Miasanrot-Awards Saison 2022/23: FC Bayern – Spieler der Saison

Georg Trenner 26.06.2023

Spieler dieser Bayern-Saison?

Dank Musialas Meistermacher-Tor fuhr der FC Bayern die elfte Meisterschaft in Folge ein. Trotz des versöhnlichen Abschlusses überwiegen im Bayernumfeld die negativen Eindrücke der Saison: zu enttäuschend das erneute vorzeitige Aus in der Champions League und im DFB-Pokal, zu wechselhaft die Leistungen in der Bundesliga, zu störend die vielen, vielen Nebengeräusche. 

Saison abhaken und nach vorne schauen? Schließlich läuft der Transfersommer auf Hochtouren. Nein. Dafür schrieb auch diese Saison zu viele positive Geschichten. Es war ein enges Rennen um die Auszeichnung zum Spieler der Saison. 

Da wäre Benjamin Pavard. Trotz namhafter Konkurrenz innen und außen behauptete Pavard sich im Team. Pavard, vorher von vielen eher als wertvoller Ergänzungs- und Rotationsspieler gesehen, entwickelte sich zum anerkannten Leistungsträger, der die Abwehr stabilisierte und ein wichtiges Element im Spielaufbau war. 

Oder Jamal Musiala. Mit 16 Toren und 16 Assists in allen Wettbewerben holte der 20-jährige sich die teaminterne Scorer-Krone und übersprang als einziger Bayernspieler die Marke von 30 Scorerpunkte. Eine Marke, die in den letzten drei Jahren nur Robert Lewandowski und Thomas Müller übertrafen. 2022/23 könnte als jene Saison in die Bayerngeschichte eingehen, in der Musiala die Nachfolge von Müller antrat. 

Und ja, auch Joshua Kimmich. Jener Spieler, der überall dort zum Kreis der Spieler der Saison gezählt werden muss, wo es um Leistung statt um Narrative geht. Kimmich spielt immer. Er führt die Minutenstatistik des FC Bayern mit Abstand an. Ganz nebenbei sammelte der in Summe etwas defensiver als früher agierende Kimmich 18 Scorerpunkte. Ein Wert, den man bei Sechsern oder Achtern selten findet. Bei datenbasierten Statistikseiten wie Whoscored und Sofascore landete er ganz vorne, sowohl in der Champions League als auch in der Bundesliga. 

Gewonnen aber hat keiner der drei genannten. Gewonnen hat Matthijs de Ligt, der grätschende Holländer. 

De Ligts Saison im Verlauf

Start auf der Warteliste

In den ersten fünf Pflichtspielen der Saison durfte de Ligt nur einmal von Beginn an ran. Dreimal wurde er spät eingewechselt und einmal verbrachte er die kompletten 90 Minuten auf der Ersatzbank.

Nagelsmann erklärte, den Spieler schützen zu wollen. De Ligt sei zu Beginn weder komplett spielfit gewesen und hätte überdies Zeit gebraucht, um sich an Nagelsmanns Idee und Spielstil zu gewöhnen.

Tatsächlich war dem Niederländer in seinen ersten Einsätzen in der Vorbereitung sichtbar anzumerken, dass ihm Spritzigkeit und Einbindung fehlten. Eine im Nachhinein kluge Maßnahme von Nagelsmann. 

Sprung ins Team und Katar-Enttäuschung

De Ligt ließ sich von der anfänglichen Geduldsprüfung nicht lange aufhalten und spielte sich schnell ins Team – wenngleich offen bleibt, wie der Kampf um die Innenverteidigung im Herbst ohne die schwere Verletzung von Lucas Hernández verlaufen wäre. 

Zum Ende des Halbjahres wurde er vom “Kicker” zum fünftbesten Innenverteidiger der Liga in die Kicker-Rangliste gewählt, die von seinem Nebenmann Upamecano angeführt wurde. Dieser spielte eine sehr gute Vorrunde beim FC Bayern und überzeugte auch bei der WM in Katar.

Eben jene Weltmeisterschaft wurde zum Abschluss des Jahres 2022 zum Wermutstropfen für de Ligt. Beim Eröffnungsspiel stand er noch 90 Minuten auf dem Platz, doch danach folgte lediglich eine Einwechslung in der letzten Minute. Ansonsten musste de Ligt von der Bank aus zusehen, inklusive dem Aus im Elfmeterschießen gegen den späteren Weltmeister aus Argentinien. 

Vielleicht sorgte diese Enttäuschung für einen weiteren Motivationsschub. 

Durchbruch und Dominanz in der Rückrunde

Das Jahr 2023 sollte de Ligts Jahr werden. Ob in einer Dreier- oder Viererkette, ob Upamecano, Pavard oder beide an seiner Seite, de Ligt wurde uneingeschränkter Stammspieler. 

Spätestens nach Upamecanos Patzern in der Champions League lief de Ligt ihm den Rang ab und etablierte sich nicht nur als gesetzter Innenverteidiger, sondern auch als Abwehrchef, der seine Nebenleute dirigierte. 

Seine Torliniengrätsche im Rückspiel gegen Paris Saint-Germain wurde zu einem der Schlüsselbilder der Saison. Fast noch mehr als die Grätsche selbst wurde de Ligts Jubel darüber ikonisch. Er ballte die Fäuste und schrie seine Freude heraus wie einst Oliver Kahn nach seinen Paraden. 

