Die innere Zerrissenheit eines Top-Klubs
Wenn jemand wie Leroy Sané zum FC Bayern wechseln soll, dann ist das in der Regel ein Zeichen der Stärke. Doch schon als die Meldung vor einer Woche die Runde machte, dass der Deal so gut wie perfekt sei, war eher ein Aufatmen zu spüren als große Jubelstürme. Das liegt maßgeblich daran, dass der Klub sich längst nicht nur nach außen zerrissen und uneinheitlich präsentiert. Viele Fans waren und sind genervt rund um die öffentliche Debatte um Sané. Oder genauer: Von ihrem Klub.
Verschiedenen Quellen zu Folge kracht es auch intern seit Monaten gewaltig. Von „tiefenentspannt“, wie Karl-Heinz Rummenigge seine Gemütslage neulich noch bezeichnete, kann schon lange keine Rede mehr sein. In diesem Sommer spitzt sich alles zu, was in den letzten Jahren losgetreten wurde.
Einen exakten Beginn dieser Entwicklungen auszumachen, fällt schwer. Doch schon die Suche eines Nachfolgers für Matthias Sammer lieferte erste Indizien dafür, dass da etwas in sich zusammenfallen könnte. Kandidaten wie Oliver Kahn, Max Eberl oder auch Philipp Lahm machten in schneller Folge die Runde. Sie alle sagten den Münchnern ab. Berichtet wurde damals von unterschiedlichen Beweggründen.
Lieber wenig Widerstand als Übergang
Besonders spannend ist dabei der Aspekt der Machtverteilung. Gerade Lahm trat mit klaren Visionen und Vorstellungen an den Klub heran und soll seine Pläne offen dargelegt haben. Doch Hoeneß und Rummenigge waren zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht bereit, (größere) Teile ihrer Machtpositionen abzugeben. Vorgeschoben wurden die vermeintlichen Bedenken, dass Lahm zu unerfahren sei.
Ein Jahr blieb eine Position daraufhin unbesetzt, deren Stellenwert man in München gar nicht hoch genug schätzen konnte. Dann wurde Hasan Salihamidžić eingestellt. Eine – gelinde gesagt – seltsame Wahl. Denn mit ihm kam ein Mann ohne nennenswerte Erfahrung und Qualifikationen – selbst im Vergleich zu Lahm. Dafür aber jemand, der leichter zu lenken ist.
Unvoreingenommen könnte den Bayern hier aber noch positiv unterstellt werden, dass man etwas in ihm sah, was der Öffentlichkeit verborgen blieb. Aus heutiger Perspektive darf dieser Gedanke jedoch angezweifelt werden. Es dauerte nicht lange, bis erste Stimmen aus dem Umfeld suggerierten, dass Salihamidžić lediglich als Vermittler zwischen Hoeneß und Rummenigge eingesetzt werden sollte.
Streitereien der Bosse
Anzeichen machten sich breit, dass die beiden Alphatiere sich endgültig auseinandergelebt hatten. Nicht zuletzt in Trainerfragen soll es langwierige Streitereien und Diskussionen gegeben haben. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis das angespannte Verhältnis der beiden ein öffentliches Thema wurde.
Spätestens im April 2019 dürfte jedem klar geworden sein, dass es inzwischen nicht mehr ganz so fruchtete in der Zusammenarbeit. Der Streitpunkt: Niko Kovač. Während Rummenigge den Trainer mächtig unter Druck setzte, bemühte sich Hoeneß darum, seinen Trainer in Schutz zu nehmen.
Doch schon die Einstellung Kovačs hatte gezeigt, was beim FC Bayern alles falsch läuft. Zeitpunkt und Kommunikation des Wechsels waren denkbar schlecht. Zunächst wurde, so berichteten unabhängig voneinander mehrere gut informierte Quellen, mit Thomas Tuchel verhandelt, der dem Rekordmeister dann aber persönlich absagte. Die Gründe dafür sind unbekannt, aber Bayern war darum bemüht, die Geschichte so zu verkaufen, dass man sich selbst gegen Tuchel entschieden habe. Das gelang eher semi-gut.
