EM-Blog: Gute Besserung, Christian Eriksen!

Justin Trenner 14.06.2021

Als die Europameisterschaft am Freitag, den 11. Juni begann, war die Vorfreude bei vielen groß. Spektakuläre Duelle versprach der erste Spieltag und auch die eine oder andere Überraschung zeichnete sich bereits ab. Allerdings sollte am Samstagabend etwas passieren, was den sportlichen Aspekt der gesamten EM überschattet. Kurz bevor die Partie zwischen Dänemark und Finnland in die Halbzeit ging, brach Christian Eriksen an der Seitenlinie zusammen.

Einige seiner Teamkollegen, allen voran Simon Kjaer, reagierten sofort und leisteten erste Hilfe, bis die Mediziner da waren. Eriksen, so bestätigten es die Ärzte, verlor zwischenzeitlich sein Leben, musste reanimiert werden. Es waren furchtbare Szenen, die von der Weltregie noch viel zu lange gezeigt wurden, ehe man endlich davon absah, die dänischen Spieler zu filmen, die sich um das Geschehen herum positionierten, um keinerlei schlimmere Bilder zuzulassen. An der Stelle wird darauf verzichtet, zu beschreiben, was die Weltregie alles gezeigt hat, aber etwas mehr Sensibilität wäre durchaus angebracht gewesen, wenngleich auch dort nur Menschen arbeiten, die auf eine solche Situation nicht vorbereitet waren.

Die gute Nachricht vorweg: Eriksen konnte zurück ins Leben geholt werden und es scheint ihm nach wie vor gut zu gehen. Gerade weil seine Mitspieler so schnell reagierten, konnte Schlimmeres verhindert werden. Der dänische Spielmacher befindet sich aktuell noch im Krankenhaus unweit des Stadions in Kopenhagen, um sich weiterer Untersuchungen zu unterziehen.

Die Folgen des Eriksen-Vorfalls

Das Thema wird die Fußballwelt aber noch lange beschäftigen. Und nicht nur diese. Es ist Eriksens großes Glück, dass er nicht nur sehr schnelle medizinische Hilfe bekam, sondern dass er darüber hinaus auch Mitspieler hatte, die sofort mit erster Hilfe begannen. Für alle Menschen sollte das eine Erinnerung daran sein, wie wichtig das ist und wie falsch in solchen Momenten die Angst vor Fehlern ist. Jegliche Hilfe ist besser als Nichtstun.

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Es gibt in Deutschland viele Möglichkeiten, Erste-Hilfe-Kurse zu belegen und diese regelmäßig aufzufrischen. Gerade weil sich einige Details aufgrund von medizinischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen immer mal wieder ändern (können), sollte jede:r daran interessiert sein, das Wissen regelmäßig zu erweitern, um im Ernstfall Unterstützung zu leisten. Jede Sekunde und jede Minute zählen. Je länger ein Kreislaufstillstand andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der betroffene Mensch es nicht schafft, oder er bleibende Schäden davonträgt.

Mehr Informationen dazu gibt es hier.

Im Fußball wurde die Notwendigkeit einer gewissen Vorsorge am Spielfeldrand lange ignoriert. Bis 2003, bis zu jenem Moment, in dem der Fußballer Marc-Vivien Foé auf tragische Art und Weise verstarb, war es nicht verpflichtend, Defibrillatoren am Spielfeldrand zu haben. Die FIFA führte diese bei ihren Turnieren erst 2006 ein, die UEFA formulierte solche Mindeststandards 2012. Eriksens Leben konnte nur durch einen Defibrillator gerettet werden, hieß es danach. Trotz dieser positiven Entwicklung gibt es nach wie vor Handlungsbedarf.

