Adventskalender: Unsere Wunschtransfers – Türchen 14

Daniel Trenner 14.12.2020

Chronologie einer katastrophalen Fehleinschätzung

Um nachvollziehbar zu machen, wieso ich im Sommer 2006 den nichterfolgten Transfer von Pablo Aimar, dem Spielmacher des FC Valencia, mit tiefer Resignation beobachtete, möchte ich erst einen legendären Fehler des FC Bayerns chronologisieren.

  • November 2005: Der FC Bayern zieht auf der Jahreshauptversammlung unter tosendem Applaus das Vertragsangebot für den auslaufenden Vertrag Michael Ballacks zurück.
    Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind sichtlich erbost darüber, wie es ein Spieler wagen kann, den FC Bayern nicht als absolutes Non-Plus-Ultra anzusehen.
  • Januar 2006: Der Verein verpflichtet das paraguayische Talent Julio dos Santos.
    Vereinzelte Medien sprechen vom “Ballack-Nachfolger”.
  • Mai 2006: Stürmer Roque Santa Cruz vertritt den gesperrten Michael Ballack hinter den Spitzen im Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart.
    Uli Hoeneß zeigt sich begeistert: “Wir haben heute ganz anders gespielt. Wenn Michael Ballack nicht dabei ist, wird sehr viel weniger hoch gespielt, weil Michael der mit Abstand beste Kopfballspieler ist. Es wird versucht, mehr zu kombinieren und den Ball flach zu halten.” 
  • Die Gerüchteküche ist kalt. Mit Ausnahme von leisen Gerüchten um Spieler wie Herthas Baştürk, geben sich die Vereinsbosse in demonstrativem Nichtstun.
    Ganz offensichtlich wollen sie beweisen, dass Michael Ballack keine Sonderrolle im Kader hatte und ganz einfach intern ersetzt werden kann.
    Dieser unterschreibt derweil beim englischen Meister Chelsea.
  • WM 2006: Die Fußballwelt zeigt sich begeistert vom neuen, frischen, angriffslustigen Deutschland. Gleichwohl ist es nur schwer zu übersehen, dass diese neue Generation nicht die Qualität vergangener Jahrgänge hat. Philipp Lahm und Miroslav Klose zeigen zwar klare Ansätze von höchster Güte, sind jedoch international noch unerprobt.
    Der einzige, der wirklich bewiesene Weltklasse ausstrahlt, ist Michael Ballack.
  • Sommer 2006: Santa Cruz gibt sich in den Medien bereit, der neue Ballack zu sein. Gleichzeitig führt er jedoch an, als gelernter Mittelstürmer eigentlich über ein anderes Skillset zu verfügen.
  • Ende Juli: Pablo Aimar wechselt für 11 Millionen Euro zum neureichen Real Saragossa.
  • Obwohl mit Ballack und Zé Roberto zwei Mittelfeldspieler gegangen sind, stehen keine Neuzugänge im Mittelfeld im Raum. In den Medien kursiert nur der Name Ruud van Nistelrooys, und das obwohl mit Lukas Podolski bereits ein neuer Stürmer da ist.
  • Die Bundesliga fängt an, Bayern erwischt mit sieben Punkten aus den ersten drei Spielen zwar punktetechnisch einen guten Start, das Spiel aber fließt überhaupt nicht.
    Gegen Aufsteiger Bochum muss Lahm mit einem seiner seltenen Tore die Kohlen aus dem Feuer holen, daheim gegen Nürnberg schafft man nur ein torloses Unentschieden.
  • Von Santa Cruz auf der Zehn indes fehlt jede Spur. Er spielt neben Roy Makaay im Sturm, am Ende der Saison sollten der FC Bayern und der beliebte Paraguayer getrennte Wege gehen.
  • Statt einer Raute mit dem “torgefährlichsten Mittelfeldspieler Europas”, spielen die Zerstörer Demichelis und Ottl. Im Verein reift die Erkenntnis Michael Ballacks Abgang unterschätzt zu haben. Kurz vor Transferschluss verpflichten sie “aggressive Leader” Mark van Bommel.
  • Schon das erste Spiel mit van Bommel verlieren die Münchener trotz eines Tores ihres niederländischen Neuzugangs. Van Bommel ist auch im weiteren Verlauf der Saison mit Abstand bester Mittelfeldspieler Bayerns, doch der Verein rutscht immer weiter in der Tabelle ab.
  • Als am 19. Spieltag der spätere Meister VfB Stuttgart die Bayern passiert und aus den Champions-League-Rängen wirft, schmeißen die Bayern-Bosse den zweifachen Double-Trainer Magath raus, Nachfolger wird sein Vorgänger: Ottmar HItzfeld.
  • Doch auch Hitzfeld kann die Talfahrt nicht stoppen, verliert bereits das erste Spiel mit 0:3. Auch im weiteren Verlauf schafft es der Verein nie an den dritten Platz heranzukommen, zum ersten Mal seit der Saison 1994/95 verpasst der Verein die Champions League.

