Vorschau: Chelsea FC – FC Bayern München

Justin Trenner 24.02.2020

Dienstagabend. London SW6. Flutlicht. Achtelfinale der UEFA Champions League. Chelsea FC gegen FC Bayern München. Wenn gegen 21 Uhr die Mannschaften auflaufen und die Hymne der Königsklasse ertönt, dürfte auch dem Letzten klar werden, worum es geht.

Sowohl Chelsea, Erzählungen nach irgendwann und irgendwo in den letzten zehn Jahren mal Champions-League-Sieger geworden, als auch die Bayern, die den Wettbewerb 2013 gewannen, haben in Europa nun schon länger keinen großen Gegner mehr geschlagen.

Im Achtelfinale wollen sie deshalb zeigen, dass sie dazu noch in der Lage sind. Und das macht diese Achtelfinalpaarung auch so spannend: Bei beiden ist überhaupt nicht klar, wo sie im europäischen Vergleich einzuordnen sind. Während Chelsea mit vielen jungen Spielern eine Art Neuanfang sucht, wollen die Bayern endlich Konstanz auf den Rasen bringen.

Chelsea FC: Jung und wild?

Im Sommer des vergangenen Jahres trennte sich Chelsea etwas überraschend von Maurizio Sarri, der immerhin die Europa League mit seiner Mannschaft gewann und sich mehr oder weniger souverän für die Champions League qualifizieren konnte. Nachfolger war Vereinslegende Frank Lampard, der das Team auch heute noch trainiert.

Seine Bilanz: 19 Siege, 7 Unentschieden, 12 Niederlagen und 1,68 Punkte pro Spiel. In der Liga bedeutet das aktuell Platz 4. Nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Ein wichtiger Faktor für die Leistungsschwankungen könnte sein, dass Lampard in dieser Saison viele junge Spieler eingebunden hat.

Mason Mount (21 Jahre alt; 37 Einsätze), Tammy Abraham (22; 33), Fikayo Tomori (22; 21), Reece James (20; 22), Callum Hudson-Odoi (19; 25) und weitere noch sehr junge, wenn auch schon erfahrenere Spieler wie Christian Pulisic (21; 23) oder Andreas Christensen (23; 18) haben in dieser Spielzeit einen hohen Anteil an Spielminuten.

Allerdings haben die Engländer auch nicht zu unterschätzende Stützen in ihrem Kader. Olivier Giroud, César Azpilicueta, Jorginho, Pedro, N’Golo Kanté, Marcos Alonso oder auch der deutsche Nationalspieler Antonio Rüdiger haben beispielsweise schon viel erlebt in ihrer Karriere. Die Geschichte vom jungen Chelsea, das erst noch reifen müsse, ist deshalb nur ein Teil der Wahrheit.

Charakterisierung einer sehr guten Mannschaft

Lampard hat auf die Arbeit seines Vorgängers Sarri aufgebaut. Mit rund 57 % Ballbesitz (Platz 3) zählt Chelsea zu den Mannschaften der Liga, die selbst das Spiel gestalten. Zentrale Spielmacher wie Jorginho, Kovacic oder der dynamische Kanté bieten gute Grundvoraussetzungen dafür. Lampard legt viel Wert auf ein sauberes Passspiel. In etwa 84 % der Zuspiele kommen an, was hinter Pep Guardiolas Manchester City der zweitbeste Wert in der Premier League ist.

Trotzdem erzeugt Chelsea am meisten Gefahr, wenn sie über Unschaltsituationen kommen können. Gegen tief gestaffelte und gut sortierte Gegner fällt es ihnen noch schwer, hinter die Abwehrkette zu gelangen. Schaffen die Blues es jedoch, ihre schnellen Flügelspieler in Eins-gegen-eins-Situationen zu bringen oder sie gar über die Schnittstellen freizuspielen, ist es nur sehr schwer, sie noch zu verteidigen.

Wie bereits angedeutet, zieht das kreative Mittelfeld die Fäden. Gerade Jorginho, den Sarri einst aus Neapel mitbrachte, ist ein herausragender Taktgeber. Sein Positionsspiel, seine Technik und sein Auge erlauben es ihm, Gegner zu sezieren. Sein wichtigstes Werkzeug ist dafür der Pass. Gegen Tottenham gelang ihm am Wochenende ein etwa 25 bis 30 Meter langer Schnittstellenpass, der letztendlich in der Führung resultierte.

