Alphonso Davies: Verkaufen oder behalten?
Ein Artikel von Niels Delliehausen. Niels hat sich bei Miasanrot beworben.
Wir schreiben den 14. August 2020. Das Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Barcelona
steht an. Es sollte nicht nur für den FC Bayern ein denkwürdiges Spiel werden. Nach diesem
Aufeinandertreffen sollte jeder die Fähigkeiten von Davies kennen und bestaunen lernen.
Der Stern von ihm ging in der Saison 2019/2020 so richtig auf und erreichte seinen vorzeitigen Höhepunkt bei dieser Partie. Nach einer fulminanten ersten Halbzeit, die schon geschichtsträchtig war, stand es 4:1 für die Bayern. Doch es kam noch besser: Nachdem Luis Suárez den 4:2-Anschlusstreffer erzielte, entfaltete sich pure Magie im Estàdio da Luz.
Davies machte bis dahin eine sehr gute Partie und hielt den grossen Messi in Schach. Wir schreiben die 62. Spielminute. Davies umläuft Messi und setzt Arturo Vidal auf die Hosenträger. Anschliessend steht Nélson Semedo bereit. Davies tanzt. Einmal. Zweimal. Lässt ihn links liegen und sprintet in Richtung Grundlinie des Strafraums. Er legt den Ball zu Kimmich in die Mitte, 5:2 für die Bayern.
Der Kommentar von Frank Buschmann hallt bis heute nach: „Und jetzt auch noch Semedo. Noch ein Tänzchen. ZACK! Auch den vernascht er noch. Phonzie Davies gegen ALLE! WAS FÜR EIN
TOR! WAS FÜR EIN TOR!“
Es war das Spiel der Spiele, in dem Alphonso Davies der gesamten Welt zeigte, dass er einer der
besten Linksverteidiger der Welt ist. Zu diesem Zeitpunkt war er 19 Jahre jung und hatte eine große
Zukunft vor sich.
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Alphonso Davies: Die aktuelle Situation beim FC Bayern
Mittlerweile spielt Davies seit über vier Jahren für den FC Bayern. Er hat alles mit dem Verein
gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Er ist Leistungsträger und Stammkraft beim FCB. In dieser Saison
hat er bereits wettbewerbsübergreifend über 2000 Spielminuten gesammelt.
Allerdings gab es in den letzten Wochen und Monaten immer häufiger Kritik an ihm: Defensiv zu nachlässig und offensiv ohne die nötige Durchschlagskraft. Dazu kommen die anhaltenden Gerüchte um einen möglichen Wechsel zu Real Madrid, die die Situation nochmals verkomplizieren.
Der Vertrag von ihm läuft bis zum Sommer 2025. Somit steht am Ende der Saison ein Wegweiser mit
zwei Abzweigungen: Verlängerung oder Verkauf? Sollte man nicht mit ihm verlängern, so muss ein
Verkauf in Erwägung gezogen werden, um einen ablösefreien Abgang 2025 zu verhindern. Aus
diesem Grund gilt es zu analysieren, welche Entscheidung für alle Beteiligten am meisten Sinn ergibt.
FC Bayern: Wie gut ist Alphonso Davies?
Grundsätzlich ist diese Frage leicht zu beantworten. In Topform gehört Alphonso Davies mit zu den gefürchtetsten Linksverteidigern der Welt. Das liegt vor allem an seiner Athletik und seiner Schnelligkeit. Ein Laufduell mit ihm ist der Albtraum eines jeden Offensivspielers. Thomas Müller selbst bezeichnete ihn als Roadrunner, was sein Tempo ganz gut verdeutlicht. In der aktuellen Situation fehlt jedoch einiges von dem Davies, der sich 2020 in die Herzen aller Fans gespielt hat.
Aber was genau fehlt denn aktuell zur Topform von Davies? Wo liegen generell die Stärken und Schwächen des Kanadiers?
Unter Hansi Flick und Julian Nagelsmann spielte er in einer Viererkette, in der meist Benjamin Pavard den rechten Verteidiger gegeben hatte. Mit dieser Ausrichtung zog Pavard oft nach innen und blieb hinten in der Kette stehen, um eine Art Dreierkette zu bilden. Das ermöglichte Davies, viel offensiver zu stehen und fast eine Art linken Flügelverteidiger zu spielen.
Wenn der Linksaußen dann oft nach innen zog, um einen Verteidiger zu binden, hatte Davies auf links viel Platz. Mit seinen Tempodribblings konnte er so immer wieder gefährliche Situationen kreieren. Defensiv nutzte er ebenfalls seinen Antritt, um bei einem Konter die Spieler ohne Probleme wieder einzuholen.
Die Schwächen von Davies
Die Schwächen von Davies liegen meist in der Konzentration. Er leistet sich zu oft unnötige Ballverluste. Eine unsaubere Ballannahme hier und ein einfacher Fehlpass da. Wenn er im Spielfeld höher steht, mag das noch zu verkraften sein. Im Spielaufbau kann dies fatale Folgen haben.
Viele haben zudem das Gefühl, dass er in den Zweikämpfen oft nicht diesen absoluten Biss hat. Da Davies unter Thomas Tuchel nicht mehr ganz so hoch wie in den früheren Spielzeiten steht, häufen sich die Situationen, in denen solche Fehler auffallen. Beim Gegentor gegen Werder Bremen fehlte zum Beispiel eben genau dieser Biss.
