesagt: Wir sind auf einem sehr guten Weg. Eine Identität ist bei einem Klub wie dem FC Bayern sehr, sehr wichtig. Ich denke, es gibt bereits erste Unterschiede darin, wie wir das Spiel jetzt sehen und wie sie es die letzten Jahre gesehen haben. Manches hat gut funktioniert und wir versuchen das in unser Konzept zu übernehmen. Manches mussten wir verändern, weil wir andere Ansichten haben. Die erste Frage, die vor meiner Ankunft diskutiert wurde und die für mich die wichtigste überhaupt ist, war: Was möchte der Klub, wenn es darauf ankommt, eine Identität zu kreieren? Wie soll ein Team des FC Bayern spielen? Daraufhin entscheidet man sich für einen Trainer. Aktuell arbeiten wir an den richtigen Dingen.

Haben Sie an größere Veränderungen gedacht?

Ich glaube an die Leute hier und das war mir sehr wichtig, als ich im Sommer übernommen habe. Ich glaube an die Spielerinnen und an alle anderen. Wir haben hier eine sehr gute Basis für diesen großen Prozess, in dem wir uns aktuell befinden. Und bisher machen wir das ziemlich gut. Wir können uns fußballerisch noch verbessern, fahren aber bereits tolle Resultate ein. Nach der Europameisterschaft war es nicht einfach, wir hatten nur wenige Tage mit dem Kader in der Vorbereitung, viele Spielerinnen waren noch müde. Außerdem kamen einige Verletzungen hinzu. Wir suchen keine Ausreden: Wir haben einen großartigen Kader, den wir weiterentwickeln werden.

Mala Grohs pariert einen Elfmeter. Um sie herum sind mehrere Spielerinnen zu sehen, im Hintergrund eine leere Tribüne. — **Mala Grohs hat gegen Benfica in der Champions League einen Elfmeter gehalten. Damit trug sie entscheidend zum 3:2-Sieg bei.**
Foto: Gualter Fatia/Getty Images

In der Pressekonferenz zwischen Wolfsburg und Benfica haben wir über einige Statistiken gesprochen. Wie wichtig sind Statistiken für Ihre Analyse und welche Arten von Daten nutzen Sie?

Wir greifen auf sehr viele Daten zurück, aber entscheidend ist dabei immer, sie passend zu unserer Spielweise zu nutzen. Man muss immer wissen, was wir versuchen zu erreichen, bevor man mit Zahlen um sich wirft. Heutzutage kriegt man viele Daten zu allem. Wir schauen uns an, welche Arten von Chancen wir uns erspielen, wir nutzen auch Expected Goals. Man kann die Methoden der Modelle zwar hinterfragen, aber sie sind ein guter Indikator dafür, welche Qualität die Chancen haben und wo wir vielleicht den zusätzlichen Pass machen können, um eine noch größere Chance herauszuspielen. Aber der Umgang mit Zahlen ist immer komplex und es gibt selten eine einfache Antwort darauf, warum eine Statistik so ist, wie sie ist. Wenn wir zum Beispiel über hohes Pressing sprechen, müssen wir immer bedenken, gegen wen wir spielen und wie sie spielen. Wir nutzen also Daten, aber immer in Bezug darauf, was wir erreichen wollen.

Mala Grohs hat eine tolle Saison gespielt bisher. Wie ist der Plan mit ihr und Laura Benkarth, die jetzt langsam wieder fit wird?

Wir haben im Tor eine große Konkurrenz. Sie haben recht, wir sind sehr zufrieden mit Mala, die das sehr gut gemacht hat. Sie ist jung, hat vorher ein oder zwei Spiele für Bayern gemacht und jetzt mehrere am Stück, was eine tolle Erfahrung für sie ist. Aber sie muss sich noch weiterentwickeln und sie ist eben immer noch sehr jung. Die anderen Torhüterinnen drängen sich sehr stark auf. Laura war lange verletzt, aber sie war jetzt vier, fünf Wochen voll im Training und wird wieder anklopfen. Auch Janina (Leitzig, Anm. d. Red.) hat es in den letzten Wochen gut gemacht und Cecilía (Rúnarsdóttir, Anm. d. Red.) ist ebenfalls fit. Wir haben vier sehr, sehr gute Torhüterinnen.

Zwei sehr kurze Fragen zum Abschluss: Hatten Sie in Ihren ersten Monaten Kontakt zu Julian Nagelsmann?

Bisher nicht. Wir hatten beide viel zu tun, aber früher oder später wird sich die Gelegenheit mal ergeben.

Werden wir das 3-4-3 in Zukunft wieder sehen?

Ja! (lacht)