Die Taktgeber im Zentrum

Ihm zur Seite steht im Normalfall N’Golo Kanté, der als dynamischer und robuster „Läufer“ viele Defensivaufgaben übernimmt, gleichzeitig aber auch in Ballbesitz viele Räume durch seine Präsenz und Ballsicherheit öffnen kann. Vor allem seine Qualität im (Gegen-)Pressing ist sehr wichtig für die Mannschaft. Der Franzose wird nun aber gegen die Bayern ausfallen und so schmerzlich vermisst werden.

Mehr Verantwortung hat zuletzt auch Mateo Kovacic erhalten. Der Kroate ist ebenfalls ein technisch hochbegabter Spieler, der wie Jorginho mal eben mehrere Pressinglinien des Gegners knacken kann. Sein wichtigstes Werkzeug ist allerdings das Dribbling. 3,7 seiner 4,3 Dribblings pro 90 Minuten sind erfolgreich. Das ist eine Erfolgsquote von beeindruckenden 86 Prozent.

Kovacic ist ähnlich wie Thiago sehr beweglich und dribbelt häufig an, um die Distanz nach vorn zu verkürzen. Anschließend ist er ebenso dazu fähig, die gegnerische Abwehr mit nur einem Pass zu entblößen. Kommt die Mannschaft von Lampard über ihre Spielmacher ins Rollen, hat es jeder Gegner der Welt schwer. Bayern wäre deshalb gut beraten, den Druck auf Chelseas Spielaufbau hochzuhalten.

Taktikanalyse: Welche Details sind wichtig?

Eine vermeintliche Schwäche der Blues stellt die Defensive dar. Mit 37 Gegentoren haben sie bereits mehr als doppelt so viele wie Liverpool kassiert. Allerdings lassen sie im Schnitt nur 8,7 Schüsse und 0,94 Expected Goals Against pro Spiel zu. Viele Gegentreffer resultierten eher aus individuellen Fehlern als aus taktischen Schwächen.

Und doch muss gerade das eine wichtige Erkenntnis für die Bayern sein. Setzt man Chelsea unter Druck, machen sie Fehler. Gerade der Spielaufbau funktioniert dann nicht immer tadellos. Gegen Manchester United spielten sie ungewöhnlich viele lange Bälle, weil ihre Spielmacher nach Anspiel zu selten aufdrehen konnten.

Ein weiterer Ansatz für mögliche Schwachstellen lässt sich hinter der vordersten Pressinglinie finden. Mittelfeld und Abwehr schieben besonders dann nicht konsequent genug nach, wenn sie durch ihre Gegenspieler vor Entscheidungen gestellt werden. Heißt konkret: Wenn die zentralen Mittelfeldspieler sich im Bruchteil einer Sekunde fürs Herausschieben oder Halten der Position entscheiden müssen, gibt es oftmals Unstimmigkeiten. Die Bayern können das durch abkippende Läufe ihrer Offensivspieler erreichen.

Ähnlich wie die Münchner hat Chelsea noch ein Problem damit, die hoch pressenden Außenverteidiger gut abzusichern. Spielt die Lampard-Elf mit einer Viererkette, entstehen auf den Flügeln Räume, die bei Ballgewinnen des Gegners zum Risiko werden. Und selbst mit der Fünferkette gegen Tottenham gab es Situationen, in denen die Spurs mehr Druck auf den Außenbahnen hätten erzeugen können. Gerade Kanté wird der Mannschaft als Staubsauger sehr fehlen.

Wie Lampard und Chelsea die Partie gegen die Bayern angehen könnten und welche Mittel beide Mannschaften haben, analysieren wir in einer neuen Folge „Mia san Rotstift“:

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FC Bayern München: Konterabsicherung als Knackpunkt?

In ihrer Leistungsspitze haben die Bayern zuletzt angedeutet, dass sie weiterhin zu den besten Mannschaften Europas zählen. In der Konstanz hingegen sah das alles andere als gut aus. Die Schwankungen innerhalb der jeweiligen Partien waren zu stark. Auf erdrückende und dominante Halbzeiten folgte regelmäßig ein Einbruch im zweiten Durchgang.