Noch regelmäßigere präventive Untersuchungen sind beispielsweise ein Mittel, um das Risiko zu verringern. Der Journalist Arne Steinberg sieht aber auch und gerade in der Forschung viel Luft nach oben. So habe die FIFA bis 2016 eine eigene Forschungsabteilung gehabt, die unter anderem dafür gesorgt habe, dass der Einsatz des Ellenbogens wegen der Gefahr von Kopfverletzungen härter bestraft wird. Mittlerweile ist diese Abteilung aber geschlossen.

https://twitter.com/steinberg_arne/status/1403810461066448901?s=20

Was ebenfalls ein großes Problem für die Zukunft darstellt, ist der Zwang zu sowie die Gier nach immer mehr Geld und damit verbunden die immer engere Taktung der Spielpläne. Im Fall von Eriksen gibt es noch keinerlei Informationen darüber, was zu den Herzproblemen geführt haben könnte, insofern verbietet sich jegliche Spekulation. Dennoch sollte ein solcher Moment allen Verbänden zu denken geben. Ist diese enge Taktung aus gesundheitlichen Aspekten noch vertretbar? Viele Protagonisten haben sich in der Vergangenheit immer wieder dagegen ausgesprochen – Trainer, Spieler, sie alle wurden kurz angehört und dann ignoriert. Die große Frage ist also: Wie entgegnet man diesem Wahnsinn? Der Interessenkonflikt zwischen Gesundheit und Wirtschaft steht in keinerlei vernünftigem Verhältnis mehr, aber er muss zwingend entschärft werden.

Die UEFA muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, die Entscheidung der Spielfortsetzung auf die Spieler abgewälzt zu haben. Damit schob sie die Verantwortung auf jene Menschen ab, die in diesem Moment schlicht nicht dazu fähig waren, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Dass ihnen nur die Möglichkeit der Wahl zwischen der sofortigen Wiederaufnahme des Spiels oder einer Fortsetzung am nächsten Tag gegeben wurde, ist nahezu grotesk, wie mittlerweile auch einige Spieler und vor allem der Trainer von Dänemark äußerten. Stimmt zudem der Vorwurf von Dänemark-Legende Peter Schmeichel, dass die UEFA Druck auf die Mannschaften ausgeübt habe, indem sie mit einer 0:3-Niederlage gedroht hätte, sollte keine dieser beiden Optionen gewählt werden, wäre das nicht weniger als ein Skandal. So überstrapaziert das Wort auch ist, in diesem Fall träfe es zu.

Das Narrativ vom Wunsch der Spieler bröckelt jedenfalls gewaltig, wenn es nur die Wahl zwischen „schlecht“ und „noch schlechter“ gab. Eine sofortige psychologische Betreuung, der Abbruch des Spiels sowie eine Debatte am nächsten Tag darüber, wie man weiter vorgeht, wären wohl die vernünftigere Entscheidung der UEFA gewesen.

Es ist sicher für alle Beteiligten eine Ausnahmesituation gewesen, in der Fehler nachvollziehbar und verständlich sind. Aber dass die UEFA primär an ihre wirtschaftlichen Interessen denkt, zeigt sich eben in solchen Momenten, wo die Vernunft so stark in den Hintergrund rückt, dass es nur noch den Gedanken an das Aufrechterhalten der eigenen Show gibt. Eine positive Sicht der Dinge ist, dass Eriksen stabil ist und, wie es aktuell aussieht, ohne große bleibende Schäden davon kommen wird. Vielleicht regt das alles nachträglich doch noch zur Veränderung an. Eher aber steht zu befürchten, dass dieser Lernprozess nicht (ausreichend) stattfinden wird. Dabei wäre es gerade auch auf der Ebene der Amateure so wichtig, die Strukturen für eine bessere medizinische Erstversorgung zu ermöglichen. Eriksen bekam in einer Geschwindigkeit Hilfe, die auf den Amateurplätzen dieser Welt undenkbar wäre. Jährlich sterben weltweit viele Fußballer und Sportler an plötzlichem Herztod. Dieses Thema verdient, nein, es erfordert mehr Aufmerksamkeit.

Nebensache 1: David Alaba führt Österreich zum Sieg

Eine Überleitung zu den vielen sportlichen Ereignissen fällt jetzt äußerst schwer. Dass es Eriksen aber den Umständen entsprechend gut geht, macht es einfacher, den Sport ebenfalls im Blick zu behalten. Wenn auch nach wie vor hintergründig.

