Vorschau: Bundesliga-Auftakt gegen Hertha BSC

Justin Trenner 14.08.2019

Es ist das 18. offizielle Eröffnungsspiel, das der FC Bayern München und Hertha BSC am Freitagabend austragen werden. Elfmal war der Rekordmeister daran beteiligt – zehn Siege und ein Unentschieden gegen den HSV (2:2, 2008) gab es bisher. Für Hertha ist es die zweite Teilnahme an einer Saisoneröffnung. 2002 spielten die Berliner in Dortmund 2:2.

Beide sind in solchen Aufeinandertreffen also noch ungeschlagen, wenngleich die Stichprobe bei den Bayern etwas größer ist. Auch die Heimbilanz gegen Hertha spricht für den amtierenden Meister: 27 Siege, 5 Unentschieden, 4 Niederlagen. Den letzten Sieg in München holten die Blau-Weißen 2001 im Ligapokal (0:1). In der Bundesliga muss man bis ins Jahr 1977 zurückgehen (0:2). Seitdem gab es 19 Heimsiege und 5 Unentschieden für die Münchner.

Auf dem Papier sind die Bayern dementsprechend wie so häufig klarer Favorit. Doch die alte Dame aus der Hauptstadt hat sich im Sommer verändert. Unter Trainer Ante Čović und mit neuem Investor soll aus der grauen Maus endlich ein „Big City Club“ werden.

Hertha BCC: Der Big City Club?

37,5 Prozent seiner Anteile hat Hertha BSC an Lars Windhorst verkauft, der im Gegenzug 125 Millionen Euro in den Bundesligisten investiert. Im Falle einer weiteren Veräußerung von 12,4 Prozent (dann 49,9%) käme man insgesamt sogar auf bis zu 250 Millionen Euro. Die Ambitionen des Investors wirken riesig, doch in Berlin stößt das nicht nur auf Vorfreude.

Hertha-Experte und HerthaBase-Autor Marc Schwitzky sprach in einem Interview mit n-tv von seiner Angst, dass die Ziele des Investors einfach zu unrealistisch wären. Man könne sich trotz der Millionen nicht plötzlich mit den großen Klubs in London oder Madrid vergleichen. Stattdessen sei die Zielsetzung von Manager Michael Preetz deutlich realistischer.

Es ginge erstmal darum, die Reichweite zu den internationalen Plätzen in der Liga zu verringern: „Hertha ist ein Verein, der immer an dieser Schwelle steht. In den letzten Jahren ist es auch ein paar Mal gelungen, in diese Phalanx reinzubrechen. Das nächste Ziel muss sein, in diese Tabellenregionen dauerhaft reinzustoßen“, so Schwitzky. Und dafür sei die finanzielle Spritze auch dringend notwendig gewesen. Andernfalls wäre man zu abhängig vom Faktor Glück.

Čović sorgt für eine positive Grundstimmung

Einer, der den Herthanern neben der finanziellen Neusanierung Mut macht, ist Ante Čović. Der 43-Jährige spielte von 1996 bis 2000 für die Profis und von 2003 bis 2010 für die zweite Mannschaft der Hertha. Von 2010 bis 2019 arbeitete er als Jugendtrainer in der Akademie des Klubs. Nun soll er ab diesem Sommer als Cheftrainer für den nächsten sportlichen Schritt sorgen.

Für den Hauptstadtklub gestaltete sich die Trainersuche in der letzten Saison nicht ganz einfach, weil mehrere Konkurrenten in der Bundesliga einen neuen Mann an der Seitenlinie suchten. Trotz der Gerüchte um André Villas-Boas reichte es dann „nur“ für eine vereinsinterne Lösung. Die Befürchtung, es würde sich durch einen zweiten Dardai rein gar nichts ändern, machte sich schnell breit.

Doch Čović wusste mit seinen Ideen für die Mannschaft in der Vorbereitung zu überzeugen, die er dem Klub und seinen Spielern vorlegte. Das trug dazu bei, dass der Kader weitestgehend zusammenblieb. Bis auf Valentino Lazaro (für 22 Millionen Euro zu Inter Mailand) ging kein entscheidender Spieler. Dafür kamen mit Dodi Lukebakio (für 20 Millionen Euro vom FC Watford), Eduard Löwen (7 Millionen Euro, 1.FC Nürnberg) und Daishawn Redan (2,7 Millionen Euro, Chelsea FC U23) junge Spieler an die Spree, die sich dort entwickeln sollen. Besonders wichtig dürfte aber die erneute Leihe von Marko Grujic (Liverpool FC) sein, der in der letzten Saison eine wichtige Rolle einnahm. Dedryck Boyata (ablösefrei von Celtic Glasgow) ist mit 28 Jahren der älteste Neuzugang, wenn man die Rückkehrer von Leihgeschäften außer Acht lässt.

