Vorschau: FC Bayern München – Real Madrid

Justin Trenner 22.04.2018

Duelle mit den Königlichen zählen zum Besten, was die Geschichte des deutschen Rekordmeisters zu bieten hat. Man muss nur ein Jahr zurückschauen, um zu erkennen, welche Brisanz dahinter steckt. Deshalb gilt: Vorschau ist auch Rückschau!

Ein Rückblick

18. April 2017, Madrid: Im Santiago Bernabeu läuft die Schlussphase eines packenden Duells. Real Madrid hatte es im Laufe der ersten 50 Minuten verpasst, den Deckel endgültig drauf zu machen. Die Spanier hatten zu diesem Zeitpunkt 14 Abschlüsse, davon einige aus vielversprechender Position. Acht waren es bei den Bayern. Im Prinzip nur eine, maximal zwei gute Chancen darunter.

Zu diesem Zeitpunkt fiel es aus zwei Gründen schwer, noch an einen positiven Ausgang für die Ancelotti-Elf zu glauben. Zunächst wäre da die sportlich durchwachsene Saison. Zwar zeigte das Team gegen Real mitunter große Qualitäten, doch man ließ sich immer wieder zu Kontrollverlusten verleiten. Der zweite Grund ist diese berüchtigte Schlussphase im Stadion der Königlichen.

Gerade in der Schlussviertelstunde gelingt es den Madrilenen immer wieder, das Tempo so unglaublich anzuziehen, dass der Gegner davon erdrückt wird. Viele Profis, die dort spielten, berichten davon, wie das Spiel in der zweiten Halbzeit immer schneller und der eigene Einfluss immer geringer wird.

Nicht so in dieser Nacht. Die Bayern wurden langsam stärker, und kämpften sich mit einer beeindruckenden Mentalität zurück. Selbst nach dem Ausgleich durch Ronaldo gelang es ihnen, in eben jener Schlussphase die Führung zu erzielen.

Es ist mühselig, über die anschließende rote Karte für Vidal zu diskutieren. Der Chilene hat bereits vorher mehrfach um den Platzverweis gebettelt, und auch sein Einsteigen in dieser Szene war in der Form schlicht unnötig wenn auch fair. Folglich fehlte es den Münchnern weder an Bereitschaft noch an individueller Qualität, sondern einfach an Fitness und taktischer Cleverness.

Es hätte jedoch gar nicht erst zu diesem Showdown kommen müssen. Im Hinspiel sah die Geschichte nämlich anders aus. Da hatten die Münchner nach 45 Minuten elf Abschlüsse, gleich fünf aus sehr guter Position. Mit dem Elfmeter und einem Kopfball verpasste Vidal jeweils das frühe 2:0. Ein Knackpunkt für beide Duelle.

Die erste Halbzeit verlief an sich ausgeglichen mit leichten Vorteilen für den FC Bayern. Lediglich in der Mitte des ersten Durchgangs offenbarten sich Probleme, die im Kern den Unterschied zwischen beiden Mannschaften erklärten. Ancelottis Mannschaft gab zu häufig die Kontrolle im Zentrum aus der Hand, und ließ Real somit zu lange die Oberhand im wichtigsten Bereich des Spielfelds.

Nimmt man beide Duelle zusammen, und klammert Fehlentscheidungen mal gänzlich aus, so bleibt die Erkenntnis, dass die Königlichen einfach einen Tick abgezockter, cleverer und auch besser waren. Aus dieser Erfahrung und den daraus resultierenden Schlüssen können die Ansätze für die diesjährige Aufgabe formuliert werden. Jupp Heynckes hat dabei alle Möglichkeiten, um Zidane ein Bein zu stellen.

Das Duell der beiden Top-Klubs ist auch ein Duell zweier großer Persönlichkeiten: Jupp Heynckes und Zinédine Zidane.
(Fotos: Dean Mouhtaropoulos / Getty Images // Manuel Queimadelos Alonso / Getty Images)

Gegneranalyse

Real Madrid spielt dieses Jahr eine Saison mit Höhen und Tiefen. Speziell in der Liga bekommen die Königlichen keine Konstanz auf den Rasen. Dennoch sollte man vorsichtig sein, daraus irgendwelche Schlüsse auf das Champions-League-Halbfinale zu ziehen. Dort können die Madrilenen nämlich auf den Punkt da sein.

