Einzelkritik: Schrankwand Süle und ein Alaba von 2012

Felix Trenner 01.05.2018

Sven Ulreich

Die tragische Figur des Abends. Sven Ulreich hatte in der Champions-League-Saison bislang fast alles richtig gemacht – und scheiterte dann daran, dass er sich in der 46. Minute verhaspelte und einen Rückpass weder klärte, noch sicherheitshalber aufnahm und den indirekten Freistoß akzeptierte. Wirkte jedoch von Anfang an leicht verunsichert und hatte mehrmals Probleme mit Rückpässen. Schaffte es jedoch nach dem großen Fehler zu Beginn der zweiten Halbzeit, danach weiterhin Ruhe auszustrahlen – das hat eine Menge Anerkennung verdient.

Joshua Kimmich

Beim Blick zurück fällt auf: Wann immer der FC Bayern gegen Real Madrid gut spielte, lag das vor allem an Philipp Lahm. Der Bayern-Kapitän kontrollierte die Real-Offensive wie kaum ein anderer. Beim Blick nach vorne fällt auf: In dieser Hinsicht muss sich der FC Bayern wenig Sorgen machen. Kimmich machte ein großartiges Spiel, in dem er sich zum zweimaligen Halbfinal-Torschützen krönte. Seine Aktionen an der gesamten rechten Außenlinie entlang waren allesamt hervorragend – bis auf den einen Zweikampf gegen Marcelo, der zum 1:1 führte. Somit ein (nur) fast perfekter Auftritt.

Niklas Süle

Sergio Ramos wurde bereits häufiger mit einer Schrankwand verglichen, diesmal jedoch war er nur der zweitgrößte Einbaukasten im Bernabéu. Niklas Süle spielte derart abgezockt und cool, dass selbst Jerome Boateng in Vergessenheit geriet. Doch nicht nur das: Auch offensiv schaltete er sich mehrmals ein und flankte wunderbar auf James, der zum 2:2 verwertete. Süle ist eine Bereicherung für den FC Bayern und zählt zu der Gruppe an Spielern, die aus dieser Niederlage die Motivation und Erfahrung für viele große Partien in den nächsten Jahren ziehen werden.

Mats Hummels

Velbst Mats Hummels wirkte in der ersten halben Stunde beeindruckt von der Leistung seines Nebenmannes in der Innenverteidigung – und vergaß so, dass er der Weltmeister ist und nicht das Abwehrtalent. Wirkte in der ersten Halbzeit in einer starken Bayern-Mannschaft etwas fahrig und fand nur schwer in die Partie. Insbesondere die immer wieder auf ihn zurollenden Konter der Madrilenen machten ihm und seiner Spielweise zu schaffen. Die Bayern mit mehr Ballkontrolle in der zweiten Halbzeit standen ihm definitiv besser. In der Nachspielzeit hatte er den Siegtreffer am Fuß, legte jedoch quer, anstatt selber zu schießen – „das wurmt mich“, war der passende Kommentar dazu nach dem Spiel. Solide Leistung des Innenverteidigers, der weiterhin auf die Chance warten muss, den großen Vereinstitel zu gewinnen.

David Alaba

Der Österreicher machte sein 300. Spiel für den FC Bayern und lieferte eine ähnliche Vorstellung ab wie damals 2012, als er das erste Mal auf der internationalen Bühne glänzen konnte. 2012 hatte er einen (unglücklichen) Elfmeter verschuldet, 2018 ein Gegentor von Benzema, bei dem er im Strafraum die Orientierung verloren hatte. Doch wie 2012 lief der 2018er-Alaba danach in beeindruckender Manier die linke Außenbahn auf und ab, flankte wunderbar und wurde doch nicht mit einer Torvorlage (oder einem Tor, scheiterte aus der Distanz an Navas) belohnt. Der 2018er-Alaba erinnerte wieder an den von 2012. Eine gute Nachricht für den FC Bayern.

Thiago

Wer in der dritten Minute der Nachspielzeit einen No-Look-Lupfer auf Höhe der Mittellinie zu Josh Kimmich spielt, ist kein normaler Fußballer, sondern ein genialer Regisseur. Thiago machte eines seiner besten Spiele für den FC Bayern von der Sechser-Position, weil er hinten verteidigte wie Javi Martinez und vorne die Fäden zog wie Xabi Alonso in seinen besten Zeiten. Die Seitenverlagerungen, die Zuspiele, die Wendigkeit – all das war beeindruckend an Thiago, der wie Hummels weiterhin zu der Gruppe an Bayern-Spielern zählt, denen der ganz große Wurf verwehrt bleibt. Hat sich demnächst ein Champions-League-Finale verdient.

