Vorschau: FC Sevilla – FC Bayern München

Justin Trenner 01.04.2018

Ja, es hätte die Münchner deutlich härter treffen können. Sevilla zählt nicht zum Favoritenkreis, und hat in den letzten Monaten sowie Jahren sogar qualitativ etwas abgebaut. In einem Viertelfinale der Königsklasse allerdings von „Losglück“ zu sprechen, wird dieser Mannschaft nicht gerecht. Oder, um es mit Mertesacker zu sagen: denken Sie ernsthaft, dass unter den letzten acht Mannschaften in Europa eine Karnevalstruppe dabei ist?

Konsequentes, variables und aggressives Pressing

Zwischen 2014 und 2016 gewann der FC Sevilla drei Mal die Europa League. Trainer war damals Unai Emery, der aktuell noch bei PSG unter Vertrag steht. Seitdem standen bei den Spaniern Jorge Sampaoli, Eduardo Berizzo und nun Vincenzo Montella unter Vertrag. Speziell in der Liga gelang der große Sprung über Platz 5 hinaus jedoch nie. Das Team lebte quasi für die Pokalwettbewerbe. Dort konnten sie ihren Fußball am besten zelebrieren.

Auch wenn Sevilla in dieser Saison unkonstante Leistungen zeigt, müssen die Bayern einen extrem unangenehmen Gegner erwarten. Speziell im Hinspiel werden sie sich einem aggressiven, aber strukturierten Pressing ausgesetzt sehen. Eine Blaupause dafür gab es am Samstagabend zu sehen, als Sevilla 87 Minuten lang gegen den FC Barcelona verdient mit 2:0 führte. Immer wieder setzten sie den Tabellenführer schon im Spielaufbau unter Druck.

Die Grundausrichtung Sevillas ist darauf bedacht, das Zentrum kompakt zu gestalten. Das 4-4-2 ist dabei nicht in Stein gemeißelt. Die beiden zentralen Offensivspieler stehen oft sogar sehr breit, um im Zentrum eine Falle aufzustellen.

Die Grundordnung ist stets ein 4-4-2 – dies aber in allen Variationen, denn die Flexibilität zeichnet Sevilla speziell gegen den Ball aus. Konkret bedeutet das, dass die Spanier nur dann in ihrer Ausgangsformation vorzufinden sind, wenn sie etwas tiefer verteidigen. Im Mittelfeldpressing stehen die beiden Stürmer meist etwas breiter, um den Gegner entweder im Zentrum zu stellen, oder auf der Außenbahn direkt unterstützen zu können. Manchmal staffeln sich die beiden Angreifer auch versetzt. Dann entsteht eine typische 4-2-3-1-Formation.

Schieben die Außenstürmer beide heraus, entsteht eine sehr offensive, aber weiter kompakte Ausrichtung gegen den Ball.

Gerade in der Anfangsphase können die Bayern aber mit aggressivem Angriffspressing rechnen. Hier ist es situativ sogar möglich, dass Sevilla mit vier Spielern in der ersten Pressinglinie arbeitet. Im 4-2-4 wird dann der Druck maximiert. In den meisten Phasen des Spiels ist aber ein leicht verschobenes 4-3-3 zu erkennen, bei dem der äußerste Mittelfeldspieler in Ballnähe nach vorn schiebt, und die verbliebene Dreierkette pendelt. Auch ein diagonales 4-3-3 war zumindest gegen Barcelona immer mal wieder zu erkennen, um das Zentrum gegen Pässe der Außenverteidiger zu schützen.

Auch eine diagonale Formation war bei Sevilla schon häufiger zu sehen, um die Schwächen vor der Abwehrreihe zu kaschieren.

Sevilla schafft es so immer wieder recht gut, den Spielaufbau des Gegners früh dorthin zu lenken, wo der Zugriff am effektivsten stattfinden kann. Gerade ohne Busquets fehlte Barcelona am Wochenende beispielsweise die Idee, um zwischen die Linien zu kommen. Es kommt aber auch vor, dass Sevilla beim Verschieben und im Pressing nachlässig wird. Bis zur Einwechslung von Lionel Messi gelang es den Katalanen dennoch kaum, nachhaltig und gefährlich in das Angriffsdrittel zu spielen. Zu früh versandeten die Angriffe auf der Außenbahn.