Mitchell Weiser rannte in den Strafraum und Davies stellte ihn, jedoch nicht ausreichend. Weiser setzte sich durch und schoss das 1:0. Auch beim 1:2 der Augsburger sah er nicht gut aus. Ein Grund für solche Aktionen kann die fehlende Konkurrenz auf der linken Abwehrseite sein.
Die vergangenen Leistungen sind aber auch dem Trainer nicht entgangen. Tuchel reagierte nämlich nach dem Spiel gegen Werder und ließ ihn gegen Union 90 Minuten auf der Bank. Seine darauffolgende Reaktion in Augsburg war trotz der Unaufmerksamkeit beim Gegentor gut – und das nicht nur wegen seines Tores.
Was sagen die Zahlen?
Um die aktuelle Situation noch etwas genauer zu beleuchten, ziehen wir einen Vergleich. Es werden die Statistiken von Davies aus der Saison 2019/2020 mit der Saison 2023/2024 verglichen. Zudem werden die Statistiken von Alejandro Grimaldo aus diesem Jahr miteinbezogen, da er im Moment als formstärkster Linksverteidiger der Liga gilt. Es werden nur die Statistiken in der Bundesliga betrachtet.
Alle Statistiken stammen dabei von FBref. Der erste Punkt der Kritik war seine defensive Nachlässigkeit. Tatsächlich wird Davies in dieser Saison etwas häufiger ausgedribbelt als 2019/20 (1,08-mal vs. 0,81-mal pro 90 Minuten). Grimaldo ist mit 0,69-mal deutlich vorn. Allerdings gibt diese Statistik keine Auskunft darüber, wo auf dem Feld er ausgedribbelt wird und wie schwerwiegend das verlorene Duell ist.
Wie gut ein Spieler in der Defensive tatsächlich ist, lässt sich anhand von frei zugänglichen Statistiken nur schwer beurteilen. Auch die Zweikampfquote ist hier kein zuverlässiges Indiz, weil sie nicht beinhaltet, wie wichtig die Zweikämpfe sind, die gewonnen oder verloren wurden. Dass Davies in dieser Saison (52,9 Prozent) eine schwächere Quote hat als 2019/20 (65,5 Prozent) muss dementsprechend nicht bedeuten, dass er damals ein besserer Zweikämpfer war – auch wenn der Verdacht naheliegt. Grimaldo kommt hier auf 61,8 Prozent.
Bei den abgefangenen Pässen ist Davies mit 1,22 pro 90 Minuten unwesentlich besser als in der Triple-Saison (1,20) und deutlich besser als Grimaldo (0,63).
Und in der Offensive?
Davies war noch nie bekannt dafür, sehr viele Scorerpunkte zu sammeln, das ist aber auch nicht seine Hauptaufgabe. Die Anzahl an erwarteten Toren und Assists pro 90 Minuten liegen in dieser Saison bei 0.13. In der Triple-Saison lag dieser Wert noch bei 0.27. Dafür ist er mit 0,27 Toren und Vorlagen pro 90 Minuten in der aktuellen Spielzeit aber gut unterwegs. 2019/20 war er jedoch leicht besser (0,33) und Grimaldo ist mit 0,79 in einer eigenen Liga.
Der Leverkusener führt mit 0,4 auch die erwarteten Torbeteiligungen pro 90 Minuten an. Das liegt auch daran, dass er in Leverkusen in einem 3-5-2-System viel höher steht als Davies bei den Bayern. Trotz diesem Rückgang hat Davies nach wie vor gute Aktionen in der Offensive. Er hat in dieser Saison 3.52 schusserzeugende Aktionen pro 90 Minuten. Somit ist er leicht besser als 2019/2020 (2.94) und Grimaldo in dieser Saison (3.44).
Auch bei den Aktionen, die zu einem Tor führen ist er besser als damals (0,61 pro 90 Minuten vs. 0,36) – Grimaldo kommt auf 0,79.
FC Bayern: Davies behalten oder verkaufen?
Alphonso Davies ist nicht mehr ganz auf dem Niveau von 2019/2020. Die Zahlen belegen diesen Eindruck. Es ist jedoch nicht alles schlecht, er spielt nach wie vor auf einem guten Niveau. Es ist vielleicht auch der spielerischen Ausrichtung von Tuchel geschuldet, dass Davies nicht mehr so spielt wie in früheren Zeiten.
Gleichwohl liegt es jedoch nicht allein daran, sondern auch an ihm. Genau hier liegt die Problematik. Die Erwartungshaltung in München ist sehr hoch. Wenn Davies sein Niveau aus der Saison 2019/2020 wieder erreichen kann, sollte seine Verlängerung außer Frage stehen. Für eine Verlängerung spricht zudem sein Alter. Er ist immer noch sehr jung und hat die Möglichkeit, über Jahre die linke Seite des FC Bayern zu prägen, sofern er das auch möchte.
Davies hat bereits alles mit dem Verein gewonnen und die Motivation könnte für ihn zum Problem werden. Falls er nach einer neuen Erfahrung suchen sollte und einen Wechsel zu Real Madrid bevorzugen würde, sollte man die Reisenden bekanntlich nicht aufhalten.
Bayern sollte sich aber um ihn bemühen und ihm ein leistungsgerechtes Angebot unterbreiten. Es gilt, ihm eine Perspektive aufzuzeigen. Falls er dieses Angebot ablehnen sollte, müsste ein Umdenken stattfinden. Dann gilt es, einen möglichst guten Preis für ihn auszuschlagen.