Der erste Bayern-Spieler, der bei der EM zum Einsatz kam, war David Alaba. Am Sonntag trat der österreichische Kapitän mit seiner Mannschaft gegen das Überraschungsteam Nordmazedonien an, die erstmals bei einer Europameisterschaft teilnehmen. Auf dem Papier eine klare Angelegenheit, aber wie wir in der Turniervorschau bereits schrieben, ist Österreich sehr behäbig unterwegs. Im ersten Spiel wusste Trainer Franco Foda aber zu überraschen. Er stellte um auf eine Dreierkette – mit Alaba als zentralem Glied.

Und Österreich begann gar nicht schlecht. Neben Alaba wusste auch Martin Hinteregger (halblinks) im Aufbauspiel zu überzeugen und Nordmazedonien bekam kaum Gelegenheiten, den Ball in gefährlichen Zonen zu erobern und so in ihr gefährliches Offensivumschaltspiel zu kommen. Alaba selbst machte eine solide Partie im ersten Durchgang. Defensiv organisierte er sichtbar seine Nebenmänner, mit dem Ball trieb er sein Team immer wieder an. Das große Problem: Im Angriffsdrittel gab es zu wenig Bewegung. Das Positionsspiel der Österreicher war zu statisch, es gab kaum Tiefenläufe und nur wenige Spieler boten sich in den Zwischenlinien an.

Alaba übernahm gegen Nordmazedonien die Kontrolle.
Foto: xRazvanxPasarica/SPORTxPICTURESx/Imago Images

Dass es letztendlich mit einem 1:1 in die Pause ging, lag auch an einem Slapstickgegentor. Alaba war zwar dabei, konnte aber nichts dafür. Hinteregger war es, der einen zu hastigen Ball spielte, der sofort zurückkam. Anschließend kam der Torwart heraus und verhinderte somit ein Eingreifen Alabas. Goran Pandev profitierte und machte den Ausgleich.

Im zweiten Durchgang schienen die Österreicher noch behäbiger zu sein als im ersten. Doch dann nahm Alaba die Partie in der Hand. Er tauschte mit Hinteregger und kurbelte das Spiel seiner Mannschaft fortan aus dem halblinken Raum an. Immer wieder stieß er mit starken Dribblings ins Mittelfeld vor und erlief damit Räume, die seine Mitspieler nicht besetzten. Plötzlich war Österreich druckvoller im Spiel. Dass es schließlich Alaba war, der die Vorlage zur 2:1-Führung gab, ist fast schon als „folgerichtig“ zu beschreiben. Seine Flanke fand den Fuß von Michael Gregoritsch.

Die berechtigte Frage, warum Alaba nicht gleich auf dieser Position begann, lässt sich vielleicht mit Blick auf die kommenden Partien beantworten. Sowohl die Ukrainer als auch die Niederländer werden offensiv mehr Drang zum Tor entwickeln. Hinteregger ist ein sehr guter Verteidiger in Ballbesitz, neigt aber dazu, taktisch weniger diszipliniert zu agieren und eher seinen eigenen Kopf durchzudrücken. Deshalb und weil Alaba klar den Ton in der Defensive angibt, dürfte sich Foda für ihn als zentrales Glied entschieden haben. Von dieser Position aus kann er seine Mitspieler besser organisieren. Gegen Nordmazedonien platzte der Knoten trotzdem erst, als Alaba seinen Drang nach vorn im linken Halbraum ausleben konnte.

Der 3:1-Schlusspunkt durch Marko Arnautović war der verdiente Schlusspunkt einer lange zähen, dann aber doch intensiveren Partie. Österreich holt damit den ersten Sieg bei einer Europameisterschaft – im dritten Anlauf. Und Alaba zeigt, dass er Führungsspielerqualitäten hat. Dennoch bleibt abzuwarten, ob diese bisweilen recht unkreative Leistung für mehr reichen kann und ob Foda von seinem pragmatischen Ansatz abweicht, um Alaba in den kommenden Partien mehr in die Offensive einzubinden.

Nebensache 2: Polen und Lewandowski enttäuschen

Für Polen und Robert Lewandowski verlief der Start ins Turnier holprig. Unter ihrem immer noch recht neuen Coach Paulo Sousa ist ihnen deutlich anzumerken, dass sie noch nicht eingespielt genug sind. Sousa hat im Vorfeld der EM viel rotiert, die Systeme häufig gewechselt. Das macht es zwar schwer, die Polen zu analysieren, aber es führt auch dazu, dass sie ihre optimale Abstimmung und die bestmöglichen Abläufe noch suchen.

