Vorschau: FC Bayern München – 1. FC Union Berlin

Justin Trenner 10.04.2021

Viel Zeit ist nicht mehr bis Anpfiff. Deshalb gibt es heute eine nicht ganz so detaillierte Vorschau auf den Gegner wie sonst. Doch was erwartet den FC Bayern heute?

Union zählt zu den laufstärksten Mannschaften der Liga. An sich ist das eine Aussage, die wenig zu bedeuten hat. Mannschaften, die viel laufen, tendieren gern auch mal dazu, viel falsch zu laufen. Mannschaften wie Union oder Freiburg sind aber nicht nur laufstark, sondern gruppentaktisch sehr clever. Sie laufen nicht nur richtig viel, sondern auch viel richtig.

Das macht es Gegnern so schwer, Union zu bespielen. Erst 33 Gegentore haben die Köpenicker hinnehmen müssen – viertbester Wert nach Leverkusen (32), Leipzig und Wolfsburg (je 22). Vor allem aber kein Zufall, wie die Statistiken belegen. 29,0 expected Goals against – also die anhand der Qualität der zugelassenen Chancen errechnete Anzahl an wahrscheinlichen Gegentoren – sind sogar Platz 2 hinter Leipzig (22,5). Pro Partie lässt Union auch nur zehn Abschlüsse des Gegners zu, was der drittbeste Wert in der Bundesliga ist.

Offensiv sind die Unioner durchschnittlich unterwegs. Aber 41 erzielte Tore (Platz 9) und 38,2 expected Goals (ebenfalls Platz 9) sind ausreichend, um die eigenen Saisonziele locker zu übertreffen. Allein der Abgleich mit den Statistiken zeigt, dass Union nicht zufällig auf dem siebten Tabellenplatz steht. Die Zusammenarbeit aus Trainerteam und Kaderplaner funktioniert auf ihrem Niveau überdurchschnittlich gut. Urs Fischer hat seine Spielidee implementiert und erfolgreich umgesetzt – auch weil er dafür den passenden Kader an die Hand bekam.

Union Berlin: Keinesfalls eindimensional

Union hat sich in den letzten Jahren clever verstärkt und zeigt der Liga damit, wie es möglich ist, die eigenen Erwartungen mal eben vermeintlich locker zu übertreffen. Vermeintlich, weil das Wort „locker“ selbstverständlich nicht den Eindruck erwecken soll, dass Union mal eben so durchspaziert. Wie viel harte Arbeit dahinter steckt, zeigt sich vor allem in den Momenten, in denen nicht alles optimal zusammenläuft. Beispielsweise beim 1:1 gegen Stadtrivale Hertha BSC letzte Woche oder beim 1:1 gegen Hoffenheim vor einigen Wochen.

Meist setzt Fischer auf eine Fünferkette, aber festgelegt ist er darauf nicht. Beispielsweise ließ er im Hinspiel gegen die Bayern eine Viererkette auflaufen. In den letzten 14 Pflichtspielen startete er aber 13-mal mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette – nur gegen Bielefeld nicht. Wie Hansi Flick auf der Pressekonferenz mit einem leichten Lächeln im Gesicht bereits richtig feststellte: Union wird sich keinesfalls nur hinten reinstellen.

Ja, die Mannschaft ist gut darin, die Ketten kompakt aufzustellen und den Gegner vom eigenen Tor fern zu halten. Ja, dafür stehen sie gelegentlich auch mal tief. Aber oft genug schieben sie clever heraus, setzen den Gegner im Mittelfeld, teilweise sogar im Spielaufbau stark unter Druck. Im Schnitt spielen die Bayern in der Bundesliga 57,3 lange Bälle pro 90 Minuten. Union erzwang ganze 68. Auch die Passquote von 85 % war zwar okay, aber nicht optimal. In vielen Spielphasen schafften die Köpenicker es, Bayerns Spielfluss mit aggressivem, gleichzeitig aber gut organisiertem Pressing zu zerstören.

Selbiges ist auch im Rückspiel zu erwarten. Union wird aus der kompakten Formation heraus immer wieder attackieren und insbesondere bei Pässen auf die Außenverteidiger, auf die zentralen Mittelfeldspieler oder bei technisch unsauberen Aktionen der Münchner darauf lauern, Bälle erobern zu können. Zumal Fischer darum weiß, dass die Bayern auf dem Zahnfleisch gehen, wahrscheinlich sogar rotieren müssen. Dazu aber an späterer Stelle mehr.

Union am Ball

Denn auch mit dem Ball ist Union keinesfalls eindimensional unterwegs. In ihrer Debütsaison setzten sie noch vermehrt auf lange Bälle, die dann abgelegt oder direkt über Gegenpressingaktionen zurückerobert werden sollten. In dieser Saison trägt vor allem Max Kruse viel zu einer anderen Spielkultur bei. Aber nicht nur. Denn auch als er verletzt war, wusste Union mitunter durchaus ansehnlichen Fußball zu spielen.

Vor allem das Freilaufverhalten im Mittelfeld ist sehr gut aufeinander abgestimmt. Union baut meist mit einer breit gefächerten Dreierkette auf, was es den Außenverteidigern ermöglicht nach vorn zu schieben und Breite zu geben. Zwar sind die Spieler im zentralen Mittelfeld viel unterwegs, um den Gegner aus seinen Positionen zu ziehen, doch meist sind es eben jene Außenverteidiger, auf die dann eröffnet wird.

