EM-Abschluss – Rückblick auf ein tolles Turnier und Top-Elf

Daniel Trenner 14.07.2021

EM 2021 – Sportlich ein tolles Turnier

Die EM ist vorbei und sportlich hat sie einen in allen Punkten richtigen Sieger. Italien war über das gesamte Turnier betrachtet die beste Mannschaft, etwas unverdient war allenfalls ihr Sieg über Spanien im Halbfinale. Vor allem jedoch sind sie sinnbildlich für eben dieses Turnier. Auch fernab jedweder sportpolitischen Themen stand dieses Turnier unter keinem guten Stern. Die beiden letzten Turniere waren scheußlich, fast könnte man meinen, in beiden Finals hätten je zwei Teams gestanden, die Fußball zu allererst nicht als Spiel begriffen. Defensives Gekicke dominierte Russland und Frankreich. Ein Umstand, welcher die jeweiligen Trainer der beiden Siegermannschaften in ihrem Weg bestätigte und andere Nationen zu diesem angeblich so klugem Spielmanagement inspirierte. So gesellten sich zu Frankreich und Portugal nun umso mehr Deutschland und noch verstärkter als zuvor England dazu. Selbst die offensivfreudigen Belgier wurden vorsichtiger.

Umso schöner also, dass fast alle Stabilitätsfanatiker bestraft wurden. Frankreich raus, Portugal raus, Deutschland raus. Und das alles noch vor dem Viertelfinale. Die Ausnahme bildete hier England, die allerdings extremst vom schwachem Turnierbaum und Auswärtsnachteil der Gegner profitiert haben. Ich spreche bewusst nicht vom Heimvorteil, denn ihr wahrer Bonus waren nicht ihre eigenen Fans im Rücken, sondern die Reisestrapazen der Gegner. Emblematisch war hier wie Dänemark aus Baku kommend nach 60 Minuten stehend K.O. war. Dieses Turnier wirkte wie am Reißbrett konzipiert, um England zum Titel zu tragen. Deutschland wird in drei Jahren weniger Kapital aus dem Heimvorteil schlagen können. Im Verbund mit der hässlichen englischen Spielweise hat mich das alles in den letzten Wochen zu einem regelrechten England-Hater gemacht. Ich war vor dem Final-Tag froh, wenn England nur der Titel des Vize bliebe und bin es mit den Eskapaden rund um den Sonntag erst recht.

Roberto Mancini hätte auf ähnliche Schlussfolgerungen setzen können wie Gareth Southgate. Er hätte auf die defensive Stabilität Portugals und Frankreichs verweisend uritalienische Klischees kanalisieren können. Hinten nichts anbrennen lassen, vorne irgendwie eins machen. Die Spieler dazu hatte er. Der letzte erfolgreiche italienische Nationaltrainer, Antonio Conte, formte 2016 mit dieser Taktik aus biedersten Spielern einen Mitfavoriten.

Aber das tat Mancini nicht, er formte eine mutige, offensivbejahende Mannschaft. Selbst in den Momenten, wo sie in alte italienische Verhaltensmuster zurückfielen, taten sie das nicht aus eigenen Stücken. Spanien etwa war spielerisch schlicht das entscheidende Stück besser.
Selbst als Italien gegen England in der Verlängerung die Elfmeterlotterie akzeptierte, taten sie dies nur zähneknirschend. Während Southgate seine Offensivjoker Rashford und Sancho erst in letzter Sekunde brachte, versuchte Mancini das Spiel mit Belotti und Locatelli noch in der Verlängerung zu entscheiden. Nur logisch, dass die letzte gefährliche Ecke noch in der Nachspielzeit der Verlängerung geschlagen wurde.

Für den internationalen Fußball ist ein Europameister Italien ein Geschenk. Mannschaften orientieren sich immer an den Siegern dieser großen Turniere und versucht man den italienischen Weg zu kopieren, befindet man sich wenigstens strategisch auf einem sehr guten Pfad. Italiens Sieg krönt dieses wunderschöne, hochklassige Turnier. Dieses Turnier war besser als die letzten vier europäischen Turniere, vielleicht gar besser als alle EMs dieses Jahrtausends. Von Müdigkeit, den langen Corona-Saisons, von all dem war wenig zu sehen.

Auch wenn sich Gerüchte diesbezüglich noch still halten, vermute ich, dass insbesondere auf Verbandsebene die UEFA und FIFA ihre Lehren hier auch in den vielen Wechselmöglichkeiten ziehen werden. Sechs Wechselmöglichkeiten in Freundschaftsspielen mögen den Spielfluss dieser Tests brechen, in K.O.-Spielen um alles oder nichts sind sie ein Geschenk. Hätte Mancini im Finale diese italienische falsche Neun auch mit nur drei Optionen probiert? Nicht unbedingt. Dieses große Wechselkontingent erlaubt es einem Trainer auch Dinge auszuprobieren. Es erlaubt Mancini vom Modus Fox-in-the-box, zur falschen Neun, zum markigen Ballfixierer Belotti zu wechseln, ohne sich weitere Kontingente für verletzungsbedingte Wechsel zu verbauen. Von Mancini lernen, heißt auch von seinen Wechseln zu lernen.

