Mehr Fehler wagen
Sanches gilt als eines der größten Talente in Europa. Dementsprechend enttäuscht waren die Fans, dass er zum einen wenig Spielzeit bekam und zum anderen in seinen Einsätzen nicht überzeugen konnte.
Eine Saison zum vergessen?
Bisher kommt der erst 19-Jährige auf nur 618 Bundesliga-Minuten. Nur die beiden Ersatztorhüter, Starke (90) und Ulreich (450), kommen auf weniger im Kader des Meisters.
Kein Tor, keine Vorlage, nur 0,6 Torschussvorlagen pro 90 Minuten. Vom Offensivdrang, den der Neuzugang bei der Europameisterschaft letzten Sommer versprühte, war nichts zu sehen.
Im Scouting-Report attestierte Steffen ihm Dynamik, Lauffreudigkeit und einen “unheimlichen Motor”. Vor allem seine erstaunliche Robustheit sei es aber gewesen, die ihn beeindruckt habe.
Ist man ehrlich, war nur wenig davon zu sehen. Sanches agierte wie ein Fremdkörper, kam im System nicht zurecht und war extrem langsam im Kopf. Das führte wiederum zu vielen unnötigen Ballverlusten, die in Kontern oder Fouls resultierten.
Drei gelbe Karten sammelte der 19-Jährige in seiner kurzen Einsatzzeit. Sein Passspiel war stets mit wenig Risiko belegt und auch seine sonst so dynamischen Dribblings fanden kaum statt.
Wenn man es positiv formulieren möchte, dann ist maximal in Ansätzen zu sehen gewesen, dass er ein Spieler für den FC Bayern sein kann.
Passt sein Typus in die Philosophie?
Deshalb muss der Verein sich hinterfragen, ob sie im Trainerteam derzeit jemanden haben, der Sanches die wichtigsten taktischen Aspekte des Systems beibringen kann, der mit ihm quasi Fußball paukt.
Gleichzeitig muss man aber auch beobachten, ob der 19-Jährige überhaupt zum Fußball passt, der gespielt wird und gespielt werden soll. Selbst bei einer positiven Entwicklung könnte der FCB in eine Vidal-Situation geraten.
Der Chilene ist zwar ein wichtiger Spieler für den Rekordmeister geworden, doch bringt mit seiner Spielweise auch einige negative Aspekte ein, die nicht zur Philosophie passen.
Ähnliches könnte auch bei Sanches der Fall sein. Der Portugiese hält den Ball zu lange, stört die Ballzirkulation und positioniert sich unsauber. Trotzdem gilt es, die Hoffnung und das Vertrauen nicht zu schnell zu verlieren sowie seine Stärken zu fördern.
Sanches ist der einzige Spieler im Kader, der keine Vergangenheit bei Thomas Tuchel oder Pep Guardiola hat. Beide stehen für den Fußball, den die Bayern praktizieren.
Geduld aufbringen und Vertrauen zeigen
Diesen Rückstand gilt es aufzuholen, weshalb die Münchner und das Umfeld Geduld zeigen sollten. Auch der sonst so starke Kimmich und Kingsley Coman hatten ihre Probleme, in das Ancelotti-Team zu finden.
Die Situation könnte sich in der neuen Saison ändern, wenn der Trainer womöglich dazu gezwungen wird, jungen Akteuren zu vertrauen. Sanches ist immer noch erst 19 Jahre alt und man darf nicht vergessen, dass der Wechsel ein riesiger Schritt für ihn war.
Sprache, Alter, Vertrauen des Trainers, die Höhe der Ablöse und das unruhige Umfeld könnten Faktoren sein, die seinen Kopf ins Spiel gebracht haben. Überdies war es nicht förderlich, dass in der Diskussion um die Ablöse gewisse Klauseln an die Öffentlichkeit kamen.
So war von Boni-Zahlungen die Rede, falls er den Ballon d’Or eines Tages gewinnen sollte. Die damit verbundene Erwartungshaltung steht in keiner Verbindung zum Profil des Spielers.
Bereits bei Mario Götze konnte man beobachten, was zu viel Druck und zu hohe Erwartungen mit einem Spieler anrichten können.
Die Bayern sind deshalb gefragt, ihm die besten Bedingungen zu bieten, um sich in Ruhe zu entwickeln. Dafür braucht es eine positive Fehlerkultur. Der Portugiese muss Fehler machen und er muss sie machen dürfen.
Wie geht es weiter?
Sanches’ Talente sind erkennbar. Seine Dynamik und seine Fähigkeiten gilt es zu fördern, seine Spielintelligenz muss erweitert werden. Hier hat Sanches beim Spiel gegen Darmstadt erste gute Ansätze gezeigt. Sieben gewonnene Dribblings zeugen von seiner Durchsetzungsstärke.
Auch wenn sein Spiel nicht fehlerfrei war, so war die Entwicklung im Vergleich zu seinen ersten Spielen zu sehen. Zumal es eine der wenigen Möglichkeiten für ihn war, mal ein komplettes Spiel durchzuspielen.
Der FC Bayern kann und wird in naher Zukunft zeigen müssen, dass er auch Spieler entwickeln kann. Kommt der Klub zu dem Entschluss, dass seine Entwicklung woanders zunächst vielleicht besser wäre, würde auch eine Leihe durchaus Sinn machen. Ein Verkauf hingegen wäre grob fahrlässig.
Bei Lahm und Alaba hat man beispielsweise gesehen, dass eine gewisse Zeit bei anderen Vereinen helfen kann. Wichtig wäre nur, dass es Bundesligaintern bleibt, damit er sich an die Sprache und das Umfeld gewöhnen kann.
Wichtig ist zudem, dass der Klub gewisse Kriterien erfüllt. Die letzten Leihgaben an Schalke 04 waren beispielsweise auch deshalb kein großer Erfolg, weil der Klub zum jeweiligen Zeitpunkt zu instabil und unruhig war.
Auch ein Positionswechsel wäre eine spannende Option. Seine Fähigkeiten könnten durchaus zum Anforderungsprofil auf der rechten defensiven Seite passen. Dort muss er nicht so viele strategische Entscheidungen treffen und kann mit seiner Dynamik und Körperlichkeit vielleicht aufspielen.
Ein weiterer Faktor ist die Geduld von Mitspielern, Verantwortlichen und Fans. Sanches braucht Vertrauen und jedes weitere Abdrehen eines Kollegen, jedes weitere Jahr auf der Bank sowie jedes Raunen im Publikum könnte dazu führen, dass sein Selbstvertrauen weiter sinkt.
Doch auch der Spieler selbst ist natürlich in der Verantwortung. Selbstkritik und der Wille, sich unbedingt durchsetzen zu wollen, sind das nötige Rüstzeug, um es zu schaffen.
In einem Interview sagte er neulich, dass seine “erste Saison hier nicht sonderlich gut” war. “Davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Ich bin sicher, dass die kommende Saison (…) besser laufen wird für mich”, ergänzte Sanches.
Zumindest realistisch und selbstkritisch ist der Portugiese. Ob er den Sprung beim Rekordmeister schafft, wird von vielen Dingen abhängen. Fakt ist aber, dass Geduld und Vertrauen auf allen Seiten eine große Rolle spielen.