Corentin Tolisso

Die Überraschung im Bayern-Team wurde vom ZDF per Grafik fälschlicherweise auf die Position neben Thiago beordert – dabei spielte der Franzose einen herausragenden Verbindungsmann zwischen Mittelfeld und Angriff. Tolisso überzeugte mit einer wendigen Spielweise, großartigem Passspiel und der Fähigkeit, in den richtigen Momenten im Strafraum aufzutauchen. Letztere Qualität lässt manchmal etwas von einem Bastian Schweinsteiger in ihm aufleuchten, auch wenn dieser Vergleich selbstverständlich hoch gegriffen ist. Tolisso wird, wie Süle, aus dem Spiel lernen, zeigte aber, dass er nicht nur die Spielweise, sondern auch die Niemals-Aufgeben-Mentalität mitbringt, um beim FC Bayern zu bestehen.

James Rodriguez

Im Vergleich zum Hinspiel zählte der Kolumbianer in der ersten Halbzeit zu den schwächeren Münchnern – was keinesfalls bedeutet, dass er nicht gut gespielt hat. James Technik und Zweikampfführung waren wesentliche Faktoren im Kampf um das Mittelfeld-Übergewicht, den die Bayern gegen das Duo Modric/Kroos gewinnen konnten. Mit etwas mehr Glück hätte er sich zudem schon in der ersten Halbzeit auf der Torschützenliste eingetragen, so dauerte es bis zur 63. Minute, ehe er schneller schaltete als die gesamte spanische Defensive und im Nachschuss verwandelte. Die 180 Halbfinal-Minuten waren ein Bewerbungsschreiben für zwei Vereine – hoffentlich erkennt der FC Bayern, dass James die kolportierte Ablösesumme wert ist.

Franck Ribéry

Im Hinspiel noch der Mann des Spiels, kehrte Ribéry im Rückspiel wieder in seine aktuelle Bayern-Rolle zurück: Ohne ihn geht nicht, aber mit ihm ist nicht immer alles einfacher. Tendierte dazu, den Ball ein paar Berührungen zu lang am Fuß und den Kopf ein paar Sekunden lang unten zu haben – wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte er vielleicht sogar noch mehr öffnende Pässe durch das Mittelfeld spielen können wie vor dem 1:0. Fest steht jedoch: Auch ein 35-Jähriger Ribéry stellt die Verteidigung des amtierenden Champions-League-Siegers vor Probleme. Allein das ist Grund genug, ihn noch eine Saison zu halten.

Thomas Müller

In unserer Analyse schreiben wir lang und breit über das Thema „Spielglück“, das dem FC Bayern im Moment komplett abgeht. Auf keinen anderen trifft das in der Champions League mehr zu als auf Thomas Müller. Hätte in Madrid auch drei Tore schießen können, so oft war er irgendwo in aussichtsreicher Position – aber es sollte nicht sein. War ansonsten ein guter, aktiver Kapitän und erfüllte alle Aufgaben, die Jupp Heynckes ihm mitgegeben hatte: Ramos nerven, Verwirrung stiften, Seite überlagern, in die Tiefe stechen. Mit einem Tor wäre es ein perfekter Müller-Abend gewesen.

Robert Lewandowski

Musste sich nach dem Hinspiel viel Kritik anhören, die nur teilweise berechtigt war. Wird, wenn es blöd kommt, auch nach dem Rückspiel zu den Gründen für ein Bayern-Ausscheiden gezählt werden, erneut unberechtigterweise. Warum? Weil er sich zwar wieder gegen Ramos schwer tat, ihn dieses Mal jedoch deutlich mehr beschäftigte und so eine Vielzahl an Chancen kreierte, ohne direkt beteiligt zu sein. Einziger Vorwurf: Lewandowski muss die Eins-gegen-Eins-Situationen besser verwerten, um der große Held eines solchen Halbfinals zu werden.

Sandro Wagner (ab der 75.)

Sorgte mit seiner Einwechslung für viel Aufruhr – auf Twitter, weil ihm jeder das baldige entscheidende Tor zuschrieb und auf dem Platz, weil seine Präsenz und seine, Entschuldigung, cojones selbst Schrankwände wie Ramos beeindrucken. Warf sich rein wie immer und hatte in der Nachspielzeit das Pech, dass Hummels ihn nicht im Rückraum anspielte. Twitter hätte beinahe Recht gehabt.

Javi Martínez (ab der 83.)

Hat 2013 schon einmal ein Last-Minute-Tor für den FC Bayern erzielt (Supercup gegen Chelsea) und weiß daher, wie man das macht. Schaffte es jedoch nicht, sich in die gefährlichen Räume zu begeben, sondern mühte sich zweimal mit nervigen Dribblings an der Außenlinie. Die Spiele, die Javi Martínez mit seiner Defensivkunst für den FC Bayern entscheidet, werden wieder kommen.

Arjen Robben, Kingsley Coman, Manuel Neuer, Arturo Vidal, Jerome Boateng

Haben gefehlt und hätten vielleicht den extra Push geben können.

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