Vorschau: Hertha BSC – FC Bayern München

Justin Trenner 29.09.2017

Vor dem Duell sprachen wir mit Marc Schwitzky, dem Chefredakteur von „Hertha BASE 1892„. Er verrät uns nicht nur alles über die Berliner, sondern gibt uns auch neue Perspektiven auf die Entwicklung der Bayern.

Hallo Marc und Danke, dass Du dir die Zeit nimmst. In München ist gerade einiges los und deshalb möchte ich zunächst mit den Bayern anfangen, bevor wir zur Hertha kommen. Wie betrachtet man diese Situation aus eurer Perspektive?

Hallo Justin, wie immer sehr gerne. Von außen fragt man sich, wie der FC Bayern München innerhalb von 18 Monaten seinen so exzellenten Weg fast freiwillig verlassen konnte. Man verlor in dieser Zeit Pep Guardiola, Matthias Sammer und Michael Reschke, zudem vergraulte man Philipp Lahm und Max Eberl, die den Verein neu hätten aufstellen können. Verantwortlich dafür scheinen die Egos von Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß zu sein, die offensichtlich keinerlei Entscheidungsgewalt abgeben wollen und ihr Personal danach auswählen und nicht nach deren Kompetenzen und Visionen. Das hätte in diesem Jahr noch funktionieren können, da man das frühe Ende von Carlo Ancelotti nicht voraussagen konnte und der Kader theoretisch in der Lage ist, solch eine Saison erfolgreich zu tragen. So sitzt man aber bereits jetzt vor dem Scherbenhaufen und hat zugleich keine langfristigen Planungen abgeschlossen. Es brodelt an allen Ecken und Enden im Verein und von außen kann man sich nicht vorstellen, wie all diese Brände schnell zu löschen sind.

Glaubst Du, dass der Bundesliga ein befreiendes Jahr bevorsteht und Bayern erstmals seit 2012 nicht den Titel gewinnt?

Zumindest war es im Vergleich zu den letzten Spielzeiten nie wahrscheinlicher als jetzt. Wie gesagt, bei Bayern hakt es an vielen Stellen, sie sind aktuell sehr viel mit sich selbst beschäftigt. Der größte Anwärter auf die Meisterschaft dürfte Borussia Dortmund sein, doch so gut der Liga-Start verlief, würde ich noch einige Fragezeichen an ihn heften. In der Champions League sah man bereits die großen Schwächen des Bosz-Systems, die in Zukunft von starken Gegnern und taktisch cleveren Mannschaften ausgenutzt werden könnten. Zudem hängt bei München viel von der bevorstehenden Trainer-Entscheidung ab, denn sollte der Verein tatsächlich einen Thomas Tuchel an Land ziehen können, ergäbe sich eine komplett andere Situation. Die Rückrunde wird zeigen, wie es um das Kräfteverhältnis der beiden Vereine steht.

Nun aber zur Hertha. Aktuell steht Platz 8 in der Liga zu Buche. Es ist ja mit der jüngeren Vergangenheit eher als Erfolg zu werten, dass die Berliner nun eine Art graue Maus der Liga sind. Der Anspruch ist aber automatisch höher. Wann kann man mit mehr rechnen?

Wir sind mit dem Saisonstart sehr zufrieden. Hertha kam im Pokal souverän eine Runde weiter und verlor erst zwei Ligaspiele, wovon eines ins Dortmund war. So steht man nach der zugegebenermaßen ärgerlichen Niederlage in Mainz nach sechs Partien mit acht Punkten dar, eine vollkommen annehmbare Ausbeute. Ein großer Faktor in dieser Saison ist nun einmal die Europa League und damit einhergehende Doppel- bis Dreifachbelastung. Die Begegnung gegen Bayern München wird die siebte innerhalb von 22 Tagen sein, solch eine Anzahl an Spielen in so kurzer Zeit kannte dieser Kader vorher nicht. Daher war davon auszugehen, dass die Mannschaft nicht jeden Gegner an die Wand spielen kann und mit ihren Kräften haushalten muss. Die Neuzugänge sind allesamt eingeschlagen (Selke hatte verletzungsbedingt noch keine Chance dazu), die Mannschaft wirkt sehr konzentriert und es gibt einige taktische Verbesserungen im Vergleich zur letzten Saison. Man ist somit im Soll.

Die Frage ist daher schwer zu beantworten. Ein Überwintern in der ersten Tabellenhälfte und allen Wettbewerben wäre ein großer Erfolg, der die Etablierung innerhalb der Top 10 der Liga vorantreiben würde. Mehr zu erwarten, wäre aktuell vermessen.

