Vorschau: Hamburger SV – FC Bayern München

Justin Trenner 20.10.2017

Trotz der großen Tradition ging dem Aufeinandertreffen zwischen dem Bundesliga-Dino und dem Rekordmeister jedoch zuletzt die Spannung ab. 17 Mal in Folge gelang den Hamburgern kein Sieg und 64 Gegentore kassierten sie dabei. Immerhin war es in Heimspielen etwas enger in der jüngeren Vergangenheit.

Auch da gab es den letzten Sieg für die Hanseaten zwar am 26.09.2009, doch die letzten beiden Spiele gewannen die Münchner mit nur einem Tor Unterschied. Im September des vergangenen Jahres musste sogar ein Last-Minute-Treffer von Joshua Kimmich herhalten.

(Foto: Alexander Hassenstein / Bongarts / Getty Images)

Jupp! Jupp! Jupp! Jupp!

In München zweifelt aber derzeit niemand daran, dass es auch im 18. Duell in Folge wieder keinen Sieg für den HSV geben wird. Zu groß ist dafür das zurückgekehrte Selbstverständnis vieler Fans. Der Grund dafür ist Jupp Heynckes, der es in wenigen Tagen geschafft hat, aus einer scheinbar leblosen Mannschaft ein Team zu formen, das wieder zusammen arbeitet.

Als Arjen Robben am Mittwochabend kurz vor 21:30 Uhr auf seiner rechten Seite zu Boden ging, um dem Celtic-Angreifer den Ball abzugrätschen, wurde vielen klar, was zuletzt fehlte. Es stehen wieder 11 Spieler auf dem Platz, die zusammen alles geben.

Das ist die Basis, auf der alles weitere nun folgen muss. Und es gibt noch einiges zu verbessern. Denn so ganz ist der Hype um Jupp Heynckes noch nicht berechtigt. Ja, die Münchner boten gegen Freiburg und Glasgow jeweils ein sehr strukturiertes und durchdachtes Pressing, das deutlich weniger Lücken bot als zuletzt. Und ja, in diesen zwei Spielen war die Leistung stabiler. Das lag auch am frischen Wind, den ein Trainerwechsel häufig mit sich bringt.

Es darf nicht vergessen werden, dass die Herausforderung aus taktischer Perspektive immer noch eine riesige ist. Die stärkeren Gegner kommen erst noch und dann wird sich zeigen, wie sehr Heynckes der Retter in der Not sein kann.

Das Pressing ist dabei eine gute Basis und der bisher größte Unterschied zu vorher. Die Bayern wechseln gegen den Ball zwischen 4-4-2, 4-1-4-1, 4-5-1, 4-2-3-1, 4-3-1-2 und einigen anderen Variationen. Der Übergang wirkt fluide und die wichtigsten Räume sind meist abgedeckt. Auch die Höhe und Intensität des Pressings variiert. Wichtig ist jedoch vor allem die gegebene Kompaktheit und dass es weniger Alleingänge von Einzelspielern gibt.

Nicht immer gelang es den Bayern, die Räume hinter dem Gegenpressing zu schließen oder den Gegner gar nicht erst in diese Zonen zu lassen. Die Ansätze sind hier sehr gut, die Konsequenz und Konstanz fehlen noch. Es wird zudem spannend, mit wie viel Disziplin Vidal sich beispielsweise an das Konzept halten kann und wird.

Positiv entwickelt hat sich neben der Arbeit gegen den Ball auch die Strafraumbesetzung. Lewandowski wird etwas besser eingebunden und auch die vielen Flanken finden häufiger ihr Ziel, weil es weniger nach Verzweiflung aussieht. So kreuzen die Angreifer hin und wieder, aber auch die Achter stoßen mal in die Spitze, um das Zentrum zu überladen. Auf Dauer wird das aber nicht reichen.

43 Flanken waren es gegen Celtic Glasgow und auch gegen den SC Freiburg wurden überdurchschnittlich viele gezählt. Hin und wieder sind gefühlvolle Kimmich-Hereingaben, gute Dribblings von Coman bis an die Grundlinie und Standards ein großer Mehrwert, doch ein Großteil von den Flanken landet im Nichts.