Mehr Kontrolle, aggressiveres Pressing

Auf den ersten Blick hinterlassen diese Transfers jetzt keinen bleibenden Eindruck. Doch etwas genauer betrachtet wird deutlich, dass die Spieler gut zu den Ideen von Trainer Čović passen. Der Kroate möchte in Berlin endlich progressiven und dominanten Fußball etablieren – im Rahmen der dortigen Bedingungen.

Unter Dardai war das Spiel der Herthaner meist etwas lethargisch und zäh. Gerade wenn die gegnerischen Mannschaften das Zentrum gut verteidigten und kompakt standen, hatte Hertha Probleme, aus eigenem Ballbesitz heraus Chancen zu erspielen. Mit nur 11,9 Abschlüssen pro Bundesliga-Spiel bewegte sich die Mannschaft in der abgelaufenen Saison im unteren Drittel der Tabelle. Im Jahr zuvor brachte man es nur zu 9,4 Abschlüssen pro Spiel (schlechtester Wert der Liga). Die Abhängigkeit von der eigenen Effizienz war zu groß.

Wie Marc Schwitzky uns im Gespräch verriet, soll sich das jetzt ändern. Čović möchte, dass seine Mannschaft ein Spiel über gutes Positionsspiel sowie hohem Pressing und Druck kontrollieren kann. Schaut man sich die Vorbereitungsspiele der alten Dame an, so lassen sich diese Ansätze auch erkennen.

Flexibler, schneller, überraschender

Unter Čović scheint es keine eindeutige Grundformation mehr zu geben. Hertha wechselte in den ersten Partien – auch innerhalb der Spiele – zwischen einem 4-3-3, 3-5-2 und 4-4-2. Gerade im Mittelfeld fordert der Trainer mehr Präsenz und Aktivität von seinen Spielern als es noch unter Dardai der Fall war.

Denn Hertha will von dem berechenbaren Spiel über die Außenbahnen wegkommen. Dafür wird im Spielaufbau der Weg über das Zentrum und die Halbräume bevorzugt, ehe es später in die Breite geht. Den Außenverteidigern kommt deshalb eine größere Verantwortung zu. Statt ständig die Linie rauf und runter zu laufen, fordert Čović auch diagonale Laufwege ein. Besonders Plattenhardt überzeugte dabei in den ersten Partien als Anspielstation zwischen den Linien des Gegners im Halbraum.

Hertha soll darüber hinaus flexibler, schneller und überraschender werden. Das Ziel: Mehr Tiefe im eigenen Spiel. Ibisevic, Kalou, Grujic, Duda und Darida – abschlussstarke Spieler gibt es zu Genüge im Kader. Doch Dardai schaffte es zu selten, diese Qualität konstant zu nutzen. Die ersten Wochen lassen die Prognose zu, dass es unter Čović mehr und qualitativ hochwertigere Abschlüsse geben wird.

Ante Čović genießt nach der guten Vorbereitung viel Vertrauen und verbreitet gute Stimmung.
(Foto: Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images)

Probleme in der vertikalen Kompaktheit

Doch wo Mut für das Offensivspiel ist, ist häufig auch eine Anfälligkeit in der Defensive zu beobachten. Hertha schafft es noch nicht, den Druck und die Intensität über 90 Minuten zu halten oder zumindest so lange, dass es für die Kontrolle des Spiels ausreicht.

Das liegt manchmal daran, dass die vertikale Kompaktheit im entscheidenden Moment noch fehlt. Manchmal liegt es auch daran, dass das Umschalten ins Gegenpressing nicht schnell genug funktioniert. Sicherlich spielt hier die individuelle Klasse der Spieler eine gewichtige Rolle. Deshalb könnte es ein vielversprechender Ansatz für die Bayern sein, die Berliner am Freitag durch kluge Läufe vertikal auseinander zu ziehen und zu bewegen, um den Zwischenlinienraum zu nutzen. Es wird spannend zu sehen, ob Čović für seine Strategie die richtigen taktischen Werkzeuge findet, die er der Mannschaft an die Hand geben kann – nicht nur am Freitag, sondern auch im Saisonverlauf.

Zumal das Umfeld bei Hertha BSC nicht unbedingt für Ruhe und Geduld bekannt ist. Sollten die Umstellungen dazu führen, dass die Berliner die eine oder andere höhere Niederlage kassieren, könnte es schnell kompliziert werden. Dardais defensive Stabilität wurde geschätzt. Doch mit Čović geht man nun den bewussten Weg nach vorn. Erreicht er eine gute defensive Stabilität bei gleichzeitiger offensiver Durchschlagskraft, dürfte Hertha eines der spannenderen Projekte in der kommenden Saison werden.

