Vorschau: FC Bayern München – VfL Wolfsburg
„Ich habe das Gefühl, dass die Mädels in dieser Saison endlich die Chance haben. Mehr denn je“, sagte Verena Schweers, die für beide Klubs gespielt hat, im Interview mit uns. Mit „die Mädels“ meint sie die Bayern Frauen. Ihren jüngsten Ex-Klub. Im Gespräch wird deutlich, dass Verena Schweers mit ihrem überraschenden Ende beim FC Bayern nicht zufrieden ist. Gern wäre sie immer noch Teil dieser Mannschaft, die in diesem Jahr bereit zu sein scheint für den ganz großen Wurf.
„Dieses Jahr bin ich jedenfalls Fan der Mannschaft, ich schaue es mir gerne an, sehe viele gute Spiele und guten Fußball“, fügt sie hinzu und spricht damit aus, was alle denken, die diesen FC Bayern in den ersten acht Bundesliga-Partien beobachtet haben.
Sportjournalistin Jasmina Schweimler: „Der Kader der Münchnerinnen ist so stark wie noch nie“
Von der teils unsicheren, wenig strukturiert agierenden und in wichtigen Momenten eher zurückhaltenden Mannschaft der letzten Saison ist nichts mehr zu spüren. Stattdessen treten die Münchnerinnen selbstbewusst und zielstrebig auf. Ihre Schwächen? Kaum existent. Das zeigt auch die Antwort von Sportjournalistin Jasmina Schweimler auf die Frage, welche Stärken und Schwächen die Bayern haben:
Der Kader der Münchnerinnen ist so stark wie noch nie, qualitativ sowie in der Breite. Sie haben jede Position quasi doppelt gut besetzt und beispielsweise mit einer Spielerin wie Marina Hegering eine richtige Mentalitätsspielerin mit Erfahrung dazu geholt. Generell sind sie viel schwieriger auszurechnen, da viele verschiedene Spielerinnen Torgefahr ausstrahlen und gefährlich werden können. Sydney Lohmann hat dazu zurzeit einen guten Lauf, das kann noch einmal richtig beflügeln, sollte sie auflaufen können [fraglich wegen eines kleinen Muskelfaserrisses, Anm. d. Red.]. Die Mannschaft möchte etwas beweisen und ein Ausrufezeichen setzen. Es muss ganz klar Bayerns Anspruch sein, mit diesem Kader Meister zu werden.
Sie haben viele Spielerinnen, die gerade im Umschaltspiel mit ihrer Schnelligkeit glänzen und im Abschluss wird es in so einem Spiel dann auch zur Kopfsache. Beide Trainer werden sich etwas einfallen lassen und versuchen, zu überraschen. Für die Bayern ist es nach einer bisher makellosen Bilanz die erste Bewährungsprobe und ich bin gespannt, wie sie mit dem Druck und Stress, der ihnen entgegen kommen wird, umgehen werden.Jasmina Schweimler, Sportjournalistin u. a. für „DW Sports“, die „WAZ Wolfsburg“ und „Sportbuzzer“
Jasmina Schweimler ist eine der besten deutschen Sportjournalistinnen im Bereich des Frauenfußballs und ist seit Jahren eng dran an der Wolfsburger Mannschaft. Demnach weiß sie auch genau um die Stärken und Schwächen des VfL: „In Wolfsburg war die Chancenverwertung vermehrt Thema und dass sie es in der Abwehr oft zu kompliziert klären. Das war gegen Duisburg ein kleiner Weckruf, gegen Potsdam haben sie es aber sehr gut gelöst und kompakt gestanden, das erwarte ich gegen Bayern auch.“
Im Gegenzug sei es aber auch die Qualität der Wölfinnen, aus wenig sehr viel zu machen. Kaltschnäuzigkeit, die überragende Mentalität der Spielerinnen und die Gefahr bei Standards würden demnach zu den großen Stärken der Mannschaft zählen. Die Sportjournalistin nennt Dominique Janssen, Felicitas Rauch (Freistöße) und Lena Goeßling (Elfmeter) als sichere Vollstreckerinnen.
Wolfsburg wirkte nicht immer sattelfest
Doch was für ein Spiel erwartet die Zuschauer*innen? Jasmina Schweimler rechnet mit einem nahezu klassischen Topspiel: „Zum einen denke ich, dass es ein chancenarmes Spiel wird, da sich beide gut neutralisieren werden. Andererseits rechne ich mit einer temporeichen, aggressiven Partie.“
Die Details werden entscheiden. Wer gewinnt die wichtigen Zweikämpfe im Mittelfeld? Wer ist vor dem Tor den Tick effizienter? Wer schafft es, die kleinen Schwächen des Gegners besser für sich zu nutzen und die eigenen zu verstecken?