Von dort suchen sie dann diagonal Wege in den Zwischenlinienraum. Entweder durch kurze Dribblings oder Kombinationsspiel. Viele der Bewegungen im Mittelfeld sind also nicht darauf ausgelegt, sich selbst im Zentrum als erste Aufbaustation anzubieten, sondern den Gegner zu locken und vertikal auseinanderzuziehen sowie sich selbst in Position für Anschlussaktionen zu bringen. Die Dreiecksbildung am Flügel erfolgt selten ohne Kruse, der die Fäden insbesondere im Angriffsdrittel zieht.

Über wenige Kontakte geht es dann aus dem Halbraum oder Zentrum entweder direkt in die Tiefe, oder nochmal zurück auf die Außen, wo insbesondere Trimmel ein sehr guter Flankengeber ist. Für Fischer wird auch gegen die Bayern abermals Teil des Matchplans sein, sich den Raum auf den Flügeln hinter den Außenverteidigern der Bayern zu Nutze zu machen und notfalls Standards zu ziehen. Im Hinspiel waren diese ein zentrales Mittel zum 1:1.

Wer soll bei den Bayern eigentlich noch spielen?

Bayern selbst wiederum hat nur begrenzte Gegenmittel. Flick kann natürlich seine aktuell bestmögliche Elf auf den Rasen schicken, würde damit aber großes Risiko fürs Rückspiel in Paris gehen. Joshua Kimmich braucht zwingend eine Pause und auch die offensiven Flügelspieler wirken nicht mehr frisch genug. Die Ausfallliste ist aber lang: Alphonso Davies (Rotsperre), Douglas Costa (immer noch im Lauftraining nach Haarriss im Mittelfuß), Serge Gnabry (COVID-19), Leon Goretzka (muskuläre Probleme), Lucas Hernández (Rippenprellung), Robert Lewandowski (Bänderverletzung im Knie), Marc Roca (angeschlagen), Niklas Süle (muskuläre Probleme) und Corentin Tolisso (Sehnenriss) fehlen. Puh. Erstmal durchatmen.

Zur Verfügung stehen: Manuel Neuer, Bouna Sarr, Benjamin Pavard, Jérôme Boateng, David Alaba, Javi Martínez, Tiago Dantas, Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Thomas Müller, Eric Maxim Choupo-Moting, Kingsley Coman und Leroy Sané. Von den Amateuren sind mit dabei: Josip Stanisic, Dimitri Oberlin, Christopher Scott und Remy Vita. Fraglich ist, wie fit Tanguy Nianzou schon ist.

Unter der Prämisse, möglichst viel Kraft für Paris zu sparen, könnte Flick folgende Elf auf den Rasen schicken:

Neuer – Sarr, Pavard, Nianzou (wenn fit), Vita – Martínez, Tiago Dantas – Musiala, Müller, Scott – Choupo-Moting

Das käme aber einem Abschenken der heutigen Partie gleich und ist somit unwahrscheinlich. Wenn Flick seine bestmögliche Elf auf den Rasen schicken möchte, sieht diese wohl so aus:

Neuer – Pavard, Boateng, Nianzou (wenn fit), Alaba – Martínez, Kimmich – Musiala, Müller, Coman (oder Sané)- Choupo-Moting

Ein Kompromiss aus beiden Extremen könnte sein:

Neuer – Pavard, Boateng, Alaba, Sarr – Martínez, Musiala – Coman (oder Sané), Müller, Scott – Choupo-Moting

Fakt ist, dass jede Aufstellung ihre Tücken hat. Sei es aus Sicht der Belastungssteuerung oder aus Sicht der Leistungsfähigkeit. Gerade bei Kimmich würde man heute mit einem Einsatz großes Risiko für einen Ausfall gegen Paris gehen, was ein Ausscheiden wahrscheinlich machen würde. Flick aber hat von der Bank so gut wie keine ernsthafte Option.

Einen Vorwurf sollte er dafür nicht allein in Richtung Kaderplanung adressieren. Wie er die Spielzeit mitunter verteilt hat, war sicher auch nicht optimal. Und jetzt zahlt er womöglich dafür die Rechnung, dass er einigen Spielern nicht mehr Vertrauen geschenkt halt, als diese gerade begannen, erste Schritte in die richtige Richtung zu machen. Der große Profiteur könnte heute Union Berlin sein. Mal sehen, ob Fischer der Zahnarzt ist, der den Bayern am heutigen Nachmittag die letzten paar Zähne ziehen kann, die noch verhindern, dass die Mannschaft komplett auf dem Zahnfleisch geht.

Update: Die tatsächliche Aufstellung lautet:

Neuer – Kimmich, Boateng, Stanisic, Sarr – Martínez, Dantas, Musiala – Coman, Choupo-Moting, Müller

Gut möglich, dass Flick auch auf eine Dreierkette setzt. Stanisic kann auch Außenverteidiger spielen, dann rückt Kimmich ins Mittelfeld. Seltsam nur, dass Flick trotz starker Rotation tatsächlich großes Risiko bei Kimmich eingeht.



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