Als Messi dann auf dem Platz stand, sah man direkt, wie Sevilla zu knacken ist. Hinter der vordersten Pressinglinie bieten sie immer wieder mal Zonen an, die sie nicht in Über- oder Gleichzahl verteidigen können. Dort den Ball hinzuspielen, ist nicht so einfach. Gerade wenn Spieler wie Messi diese Lücken erkennen, und sich dem Mitspieler genau dort anbieten, ist das aber eine Einladung.

Die Generalprobe gegen den FC Barcelona gelang mit einem 2:2, wenngleich eine 2:0-Führung verspielt wurde.
(Foto: Cristina Quicler / AFP / Getty Images)

Sevilla steht durchaus für Kompaktheit, Aggressivität, Intensität und guten Umschaltfußball. Trotzdem ist der Glanz der vergangenen Jahre etwas weg. Obwohl sie gegen Barcelona 2:0 führten, und gut verteidigten, schafften sie es selbst kaum, in Umschaltsituationen Gefahr zu erzeugen. Meist konterte das Team von Montella nur über die Außenbahnen. Die Führung resultierte durch eine schwache Strafraumverteidigung Barcelonas. Von den insgesamt 21 Abschlüssen war insgesamt viel Verzweiflung dabei. Nur wenige Chancen waren strukturiert herausgespielt, und noch weniger Schüsse kamen aus vielversprechenden Positionen.

Dieses Problem macht sich besonders in Duellen mit kleineren Teams bemerkbar. Gegen Leganés erspielte sich Sevilla nur 10 Abschlüsse, davon 3 aus guter Position, die wiederum alle aus einer Flanke resultierten. Mit einem guten Spielaufbau und herausragendem Kombinationsfußball haben die Spanier es nicht so. Aber sie erarbeiten sich dennoch irgendwie ihre Möglichkeiten, und schießen fast immer mindestens ein Tor. Im Jahr 2018 blieb Sevilla nur gegen Alavés, Manchester United und Valencia ohne eigenen Treffer.

So kommen die Bayern in eine gute Ausgangsposition

Ein Treffer Sevillas wäre noch kein Beinbruch für den FC Bayern, doch die müssen wiederum selbst qualitativ hochwertige Chancen gegen das gute Pressing des Gegners herausspielen. Dabei haben die Münchner zwei Asse im Ärmel, die zumindest gegen Sevilla einen Vorteil im Gegensatz zu Barcelonas Anfangsformation vom Wochenende bieten: James Rodríguez und Thomas Müller.

Nicht zuletzt wegen deren Topform sind die Münchner derzeit in der Lage, kombinativ in den Strafraum zu gelangen. Es ist das gesamte Positionsspiel im Angriff, das Hoffnung auf zwei sehr gute Spiele macht. Bayern setzt dabei vor allem auf die Halbraumüberladung. James und Müller sind jederzeit bemüht, Überzahlsituationen zu schaffen. Auch Lewandowski pendelt oft in die Halben oder lässt sich ins Mittelfeld fallen. Die fünf vertikalen Zonen sind im Offensivbereich fast immer besetzt. Damit können sie Sevillas vorderste Pressinglinie knacken. Geschieht das, haben die Spanier meist große Probleme.

Die Münchner haben sich gut entwickelt. Sie sind ständig in Bewegung, stehen sich aber nicht mehr so sehr auf den Füßen. Selbst wenn Ribéry noch einrückt, entstehen wieder Dreiecke. Die Bewegungsabläufe sind immer besser aufeinander abgestimmt. Noch vor Monaten war das alles eher problematisch, doch gerade das völlig überforderte Borussia Dortmund hatte am Wochenende keine Chance.