Wir haben hier viel zu oft Gäste, die ihrer Mannschaft nicht viel zutrauen. Beim letzten Mal war die Hertha sehr nah dran und diesmal stehen die Vorzeichen besonders gut. Wie können die Berliner am Sonntag einen Sieg packen und wieso werden sie es packen?

Ich hätte dir bis zur Entlassung Ancelottis zugestimmt, was die Vorzeichen des Spiels angeht. Doch durch diese neue Situation habe ich fast ein wenig Angst vor Sonntag. Der Trainereffekt ist bekanntlich ein großer Faktor und bei dem “Grundwert” des Bayern-Kaders könnte das Ergebnis verheerend für Hertha sein.

Du hast aber damit Recht, dass im letzten Aufeinandertreffen nicht viel für eine (verdiente) Sensation fehlte. Dardai kann sich auf Top-Mannschaften sehr gut einstellen und sein Team perfekt vorbereiten. Gegen Östersund in der Europa League wurden viele Stammkräfte geschont, die frisch und hochmotiviert gegen Bayern antreten werden. Zudem hat man mit Mathew Leckie und Valentino Lazaro zwei pfeilschnelle Außenspieler dazugewonnen, die Bayerns Defensive weh tun können. Sie und Ondrej Duda könnten Gründe für einen Heimsieg sein. Zudem könnte der Frust über die letzten zwei Spiele neue Kräfte freisetzen.

Du hast dich damals für Thiago entschieden, als ich dir einen Bayernspieler nach Wahl angeboten habe. Begründung war ein fehlender Kreativmann im Mittelfeld. Würdest Du dich heute anders entscheiden oder bleibt es beim Spanier?

Aufgrund des eben erwähnten Ondrej Duda würde ich mich dieses Mal anders entscheiden. Der Spielmacher ist endlich bei 100% Fitness und überzeugte in seinen Spielen in dieser Saison über alle Maße, er ist das Puzzleteil, das Hertha so lange fehlte. Seine Kreativität und Passstärke findet in dem aktuell formschwachen Vedad Ibisevic aber keinen geeigneten Abnehmer, sodass ich mir gerne Robert Lewandowski aussuchen würde. Über seine Klasse braucht man nicht reden und ich höre, dass er zurzeit nicht völlig zufrieden in München sei. Eventuell wollen wir ja unsere Torjäger tauschen, schließlich trifft Ibisevic für seine neuen Vereine besonders gerne.


Eine Reise nach Berlin ist immer wieder schön. Für die Bayern war dies mit einigen Pokalsiegen, aber auch spannenden Auswärtsspielen verbunden. Am Sonntag wollen sie wieder ein anderes Gesicht zeigen.

Daran zu glauben, fällt dieser Tage aber schwer. Bereits im Vorbericht zum Champions-League-Spiel in Paris haben wir einige Probleme angerissen. In München ist etwas zu Ende gegangen: eine Ära, die von spielerischer Qualität und ständiger Gier nach Erfolg geprägt war.

Ein erster Schritt, aber was kommt danach?

Umso wichtiger sind ein Neuanfang und das Umdenken im Klub. Die Trainerentlassung war nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es wird sich jetzt entscheiden, wohin der Weg der Bayern führt.

Für das Namedropping sind andere zuständig. Fakt ist aber, dass der FC Bayern einen Trainer braucht, der zum Kader passt. Vor allem aber einen, der den Münchnern wieder Struktur gibt. Speziell in Strafraumnähe würden dem Team taktische Fesseln gut zu Gesicht stehen.

Denn diese Fesseln waren es, die aus einem Haufen Individualisten eine Einheit gemacht haben. Aktuell sind sie nur Individualisten. Sehr gute sogar, die regelmäßig aufblitzen lassen, wozu sie immer noch im Stande sind.

Diskussionen sind ausgebrochen. Darüber, dass der Kader nicht mehr gut genug sei, um mit Europas Spitze mitzuhalten. Definiert man diese Spitze als Real Madrid, dann ist dies wohl wahr.

Allerdings war es schon immer so, dass die Königlichen nur dann zu stoppen waren, wenn sie selbst nicht alles richtig machen. Aktuell machen sie alles richtig. Auch der Abstand zu Barcelona, Juventus und – wie gesehen – PSG hat sich aber vergrößert.

Die Kaderdiskussion ist nachvollziehbar. Es ist normal, dass man Verluste wie Lahm und Alonso sowie das Altern Robberys nicht sofort auffangen kann. Doch man könnte es kaschieren. Mit einem Plan und einer Idee.