Bayerns Probleme im Mittelfeld

Für den FC Bayern dürfte es wiederum ganz gut sein, dass sie so früh auf Hertha BSC treffen. So absurd das aus der Perspektive eines klaren Meisterschaftsfavoriten klingen mag, aber die Münchner scheinen noch nicht sattelfest zu sein, wenn ein Gegner strukturiert und kompakt nach vorn pressen kann und Hertha wird hier als Gegner in einigen Wochen sicher bedeutend unangenehmer sein.

Auch die Mannschaft von Niko Kovač arbeitet daran, mehr durch das Zentrum oder die Halbräume aufzubauen und das Spiel erst später breit zu machen, damit der Gegner sich erst zusammenziehen muss und so mehr Platz für die Flügelstürmer vorhanden ist. Doch in den bisherigen Auftritten gab es dabei zu viele einfache Ballverluste, die zu Kontern einluden. Für Hertha wären solche Situationen ein gefundenes Fressen. Schon unter Dardai war die Mannschaft sehr stark in Umschaltsituationen, was sich so schnell nicht geändert haben dürfte. Abhilfe für die leichtfertigen Ballverluste der Bayern könnte eine bessere ballnahe Unterstützung sein, damit Thiago nicht zu sehr in der Luft hängt. Auch die Besetzung des offensiven Halbraums wäre diesbezüglich wichtig, funktioniert aber noch nicht über 90 Minuten.

Die Einbindung der Achter ist in all diesen Aspekten von entscheidender Bedeutung. In der Vorbereitung hatte das Dreiermittelfeld im 4-3-3 in allen Kombinationen Probleme im Positionsspiel. Gegen Cottbus zeigte Renato Sanches eine ansprechende Leistung im Dreieck mit Kingsley Coman und David Alaba. Dafür war die rechte Seite um Thomas Müller, Joshua Kimmich und Corentin Tolisso ein Totalausfall.

Welche Kombination ist sinnvoll?

Kovač sucht weiterhin nach den richtigen Spielern. Leon Goretzka bietet sich wegen seiner Torgefahr und seinen Laufwegen in die Tiefe immer an, sein Einsatz könnte am Freitag aber auch zu Problemen führen, wenn Hertha es schafft, ihn vom Spielgeschehen zu isolieren – in der vergangenen Spielzeit tauchte Goretzka mehrfach in ganzen Spielphasen ab. Sanches hat sich gegen Cottbus wiederum durch kluges Positionsspiel und gute Dribblings für einen Einsatz qualifiziert. Andererseits hat er noch zu viele Momente, in denen er unkonzentriert und fahrig wirkt – gegen Hertha sollten einfache Ballverluste vermieden werden.

Tolisso konnte bisher gar nicht überzeugen und könnte so zum Saisonauftakt auf der Bank sitzen. Es bleibt noch Thomas Müller, der aufgrund seines Offensivdrangs vom zweiten Achter defensiv ausbalanciert werden müsste. Kämen dafür nur Sanches und Goretzka in Frage, wäre der Portugiese womöglich die bessere Option. Goretzka schaffte es bisher nicht, die Rolle als Zwischenspieler adäquat zu übernehmen.

Dieses Gedankenspiel zeigt ganz gut, warum die Bayern an einem weiteren Mittelfeldspieler interessiert sind. Hertha wird darauf aus sein, die Löcher im Positionsspiel der Münchner für sich zu nutzen. Anders als in den letzten Begegnungen mit dem Serienmeister ist zu erwarten, dass die Berliner mitspielen wollen. Es wird gern gesagt, dass das den Bayern entgegenkäme. Doch das müssen sie gegen wahrscheinlich mutige und zuversichtliche Berliner erst einmal beweisen.

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So läuft es gegen Hertha BSC …

Die ersten 15-20 Minuten werden durch ein Abtasten geprägt sein. Hertha wird mutig nach vorn pressen, Bayern lässt sich aber nicht überraschen. Vor der Pause fällt noch das 1:0. In der zweiten Halbzeit stellt Čović um und Hertha kommt besser rein. Der Ausgleich fällt zwar, doch Bayern fängt sich und gewinnt schließlich mit 2:1.

So könnte Bayern spielen …

4-3-3: Neuer – Kimmich, Süle, Boateng, Alaba – Thiago – Goretzka, Sanches – Gnabry, Lewandowski, Coman

Es fehlen: Javi Martínez (nicht fit), Ivan Perišić (gesperrt)

So läuft der Spieltag …

Bayern 2:1 Hertha
Freiburg 1:1 Mainz
Dortmund 4:1 Augsburg
Wolfsburg 2:0 Köln
Leverkusen 3:0 Paderborn
Bremen 2:1 Düsseldorf
Gladbach 2:0 Schalke
Frankfurt 1:2 Hoffenheim
Union 1:1 Leipzig