So ist das mit diesen hohen Bällen. Sie sind selbst bei bester Besetzung des Strafraums keine gute Wette auf ein Tor. Umso wichtiger ist es, dass Jupp Heynckes die Probleme im Halbraum löst. Jérôme Boateng kritisierte nach dem Spiel, dass es ein besseres Positionsspiel brauche. In der zweiten Halbzeit wäre die Mannschaft zu viel gelaufen. Vor allem hinterher.

Damit trifft der Verteidiger genau ins Schwarze. Hermann und Heynckes arbeiten daran. Die Zonenmarkierungen auf dem Feld und penibles Coaching während des Trainings sind Teil dieser Arbeit. Gerade weil der Weg aber noch so weit ist und die Spiele gegen Teams aus Schottland und dem Breisgau vielerorts so überbewertet werden, sollte der Hype um die Jupp-Bayern aber noch gebremst werden.

Ein vorsichtiges, erleichtertes Durchatmen sei durchaus erlaubt, doch will man erfolgreich durch die Leipzig-Woche kommen und schließlich auch Dortmund und Paris besiegen, braucht es eine sehr große Leistungssteigerung.

Heynckes hat es geschafft, die solide, aber durchwachsene Leistung der Ancelotti-Bayern aus der letzten Saison wiederherzustellen. Nun muss der nächste Schritt kommen. Hin zu Konstanz, mehr spielerischer Qualität und besserem Positionsspiel. Jeder sollte sehen, dass das Flügelspiel der Bayern nun ein anderes ist. Die Durchschlagskraft im Dribbling ist nicht mehr vergleichbar mit der von 2013.

Heynckes hat es aber immerhin geschafft, dem Flügelspiel feste Abläufe zu geben. Diese sind wiederum auf beiden Seiten sehr unterschiedlich. Rechts zieht Robben konsequent in die Mitte. Müller und Kimmich geben dem Spiel dann meist Breite. Kann Robben nicht durchbrechen, ist es der Rechtsverteidiger, der möglichst freigespielt wird, um dann gefühlvolle Flanken zu schlagen. Die Rolle Müllers ist es, beiden die nötigen Räume zu verschaffen.

Links ist das etwas anders. Comans Ausgangsposition ist konsequent der Halbraum – so war es zuletzt auch bei Ribéry. Dort dient er David Alaba und Thiago als Anspielstation. Zwischen dem Franzosen und Alaba gibt es dann ein abgestimmtes Wechselspiel zu beobachten. Zieht Coman nach innen, gibt der Österreicher Breite. Wählt Alaba aber die Option, Coman zu vorderlaufen, muss natürlich der Flügelstürmer auf der Außenbahn bleiben. Mit der Hilfe von Thiago kam es so schon zu einigen netten Ansätzen, die für Durchbrüche im Halbraum sorgten.

Allerdings ist das Spiel insgesamt doch noch sehr berechenbar. Diese Abläufe werden so nicht immer funktionieren, weil Gegner sich drauf einstellen. In beiden Grafiken wird oben deutlich, dass das Zentrum zu kurz kommt. Es ist immer noch zu viel „U“ in der Spielkultur des Meisters. Zumindest gegen Glasgow hätte man sich da von Rudy und Thiago mehr Präsenz erwünscht, doch beide bekamen trotz guter statistischer Werte nicht ihr ganzes Können auf den Platz.

Um sich nicht zu sehr von Flanken abhängig zu machen, brauchen die Münchner Unterstützung der Angreifer und Achter. Gleichzeitig ist aber eine adäquate Absicherung von Nöten. Diese Balance aus Kombinationen im Zentrum und schnellem Flügelspiel ist nicht einfach.

Natürlich wird sich der Flügelfokus nicht gänzlich auflösen lassen. Dafür sind die Außenspieler zu dominant. Auch Kimmichs Flanken sind zu stark, um sie zu verbieten. Trotzdem braucht es eine viel bessere Balance aus Kombinationen und hohen Hereingaben. Eine mannschaftstaktische Herausforderung, die anspruchsvoll und spannend ist. Der Weg ist weit, aber machbar.

Was erwartet den FC Bayern?

Das Programm sollte Heynckes dabei entgegenkommen. Nach Freiburg folgte das höhere Niveau in der Champions League. Auch Glasgow war aber nicht in der Lage, die noch vorhandenen Schwächen der Münchner zu nutzen. Im Anforderungsprofil sollte ein Auswärtsspiel beim Hamburger SV da noch eine kleine Steigerung sein, ehe es zwei Mal gegen Leipzig geht.