Das nun bessere Positionsspiel bietet den Bayern auch Möglichkeiten im Gegenpressing. Gegen Dortmund gewannen sie insgesamt 14 Mal den Ball in des Gegners Hälfte. Auch wenn der aktuell sehr passive BVB kein Vergleich zum aggressiven FC Sevilla ist, so wird auch dort die Arbeit gegen den Ball eine wichtige Rolle einnehmen.

Natürlich spielen die Bayern hin und wieder auch Angriffspressing, aber unter Heynckes haben sie zusätzlich die Verteidigung aus einem tieferen Mittelfeldpressing stark verbessert. Die Münchner variieren ihre Staffelung im Pressing genauso wie die Höhe, und machen das immer besser. Sevilla ab und an den Ball zu überlassen, und sie so nicht zur Entfaltung kommen zu lassen, kann gerade im Auswärtsspiel hin und wieder Sinn ergeben.

In Ballbesitz brauchen die Münchner dann den Mut zur angesprochenen Zonenüberladung. James und Müller sind die absoluten Schlüsselspieler im Moment. Sie sollten in jedem Fall spielen, aber Heynckes ergeben sich dadurch andere Probleme.

Gerade gegen eine Mannschaft wie Sevilla muss das Umschalten in die Defensive bei Ballverlusten funktionieren. Dort waren die Bayern zuletzt sehr anfällig. Einerseits, weil Javi Martínez einen großen Raum vor der Abwehr oft alleine verteidigt, und andererseits, weil James und Müller beide keine Defensivspieler sind. Dortmund kam so in der Anfangsphase immer mal in gefährliche Räume, ohne sie aber nutzen zu können.

Sevilla wird solche Momente eiskalt nutzen. Deshalb wäre es für Heynckes legitim, über zwei Spieler im Zentrum nachzudenken, die gegen den Ball diszipliniert und aggressiv mitarbeiten. Da bleiben nur noch Thiago und Vidal übrig. Vidal wurde zuletzt wieder etwas stärker, bringt in Ballbesitz aber den Nachteil mit, dass die Münchner dann zu oft direkt auf die Flügel spielen. Das macht sie ausrechenbarer.

Thiago hingegen wird gegen den Ball oft unterschätzt, ist aber tatsächlich nicht nur die Optimallösung in Ballbesitz, sondern auch ein großer Faktor für die Stabilität. Gegen ihn spräche höchstens, dass er zuletzt nicht den besten Rhythmus hatte.

Müller könnte für den noch nicht fitten Robben auf den rechten Flügel rücken, wobei seine Interpretation dann gewohnt zentral wäre. Es würde sich also wenig ändern. Thiago als mutige Lösung, Vidal als risikoreicher Stabilisator? Hier wird Heynckes die spannendste Entscheidung treffen müssen.

Ribéry qualifizierte sich gegen Dortmund für einen Startplatz. Er hat erstmals in der Rückrunde eine komplett fehlerfreie Leistung zeigen können. Auch wenn die Dortmunder nur Statisten waren, macht das Mut auf mehr. Mit Müller wäre der Fokus auf Kimmich auch größer, der in Sevilla eine bedeutende Rolle übernehmen könnte.

Eine Szenenanalyse aus Barcelonas Gastauftritt am Samstag soll deutlich machen, wie die Bayern gegen Sevilla erfolgreich sein können: nämlich durch schnelle Verlagerungen und gute Folgeaktionen. Dafür ist Kimmich prädestiniert.

Am Samstag war der FC Barcelona in Sevilla zu Gast. Hier eine Szene aus der 40. Minute.

Kurz vor der Halbzeit zeigte sich, dass Sevilla so durchaus anfällig wird. Gerade wenn Barcelona in Ballbesitz sehr weit auf eine Seite verschoben hat, bekam der ballferne Außenverteidiger sehr viel Platz. In der 40. Minute kombinierten sie sich mit all ihrer Klasse aus einer engen Situation auf der linken Seite.

Mit einem Pass öffneten sie auf Rakitic, der wiederum Sergi Roberto rechts fand. Zwei Aktionen, die eine komplette Mannschaft in Not versetzten. Dass die Hereingabe am Ende abgeblockt wurde, lag an der schwachen Strafraumbesetzung, aber auch an der Ungenauigkeit Robertos. Für Bayern war dies dennoch eine sehr aufschlussreiche Szene.

