Das letzte Derby: FC Bayern gegen TSV 1860

Florian Trenner 28.02.2024

Der Pokal hat seine eigenen Gesetze. So geben es gerne TV-Kommentatoren zu Protokoll, wenn der Favorit kurz vor dem Ausscheiden steht. Vor 16 Jahren, am 27. Februar 2008, stand der Underdog TSV 1860 München kurz vor einer kleinen Sensation.

120 Minuten waren bereits gespielt und im Derby gegen den großen, ungeliebten Nachbarn FC Bayern stand es nach wie vor 0:0. Bis Miroslav Klose in Richtung Strafraum stürmte und von Chhunly Pagenburg von den Beinen geholt wurde.

Ein klares Foul, doch wo begann es und war es wirklich innerhalb? In Zeiten ohne VAR entschied Peter Gagelmann auf Elfmeter.

Münchner-Derby: Das wichtigste Spiel des Jahres

Als die Stadien noch voller Fußballfans und heutige Influencer in den Kindergarten gingen, blieben die Tennisbälle im Schrank und die Mobiltelefone in der Hosentasche. Man klatschte in die Hände anstatt in Pappen und besang die eigene Mannschaft lauthals. Früher war nicht alles besser aber der Stadionbesuch war es definitiv.

Allzu gerne wäre ich an diesem Februarabend in der Allianz Arena gewesen. Derby. Rot gegen Blau. Bayern gegen Sechzig. Ich kannte die Rivalität der beiden Teams natürlich von den Spielen im Fernsehen und, nachdem ich nach München gezogen bin, konnte ich auch das eine oder andere Amateure-Derby im Stadion live miterleben.

Aber ein „richtiges“ Derby fehlt mir bis heute. Ich kann mich noch gut erinnern, wie angespannt ich vor diesem Spiel war. Ein Ausscheiden gegen Sechzig, einen Zweitligisten? Undenkbar. Diese Schmach darf nicht passieren. Nicht schon wieder. Zu präsent waren noch die beiden Niederlagen in der Saison 1999/2000, als man beide Bundesliga-Spiele verlor. Meine Einstellung vor dem Derby war also so, wie es Claudio Pizarro einmal treffend formulierte: „Egal was du in der Saison machst, das Derby musst du gewinnen.“

Franck Ribéry schnappt sich den Ball und läuft zum Elfmeter an. Das Spiel hat schon einige Wendungen erlebt und Schiedsrichter Peter Gagelmann wird nun erneut eine Hauptrolle spielen: Ein Tor von Luca Toni hat er bereits zurückgepfiffen, den Italiener dann kurz vor Ende der regulären Spielzeit vom Platz gestellt. Ein elfmeterwürdiges Foul an Lúcio hat er übersehen. Und nun, nachdem Ribéry zum 1:0 trifft? Wiederholung. Zu Recht, muss man sagen. Van Buyten und Van Bommel waren beide deutlich zu früh in den Strafraum gelaufen. Meine Nerven.

Derby-Held Mehmet Scholl

Freche Sprüche, schnelle Haken, schöne Tore: Mehmet Scholl war als kleiner Junge mein absoluter Lieblingsspieler. Ein Spieler, der Spaß am Fußball hatte und das offen zur Schau stellte. Scholl, in Karlsruhe aufgewachsen, wurde während seiner 15 Jahre im rot-weißen Dress zur Münchner Legende und Fan-Liebling.

Zu diesem Status beigetragen haben sicherlich auch die Tore, die Scholl mit einer Vorliebe gegen den Lokalrivalen TSV 1860 München erzielte. In 13 Spielen gegen die Löwen erzielte Scholl 7 Treffer und bereitete 3 weitere vor, nur gegen den VfB Stuttgart traf die Nummer 7 häufiger (8 Tore in 28 Spielen, alle Zahlen transfermarkt.de).

Einen Spieler wie Mehmet Scholl wird es beim FC Bayern nicht mehr geben. Und vermutlich wird es auf lange Sicht auch kein Derby mehr gegen die Löwen geben. Für Fußball-Fans in Lissabon, Glasgow, Rom, Mailand, Turin, Athen, Sevilla, Manchester und London unvorstellbar: keine Derbys.

FC Bayern gegen TSV 1860: Langeweile? Fehlanzeige.

Und wenn es keine neuen Geschichten zu erzählen gibt, muss man sich die alten erzählen: Wie die Bayern ein 0:2 in ein 3:3 drehten. Oder wie – natürlich – Scholl die Löwen im Alleingang bei einem 5:0-Sieg mit einem Hattrick besiegte. Oder die Geschichte von Bernd Meier, der Carsten Jancker übersah und sich eines der kuriosesten Tore der Bundesliga-Geschichte fing (und in Folge dessen von Werner Lorant deswegen nie wieder aufgestellt wurde).

Und natürlich erinnere ich mich an die Streitereien am Spielfeldrand: Basler gegen Lorant, Matthäus gegen Lorant. Alle gegen alle. Rot gegen Blau. Werner Lorant übrigens, für den ich all die Jahre auf Grund seiner Funktion als Trainer der Löwen eine vermutlich unbegründete Antipathie entwickelte, wurde nach einer 1:5-Klatsche im Derby entlassen. Das passte irgendwie.

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Ribéry läuft wieder an. In einer Mischung aus Eleganz und Arroganz lupft er den Ball in die Mitte. Philipp Tschauner, für den verletzten Michael Hofmann eingewechselt, entscheidet sich für den Sprung in die linke Ecke. Grenzenloser Jubel. Das Spiel endet nach einem weiteren Platzverweis für Sechzig mit einem 1:0-Sieg. Nicht schön, aber das Ergebnis zählt.

Dass der FC Bayern ausgerechnet an seinem 108. Geburtstag sein bis dato letztes Pflichtspiel gegen die Löwen machte, muss man im Nachhinein als Geschenk betrachten. Dieses Spiel hatte all das, was die letzten Derbys hatten. Dieses Spiel bleibt in Erinnerung.

Weil es vermutlich, auf Grund der sportlichen Misere des Stadtrivalen, auf lange Sicht keine Bundesliga-Duelle mehr geben wird. Aber auch weil es eng war, weil es strittige Entscheidungen gab. Weil man darüber diskutieren kann und man etwas zum Streiten hat. Denn, und das ist auch Fußball, am schönsten ist es immer noch, wenn man nach dem Spiel gemeinsam selbiges Revue passieren lassen kann.



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