Am Wochenende erwartet den FC Bayern erneut ein Gegner, der mit viel Intensität spielt. Die Mannschaft von Markus Gisdol spielt ein Mittelfeldpressing, das hin und wieder auch zu Mannorientierungen neigt. Das Ziel der Hamburger wird es daher sein, die Münchner im Mittelfeld früh zu stören, um unkontrollierte Bälle oder Angriffe über die Flügel zu erzwingen.

Bei Ballgewinnen werden sie – anders als Glasgow – nicht viel Wert auf ein geordnetes Kurzpassspiel legen. Lange Bälle gehören zur Grundlage ihres Spiels. Sorgen diese für einen erneuten Ballverlust, versuchen die Hamburger im Umschaltprozess ein starkes Gegenpressing zu erzeugen und so die zweiten Bälle zu gewinnen.

Insgesamt artet dies häufig im bewussten Chaos aus. Das ist typischer Gisdol-Fußball. Am Ende der vergangenen Saison funktionierte dies sogar recht gut. In der Rückrundentabelle belegten die Hanseaten immerhin den siebten Platz. Unter der Woche soll der Trainer die Fünferkette trainiert haben, weshalb diese natürlich auch zur ernsthaften Option gegen die Münchner wird. Damit würde der HSV natürlich etwas mehr Zugriff in der Defensive bekommen, doch ob das gegen die Heynckes-Automatismen reicht?

Die derzeitige Tabellensituation sollte von den Bayern jedenfalls nicht unterschätzt werden. Schon in Hamburg wird es eine erneute Leistungssteigerung brauchen, damit der Jupp-Hype kein jähes Ende findet.

Im Moment steht die Realität des FC Bayern irgendwo zwischen den katastrophalen letzten Ancelotti-Wochen und dem Gefühl, dass wieder 2013 ist. Es ist also an der Zeit, dass sich die Realität langsam den Emotionen annähert, die in den letzten beiden Spielen geweckt wurden. Dafür braucht es ein noch besseres Pressing, konsequenteres Positionsspiel und kreative Lösungsansätze, um Chancen ohne Flanken-Flatrate zu kreieren.

Wissenswertes zum Spiel:

  • Keine Mannschaft hat eine schlechtere Passquote als der Hamburger SV (67,8%). Ein Grund dafür: Fast jeder fünfte Pass ist ein langer Ball. Zum Vergleich: Beim FC Bayern ist es ungefähr jeder 11. Pass.
  • Der HSV ist sehr fokussiert auf die Flügel. Nur 25% der Angriffe gehen über die Zentrale.
  • Anstoß ist am Samstagabend um 18:30 Uhr (Live nur bei Sky).
Die Statistiken der beiden in der Bundesliga.

Expertentipp

Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Nachdem Jolle mit ihrem wohlüberlegten und gut ausformulierten Expertentipp richtig lag, führt die Redaktion nun mit 15:10. Diesmal ist Marius Soyke unser Gast. Er kommt aus Hamburg und ist bei Transfermarkt.de tätig. Er tritt gegen unseren Statistiker Lukas an, der das Endergebnis bereits berechnet hat.

Marius Soyke: Markus Gisdol steht nach der Niederlagenserie mit dem Rücken zur Wand – gegen die Bayern darf er aber noch mal verlieren. Zu hoch nach Möglichkeit aber natürlich nicht. Das hat zumindest vor heimischem Publikum ja schon in den vergangenen Jahren ganz ordentlich funktioniert. Deshalb ließ der HSV-Coach diese Woche mit Fünferkette und zwei Sechsern trainieren. Ob man die Offensiv-Power der Bayern so stoppen kann? Möglicherweise. Gleichzeitig Akzente nach vorn setzen? Ziemlich schwierig. Irgendwann wird eine der Angriffswellen durchkommen – wenn nicht erst in der 90. Minute wie vor einem Jahr auch noch die zweite. Der FC Bayern gewinnt 2:0 in Hamburg.

Lukas: Der FC Bayern wird den Aufwärtstrend seit dem Trainerwechsel fortsetzen können. Sowohl defensiv (drittmeisten Gegentore) als auch offensiv (nur 6 Tore nach 8 Spielen) offenbarte der HSV diese Saison zu viele Schwächen, um gegen einen immer besser eingespielten FC Bayern punkten zu können. Mit einem 2:0 werden die Bayern die Torbilanz unter Jupp Heynckes auf 10:0 ausbauen.