Um Schritt für Schritt deutlich zu machen, weshalb diese unfassbar erfolgreiche Mannschaft in dieser Saison dennoch etwas schwächelt, muss man zuerst auf das Ballbesitzspiel eingehen. Trotz vieler Kreativköpfe gelingt es Zidanes Mannschaft zu selten, eine gute Struktur im Zentrum hinzubekommen. Von dort gehen die Bälle meist auf die Außenbahn. Anschließend versanden Angriffe in Flanken.

Mannschaften wie Atlético oder Bilbao haben es geschafft, Real mit einer kompakten Spielweise den Zahn zu ziehen. Wird die Schaltzentrale um Kroos und Modric clever aus dem Spiel genommen, und fehlt beispielsweise Isco als Fixpunkt im Zwischenlinienraum, hat Madrid es schwer, Benzema oder Ronaldo als Zielspieler zu finden.

Auch in der Champions League hat Madrid bisher zwei verschiedene Gesichter gezeigt. Gegen Paris und Juventus gab es auf der einen Seite die unkreative, behäbige und bisweilen langsame Zidane-Elf zu sehen, die sich den Ball hin und her schob, aber letztlich in einer U-Struktur gefangen war. Auf der anderen Seite gab es aber auch gegen beide Mannschaften Momente, in denen Kroos und Modric sich entfalten konnten. Dann ging die Post mitunter richtig ab.

Es muss auch gar nicht zu sehr als Negativaspekt ausgelegt werden. Madrid kann zu jeder Zeit den Rhythmus wechseln. Mit ihrer Art und Weise schaffen sie es, das Spiel in einem Augenblick komplett zu beruhigen, um im Nächsten plötzlich den entscheidenden Nadelstich zu setzen.

Modric, der immer wieder diagonale Dribblings sucht, um Räume für die Mitspieler zu finden, und Kroos, der Meister des Passspiels, können innerhalb von Sekunden ein ganzes Spiel drehen. Von ihnen geht der Großteil des Fußballs aus, den Real Madrid spielt. Dieser Fußball hat sich unter Zidane mit der Zeit etwas gewandelt. Es gibt quasi drei verschiedene Ansätze, zwischen denen der Franzose regelmäßig wechselt.

1. Zentraler Fokus

Im ersten Ansatz geht es darum, im Mittelfeld Anspielstationen herzustellen, um dann auf die entlasteten Flügel zu verlagern. Meist nutzt Zidane dafür eine Raute im Mittelfeld. Casemiro als absichernder Sechser, Kroos und Modric in den Halben, Isco beispielsweise als freies Element hinter der Doppelspitze. Marcelo kurbelt hier den Spielaufbau gemeinsam mit Kroos auf der linken Seite an. Das gilt jedoch komplett unabhängig vom gewählten Ansatz.

Da die Außenverteidiger sehr hoch schieben, müssen die Achter besonders vorsichtig mit ihren Vorstößen sein. Manchmal fehlt in dieser Variante die Absicherung, wodurch sich Lücken auf den Flügeln ergeben, die Bayern mit seinen starken Flügelspielern nutzen könnte. Andererseits ist die Überzahl im Mittelfeld dann so groß, dass sie in dieser Formation den Bayern richtig Schwierigkeiten bereiten könnten. Ob Zidane zur Raute greift, wird davon abhängen, wie er selbst den Fokus legt, und ob er eine Möglichkeit sieht, um die Schwächen und Stärken zu balancieren.

2. Mit Breite zum Erfolg

In einem 4-3-3 – oder genauer gesagt einem 4-1-2-3 – hat Real die benannten Probleme einer U-Struktur. Häufig fehlt dann mit Isco ein Spieler, der den Zehner-Raum vernünftig besetzt. Dafür sind die Königlichen aber auf der Außenbahn noch unberechenbarer. Mit Asensios Geschwindigkeit könnte Madrid den Bayern ordentlich Druck machen. Doch auch Kimmichs Seite könnte zum Problem werden, wenn Marcelo, Ronaldo und Kroos sich dort entfalten.

Hier gilt es für den FC Bayern, die Mitspieler zu unterstützen, indem kompakt in die jeweilige Ballbesitz-Zone verschoben wird. Gar nicht so einfach, weil mit einer Verlagerung dann die andere Seite freigespielt werden kann. Kroos und Modric können diese Bälle auf beiden Seiten spielen, und so ist Madrid eine Mannschaft, die sehr schnell verschiedenste Zonen des Spielfelds bespielen kann.

Heynckes muss deshalb eine Formation gegen den Ball wählen, die Real diese Verlagerungen erschwert, gleichzeitig aber auch die eigenen Außenverteidiger in den Zweikämpfen entlastet und das Zentrum schließt. Das übliche 4-1-4-1 kann da mit noch engerer Staffelung und viel Laufarbeit funktionieren.