Die Elf des Turniers

Jeder kennt es, manche hassen es, viele lieben es: Die berühmte Elf des Turniers. Die besten Spieler der jeweiligen Positionen. Auch die UEFA hat hier vorgelegt und es ist erstaunlich wie gut diese Mannschaft ist. Für gewöhnlich sind diese offiziellen Turnierauswahlen so absurd wie die Entscheidung zum besten Spieler dieser Euro, doch die Auswahl der UEFA lässt sich wirklich sehen.

Die offizielle UEFA-Elf
(Quelle: ESPN)

Der einzige, mit dem ich wirklich nicht einverstanden bin, ist Romelu Lukaku. Nicht falsch verstehen: Auch ich fand Lukakus Vorrunde unfassbar gut, da sah ich ihn noch als gesamtbesten Spieler des Turniers. Wo andere De Bruyne mit Lob überschütteten, empfand ich gerade Lukakus Aktionen vor fast jedem belgischen Tor als schlicht nicht verteidigbar. Ein wahres Naturereignis. Doch dann kam das Achtelfinale, wo er etwas blass blieb und vor allem das Duell mit Italien, als Giorgio Chiellini diesen Koloss aus dem Spiel deckte. Chiellinis Leistung in diesem Spiel ist mein Pick zur besten Einzelleistung eines Spielers dieses Turniers. Der einzige Grund, wieso Chiellini bei mir doch nicht mein Spieler des Turniers ist, ist weil Bonucci im Halbfinale und Endspiel noch beeindruckender war und ich aus Entscheidungsfeigheit mich für einen dritten Spieler entscheide.

Meine Top-Elf des Turniers

Bester Spieler: Jorginho
Bester Trainer: Kasper Hjulmand
Bank: Torhüter: Kasper Schmeichel (DK)
Abwehr: Luke Shaw, Harry Maguire (ENG), Andreas Christensen, (DK), César Azpilicueta (ESP)
Mittelfeld: Sergio Busquets (ESP), Nicolò Barella, Marco Verratti (ITA)
Angriff: Federico Chiesa (ITA), Mikkel Damsgaard (DK), Romelu Lukaku (BEL)

Eigentlich wollte ich hier alleine die Miasanrot-Euro-Elf aufstellen, aber man ist mir ja zuvorgekommen. Leider gleichen sich Justins und meine Top-Elf fast bis auf den letzten Spieler, der größte Abweichler ist hier mein Torhüter. Ein Umstand, über den ich selbst nicht ganz glücklich bin. Yann Sommer mag notenbester Keeper beim Kicker sein, doch war er ebenfalls der beste Torhüter dieses Turniers? Nunja, einen klaren Pick gibt es nicht, das grundsätzliche Torwartniveau dieses Turniers war nicht bedeutend hoch, es gibt überhaupt nur drei echte Kandidaten. Vier, wenn man den in der Gruppe gescheiterten Lukáš Hrádecký dazu nimmt.

Doch Gianlugi Donnarumma, Kasper Schmeichel und Yann Sommer hatten jeweils eigentlich nur eine große Partie. Ich nehme Sommer, weil er mir neben seinem Peak gegen Spanien mehr gefiel als Schmeichel in den Spielen vor der Partie gegen England. Donnarummas Leistungsspitze wiederum sah ich nicht ganz so hoch wie die seiner Konkurrenten. Und natürlich denke ich auch an die Vielfalt, einen Schweizer hätte ich schon gerne in der Mannschaft, also drücke ich ein Auge zu.

Bei den anderen Positionen bin ich näher an der Konsensmeinung. Hätte Luke Shaw seine brillante Leistung aus der ersten halben Stunde im Finale beibehalten, wäre er noch an Spinazzola vorbeigezogen. Hätte Maguire gerade mit Ball am Fuß nicht ein so schwaches Finale gespielt, wäre mein einer Däne noch aus der Elf geflogen. Hätte Barella seine fabelhafte Turnierleistung im Endspiel bestätigt, wäre es beim 4-3-3 geblieben. So bleibt ihnen allen die Bank.

Sergio Busquets ist ein spannender Fall, ohne Xavi und Iniesta habe ich den Eindruck, dass dies für einige das erste Mal ist, wo sie Busquets Größe ansatzweise begriffen haben. Gerade gegen Italien war das der Fall. Etwas unter den Tisch fällt da aber, dass Jorginho fast noch besser war! Seine Interceptions hielten die Italiener im Spiel, dazu glänzte er im Finale, zum Teil gar angeschlagen.

Schick und Forsberg nehme ich nicht nur auf, weil sie schlicht ganz stark spielten, sondern auch, weil sie bis zur letzten Spielminute ihre Mannschaft trugen. Sie waren bis zum Moment ihres Ausscheidens die tragenden Säulen ihrer Teams, am Ende wurden sie ein wenig Opfer der Limitationen ihrer eigenen Mitspieler. Beide trafen in dem Spiel, in dem sie ausschieden. Allesamt Dinge, die auf Lukaku, Kane und Ronaldo weniger zutraf.

