FC Bayern – Paris Saint-Germain 3:1 (2:0)
Erstmals seit längerer Zeit ist es uns nicht gelungen, die Analyse zeitnah nach Abpfiff zu liefern. Theoretisch hätte Tobi sie aber auch vorschreiben können, denn sein Riecher am Nachmittag war ziemlich gut:
Hätte niemand gemerkt, wenn ich das am Nachmittag bei @miasanrot veröffentlicht hätte. pic.twitter.com/pUmg0tMg09
— tobi (@redrobbery) 5. Dezember 2017
Falls Ihr es verpasst habt:
Jupp Heynckes wusste vor der Partie zu überraschen.
Dass Tolisso beispielsweise für Martínez startete und Vidal pausierte, war nicht unbedingt zu erwarten. Ribéry gab nach längerer Zeit sein Startelf-Comeback und Müller saß trotz ansprechender Leistung gegen Hannover auf der Bank.
Bei Paris hat sich im Vergleich zum Hinspiel kaum etwas verändert. Draxler rückte für den angeschlagenen Motta in die Startelf, aber sonst war es dieselbe Mannschaft, die den FC Bayern im Hinspiel mit 3:0 besiegte.
In unserer Analyse zum Hinspiel sprachen wir die Erwartungshaltung an. Der FC Bayern sei nicht mehr als Top-Favorit des Wettbewerbs zu sehen. Gewissermaßen bestätigte sich dieser Eindruck schon in den ersten 15 Minuten des Rückspiels.
Der FC Bayern agierte abwartend, kompakt und verzichtete erstmals seit längerer Zeit auf Ballbesitz. Ein bisschen wie der typische Außenseiter. Mit dieser Taktik wusste Jupp Heynckes zu überraschen. Erinnerungen an die Duelle mit dem FC Barcelona 2013 kamen hoch.
Durch die Tore von Lewandowski (8.) und Tolisso (37.) ging der Deutsche Meister sogar mit einer hochverdienten 2:0-Führung in die Kabine. Anschließend kam Paris etwas stärker auf den Platz. Der 2:1-Anschluss durch Mbappé (50.) war nicht nur folgerichtig, sondern auch zu erwarten. Bayerns Leistung war stark, aber nicht fehlerfrei.
Umso wichtiger war es, dass die Münchner in der folgenden Phase dagegen hielten. Es entwickelte sich ein offener Schlagabtausch, der dem Ruf eines Spitzenspiels gerecht wurde. Ein herausragendes Solo von Coman, der in einem Konter seine ganze Geschwindigkeit ausspielen konnte, führte dann zur Entscheidung durch Tolisso (69.).
Paris hätte am Ende durchaus noch den erneuten Anschluss erzielen können, doch auch das hätte am Spielverlauf nichts mehr gedreht. Die Bayern meldeten sich damit eindrucksvoll zurück in Europa.
Vier Dinge, die auffielen:
1. Bayern wie eine Auswärtsmannschaft
Es ist lange her, dass der taktische Ansatz der Bayern so interessant war wie am Dienstagabend gegen Paris. Heynckes hatte die Fehler aus dem Hinspiel analysiert und versucht zu beheben. Damals hatten die Münchner einen dominanten Ansatz, der aufgrund von struktureller Schwächen in einem Vergleich der individuellen Qualität mündete. Den konnte der fünfmalige Champions-League-Sieger nur verlieren.
Heynckes überließ den Parisern diesmal mehr Ballbesitz. Nur 47% zeigen die Match-Daten beim Kicker für die Münchner an. Das sonst sehr offensive 4-1-4-1 interpretierten die Bayern diesmal insgesamt tiefer und nur situativ gewohnt hoch. Das primäre Ziel dahinter war, das Zentrum ohne Ball zu kontrollieren. Tolisso, Rudy und James bildeten häufig eine flache Drei, manchmal auch die typische 1-2-Staffelung mit Rudy als klarer Sechs.
Die Abstände waren dabei sehr eng und so gelang es ihnen, Paris vermehrt auf die Flügel zu lenken. Das Mittelfeldpressing wurde nur situativ zum überfallartigen Angriffspressing, um Paris nicht gänzlich die Kontrolle zu überlassen. Diese Rhythmuswechsel führten die Bayern sehr präzise und überzeugend durch.
Auf den Außen verrichteten mit Coman und Ribéry zwei Flügelspieler unglaublich viel Defensivarbeit. Gerade Coman rückte teilweise so tief gegen Neymar, dass dann eine Fünferkette entstand. Ribéry vernachlässigte seine Defensivaufgaben zunächst, weshalb Mbappé die ersten großen Chancen des Spiels hatte. Nach rund 15 Minuten erkannte aber auch er die Notwendigkeit, Alaba zu unterstützen.
Wichtig war zudem die Rolle der Achter. Waren die Pariser auf die Außenbahn gedrängt, so unterstützte der ballnahe Achter die beiden Außenspieler. Im Vergleich zum Hinspiel entstanden so immer Überzahlsituationen gegen die Schlüsselspieler des Gegners.