Im ersten Durchgang sah es lange ordentlich aus. Polen hat den Ball aus einer recht dynamisch interpretierten 3-1-5-1-Grundordnung meist kontrolliert. Die Aufgabe der drei zentralen Spieler in der Fünferreihe war es, die beiden Spieler hinter und vor ihnen möglichst gut zu unterstützen: Spielgestalter und Taktgeber Grzegorz Krychowiak auf der Sechs und Robert Lewandowski im Angriff.

Das Positionsspiel der Polen hatte im ersten Durchgang aber zwei entscheidende Schwächen. Erstens haben sie die Zwischenräume nicht sauber genug besetzt. Teilweise liefen sie sich sogar gegenseitig die Räume zu, was dazu führte, dass die Slowakei sich ohne große Anstrengungen auf einen Bereich des Spielfelds konzentrieren konnte, um den Gegner zu verteidigen. Zweitens haben die Polen das Spiel nicht breit genug gemacht. Immer wieder ging es durchs Zentrum, wo die Räume sehr eng und nicht optimal besetzt waren. Es gab kaum Tempo im Ballbesitzspiel und noch seltener Verlagerungen. Der Gegner wurde zu wenig in Bewegung gebracht und Lewandowski hing in der Luft – meist gegen zwei oder gar drei Gegenspieler. Das Problem war aber gar nicht mal, dass der Weltfußballer kaum Ballkontakte hatte, sondern dass die Mitspieler nicht in der Lage waren, den durch die auf ihn fokussierte Defensive entstehenden Raum zu bespielen.

Robert Lewandowski hatte gegen die Slowakei einen schweren Stand.
Foto: PIOTR KUCZA/FOTOPYK / NEWSPIX.PL / Imago Images

Hinzu kam ein eklatantes Defensivverhalten. Sowohl in der Rückwärtsbewegung bei defensiven Umschaltmomenten als auch in der Tiefenverteidigung war die Positionierung individuell wie auch gruppentaktisch sehr ungünstig. Beim Gegentor durch Robert Mak schiebt die Abwehrkette nicht mit auf den Flügel und öffnet somit einen riesigen Raum, den die Slowaken einfach ausspielen können. Auch in anderen Szenen sind sie viel zu weit weg von ihren Gegenspielern gewesen. Fehlende Aggressivität, vor allem aber das fehlende Gefühl für eine gemeinsame Grundordnung sind große Probleme für eine Mannschaft, die eigentlich versucht, das Spiel über Ballbesitz zu kontrollieren.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit haben die Polen dann aber gezeigt, dass sie mehr drauf haben – zumindest mit dem Ball. Schon mit dem ersten nennenswerten Angriff gelang ihnen der Ausgleich. Erstmals haben sie es geschafft, das Spiel und die Formation des Gegners in die Breite zu ziehen und gleichzeitig das Zentrum gut zu besetzen. Von der linken Außenbahn ging der Ball in den Halbraum und durch einen starken Tiefenlauf kamen sie erstmals richtig gefährlich hinter die Kette. Querpass. Tor.

Gerade als die Polen sich einzuspielen schienen, musste Krychowiak aber den Platz verlassen. In einem unglücklichen Zweikampf trat er seinem Gegenspieler auf den Fuß und sah dafür die gelb-rote Karte. Wenig später folgte der nächste Nackenschlag für die Mannschaft von Lewandowski: Wieder verteidigten die Polen vogelwild und sahen dabei zu, wie Milan Škriniar im Strafraum eine Flanke kontrollierte und einschoss.

Die strukturellen Probleme der Polen verstärkten sich durch den Platzverweis nochmals, jetzt hatte die Slowakei häufiger den Ball. Sousa stellte auf eine 4-4-1-Grundordnung um. Gegen Ende erspielte sich seine Mannschaft sogar noch die eine oder andere Chance auf den Ausgleich, aber so richtig Zugriff bekam sie nicht mehr auf die Partie und so blieb es bei der 1:2-Niederlage.