Es wäre vermessen, die Wolfsburgerinnen bei sieben Siegen und einem Unentschieden zu kritisieren. Vier Gegentore sind nicht die Welt, im Vergleich zu den Bayern aber doch ein Ansatz für die Analyse. Vielleicht liegt es auch daran, dass der VfL vor der Saison wichtige Schlüsselspielerinnen verloren hat und im Moment weitere wichtige Bestandteile der Mannschaft ausfallen, aber sie wirkten nicht immer sattelfest. Das sieht auch Jasmina Schweimler so:
Spielerisch mussten sich die Wolfsburgerinnen auf einige Neuerungen einstellen, dafür haben sie das bisher sehr gut gemacht. Durch die Ausfälle von Ewa Pajor, Pauline Bremer, Sara Doorsoun, zwischenzeitlich Fridolina Rolfö und nun auch Alexandra Popp gab es immer wieder Rückschläge, die sie verkraften mussten. Dafür lesen sich die Ergebnisse gut, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle mit Sicherheit noch Luft nach oben gibt. Das 1:1 in Freiburg war ein Patzer, den man sich so eigentlich nicht erlauben darf. In den vergangenen Jahren hatte das immer den Unterschied ausgemacht: Der VfL ließ gegen die vermeintlich „Kleineren“ nichts liegen, die Bayern schon. Aber die Saison ist noch lang und es ist nicht auszuschließen, dass auch die Münchnerinnen noch mal Punkte liegen lassen.Jasmina Schweimler
Bisher machen die Bayern aber einen strukturierten, besseren und souveräneren Eindruck als in den Vorjahren. Die von Jasmina Schweimler und Verena Schweers sehr gelobte Sydney Lohmann macht dahingehend womöglich den großen Unterschied. Sie ist nicht nur torgefährlich und bringt die nötige Kreativität für Durchbrüche und Überladungen mit, sie ist darüber hinaus auch noch eine starke Pressingspielerin, die selbst eine so hochklassig besetzte Mannschaft wie Wolfsburg unter Druck setzen kann.
Liegt für die Bayern der Schlüssel im Mittelfeld?
Gemeinsam mit Lina Magull und Sarah Zadrazil ergab sich so in den letzten Partien ein Mittelfeldtrio, das sich perfekt ergänzt. Technisch und spielerisch auf allerhöchstem Level, gegen den Ball gut organisiert und mit Lohmann auch physisch stark. Nun ist neben Lohmann auch Magull fraglich, weil sie einen Schlag aufs Sprunggelenk bekam.
Fällt auch nur eine der beiden aus, wäre das ein herber Rückschlag. Doch eine wichtige Stärke der Bayern Frauen liegt unabhängig von der hohen individuellen Qualität in der Breite des Kaders. Es wäre kompliziert, aber nicht unmöglich für Trainer Jens Scheuer, sie zu ersetzen. Angesichts der herausragenden Leistungen in den letzten Wochen wird er dennoch darauf hoffen, dass sein Herzstück im Mittelfeld zur Verfügung steht. Denn das Trio könnte der Schlüssel zum Erfolg sein.
Am Sonntag bietet sich den Münchnerinnen auch deshalb eine große Chance, weil der VfL Wolfsburg in einer Art Umbruch steckt. „Mit Pernille Harder, Sara Gunnarsdottir und Noelle Maritz haben drei wichtige Spielerinnen den Verein verlassen“, sagt Jasmina Schweimler.
Kleiner Umbruch beim VfL Wolfsburg
Doch wie kann es sein, dass das ausgerechnet den Wolfsburgerinnen passiert? Die Sportjournalistin sieht dafür ganz unterschiedliche Gründe. Harder beispielsweise hätte es nach London zum Chelsea FC gezogen, weil dort ihre Partnerin Magdalena Eriksson spielt und die Sehnsucht innerhalb der Fernbeziehung zu stark geworden sei. Der VfL habe einer so verdienten Spielerin dementsprechend keine Steine in den Weg legen wollen.
Bei Gunnarsdottir sei es mit Olympique Lyon schlicht der noch größere Klub gewesen, mit dem man nicht mithalten konnte. Ein interessanter Punkt, der die Vormachtstellung Lyons in Europa nochmal unterstreicht. Und auch „Maritz hätte man gerne gehalten, konnte sich jedoch nicht auf eine weitere Zusammenarbeit einigen“, sagt Jasmina Schweimler.