Mein Wahl zum Trainer mag bei all meinem Lob für Roberto Mancini überraschen, doch bei all seiner strategischen Brillanz der letzten drei Jahre, sollte nicht außer Acht gelassen werden, wie schwer sich Italien in dieser K.O.-Phase tat. In drei von vier Spielen startete Italien taktisch schlechter als der Gegner in die Partie, zum Teil glich er das durch schlicht brillantes in-game-Coaching aus, insbesondere im Finale. Doch wie ratlos sein Team teilweise gegen Österreich, Spanien und England wirkte, gehört auch zu diesem italienischen Turnier dazu.

Hjulmand auf der anderen Seite musste die ganze Bandbreite der Trainerklaviatur spielen, vom Spielerflüsterer zum Taktikfuchs. Wie menschlich er sich zeigte nach der Tragödie um Eriksen beeindruckt mich. Wie er dann sein Team sportlich aufbaute, begeistert mich. Ohne seinen besten Spieler coachte er eine offensivfreudige, flexible Truppe, die Belgien am Rande der Niederlage hatte und dann über Russland und Wales hinwegfegte. Seine Meisterleistung zeigte er mit einer großartigen Taktikveränderung im Achtelfinale. Hjulmand werden wir demnächst sicherlich im Klubfußball wiedersehen. 

Round-Up

Drei Erkenntnisse von Oliver Kahns Antritts-PK als Vorstandsvorsitzender | Spox
Oliver Kahns erste Presseauftritte als Vorstandsvorsitzender gingen geräuschlos über die Bühne. Man merkt bei jedem Wort, dass Kahn tunlichst vermeiden will in dieselben sprachlichen Fettnäpfchen zu treten, wie seine Vorgänger Rummenigge und Hoeneß.

Nagelsmann-Start beim FC Bayern: Gekommen um den Club zu prägen | Web
Im Schatten der EM hat Julian Nagelsmann seine Arbeit beim FC Bayern aufgenommen. In der Antrittspressekonferenz gab sich Nagelsmann erwachsener als er es noch bei seinen früheren Stationen. Von extravaganten roten Mänteln sah er ab. Gut so, in der Münchener Medienlandschaft werden Modediskussionen ungeahnte Größen einnehmen, die es nicht braucht. Ein paar flapsige Witzchen waren dabei. Verbal versteht man hier seinen Humor, doch auf dem Papier kann das auch ganz schnell verdreht werden. Wahrscheinlich wird er hier durch ein kleines Stahlbad gehen müssen.
Sportlich dürfte es vor allem für Nianzou, Roca und die beiden Richards interessant werden.

Adrian Fein will FC Bayern nach drei Leihen verlassen – Greuther Fürth Favorit | Transfermarkt
Ich muss gestehen, ein wenig habe ich ja schon gehofft, dass Adrian Feins Weg unter Julian Nagelsmann noch eine ungeahnte Wendung nimmt. Leider sieht es anders aus. Schade, die Vorzeichen waren wirklich zu gut für ihn.

Ulreich: Beim HSV lief „nicht alles reibungslos“ – In München „nochmals eine gute Zeit haben“ | Transfermarkt
Die Kommunikation rund um die Torwartrochade beim FC Bayern ist wirklich wahnsinnig spannend. Von Seiten des HSV klingt es eigentlich so, als wären alle nicht zu traurig Ulreich loszuwerden, während der wiederum selbstbewusst meint, er wolle nicht länger 2. Liga spielen. Beim FC Bayern hingegen, ging man unter die totalen Pfennigfuchser, Stefan Ortega war ihnen schlicht zu teuer.
Ich bin durchaus skeptisch ob Ulreich auf diesem Niveau noch ein adäquater Back-Up ist, mit Ortega würde ich jedenfalls friedfertiger in die Saison gehen. In der 2. Liga hat Ulreich jedenfalls keine Bäume ausgerissen, ein wenig habe ich schon die Vermutung er könnte in seinem großen Bayern-Jahr über seinem Niveau gespielt haben.

Basketball: Serbe Jaramaz erster Neuzugang des FC Bayern | Kicker
Der FC Bayern hat den serbischen Shooting Guard Ognjen Jaramaz verpflichtet. Der 25-jährige kommt von Partizan Belgrad, wo er früher bereits von Coach Trinchieri trainiert wurde.

Spielertrikots des FC Bayern München | Trikotsammlung.de
Georg M. Mooshofer ist seit 1992 Bayern-Fan und sammelt seit 2012 Spielertrikots. Mittlerweile sind es über 600 ganz besondere Trikotmodelle, die auf seiner jüngst überarbeiteten und beeindruckenden Website wiederzufinden sind. Georg ist zudem ehrenamtlich für die Kurt-Landauer-Stiftung tätig und schaffte es, mit der ehemaligen Trikotfabrik Palme frühere Trikots originalgetreu als Retrotrikot aufzulegen. Drei historische Modelle konnten bereits gefertigt werden. An einem vierten Modell der Serie wird derzeit gearbeitet. Seit 2019 ist Georg auch Inhaber der Marke Palme. | Enrico

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