Dafür war Ancelotti der falsche Mann und deshalb ging er. Die Qualität des Kaders ist immer noch enorm. Gewiss ist der FC Bayern in dieser Konstellation nicht der Topfavorit auf den Champions-League-Titel, aber er hätte zumindest eine kleine Chance, wenn es wieder Automatismen gibt. Eine Spielidee, an die jeder glaubt.

Was ist in Berlin zu erwarten?

(Foto: Martin Rose / Bongarts / Getty Images)

Wäre Ancelotti Trainer geblieben, hätte hier vermutlich etwas ähnliches gestanden wie: „Eine erfolgreiche Saison kann unter dem Italiener nur noch aus der Mannschaft selbst herauskommen. Der Trainer wird nicht plötzlich anfangen, Automatismen in Tornähe trainieren zu lassen.“

Nun lässt sich das Ganze gut auf das Spiel in Berlin reduzieren. Eine gute Leistung wird entstehen, wenn sich der Kader zusammenreißt. Wenn die Spieler nach der Entlassung zeigen, dass sie zusammen erfolgreich sein wollen.

In den letzten Jahren zeichnete sich dieser Kader durch eine herausragende Einstellung aus. Gerade Menschenflüsterer Ancelotti scheiterte daran, diesen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten. Das gilt im Übrigen auch als Vorwurf für die Spieler. Die Unruhe, die sie teilweise in die Medien getragen haben, ist durch nichts zu rechtfertigen.

Und wenn diese zu Teilen einen Freifahrtschein von ganz oben erhalten, man denke nur an einige Hoeneß-Aussagen, kann kein Trainer der Welt etwas ausrichten. Doch jetzt sind die Alibis weg und sie stehen mehr denn je in der Verantwortung.

Unter Sagnol wird sich in Berlin aus taktischer Sicht nichts ändern. Das ist auch kein Vorwurf an den Franzosen. Es würde sich deshalb aber nicht lohnen auf kompakte Berliner einzugehen, die in Dortmund beispielsweise einen tollen Job gemacht haben, denen es aber an offensiver Entlastung fehlte. Dass genau dieser immense Druck dazu führte, dass sie ihre starke Kompaktheit im Zentrum irgendwann verloren.

Es würde sich nicht lohnen, weil der FC Bayern sich nicht großartig anpassen wird. Wahrscheinlich überhaupt nicht. Wenn die Spieler es schlau genug anstellen, werden sie endlich mal wieder die Halbräume besetzen. Oder das Zentrum um Lewandowski. Und wenn sie ganz motiviert sind, rochieren sie sogar mal, wie sie es auf Schalke phasenweise getan haben.

Doch all das hat mehr mit individueller Fähigkeiten und Zufällen zu tun als mit Automatismen. Auch deshalb liegt die Verantwortung nun bei den Spielern.

Nach Berlin folgt die Länderspielpause und dann wird eine Entscheidung fallen. Eine, die diese Saison maßgeblich beeinflussen wird. Kommt ein Trainer, der die richtigen Fesseln wieder anlegt, ist noch einiges zu retten.

Wissenswertes zum Spiel

  • In Berlin holten die Bayern bisher 15 Siege gegen Hertha. 8 Niederlagen und 13 Unentschieden komplettieren eine durchwachsene Bilanz.
  • Arjen Robben mag die Hertha besonders gerne. Schon 8 Treffer konnte er gegen die alte Dame erzielen.
  • Anpfiff ist am Sonntag um 15:30 Uhr in Berlin. Übertragen wird die Partie auf Sky.

Expertentipp

Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Marc wird mit seinem Tipp versuchen, die 11:7-Führung der Redaktion zu verkürzen. Für Miasanrot trete ich erneut selbst an.

Marc: Ich erwarte eine hungrige und disziplinierte Herthaner Mannschaft, die endlich den großen FC Bayern schlagen und vor heimischen Publikum gewinnen will. Die leicht hergeschenkten Niederlagen gegen Mainz und Östersund werden sie anstacheln, von Minute eins an wach zu sein. Bayern kann ich hingegen gar nicht einschätzen, der Trainerwechsel macht sie unberechenbar. So tippe ich auf ein interessantes Spiel und ein 1:1.

Justin: Bayern wird etwas besser spielen, aber gegen kompaktstehende Herthaner einen schweren Stand haben. Es wird wieder auf einige Flanken hinauslaufen. Hertha kann sich nicht genug entlasten und verliert deshalb am Ende mit 0:1, weil Bayerns unkoordinierter Druck belohnt wird.