Wolfsburg hat versucht, diese Abgänge zu kompensieren, hatte dabei aber auch Pech:
Mit Pauline Bremer stand bereits früh ein offensiver Neuzugang fest. Sie ist vorne sehr flexibel einsetzbar, was in gewisser Weise auch die Stärken einer Harder sind. Leider fällt sie mit einem Kreuzbandriss jetzt aus.Jasmina Schweimler
Dennoch sei es den Wölfinnen den Umständen entsprechend gut gelungen, mit den Rückschlägen umzugehen und neue Wege zu gehen:
Mit Lena Oberdorf kam ein aufstrebendes Talent, die Gunnarsdottir im defensiven Mittelfeld eins-zu-eins ersetzen kann. Bisher konnte der VfL alle Abgänge ganz gut kompensieren. Svenja Huth schlüpft ein bisschen in die Harder-Rolle und hat auf der Zehn ihre Freiheiten, ist im Verlaufe des Spiels aber überall auf dem Feld zu finden und wirkt so stark wie noch nie. Im defensiven Mittelfeld setzt man dafür vermehrt auf Alexandra Popp, die leider ebenfalls ausfallen wird, und kann neben ihr mit Ingrid Engen oder Lena Oberdorf variieren.
Aber auch Torfrau Katarzyna Kiedrzynek, Abwehrspielerin Kathrin Hendrich und die beiden Last-Minute-Neuzugänge für die Offensive Shanice van de Sanden und Karina Saevik haben dem Team noch einmal einen Push und mit ihrer enormen Erfahrung viel Qualität gegeben. Grundsätzlich verteilt sich die Verantwortung mittlerweile auf mehreren Schultern und jeder trägt seinen Teil bei. Verantwortung übernehmen und eine Mannschaft auf dem Feld zu führen lässt sich ja auch immer unterschiedlich definieren und interpretieren. Zsanett Jakabfi ist mit ihren 10 Toren in acht Spielen zurzeit eine richtige Waffe – und dabei schon seit 2009 im Verein.Jasmina Schweimler
Wer setzt sich am Ende durch?
Wolfsburg ist ohne Frage gut. Aber sind sie auch sehr gut? Zugegebenermaßen ist das wohl die Frage, die auf beide Mannschaften derzeit zutrifft. Auch die Bayern Frauen bekommen es jetzt erstmals in dieser Saison mit einem absoluten Top-Gegner zu tun.
Es ist für beide eine Standortbestimmung. Die Bayern können dabei erstmals seit langer Zeit etwas entspannter in die Partie gehen. Klar, der Druck ist da, will man doch die Chance nutzen und den VfL auf fünf Punkte distanzieren. Aber in der Bringschuld sind diesmal die Wolfsburgerinnen. Sie wollen und müssen um jeden Preis einen solchen Rückstand in der Tabelle verhindern – gerade weil sich andeutet, dass die Bayern in ihren Spielen gegen die vermeintlich kleineren Teams souveräner sind als in den Vorjahren.
Das ist der Reiz. Und im Idealfall führt diese Situation zu einem hochklassigen Fußballspiel, das Werbung macht für den Frauenfußball. Oder wie Verena Schweers es mit uns im Gespräch ausdrückte: „Die beiden Teams können den Frauenfußball auf das nächste Level heben.“
Es sei wichtig, dass die Bayern Frauen bei sich bleiben würden und ihren Fußball auf den Platz bringen würden. Dann haben sie in dieser Saison die Chance, Wolfsburg endlich zu stürzen – „mehr denn je“, sagt die Ex-Spielerin beider Klubs. Das sieht auch Jasmina Schweimler so: „Ich bin da ganz bei Verena.“ Dennoch tippt sie auf ein 1:1. „Bei der Meisterfrage möchte ich mich aber nicht zu früh aus dem Fenster lehnen.“
Das Spiel findet am Sonntag um 14:00 Uhr in München statt. Der BR und der NDR übertragen im Fernsehen live, die ARD bietet zudem einen Livestream an. Ansonsten können MagentaSport-Kunden das Spiel auch dort sehen – live und im Re-Live.
An diese Stelle: Schade, dass die ARD das Spiel nicht in ihr Hauptprogramm integriert hat.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Jasmina Schweimler für das Gespräch im Vorfeld der Partie.