Zum Abschluss der Saison wählte der “Kicker” ihn auf Platz eins der Rangliste der besten Innenverteidiger und wir ihn auf Platz eins der Bayern-Spieler der Saison.

De Ligts Saison in Zahlen

Mit insgesamt 43 Einsätzen und 3.390 Minuten belegt Matthijs de Ligt Platz zwei in der Einsatzminutenstatistik. Einsatzminuten sind eine unterschätzte Kennzahl, um die Leistung von Spielern zu bewerten. Einerseits kann hier nur vorne landen, wer selten verletzt fehlt. Ein großer Vorteil etwa im Vergleich zu Lucas Hernández, der in vier Jahren beim FC Bayern im Durchschnitt auf 1.835 Minuten kam. Andererseits spiegelt sich in der Einsatzzeit immer auch die Leistung wider. Auf wen setzen Trainer möglichst oft? Wer ist kein Teil der Rotation? Es ist kein Zufall, dass beim FC Bayern in den letzten fünf Jahren die Achse Neuer-Kimmich-Müller-Lewandowski fast immer vordere Plätze in der Statistik einnahm. 

Nach der Winterpause zog de Ligt an Kimmich vorbei und spielte mehr als alle Feldspieler. Von den 25 Spielen des FC Bayern lief de Ligt 24-mal in der Startelf auf und absolvierte 22-mal die volle Spielzeit. Einzig Torhüter Yann Sommer, der keine einzige Minute verpasste, stand in der Einsatzzeit vor ihm. 

In er entscheidenden Bundesligaphase traf de Ligt gegen Stuttgart und Freiburg zweimal zum wichtigen 1:0.

Bei erweiterten Kennzahlen von “fbref” zeigt sich ein auf den ersten Blick ambivalentes Bild im Vergleich mit den weiteren Innenverteidigern des FC Bayern:

In Ballbesitz

  • De Ligt Passquote beträgt 91,1%. Damit liegt er gemeinsam mit Stanišić an der Spitze der Innenverteidiger. Upamecano (90,6%), Hernández und Pavard (beide 89%) folgen knapp dahinter. 
  • Bei der Anzahl der Pässe pro Spiel hat Upamecano die Nase vorn. Seine 89 Pässe (13 davon lange Pässe) liegen deutlich vor de Ligt (78, davon 8 lang).
  • Kein Bayernverteidiger dribbelt seltener als de Ligt (0,15 pro Spiel) und nur Hernández überbrückt mit Ball am Fuß weniger Distanz Richtung gegnerisches Tor als de Ligt (“Progressive Distance through Carries”). Upamecano schafft mit rund 182 Metern pro Spiel deutlich mehr als de Ligt mit 135 Metern.

Gegen den Ball 

  • De Ligt schafft 6,4 erfolgreiche reine Defensivaktionen pro Spiel. Dazu zählen abgefangene Bälle, erfolgreiche Tacklings, geblockte Schüsse oder Pässe und klärende Aktionen. Pavard mit 8,6 und Upamecano mit 7,2 liegen hier vor ihm.
  • Eine auffallend gute Bilanz hat er bei “Tackles won”. Anders als nur auf den Spieler selbst und dessen Tackling-Versuch gegen einen Gegenspieler stellt dieser Wert darauf ab, ob das eigene Team im Anschluss an der Tacklingversuch in Ballbesitz gelangt. Dies ist bei über 71% der Tacklings von de Ligt der Fall. Hernández folgt mit 66%, während Pavard, Upamecano und Stanišić unter 60% liegen.
  • De Ligt verbucht knapp die wenigsten Fouls (0,7 pro Spiel) und gelben Karten (0,15 pro Spiel) für sich.

Der Blick auf diese Werte zeigt: Gemessen an den Einzelstatistiken kann de Ligt sich nicht von den Konkurrenten abheben. Die Zahlen zeigen de Ligt als zurückhaltenden, abgeklärten Spieler, der relativ wenig Risiko geht. Für einen Innenverteidiger sind das gute Eigenschaften. De Ligt hat keine klaren Schwächen. Nicht-gemacht Patzer und seine Rolle als Abwehrchef sind statistisch schwer zu fassen.

Gleichzeitig deuten die Werte auch Entwicklungspotential für ihn an: de Ligt kann sich in Zukunft noch aktiver einschalten. Mehr Mut für Pässe, Dribblings und Läufe mit Ball – auch wenn aus ihm wahrscheinlich kein Lucio wird. Auch seine Torgefahr, insbesondere bei Standards, hat er mit drei Toren, von denen nur eins direkt aus einer Ecke erfolgte, noch zu selten eingebracht. 

De Ligt Zukunft als Baustein des neuen FC Bayern

Am 12. August 2023, wenn der FC Bayern im Supercup gegen Leipzig die neue Saison startet, feiert Matthijs de Ligt seinen 24. Geburtstag. 

Er blickt bereits jetzt auf viel Erfahrung und Meistertitel in drei Ligen zurück. Seine Spielweise wirkt erwachsen. Vor ihm liegen weitere zehn Jahre als kompletter Innenverteidiger und Leader. Die Ablöse von rund 70 Millionen Euro in de Ligt scheint gut investiert zu sein. Der FC Bayern kann sich auf die gemeinsame Zukunft mit de Ligt freuen. 



♥ Artikel teilen

Jetzt teilen!

Jetzt teilen!