Nach Ballgewinnen spielten die Bayern ihre Geschwindigkeit dann clever aus. Viele längere Ballzirkulationen gab es nicht. Meist suchten die Münchner den direkten Weg nach vorne. Die Heynckes-Taktik ging nicht zuletzt deshalb auf, weil sein Team unfassbar effektiv war. Große Gelegenheiten wurden sofort ausgenutzt.
Paris hingegen vergab gleich mehrere gute Chancen. Bei Spielern wie Neymar und Co. lassen sich nicht alle Chancen vermeiden, doch es zeigte sich eben auch, dass die bayerische Defensive trotz kompakter Staffelung manchmal zu passiv und zu undiszipliniert war. So auch beim zwischenzeitlichen 2:1, als sowohl Kompaktheit, als auch Staffelung komplett fehlten.
Paris wusste das zu nutzen und spielte sich dann doch mehrfach zwischen die Linien der Bayern und dann in die Halbräume, wo Neymar und Mbappé kaum zu stoppen waren. Allerdings konnten Hummels (73% Zweikampfquote) und Süle (100% Zweikampfquote) viele Angriffe im letzten Augenblick stoppen. Und auch Ulreich wusste erneut zu überzeugen.
Je länger die Partie dauerte, umso häufiger entstanden diese Lücken. Taktische Defizite wurden dann mit großer Laufarbeit und Leidenschaft oder mit etwas Glück kaschiert. Dieser passivere Ansatz war ein Stück weit auch für Paris überraschend. Der Plan wird so nicht immer funktionieren, ging am Dienstagabend aber hervorragend auf. An dieser Stelle kann man vor Heynckes nur den Hut ziehen.
Erst recht, weil die Bayern auf Neuer, einen Boateng in Form, Thiago und Robben verzichten mussten. Auch Ribéry war nicht bei 100%. Paris hingegen spielte mit voller Kapelle. Desto höher ist es zu bewerten, dass Heynckes sein Team an die Außenseiterrolle anpasste und dieses phasenweise wie der Favorit auftrat. Mit voller Überzeugung, Leidenschaft und taktischer Disziplin, die ausbaufähig ist, aber weiter klare Fortschritte macht. Das Rückspiel ging hochverdient an den FC Bayern – Chapeau!
2. Tolisso wie Schweinsteiger
Will man einen Spieler herausheben, so kann man Tolisso allein aufgrund der Tore nennen. Klammert man seine beiden Treffer aber mal aus, war seine Leistung nicht wirklich auffällig. Zwar hatte er eine Passquote von 96%, aber zumeist waren dies Sicherheitspässe. Auch dass er laut Kicker keinen einzigen Zweikampf gewann, ist etwas ernüchternd.
Und trotzdem zeigte der Franzose erneut Ansätze und Entwicklungen, die Hoffnung machen. Seine größte Qualität ist seine Torgefährlichkeit. Mit seiner Fähigkeit aus der Tiefe unbemerkt in den Sechzehner zu stoßen und dort für Überzahl zu sorgen. Das Paradebeispiel lieferte er bei seinen Treffern. Dieses Überladen erinnert an Schweinsteiger oder Vidal zu seinen besten Zeiten. Auch sein Positionsspiel ist sehr diszipliniert. Rechts unterstützte er Coman und Kimmich zuverlässig, im Zentrum hielt er seine Position und öffnete somit keine Räume. Positiv war darüber hinaus, dass er unter Druck keine einfachen Ballverluste in seinem Spiel hatte.
Alles in allem ist Tolisso ein Spieler, der in seinem Profil nicht in ein Ballbesitzteam passt. Doch das war bei Vidal unter Guardiola nicht anders und der Chilene reifte zu einem wichtigen Spieler. Selbiges könnte bei Tolisso passieren. Der Franzose bringt einige Qualitäten ins Spiel, die den Bayern fehlen. Er ist aktuell der bessere Vidal und somit der bessere Kompromiss für Heynckes. Seine absichernde Rolle auf halbrechts mit der Freiheit gelegentlich vorzustoßen, ist optimal für ihn.
Spielerisch gibt es noch Aufholbedarf, doch sein Positionsspiel und seine Disziplin sorgen dafür, dass Tolisso mit und gegen den Ball aktuell die bessere Option im Vergleich mit Vidal ist. Beide haben zuletzt häufig getroffen. Klammert man das aus, muss man hinterfragen, ob zwei solcher Spielertypen notwendig sind und muss dann eine Entscheidung für jemanden fallen, hätte Tolisso vermutlich die Nase vorn. Leidenschaft, Einstellung, Disziplin und die vielen guten Ansätze machen ihn zu einem spannenden Spieler.