Rennen die Bayern aber zu häufig hinterher, könnte die Intensität schnell zu Müdigkeit und fehlender Konzentration führen. Dann drohen Fehler. Das bedeutet, dass die Bayern weniger reagieren und mehr agieren sollten. Doch dazu später mehr.

3. Mit 4-4-2 in die Offensive stürzen

Denn eine Variante bleibt noch in Zidanes Taktikkiste: die Entfaltung der gesamten Offensivpower. In einem klassischen 4-4-2 verzichtet Zidane auf seinen defensiven Stabilisator Casemiro. Die Defensive besteht hier quasi aus einem offensiven Pressingfeuerwerk. Kroos und Modric fehlt eine Absicherung, sodass sie in passiven Phasen gerne mal überrumpelt werden.

Dafür ist die offensive Durchschlagskraft natürlich enorm. Auf den Außenbahnen können Bale, Asensio, Vázquez und Isco die Positionen unter sich ausmachen. Isco wäre hier eine sehr spezielle Variante, die womöglich zentraler ausgerichtet agieren würde als der Rest.

Gerade in München ist diese Formation aber nur vorstellbar, wenn Zidane einen Rückstand aufholen möchte. Casemiro ist für den Franzosen zu einer festen Größe geworden, und für ihn mindestens so wichtig wie Martínez für die Bayern. Deshalb wäre ein 4-4-2 gewissermaßen eine kleine Überraschung.

Letztendlich sind aber alle Ansätze darauf ausgelegt, Ronaldo vorne in bestmögliche Abschlusspositionen zu bringen. Der Portugiese ist mal wieder in bestechender Form, wenn es in die wichtigen Wochen geht. Ihn zu verteidigen ist fast unmöglich. Deshalb müssen die Verbindungen zu ihm schon gekappt werden.

In einem Video erklären wir, worauf die Münchner achten müssen, um Reals Dominanz in der Zentrale etwas einzuschränken. Grundsätzlich gehen wir dort vom Ansatz der Mittelfeld-Raute aus, aber auch mit einem 4-3-3 oder 4-4-2 wäre die Logik dahinter keine gravierend andere.

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Was ist vom Spiel zu erwarten?

Egal welchen Ansatz Zidane wählt, es läuft immer wieder auf zwei Schlüssel hinaus, die der FC Bayern finden muss. Erstmal wäre da Marcelo als Faktor im Spielaufbau. Den Brasilianer gilt es möglichst schon in Ballbesitz in der Defensive zu binden, um seine gefährlichen Vorstöße zu verhindern. Der Linksverteidiger kann eine Partie prägen und dominieren. Seine dynamischen Dribblings ergänzt er sinnvoll mit klugen Pässen.

Indem der FC Bayern gut verschiebt, und das eigene 4-1-4-1 etwas diagonal ausrichtet, können die wichtigsten Verbindungen in den Zwischenlinienraum gekappt werden. Dafür braucht es aber enorme Konzentration. Gerade das Dreieck aus Kroos, Modric und Ronaldo ist zu gefährlich, um auch nur eine Sekunde zu schlafen. Sie zu verteidigen, wird eine große Herausforderung. In einer weiteren Videoanalyse visualisieren wir aber, wie den Bayern dieses Kunststück gelingen könnte.

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Der zweite Schlüssel ist das Mittelfeld. Auf Patreon erklärten wir vor einigen Tagen in einem Video, weshalb James und Thiago gemeinsam als Achter eine durchaus angemessene Option gegen Madrid wären. Sie vereinen Offensivpower mit spielerischer Klasse und gutem Defensivverhalten. Thiago ist das perfekte Puzzleteil zwischen James und Martínez. Er kann und muss seinen spanischen Kollegen auf der Sechs extrem entlasten.

Auch wenn sich Jupp Heynckes wieder für Müller auf der Acht und Robben auf dem Flügel entscheidet, gilt dasselbe Prinzip. Die Achter müssen die Räume hinter sich verteidigen, ohne sich aber zu sehr auf die Arbeit gegen den Ball zu fokussieren.

Wenn die Bayern es schaffen, das eigene Ballbesitzspiel so aufzuziehen, dass Real größtenteils zur Reaktion gezwungen wird, ist viel gewonnen. Sobald sich Modric und Kroos aber entfalten können, und diese Phasen werden unweigerlich kommen, muss der Fokus in der Arbeit gegen den Ball liegen. Schaffen es die Bayern, einen tiefen und kompakten Defensivblock zu bilden, werden Real die Ideen ausgehen.