Brutale Konsequenzen und eine verpasste Alternative

So weit, so schlecht, aber was hat das alles mit irgendwelchen Wunschtransfers zu tun? Dass die Saison 2006/07 eine mittelschwere Katastrophe war, ist kaum etwas Neues, wieso skizziere ich also diese Spielzeit?

Um zu verdeutlichen, wie die Fehlentwicklungen dieser Saison mit Ansage kamen. Weil es schon Monate vor dem Anpfiff des neuen Fußballjahres offensichtlich war, was für eine furchtbare Idee es ist, einen so prägenden Spieler wie Michael Ballack einfach intern ersetzen zu wollen.

So erfolgreich und beliebt Mark van Bommel im Endeffekt auch ist: Er als einziger Ersatz für Ballack war für sich genommen nicht ausreichend. Die beiden mag das körperliche, der Kampfgeist, die Führungsqualitäten und der Weitschuss einen, doch unterscheiden sie sich imminent im spielerischen.

Im Gegensatz zu Uli Hoeneß’ abschätziger Analyse, war Michael Ballack nämlich sehr viel mehr als ein Kopfballspieler, er war auch ein Passspieler, ein Kreativkopf. Anders vielleicht als andere klassische Zehner der damaligen Bundesliga-Zeit wie Diego, Lincoln oder van der Vaart. Oder auch anders wie moderne Passmagneten wie Kimmich oder Modrić, war Ballack trotzdem die Kreativzentrale Bayerns, ein offensiver Allrounder, der irgendwo für alles in Bayerns Spiel zuständig war. Ihn nicht durch einen externen kreativen Mittelfeldspieler ersetzt zu haben, hat Bayern die Saison und die Teilnahme an der Champions League gekostet.

Pablo Aimar hätte ein filigraner Ballack-Ersatz sein können.
(Foto: Luis Bagu/Getty Images)

Und damit wären wir nun endlich, endlich bei Pablo César Aimar gelandet. Denn er steht symbolisch dafür, dass es nunmal auch anders ginge. Aimar ist wahrscheinlich der unbekannteste, am meisten vergessene Spieler dieses Adventskalenders.

Auch wenn er für viele kein Begriff sein dürfte, ist es eigentlich schrecklich einfach ihn plastisch zu beschreiben: Er ist ein klassischer Zehner. Das war’s, mehr braucht man eigentlich nicht, um seinen Spielstil zu umfassen. Nimmt man alle Klischees zusammen, die einem sofort beim Begriff “Zehner” in den Kopf schießen, kommt fast haargenau Pablo Aimar raus. Er ist klein, schmächtig, ungemein technisch begabt, der Mann für das kurze, zauberhafte Dribbling und den finalen, magischen Pass.

Als solcher musste er seine ganze Karriere im Schatten des fast gleichaltrigen Román Riquelme verbringen, egal ob in der heimischen Liga Argentiniens, später in Spanien, oder auch in der Nationalmannschaft. Dachte man im mittlerweile vorletzten Jahrzehnt an einen argentinischen Spielmacher, schoss einem zuerst Riquelmes Bild in den Kopf.

Und das obwohl Aimar im europäischen Vereinsfußball weit erfolgreicher war und ihm auch sonst nur marginal nachstand. In seinen fünfeinhalb Jahren erlebte Valencia seine erfolgreichste Ära im Fußball der Nachkriegszeit, in einer Zeit, als noch Mannschaften außerhalb der zwei größten Metropolen des Landes heimische Erfolge feiern konnten, holte er mit Valencia zwei Meisterschaften und den UEFA-Cup. Dazu spielte ein damals 21 Jahre junger Aimar eine Halbzeit im Mailänder Champions-League-Finale 2001. Doch dieser legendäre Abend sollte nicht im Zeichen der Fledermaus gewesen sein.

Mit dem Abschied von Erfolgstrainer Rafael Benítez im Jahr 2004 ging es für Valencia auch sportlich abwärts, zwischenzeitlich verpasste man sogar komplett den internationalen Wettbewerb. Es war also klar, dass Aimar nach seiner Teilnahme an der WM in Deutschland (wie so oft fand sich Riquelmes Schattenmann zumeist auf der Bank wieder) auf den Markt kommen würde.