3. Coman und Ribéry – Zukunft und Vergangenheit
Als Kingsley Coman auf der linken Außenbahn das 3:1 mit einem sensationellen Sprint einleitete, wurde vielen endgültig klar, dass er vielleicht doch den Ansprüchen gerecht wird, die man in München an diese Position stellt. Dabei sind es eher andere Szenen, die darauf deuten. Dass der Franzose schnell ist, ist nichts Neues. Coman kann mit Platz jedem davonlaufen.
Viel wichtiger ist, dass er nun selbstbewusst auftritt. Mit dem Vertrauen des Trainers traut er sich deutlich mehr zu und geht häufiger in Dribblings. Als er sich dem Konkurrenzkampf stellen musste, war er vor allem darauf bedacht, Fehler zu vermeiden und brach Dribblings in letzter Sekunde ab. Einerseits wurde ihm das als Spielintelligenz ausgelegt, andererseits kam nicht viel dabei raus.
Jetzt wirkt Coman unfassbar mutig. Er weiß, dass das System ihn durch Alaba und einen Achter absichert und kann wieder häufiger Risiko gehen. Zudem positioniert er sich intelligent und rückt gern auch mal in die Halbräume ein. Von Woche zu Woche werden seine Auftritte sicherer. Wurde Coman lange für seine eindimensionalen Aktionen kritisiert, so ist er mittlerweile vielseitiger und kreativer. Gerade seine Abschlussaktionen sind viel besser als noch in den letzten Monaten und Jahren.
Schlechte Flanken, verkorkste Abschlüsse und das zu späte Trennen vom Ball sind berechtigte Kritikpunkte gewesen, die mit der regelmäßigen Praxis unter Heynckes aber sukzessive abnehmen. In dieser Form ist er kaum zu halten.
Gerade der Vergleich mit Ribéry lohnt sich, der im Alter von 21 nicht sauberer in seinen Aktionen war. Im Gegenteil: Coman ist deutlich weiter als der damalige Ribéry. Letzterer zeigte gegen Paris dennoch, dass er weiter wichtig ist. Er initiierte viele Angriffe und half Alaba gleich mehrfach hinten gegen Mbappé. Und doch gab es wieder diese Situationen, in denen man klar spürte, dass Ribéry nicht mehr dieses Neymar-Niveau hat.
Seine Handlungsschnelligkeit hat genauso abgebaut wie sein physisches Tempo. Oft trennte er sich zu spät vom Ball und nur selten war er in der Lage seine Dribblings zu gewinnen. Umso wichtiger wäre es, dass er sein Spiel anpasst, häufiger ins Zentrum rückt und sein Passspiel nutzt, um dem FC Bayern noch mehr kreativen Input zu liefern. Seine Dribblings muss er in Zukunft dosieren, um einige einfache Konter zu vermeiden.
4. Sebastians Leistung ist Rudymentär
Weil es für die nächsten Wochen ein so wichtiger Punkt ist, muss es in dieser Analyse eine vierte Auffälligkeit geben. Zwar spielte Sebastian Rudy nur drei Fehlpässe gegen Paris, doch mindestens zwei davon waren eine Katastrophe. Hinzu kommt eine Szene, in der er den Ball fast leichtfertig unter Druck hergibt.
Rudy ist derzeit nicht auf dem Niveau, das er zu Beginn der Saison noch hatte. Dabei wäre Thiagos Verletzung seine große Chance. Dafür wurde er geholt. Das Mittelfeld der Münchner braucht Kreativität und hätte Rudy seine beste Leistung abgerufen, wäre das für Paris ein sehr böser Abend geworden. So lag es an James, das Spiel kreativ zu beleben.
Für Rudy beginnt jetzt eine wichtige Saisonphase. Er hat absolut die Qualität, Thiago in Ansätzen zu ersetzen. Das muss er wieder auf den Platz bringen, gerade weil das Spiel gegen Paris ohne Thiago noch zu unsicher war. Die Konteranfälligkeit lag an einigen leichtfertigen Ballverlusten, die man Spielern wie Rudy nicht zutrauen würde.
Bayern – Paris | |
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Bayern | Ulreich – Alaba (85. Rafinha), Hummels, Süle, Kimmich – Rudy, Tolisso – Ribéry (67. Müller), James (83. Vidal), Coman – Lewandowski |
Bank | Starke, Friedl, Boateng, Martínez |
Paris | Aréola – Kurzawa, Thiago Silva (72. Kimpempe), Marquinhos, Dani Alves – Draxler (90+1. Lo Celso), Rabiot, Verratti – Neymar, Cavani, Mbappé |
Bank | Trapp, Berchiche, Meunier, Pastore, Di María |
Tore | 1:0 Lewandowski (8.), 2:0 Tolisso (37.), 2:1 Mbappé (50.), 3:1 Tolisso (69.) |
Karten | Gelb: Kimmich (22.), James (23.), Tolisso (41.), Rudy (54.) / Marquinho (41.), Draxler (82.) |
Schiedsrichter | Cüneyt Çakır, Bahattin Duran, Tarik Ongun, Mustafa Eyisoy (alle Türkei) |
Zuschauer | 70.000 ausverkauft |