Dann gilt es, klug zu verschieben, die Lücken zu stopfen und sich nicht auf zu viele Eins-gegen-Eins-Duelle einzulassen. Bayern wird in der Flexibilität gefordert sein. Mal liegt der Fokus auf dem eigenen Ballbesitz, mal müssen sie eine gute Struktur ohne Ball haben, um dann nach Ballgewinnen schnell umzuschalten. Für ein Spiel, das auf 70% Ballbesitz ausgelegt ist, haben die Bayern nicht das nötige Rüstzeug. Deshalb werden sie in beiden Extremen und in den Übergängen am Maximum arbeiten müssen.

Allein diese Erwartungen vom Spiel lassen darauf schließen, dass es einen Schlagabtausch geben wird. Beide Teams haben ähnliche Stärken und ähnliche Schwächen. Die Bayern müssen es schaffen, die Räume neben Casemiro zu finden – speziell zwischen Ramos und Kroos. Beide sind in ihrer Positionierung nicht immer diszipliniert, und öffnen somit Möglichkeiten. Dort bieten sich mit James, Müller und Robben (je nach Aufstellung) Spieler an, die diese Schwäche nutzen könnten.

Gerade in München könnte Real um einen passiveren Ansatz bemüht sein, der diese Lücken schließen soll. Gänzlich gelingt dies den Königlichen aber selten.

Andersherum wird auch Real die Räume neben Martínez finden wollen. Wer im Mittelfeld die meisten Minuten Kontrolle hat, hat die besten Karten auf den Finaleinzug. Das bedeutet aber nicht, dass das Team mit mehr Ballbesitz gewinnt. Kontrolle definiert sich auch über das Verhalten ohne Ball.

Im letzten Jahr war Real Madrid in beiden Bereichen sowie in den Umschaltmomenten besser. Doch in diesem Jahr hat der FC Bayern Jupp Heynckes. Ein Trainer, der die Königlichen und den spanischen Fußball kennt und schätzt. Einer, der das Positionsspiel seiner eigenen Mannschaft größtenteils wiederbelebt hat.

Die berühmten Kleinigkeiten

Bei aller Taktik spielt auch ein weiterer Unterschied zur vergangenen Saison eine immense Rolle: die Fitness. Die Bayern sind zum richtigen Zeitpunkt in Form gekommen. Läuferisch weiß der gesamte Kader zu überzeugen. So gelingt es den Münchnern immer wieder, taktische Schwächen durch Einstellung und Laufarbeit zu kompensieren.

Heynckes hat aus seiner Mannschaft eine Einheit geformt. Der unbedingte Wille zum Sieg, die grundsätzliche Fitness, die Erfahrungen aus der Naivität der letzten Saison und die taktischen Verbesserungen könnten dazu führen, dass Real Madrid es so schwer haben wird wie schon lange nicht mehr.

Trotzdem haben die Königlichen den besten Kader Europas, ein unerschütterliches Selbstbewusstsein und ihrerseits taktische Mittel, um den Bayern richtig wehzutun. Sie können nach Rückschlägen enorme Qualität von der Bank bringen, aber lassen sich auch nicht verunsichern.

Europa erwartet ein Duell auf Augenhöhe. Ein Duell zweier Rivalen, die den europäischen Fußball seit Jahrzehnten prägen. Ein Duell, das eine unfassbar hohe Intensität verspricht. Es werden die berühmten Kleinigkeiten sein, die den Ausschlag geben: Chancenverwertung, externe Faktoren, Tagesform, Spielglück, taktische Einstellung, individuelle Klasse (…) – all das und einiges mehr kann entscheidend sein.

Die Vorzeichen sind aber deutlich andere als im letzten Jahr, und so stehen die Chancen für einen Finaleinzug des FC Bayern gut. Zwar schmerzen die Ausfälle von Coman und Neuer immer noch sehr, doch so fit war ein Kader der Bayern in den letzten Jahren selten, wenn es in den Mai ging.

Mit mangelhafter Struktur, etwas Spielglück in den richtigen Situationen und einer ebenfalls mangelhaften Fitness gelang es den Münchnern schon vor einem Jahr, Real Madrid an den Rand einer Niederlage zu bringen.

Diesmal ist man der Konkurrenz aus Spanien fußballerisch deutlich näher. Und sollte es Heynckes gelingen, die Königlichen zu besiegen, so muss der FC Bayern endlich das längst überfällige Denkmal errichten.