Das Fazit nach dem Auftaktspiel ist ernüchternd für die Polen. Der Mannschaft, das wurde hier deutlich, fehlt vor allem Zeit mit ihrem Trainer. Sousa hat es bisher nicht geschafft, eine Grundstruktur zu etablieren, in der sich seine Spieler gut verstehen. Das Ballbesitzspiel ist in vielen Phasen ordentlich und kontrolliert, aber zu selten gelingt es den Polen, Überraschungsmomente zu kreieren. Die Raumbesetzung scheint einfach nicht gut abgestimmt zu sein. Es gibt kaum Verlagerungen und so auch wenig Tempo. Der Slowakei spielte das in die Karten, weil sie sich so einige Kilometer beim Verschieben sparen konnten.

Viel besorgniserregender als die Harmlosigkeit im Angriff ist aber die Defensivarbeit gewesen. Dass eine hochstehende Mannschaft bei Kontern Probleme bekommen kann, liegt in der Natur der Sache. Aber Polen bekam es nicht mal mit allen Spielern hinter dem Ball hin, vertikal und horizontal eine Kompaktheit herzustellen, die es den Slowaken erschwert, ihre technisch starken Offensivspieler ins Spiel zu bekommen. Am Ende eine verdiente Niederlage, bei der Lewandowski keinerlei Impulse geben konnte – auch wenn er alles dafür getan hat. Nichtsdestotrotz wirken die Polen wie ein interessantes Projekt, das aber gerade noch in der Planungsphase ist und strukturiert werden muss. Das Turnier, so macht es den Eindruck, kommt für sie trotz einjähriger Verschiebung nach hinten mindestens ein Jahr zu früh.

Nebensache 3: Einer für die Bayern?

Große Turniere sind für viele Fans auch der erste Kontakt mit Spielern, die man im Alltag nicht regelmäßig sieht. Einer dieser Spieler ist Denzel Dumfries. Der Niederländer konnte beim 3:2-Auftaktsieg von Oranje gegen die Ukraine auf sich aufmerksam machen – und bekleidet eine Position, die beim FC Bayern womöglich noch vakant ist. Unter Trainer Julian Nagelsmann soll Medienberichten zufolge noch ein Rechtsverteidiger kommen, der seine Stärken mehr in der Offensive hat als in der Defensive. Es scheint aktuell wahrscheinlich, dass Nagelsmann bei den Bayern eine Dreierkette etablieren könnte – mindestens für einige Situationen. Benjamin Pavard könnte wegen seiner eingeschränkten Offensivfähigkeiten nicht die optimale Lösung für die rechte Seite sein.

Da kommt Rechtsverteidiger Dumfries ins Spiel, der insbesondere für die Niederlande schon häufiger auf dieser Position und auch in der Rolle des Flügelverteidigers gespielt hat. Nach seiner guten Leistung am vergangenen Sonntag haben viele Bayern-Fans in den sozialen Netzwerken sich bereits festgelegt: Den muss man auf dem Schirm haben.

Und tatsächlich: Dumfries ist ein vor allem auf die Offensive fokussierter Außenverteidiger, der seine Stärken im Positions- und Passspiel sowie in der Physis hat. Sein Kopfballtreffer zum 3:2 ist nur eines von vielen Beispielen, in denen der 25-Jährige klug den Raum vor sich erkennt, sich klug positioniert und sich anschließend gegen seinen Gegenspieler durchsetzt. Er ist für einen Außenspieler zudem sehr kopfballstark. Besonders interessant für die Bayern dürfte sein, dass er außen konsequent den Flügelspieler unterstützt, ihm Räume erläuft oder selbst den Weg zur Grundlinie sucht. Pavard ist dafür nicht der Spielertyp, auch wenn seine absichernde Rolle unter Flick so gewollt war.

Denzel Dumfries erzielte für die Niederlande das wichtige 3:2 gegen die Ukrainer.
Foto: Imago Images

Dumfries bereitet auch für Eindhoven viele Torschüsse vor und ist fast immer an den Offensivaktionen seiner Mannschaft beteiligt. Dabei sucht er aber nur selten den Weg ins Zentrum. Er ist eher ein klassischer Außenverteidiger, der Breite gibt und seinen Vordermann hinterläuft, statt auch mal zu vorderlaufen.