Auch Kovač war keine A-Lösung
Soweit, so okay. Doch statt nun die Initiative zu ergreifen und sich intensiver mit anderen Trainerkandidaten zu beschäftigen, verrannte sich Hoeneß immer mehr in der Wunschvorstellung, dass Jupp Heynckes noch ein Jahr bleiben würde.
Es ist kaum vorstellbar, in was für einer Parallelwelt Hoeneß damals gelebt haben muss, dass er sich trotz der klaren Absagen seines Freundes an diese Variante klammerte. Da half auch Rummenigges Drängen auf Alternativlösungen nicht. Und natürlich kamen all diese Prozesse an die Öffentlichkeit. Nicht nur deshalb, weil Leute aus dem direkten Umfeld Informationen weitergaben, sondern weil Hoeneß munter drauflosredete, sobald er gefragt wurde und Rummenigge ihm stets widersprach.
Das Resultat dieser Geschichte: Kovač konnte schon ab der Vorstellung nicht als A-Lösung verkauft werden. Er war von Beginn an geschwächt und in der Defensivhaltung. Sobald die erste Krise im Herbst kam, wurde deutlich, dass das auch den Spielern bewusst war. Erst als die Bosse im späten Herbst reagierten, wie Rummenigge in besagtem April darlegte, wurde es etwas besser. Gut vorstellbar, dass die beiden auch gegenüber der Mannschaft eine Ansage machten. Doch das ist Spekulation.
Der FCB-Transfersommer ist kommunikativ eine Farce
Keine Spekulation ist hingegen, dass der Klub seit 2017 nur noch reagiert statt zu agieren. Es ist eine Art Vereinsphilosophie geworden, von einer Notlösung zur nächsten zu springen. Salihamidžić und Kovač sind die prominentesten Beispiele für diese Diagnose. Gerade beim Thema Transfers wurde zuletzt mehr als deutlich, dass eine Strategie fehlt. Zu reaktiv waren die Entscheidungen, zu unterschiedlich die Alternativen. Zu wenig durchgeplant wirkte das Vorgehen bei Absagen der A-Kandidaten. Ein Beispiel: Ivan Perišić war Medienberichten nach bereits vor einem Monat Thema in München. Damals intern als nicht gut genug befunden, scheint er nun der gesuchte Notnagel zu sein.
Dass ein Klub wie der FC Bayern für einen Leroy Sané alles stehen und liegen lässt, ist völlig normal. Doch die Öffentlichkeit so sehr am Geschehen teilhaben zu lassen und Manchester City dabei gleichermaßen zu stärken und zu verärgern, dürfte ein Novum in der Geschichte des FC Bayern sein. Man selbst hat dafür gesorgt, dass der Verhandlungspartner einen komplett in der Hand hat und die Alternativen währenddessen zunehmend ausgingen.
Aus einer Position der Schwäche heraus blieb den Bayern hierbei erneut nur das Mittel der Reaktion. Genauso wie sie nach einem möglichen Scheitern des Transfers auch jetzt nur reagieren können. Wer ist überhaupt noch verfügbar? Und wer kann den Kader ähnlich verstärken wie Sané? Gerade kommunikativ ist dieser FCB-Transfersommer eine Farce. Der Klub hat sich selbst enorm unter Druck gesetzt, indem er nicht nur die Gerüchte um Leroy Sané öffentlich befeuerte, sondern darüber hinaus auch noch locker darüber plauderte, dass noch einige Spieler kommen würden.
Eine folgenreiche Fehlbesetzung
Statt den aktuellen Kader besser zu verkaufen, als er im Moment dargestellt wird, schwächte man sich auch in dieser Hinsicht. Scheitert der Sané-Transfer, ist es nicht mehr möglich, andere Lösungen glaubhaft zu verkaufen. Es ist dasselbe hausgemachte Problem, das man rund um die Verpflichtung von Kovač hatte. Die Bayern stellen sich ihre Stolpersteine selbst, was die Situation nochmal dramatischer macht.
