Nach Sieg in Hoffenheim: Ist dieses Jahr die Meisterschaft drin?

Justin Trenner 12.10.2020

Jens Scheuer hat dieser Tage auffällig oft ein Lächeln aufgesetzt. Stolz kann er in Interviews im Moment nur Gutes über seine Mannschaft los werden. Denn die FC Bayern Frauen marschieren weiter durch die Liga. Auch am sechsten Spieltag kassieren die Münchnerinnen kein Gegentor, mittlerweile stehen sie sogar bei 20 Treffern. Weil die Wolfsburgerinnen am Wochenende nicht über ein 1:1 in Freiburg hinaus kommen, erobern sie sogar die Tabellenführung zurück.

Es ist eine insgesamt sehr souveräne Leistung des FC Bayern. Kein Vergleich zu Punktverlusten insbesondere in der letzten Hinrunde. Die Mannschaft wirkt gefestigt, in sich ruhend und extrem selbstbewusst. Selbst in den zähen Spielen gegen Freiburg und teilweise gegen Essen gab es keinen Zeitpunkt, der Zweifel daran zuließ, dass dieses Team gewinnen würde.

Bayerns Weg nach oben geht weiter

Die Marschroute ist klar: Eher früher als später wollen die Bayern den VfL Wolfsburg angreifen und die Meisterschaft gewinnen. Der Weg dorthin schien in der vergangenen Saison noch sehr weit zu sein. Zu behäbig wirkte das Spiel nach vorn mitunter, zu wenig Dynamik und Flexibilität waren auf dem Platz zu sehen.

In dieser Saison ist es bisher anders. Viel Bewegung auf dem Platz, eine hohe Intensität und gerade aus dem Mittelfeldzentrum heraus viel Dynamik. Lina Magull, die mit vielen klugen Entscheidungen das Spiel nach vorn ausbalanciert, und Sydney Lohmann, die wie wohl keine Zweite das verkörpert, was mit Dynamik gemeint ist, beleben das Spiel der Bayern Frauen in dieser Saison.

Gegen Hoffenheim zeigte die Mannschaft ihre ganze Flexibilität: Scheuer wechselte auf vier Positionen, stellte dementsprechend auch taktisch leicht um. Die zuletzt mit guten Ansätzen auf der Außenbahn überzeugende Klara Bühl lief diesmal in der zentralen Offensive auf, auf den Flügeln starteten Geburtstagskind Lineth Beerensteyn und Viviane Asseyi. Lohmann, die zuletzt auf der Doppelsechs den etwas offensiveren Part neben Magull spielte, rückte auf eine Art Zehnerposition, die sie sehr flexibel besetzte. Die Achterposition wurde von der zweikampfstarken Sarah Zadrazil gespielt. Auch hinten baute Scheuer etwas um, brachte Carina Wenninger für die am Knie verletzte Kristin Demann. Ilestedt rückte auf die Linksverteidiger-Position.

Von Abstimmungsschwierigkeiten war aber wenig zu merken. Begünstigt durch das frühe Tor von Ilestedt nach einem Standard, bei dem die Hoffenheimerinnen kollektiv schliefen, drückten sie ihre Gegnerinnen in die Defensive.

Hoffenheim war nicht der entscheidende Gradmesser

Nur in wenigen Situationen schaffte es die TSG, mit etwas mutigeren Pressingaktionen auch mal Ballgewinne zu verbuchen und in Kontersituationen zu gehen. Die beste Chance hatten sie kurz nach dem 1:0, als Magull den Ball am eigenen Strafraum leichtfertig hergab – doch sie blieb ungenutzt.

Mit Blick auf die kommenden Wochen wird vor allem die Präzision weiter ein Thema sein. Hoffenheim war letztendlich doch nicht der Gradmesser für die Bayern, den man bei der talentierten Mannschaft hätte erwarten können. Zu passiv und naiv agierten sie in vielen Situationen, zu leicht ließen sie sich von starken Münchnerinnen lenken. Am Ende reichten eine gute Halbzeit der Bayern und ein zweiter Durchgang, in dem sie merklich einen Gang rausnahmen.

Potsdam hingegen wird schon eine andere Herausforderung für die Bayern sein. Wenn die Mannschaft von Jens Scheuer dann leichtfertig den Ball verliert, könnte die eine oder andere Situation härter bestraft werden. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie weit die Bayern Frauen wirklich sind. So vielversprechend die ersten sechs Spieltage auch waren, so sehr muss eingeordnet werden, dass bisher noch kein Team dabei war, das die Bayern an ihre Grenzen bringen konnte.

3 Dinge, die auffielen

1. Magull und Lohmann als Schlüssel im Mittelfeld

Bereits im letzten Artikel haben wir analysiert, wie wichtig Lina Magull für das Bayern-Spiel ist. Mit ihrer Ruhe am Ball (abgesehen von dem beschriebenen Fehler gegen Hoffenheim), ihrem klugen Positionsspiel und ihrer Arbeit nach hinten ist sie ein wichtiger Anker im Mittelfeld.

Etwas zu kurz kam dabei die Rolle von Sydney Lohmann, die insbesondere für den Ballvortrag vom Mittelfeld in das Angriffsdrittel entscheidend ist. Gegen Hoffenheim spielte sie nun etwas höher in einer von ihr sehr frei interpretierten Zehnerrolle. Immer wieder stieß sie aus dem Mittelfeld als zweite Spitze neben Klara Bühl nach vorn und sorgte so für Überforderung bei den Gegnerinnen.