Und das könnte auch ein Punkt sein, der die Bayern ins Grübeln bringt: Dumfries ist in seiner Entscheidungsfindung recht eindimensional, macht nur selten Überraschendes und ist für seine Gegenspieler zumindest auf hohem Niveau zu berechenbar. Technisch hat er zudem das eine oder andere Defizit, weil er in seinen Aktionen noch zu unsauber ist. Seine Dribblings sind stets eine Gratwanderung zwischen dynamischer Einzelleistung und ungeduldiger Kopf-durch-die-Wand-Aktion. Quantität steht bei ihm eher im Vordergrund als Qualität. Bei einem Top-Klub wie dem FC Bayern müsste er deshalb einen Sprung zu mehr Sauberkeit in seinem Spiel machen, um tatsächlich eine Option für die erste Elf zu sein. Ein weiterer nicht unwesentlicher Faktor ist der Raum, den Dumfries beispielsweise im Spiel gegen die Ukraine hatte. Nach Verlagerungen konnte er als Breitengeber mit viel Platz agieren. Beim FC Bayern müsste er oft in engeren Räumen agieren, in denen er sich in der Vergangenheit nicht immer hundertprozentig wohlfühlte.

Die größten Bedenken sollte die Scoutingabteilung des FC Bayern aber beim Defensivverhalten haben. Weil Dumfries ein sehr offensiv ausgerichteter Spieler ist, sind die Wege nach hinten oft sehr weit. Das ist so gewollt. Trotzdem hat er viel Luft nach oben, was Aggressivität, Zweikampfverhalten und Laufwege gegen den Ball anbelangt. Sowohl bei Eindhoven als auch bei der Nationalmannschaft gibt es zu viele Momente, in denen er recht einfach überspielt wird. Und gerade weil Dumfries in der Rückwärtsbewegung und im Anlaufverhalten nicht überragend ist, stellt sich die Frage, ob dann nicht auch ein klassischer Flügelstürmer als Flügelverteidiger ausreichen würde.

Mit 25 Jahren ist Dumfries nach wie vor ein sehr entwicklungsfähiger Spieler und Nagelsmann ist ein Trainer, der wahrscheinlich gut mit ihm arbeiten könnte. Andererseits machen die wenigsten Spieler in diesem Alter nochmal ganz große Sprünge und ein solcher wäre vielleicht notwendig, um es bei einem Top-Klub wie den Bayern zu packen. Gerade weil die Rechtsverteidigerposition in der Kaderplanung auf Bayern-Niveau nur sehr schwer zu besetzen ist, müssen die Münchner Kompromisse eingehen. Dumfries hat sowohl für Eindhoven als auch für die Niederlande schon mehrfach bewiesen, dass er auf einem zuverlässigen Niveau viel Dynamik in ein Spiel bringen kann.

Seine Schwächen im Zweikampfverhalten sowie die Frage danach, ob er für das höchste Level ausreichend Qualität mitbringt, lassen aber auch leichte Zweifel aufkommen. Dumfries wäre mit einer Ausstiegsklausel von rund 15 Millionen Euro für einen Preis zu haben, der vergleichsweise fair ist. Zumal er auf jeden Fall ein klares Upgrade zu Bouna Sarr wäre. Letztendlich wird aber vieles davon abhängen, ob die Bayern in der Preisklasse noch einen Spieler finden, bei dem sie weniger Risiko sehen und ob sie eher einen Backup suchen, oder ob es doch ein neuer Stammspieler sein soll. Für eine Stammposition könnte der Sprung für Dumfries zu groß werden.

Mittwoch geht es weiter mit dem zweiten Teil des EM-Blogs zum ersten Spieltag. Dann mit der Partie der Deutschen gegen Frankreich und einem Blick über den bayerischen Tellerrand hinaus. Eine Vorabanalyse der französischen „Schwächen“ findet ihr hier.

Das Wichtigste zum Schluss: Weiterhin gute Besserung, Christian Eriksen!