Und das ist nicht mal die Schuld eines Sportdirektors, der diese Schwäche nach außen hin wie kein anderer verkörpert. Salihamidžić ist eine Fehlbesetzung. Das kann man nach zwei Jahren nicht anders sagen. Seit er 2019 mehr Verantwortung von den Bossen zugeschoben bekam, hat er sich von einem Fettnäpfchen ins nächste bewegt.
Sein Versuch, sich über den Transfer von Hudson-Odoi zu profilieren, scheiterte. Rhetorisch und inhaltlich ist Salihamidžić nicht in der Lage, den Klub den Ansprüchen entsprechend zu repräsentieren. Schon vor wenigen Journalisten und bei unbedeutenden Themen kommt der Sportdirektor ins verbale Straucheln – was keinesfalls an einer vermeintlichen Sprachbarriere liegt. Wie soll so jemand bei wichtigen Verhandlungen jemals eine gute Position einnehmen?
Es droht ein schmerzhafter Absturz
Die führen aber sowieso die Bosse, die die Verantwortung für diese Fehlbesetzung tragen. Statt einen Übergang in eine neue Zeitrechnung mitzugestalten, klammern sich Hoeneß und Rummenigge noch stärker an ihre Macht als jemals zuvor. Salihamidžić macht dabei gute Miene zu bösem Spiel. Mehr – und das muss man leider so sagen – als ein Spielball der Alphatiere ist er nicht. Er ist das Bauernopfer, das in der Öffentlichkeit oft genug als Zielscheibe der Kritik dient, die durch den mittlerweile wachsenden Druck der Bosse sogar noch schärfer wird. Hohn und Spott begleiten ihn dafür, dass er in Aufgaben scheitert, für die er schlicht nicht gemacht ist. Ist das der neue Bayern-Weg? Einen unerfahrenen Sportdirektor vor den Augen aller vor sich herschieben?
Und jetzt, nachdem mindestens zwei Jahre durch Fehlbesetzungen und Streitereien verschenkt worden sind, soll endlich ein Übergang geschehen, der nicht nur die Mannschaft betrifft. Doch es macht die Sache sicherlich nicht einfacher, wenn die zwei Granden ihre eigenen Eitelkeiten und Befindlichkeiten über die Interessen des Klubs stellen. Reibung mag gut sein. Aber das Verhältnis der beiden dürfte längst über den Status der Reibung hinaus sein.
Rummenigge und Hoeneß, sofern sich an der Situation nichts ändert, sind dabei, den Klub zu spalten. Der vermeintliche Rückzug des Präsidenten ist dementsprechend keine Konsequenz daraus, dass ein Übergang ansteht. Er ist ein klares Zeichen dafür, dass ihn die innere Zerrissenheit seiner Bayern-Familie bewegt. Hoeneß ist es nicht gewohnt, intern derart angegriffen und hintergangen zu werden, wie es zuletzt der Fall gewesen sein soll. Auch die Veröffentlichung seiner Rücktrittgedanken soll nicht von ihm initiiert worden sein.
Vor allem aber lähmt die innere Spaltung den gesamten Klub. Die beschriebenen Probleme in Außendarstellung und Management zeigen, wie gefährlich die aktuelle Situation für den Rekordmeister ist. Es geht nicht darum, zwei oder drei Superstars zu verpflichten und dann läuft der Laden von allein. Es geht darum, den FC Bayern in den nächsten Jahren neu aufzustellen. Dazu bedarf es einer grundlegenden Erneuerung von oben nach unten. Im Idealfall übernehmen Hoeneß und Rummenigge diese Aufgabe endlich gemeinsam und einheitlich. Andernfalls droht ein Absturz, der aufgrund der enormen Fallhöhe, die Hoeneß und Rummenigge sich beim FC Bayern aufgebaut haben, richtig schmerzhaft wäre. Für den Klub noch viel schmerzhafter als für sie.