Links haben Alaba, Ribéry, James, Lewandowski und eventuell Thiago alle Fähigkeiten, um den Gegner zum starken Verschieben zu provozieren. Eine Verlagerung auf Kimmich würde für einen enormen Raumgewinn ausreichen. Wenn die Bayern dann schnell und strukturiert genug einlaufen, kann Kimmich eine seiner größten Qualitäten ausspielen: Hereingaben vom Flügel.

Aber auch in der Diagonale öffnet Sevilla gerne mal Räume. Kimmich und Müller sind intelligent genug, um diese zu finden, während James, Hummels, Boateng (und Thiago) gut genug sind, um die notwendigen Pässe zu spielen. Auch gegen den BVB dribbelte Kimmich immer mal wieder diagonal ein. Sergi Roberto und Dembélé machten dies ebenfalls, und Sevilla hatte Probleme damit.

Doch das sind nicht die einzigen Lösungen. Am Samstag spielten die Bayern immer wieder in die Mitte, kombinierten sich dort frei, um schließlich in den Halbräumen und auf den Außen Platz zu erhalten. Gegen Sevilla gibt es kaum bessere Mittel. Bayern macht das seit Jahren auf sehr hohem Niveau, und vielleicht ist das die größte Waffe für die beiden Duelle. Im Hinspiel fehlt Sevilla Banega wegen einer Gelbsperre. Ein Spieler, der viel Dynamik nach vorn hätte bringen können, und auch ein Stück weit für Stabilität sorgt. Umso stärker sollte der Fokus der Münchner im Aufbau zunächst im Zentrum liegen.

In dieser Formation hätten die Bayern im Zentrum sehr viele spielstarke Spieler. Dort sollte der Fokus im Aufbau liegen. Anschließend wird sich Sevillas Formation zusammenziehen, und Kimmich sowie Alaba könnten wichtigen Platz erhalten. Gelingt die Verlagerung, schwimmt Sevilla. Es ist durchaus vorstellbar, dass Heynckes Vidal statt Thiago aufstellt, um noch stabiler aufgestellt zu sein.

Bayern ist Favorit, aber Obacht!

Der FC Bayern ist durchaus klarer Favorit. Das muss so deutlich gesagt werden. Allerdings zeigte die schwere Anfangsphase gegen Besiktas im Hinspiel, dass die Rollenverteilung manchmal deutlicher sein kann als die Realität.

Sevilla darf nicht unterschätzt werden. Navas, Muriel, Vazquez, Correa, Nolito, Sarabia… im Kader der Spanier stehen nicht nur sehr schnelle Spieler, sondern auch technisch begabte. Nur wenn die Bayern die richtige Balance aus offensivem Mut zum Risiko, guter Konterabsicherung und starker Endverteidigung finden, können sie ihre Favoritenrolle auch auf den Platz bringen.

Das ist wiederum alles, aber nicht selbstverständlich. Im Hinspiel wird der wichtige Grundstein gelegt. Bayern hat schon häufig schlechte Hinspiele zu Hause drehen können, doch darauf sollte man sich in dieser Saison nicht blind verlassen. Sevilla kann auch auswärts gut verteidigen, und deren Niveau ist höher als das von Porto, Basel oder Donezk. Eine gute Ausgangsposition ist deshalb unabdingbar.

Jetzt zählt es. Schaffen die Bayern den Einzug ins Halbfinale, stehen sie trotz einer nicht unproblematischen Gesamtkonstellation wieder unter den besten Teams Europas. Nur das kann der Anspruch sein. Nur das ist der Anspruch eines Kaders, der eine unfassbare Willenskraft mit großem Zusammenhalt verbindet. Ein Kader, der zu Großem bestimmt ist, und in dem immer noch so viel steckt.

In Sevilla muss Europa bereits sehen, dass Bayern München nur auf Sieg spielen will und vor allem kann. Egal wo. Egal gegen wen. Jetzt ist Champions League. Jetzt ist es an der Zeit, wie ein Champion aufzutreten.