Taktik-Blog #001 – Die Rolle der Formation

Justin Trenner 05.08.2019

433. Das ist nicht etwa die Anzahl an Kommentaren, die nach einer Bayern-Niederlage in Dortmund den Weg in unseren Blog finden. Es ist eine Zahlenkombination, die derzeit rund um den FC Bayern sehr intensiv diskutiert wird.

Niko Kovač und sein Trainerteam veränderten die Grundformation zu Beginn dieser Saison vom fast schon klassischen 4-2-3-1 zum 4-3-3. Nachdem der Cheftrainer schon zu Beginn der vergangenen Saison auf diese Ausrichtung setzte, probiert er es jetzt zum zweiten Mal.

In seinem ersten Jahr gab es einen Wechsel zurück zur 4-2-3-1-Formation, weil der interne Druck einerseits immer größer wurde, und andererseits dadurch etwas mehr Stabilität vor der Abwehr entstehen sollte. Oftmals ist von einer taktischen Veränderung die Rede, wenn Trainer die Zahlenkombination ändern. Doch damit einher gehen viele Vorurteile.

„Das hat noch nie funktioniert“

Erst kürzlich, nach der 0:2-Niederlage im Supercup, wurde das 4-3-3 mal wieder seziert und auseinandergenommen. Besonders spannend ist dabei die Argumentation, dass diese Grundordnung taktisch gar keinen Raum für bestimmte Rollen bieten würde, obwohl diese hinsichtlich des aktuellen Kaders zwingend notwendig wären.

So müsse Müller auf seine Position hinter den Spitzen verzichten, während Thiago auf der Sechs auf sich allein gestellt sei. Schon unter Carlo Ancelotti habe man damals bereits das 4-3-3 scheitern sehen. „Das hat noch nie funktioniert“, heißt es heute schnell.

Es ist ein Vorurteil wie dieses, das die Überbewertung von den Zahlenkombinationen repräsentiert, die wir als Formationen bezeichnen. Fakt ist, dass sie uns eine Orientierung bieten. Doch darüber hinaus sind sie weniger bedeutend. Ex-Bayerntrainer Pep Guardiola sprach nicht ohne Grund etwas abwertend von „Telefonnummern“, als er darauf angesprochen wurde.

Achter? Zehner? Des interessiert mi ois ned!

Ein 4-3-3 ist nicht immer gleich ein 4-3-3. Unter Ancelotti wurde die vermeintlich selbe Grundformation anders interpretiert als unter Kovač im vergangenen Jahr. Und – Überraschung! – in diesem Jahr wird das 4-3-3 unter Kovač bisher anders interpretiert als unter … ja, unter Kovač im vergangenen Jahr.

Im Fußball geht es darum, Räume zu verteidigen und Räume zu bespielen. Es gibt Rollen für ganze Mannschaftsteile, es gibt Rollen für Einzelspieler und es gibt Abläufe, die in gewissen Spielsituationen Anwendung finden. Richtig ist dennoch, dass bestimmte Formationen Vor- und Nachteile mit sich bringen.

Warum sollte es in einem 4-3-3 aber nicht möglich sein, die Räume zu bespielen oder zu verteidigen, die auf dem Papier nicht abgedeckt werden? Wenn ein Thomas Müller beispielsweise auf der Achter-Position der 4-3-3-Formation verzeichnet wird, dann wird man ihn sehr wahrscheinlich in denselben Räumen finden wie in einem 4-2-3-1 – außer der Trainer möchte das explizit nicht. Sonst wird Müller wahrscheinlich sagen: „Achter? Zehner? Des interessiert mi ois ned!“

Eine Änderung auf dem Papier reicht nicht

Wenn also die Achter wie im Supercup situativ zu hoch stehen, dann sollte die Reaktion nicht das reflexartige Ablehnen eines Konstrukts sein, das man sowieso kaum greifen kann – wann stehen die Spieler schon mal strikt in einer 4-3-3-Grundordnung auf dem Platz, wenn nicht gerade Anstoß ist? Die Reaktion sollte vielmehr die Frage danach stellen, wie man die Räume aus der Grundordnung heraus passend besetzt.

Welche taktischen Möglichkeiten gibt es also, den Sechser zu unterstützen? Welche Situation des Spiels erfordert welche Bewegung der Spieler? Wie können die anderen beiden Mittelfeldspieler die offensive Ausrichtung eines Müllers zum Beispiel ausbalancieren, ohne zu passiv zu agieren?

Das sind Fragen, die den Diskurs über eine taktische Ausrichtung bestimmen sollten. Allein die Veränderung eines 4-3-3 zu einem 4-2-3-1 ändert nichts, solange sie nur auf dem Papier stattfindet. Es geht darum, Spieler in die passenden Rollen zu bringen. Und was in einem Spiel passend ist, kann im nächsten Spiel, ja sogar in der nächsten Spielphase schon wieder nicht mehr passen. Dafür ändern sich die äußeren Faktoren (Gegner, Spielgeschichte, Bedingungen, Atmosphäre …) zu schnell.

Taktik ist mehr als Telefonnummern

Es ist eben kompliziert mit dem, was man Taktik nennt. Doch wird viel verkürzt und vereinfacht, wenn nur die Zahlenkombination für ein Resultat herhalten muss. Allein die Vorbereitung des FC Bayern zeigte, dass das 4-3-3 einige positive Aspekte mitbringen kann.

Nur sollten aus den Schwachstellen, die sich nicht zuletzt im Supercup offenbarten, die richtigen Schlüsse gezogen werden. Vielleicht gibt es dann ja nach dem nächsten Auswärtsspiel in Dortmund wirklich 433 Kommentare – allesamt darüber, wie hervorragend Thomas Müller den Zehner-Raum von der Acht aus besetzt hat.

Oder darüber, wie gut der andere Achter das Spiel ausbalancieren und den Sechser unterstützen konnte. Denn eine Debatte über Telefonnummern ist selten zielführend. Oder, um beim gängigen Ton zu bleiben: Das hat noch nie funktioniert!

Merkzettel

  • Formationen dienen der Orientierung, sind darüber hinaus aber weniger bedeutend: Ein 4-3-3 kann beispielsweise unterschiedlich interpretiert werden.
  • Wichtiger ist das Denken in Räumen und Spielerrollen.
  • Die „richtigen“ Räume und Spielerrollen ändern sich manchmal von Spiel zu Spiel oder sogar von Spielsituation zu Spielsituation.


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