Ihre Dribblings, ihr Passspiel und ihre Präsenz auf dem Platz sind so wichtig für die Struktur der Mannschaft. Sie könnte gegen Potsdam und später dann auch im Topspiel gegen Wolfsburg zur entscheidenden Spielerin werden, weil sie auf dem ganzen Platz Verbindungen knüpft. Im Zusammenspiel mit der zuletzt eher absichernden Magull sieht das schon früh in der Saison sehr gut aus.

Durch ihre spielerischen Qualitäten gelingt auch die Einbindung der Angreiferinnen vorne besser. Gerade Viviane Asseyi profitiert sehr von der guten Vorbereitung ihrer Aktionen durch ihre Teamkolleginnen. Die Französin passt mit ihren technischen Qualitäten, ihrer Abschlussstärke und ihrem mutigen Spielstil perfekt ins Team. Auch die junge Klara Bühl, der sichtlich noch nicht alles gelingt, kann sich vorn mehr zutrauen, weil sie genau weiß, dass sie von hinten gut unterstützt wird. Dieser Teamspirit und die daraus resultierende Zusammenarbeit machen die Bayern derzeit so stark.

2. Starkes Pressing – aber auch gegen Potsdam und Wolfsburg?

Ähnlich wie die Männer spielen auch die Frauen des FC Bayern ein recht hohes und druckvolles Pressing. Mit hoher Intensität jagen sie ihre Gegnerinnen schon in deren Spieleröffnung. Wobei es auch gegen Hoffenheim einige Phasen gab, in denen die Bayern in einem etwas tieferen 4-4-2 verteidigten, so waren sie doch in den meisten Situation darauf aus, hohe Ballgewinne zu erzeugen – mit Erfolg!

Hoffenheim wollte immer wieder flach und kurz aufbauen, geriet aber ziemlich schnell unter Druck und verlor so einfache Bälle. Einzig die schlechte Ausbeute aus den darauffolgenden Angriffen kann man den Bayern ankreiden. Am Sonntagnachmittag hätten deutlich mehr Tore fallen müssen als nur die vier.

Die große Frage ist nun, ob Scheuer seiner Mannschaft ein solch offensives System auch gegen die großen Wolfsburgerinnen zutraut, oder ob er nicht doch wieder anpasst. In den letzten Jahren gab es nicht selten die Kritik, dass die Bayern etwas zu zaghaft und mit etwas zu viel Respekt vor den großen Wolfsburgerinnen agiert habe. Eigentlich ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um Wolfsburg mit den eigenen Stärken zu konfrontieren, statt nur darüber nachzudenken, wie man deren Stärken am besten verteidigt.

3. Das perfekte Jahr für die Meisterschaft?

Wolfsburg hat nicht nur wegen des 1:1 in Freiburg aktuell größere Probleme. Mit Pernille Harder wechselte eine der besten Spielerinnen, wenn nicht sogar die beste nach England zu Chelsea. Ebenso schmerzt der Abgang von Sara Gunnarsdottir nach Lyon. Darüber hinaus plagen die Meisterinnen aktuell Verletzungssorgen: Nationalstürmerin Pauline Bremer wird lange ausfallen und auch mit Ewa Pajor sowie jüngst auch Alexandra Popp werden wichtige Säulen des Teams erstmal fehlen.

In den kommenden drei Spielen haben die Bayern-Frauen die große Chance, ihren Vorsprung auf mindestens fünf Punkte auszuweiten. Zunächst im direkten Duell mit Turbine Potsdam, die mit begeisterndem und mutigem Fußball in die Saison gestartet sind und jetzt punktgleich mit dem VfL Wolfsburg sind. Anschließend wartet mit Meppen (2 Punkte, vorletzter Platz) eine Pflichtaufgabe, bevor es daheim im Spitzenspiel gegen Wolfsburg geht.

Die treffen vor diesem Duell wiederum erst auf Duisburg und müssen dann nach Potsdam. Es ist jetzt schon eine sehr spannende Saisonphase, die Lust auf mehr macht. Für die Bayern ist es die große Chance, ein wichtiges Zeichen zu setzen. Wolfsburg ist verwundbar und die Münchnerinnen wollen sie eher früher als später stürzen.

Die Ansprüche sind beim FC Bayern naturgemäß hoch und auch wenn es vor dieser Saison viele Unbekannte gab, so hat dieser Kader das Potenzial für Titel. Hinter starken Wolfsburgerinnen kann sich jedenfalls niemand mehr mehr verstecken. Man ist fast geneigt zu sagen: Wenn nicht in diesem Jahr, wann dann? All das berechtigte Lob für die ersten Spiele ist wenig wert, wenn es gegen eine große Mannschaft dann wieder nicht reicht. Das ist allen klar und deshalb gilt es jetzt, den Rückenwind zu nutzen, um die kommenden Spiele bestmöglich abzuschließen. Im Idealfall kann Jens Scheuer dann auch nach dem Wolfsburg-Spiel lächelnd Interviews darüber geben, wie grandios seine Mannschaft aktuell aufspielt. Es wäre noch lange nicht der Schlussstrich, aber es wäre ein wichtiger erster Schritt und ein Signal nach Wolfsburg.