Bayerns Diagnose: Fehlende Kreativität

Die Diagnose des Patienten Bayern München war nach der Saison 2006/07 klar: Demichelis, van Bommel, Ottl, Hargreaves, das war zu viel Kampf, zu wenig Kreativität. Da Bastian Schweinsteiger zu der Zeit noch auf Positionssuche war, war gefühlt der einzige Spieler mit Fähigkeiten zum tödlichen Pass Sebastian Deisler, und der schied aus bekannten Gründen in eben diesem Winter endgültig aus dem Fußball.

Im Jahr darauf sollte der Verein sein Kreativitätsmanko bereinigen, mit der Rückkehr Zé Robertos bekam van Bommel einen kreativen Kopf zur Seite gestellt. Es ist kein Zufall, dass van Bommels erfolgreichste Zeiten beim Rekordmeister eben an der Seite solcher Spielertypen war, sei es in Person des Brasilianers oder später Schweinsteigers.

Und auch wenn neben dem Rückkehrer die anderen Spieler womöglich eher nach Namen, denn nach Spielerprofil ausgesucht wurden, passen sie ins Bild der fehlenden Kreativität: Für Linksaußen kam nicht irgendein Außenstürmer, sondern der verkappte Spielmacher Franck Ribéry, selbst Miroslav Klose war mit seiner mitspielenden Art zu dieser Zeit einer der kreativsten Stürmer der Welt. Sie alle brachten wieder Spielfreude zurück an die Isar.

Spielfreude, die gar nicht erst hätte verloren gehen müssen. Mein Wunschtransfer Pablo Aimar ist das seltene Luftschloss, wo tatsächlich alles so perfekt schien, dass ich selbst jetzt, fast 15 Jahre nach der Saga, diesem Spieler ein klein wenig hinterher trauere.

Er war der perfekte Spielertyp um all die bayrischen Kämpfer zu ergänzen, speziell in einem Tandem mit van Bommel. Mit 27 hatte er sich auf hohem Niveau bereits bewiesen, befand sich jedoch immer noch im perfekten Fußballalter, ohne gleichzeitig bereits in der Nahrungskette des Transfermarkts außer Reichweite gekommen zu sein.

Ich hätte hier auch über den oben erwähnten Román Riquelme sprechen können, als großer Name in der Fußballwelt, mochte er vielleicht mehr “Bayern-like” gewirkt haben. Doch hatte er seinen Verein Villarreal gerade beinahe eigenhändig bis ins Champions-League-Finale geführt und direkt danach eine starke WM gespielt. Fragwürdig, ob er in dem Sommer überhaupt hätte wechseln wollen, noch dazu war sein Marktwert im Sommer 2006 auf einem Rekordhoch.

Überhaupt scheitern viele Wunschtransfers am Ende am finanziellen, damals beim blutjungen Agüero für 16 Millionen Euro abzuwinken, mag man aus heutiger Sicht bedauern, doch zu dem Zeitpunkt war es verständlich. Deco mochte amtierender Champions-League-Sieger gewesen sein, aber man hätte den im Jahr zuvor noch aufgestellten Transferrekord erneut um ein paar Millionen brechen müssen. Aimar allerdings war für 11 Millionen Euro auf dem Markt, das war weniger, als Bayern zwei Jahre zuvor für Innenverteidiger Lúcio zahlte.

Und doch war man nie an ihm dran. Außer Bernd Schuster gibt es niemanden, der den FC Bayern jemals mit Pablo Aimar in Verbindung setzte. So ging man sehenden Auges in das Desaster der Saison 2006/07, an dessen Ende man nur in den UEFA-Pokal einziehen konnte.

Tatsächlich glaube ich nicht, dass Aimar als eine Art Superman alles gerettet hätte. Es spricht Bände, dass absolut niemand Felix Magath jemals auch nur eine Träne nachgeweint hat, obwohl er als erster Trainer überhaupt zwei Doubles hintereinander holte. Dieses Problemfeld wäre somit auch so irgendwann aufgegangen, dazu war vielerorts im Kader die Qualität einfach ein wenig überschätzt. Doch mit Aimar hätte man die Saison wenigstens nicht schon auf dem Transfermarkt verloren gegeben, mit ihm hätte man das Ärgste vielleicht abwenden können, womöglich wäre man dem geliebt-gehassten “Cup der Verlierer” so entgangen.

Für das nächste Türchen wechseln wir ein wenig die Kategorie und wünschen uns zur Abwechslung einen Trainer! Und vielleicht reden wir bei ihm ja nicht nur im Konjunktiv?