Der Schlüssel gegen Chelsea wird vor allem in einer Kombination aus zwei Aspekten liegen: Einerseits muss die Intensität ohne Ball so hoch sein, dass das Mittelfeld der Blues nicht ins Rollen kommt. Auf der anderen Seite muss es dafür Phasen der Kontrolle geben, in denen man Kräfte spart, ohne dem Gegner zu viele Spielanteile zu überlassen.

Die gegen Paderborn erprobte Dreierkette hat eine Möglichkeit der Konterabsicherung angedeutet, die gegen Chelsea sehr wertvoll sein könnte. Dafür muss die Mannschaft nicht mal von ihrem 4-2-3-1 oder 4-3-3 abweichen. Sichern die Münchner mit drei Verteidigern breit ab, haben sie im Idealfall zwei schnellere Spieler auf den Halbpositionen, die notfalls in Laufduelle gehen können, sollte Chelsea der schnelle Pass in die Tiefe gelingen. Zentral bleibt zudem die Option eines weiteren Spielers als Absicherung.

Lassen sich die Bayern auf Eins-gegen-eins-Laufduelle in der Abwehr ein, könnte es schnell gefährlich werden. Chelsea hat die Qualität, die grün markierte Zone zu bespielen und das Tempo, um die Innenverteidiger des Deutschen Meisters zu überrennen. Bayern sollte deshalb überlegen, mit einem Spieler mehr in der Abwehrlinie abzusichern. Entweder mit einem abkippenden Mittelfeldspieler oder dem ballfernen Außenverteidiger.

Zwei Fragen sind hier entscheidend. Erstens: Wie schnell gelingt der Zugriff der Bayern auf den Flügeln? Wenn das Anlaufverhalten der Außenverteidiger getriggert wird, müssen die Anspielstationen im Zentrum schnell gedeckt werden, um ein Überspielen auf dem Flügel zu verhindern. Und die zweite Frage: Wer besetzt die Position neben David Alaba? Jérôme Boateng kam zuletzt in eine gute Form, doch sein Defizit in Laufduellen und einzelnen Zweikämpfen deutete sich bereits in der zweiten Halbzeit gegen Leipzig an. Lucas Hernández machte auf der halbrechten Position aber keinen sonderlich guten Eindruck und auch Alaba ist auf dieser Position nicht so stark wie im halblinken Raum. Beide wären immerhin schneller als Boateng. Doch Flick wird abwägen müssen, wer besser in die von ihm angedachte Rolle passt.

Kommen die Bayern in ihrem Pressing zu spät, drohen solche Tempoangriffe. Paderborn, aber auch anderen Bundesligamannschaften gelang dies zuletzt zu oft. Ziel der Bayern ist es, den Außenspieler zu isolieren. Dafür wird ein hohes Risiko eingegangen, das in den meisten Fällen belohnt wird. Klappt es aber nicht, ist die Bahn frei.

Ein Zeichen nach Europa senden

Chelsea zählt nicht zu den absoluten Top-Mannschaften Europas. Dafür fehlt es vor allem an Cleverness und Flexibilität. Stellt der Gegner das Zentrum gut zu, fehlen meist die Alternativen. Darüber hinaus fehlt wohl einfach die Erfahrung bei vielen wichtigen Leistungsträgern.

Aber auch die Bayern müssen erstmal beweisen, dass sie Ansprüche auf den Champions-League-Titel stellen können. Chelsea ist dafür eine passende Standortbestimmung. In den vergangenen Wochen haben sich die Münchner nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Aber sie haben ihre Pflichtaufgaben erfüllt.

Im Gegensatz zu Chelsea haben sie die nötige Erfahrung, die am Ende den Unterschied machen kann. Doch agieren sie ähnlich nachlässig wie in vielen Phasen der zweiten Halbzeiten, werden sie womöglich ausscheiden. Wenn am Dienstagabend in London SW6 das Flutlicht angeht, gegen 21 Uhr die Mannschaften auflaufen und die Hymne der UEFA Champions League ertönt, dürfte auch dem Letzten klar werden, worum es geht. Nämlich um eine Demonstration der eigenen Leistungsfähigkeit. Darum, ein Zeichen nach Europa zu senden. Und das gilt für beide Mannschaften.