Der König ist tot, es lebe der König

Christopher Trenner 20.12.2015

Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München, erklärt: „Wir sind Pep Guardiola dankbar für alles, was er unserem Verein seit 2013 gegeben hat. Ich bin überzeugt, dass Pep und unsere Mannschaft jetzt noch intensiver daran arbeiten werden, die großen sportlichen Ziele zu erreichen – gerade, weil nun feststeht, dass Pep den FC Bayern verlassen wird.“

»Guardiola verlängert nicht – Ancelotti wird neuer FCB-Trainer«, fcbayern.de

Für den FC Bayern ist der Abschied von Pep Guardiola durchaus ein empfindlicher Schlag – auch wenn sich die Bayern-Verantwortlichen darauf vorbereiten konnten. Da sich die Verhandlungen immer weiter Richtung Weihnachtsfest aufschoben, musste auch ihnen klar gewesen sein, dass eine Vertragsverlängerung tendenziell immer unrealistischer wird. Guardiola hat die Mannschaft vor zweieinhalb Jahren übernommen, als sie den größten Erfolg der Vereinsgeschichte gefeiert hat: Das Triple. Auch wenn es ihm bisher verwehrt geblieben ist diesen Erfolg zu wiederholen, hat er objektiv betrachtet herausragende Arbeit geleistet. Er hat den FC Bayern auf die nächste Stufe gehoben. Auf dieser Ebene geht es vorrangig um Konstanz. In bisher 135 Spielen unter Pep Guardiola hat der FC Bayern 105 siegreich bestreiten können. Das entspricht einer Quote von 77,77%. Auf der Gegenseite stehen „nur“ 19 verlorene Spiele, was angesichts der vielen Verletzungsprobleme und mehrerer später Niederlagen nach bereits entschiedener Meisterschaften ein bisher unerreichtes Level beim Rekordmeister ist.

Pep Guardiola denkt in Zyklen

Schon bei der Vertragsunterschrift war klar, dass sich die Wege nach drei Jahren gegebenenfalls wieder trennen würden. Zu sehr denkt Pep Guardiola in Zyklen. Unabhängig davon gab es bei der Verpflichtung Zweifel, ob der Ex-Barca-Coach auch bei einem anderen Verein mit fremder Sprache Erfolg haben würde. Dass es eine Ehe auf Zeit zwischen dem FC Bayern und Pep war, musste auch den Verantwortlichen des FC Bayern klar gewesen sein. Dafür ist der Mensch Guardiola zu sehr von Emotionen und weniger von den gängigen Mechanismen und Zyklen der Branche getrieben. Dies macht einerseits seine Stärke aus, wenn er wie ein Besessener an der Seitenlinie seine Mannschaft dirigiert, gleichzeitig raubt es ihm aber Stück für Stück und Spiel für Spiel ein wenig Energie.

Guardiola verbindet persönlichen Erfolg oder Misserfolg nicht zwingend mit Titeln. Es geht ihm darum, wie sehr seine Mannschaft in der Lage ist sein Verständnis von Fußball umzusetzen. Der 5:1 Sieg gegen den FC Arsenal vor einigen Wochen war so gesehen so etwas wie der emotionale Höhepunkt für den Trainer. Es war für ihn das (fast) perfekte Spiel. Spätestens jetzt war klar, dass er der Mannschaft nichts grundsätzlich Neues mehr beibringen würde. Seine Mission war mit diesem Sieg und weiteren herausragenden Leistungen in den vergangenen Monaten praktisch erfüllt. Viel mehr würde er der Mannschaft nicht geben können. Daher ist seine Entscheidung zu gehen nur konsequent.

Für die sportlich Verantwortlichen indes ergibt sich eine diffizile Situation. Zum einen waren die letzten zweieinhalb Jahre unter Guardiola unglaublich erfolgreich. Der Verein hat sich national wie international auf sehr hohem Niveau stabilisiert. Er gehört mittlerweile zu den größten fünf Vereinen der Welt und scheint ein Dauerabo für das Champions League Halbfinale zu haben. Die Entscheidung die Mannschaft in die Hände von Pep Guardiola zu geben und mit Jupp Heynckes nicht zu verlängern hat sich ausgezahlt. Wenn Pep seinen Vertrag erfüllt, wird es die längste Amtszeit eines Bayerntrainers in den vergangenen 20 Jahren seit der Regentschaft von Ottmar Hitzfeld (1998-2004) sein.

Gleichzeitig muss sein Nachfolger in einer nicht ganz einfachen Situation übernehmen. Der Umbruch ist zwar eingeleitet, Bastian Schweinsteiger hat den Verein bereits verlassen, aber mit Xabi Alonso, Philipp Lahm, Franck Ribery und Arjen Robben sind noch drei tragende Säulen im Bayernkader, die wohl nur noch ein maximal zwei gute Jahre im Tank haben. Sportlich stellt sich ohnehin die Frage, wann dieser Zyklus der Mannschaft ein Ende findet. Schon in dieser Saison setzt Thomas Tuchel mit seinen Dortmundern den FC Bayern unter Druck, auch wenn sie kurz vor der Winterpause nochmals Punkte eingebüßt haben. Gewinnt die Bayern-Mannschaft auch in dieser Saison die nationale Meisterschaft, wäre es der vierte Titel in Folge. Es wäre nur allzu verständlich, wenn irgendwann eine Sättigung einsetzt. Ein Absturz ist ob der großen Qualität des Kaders nicht zu erwarten, aber einfach wird es für Guardiolas Nachfolger nach so vielen Erfolgen nicht. Es überrascht deshalb auch nicht, dass der FC Bayern mit der Wahl des Nachfolgers auf Nummer sicher geht und mit Carlo Ancelotti den wohl profiliertesten, verfügbaren Trainer verpflichten wird, der es wie kein Zweiter versteht Leistungen zu konservieren.

Der Gegenentwurf als Nachfolger

Nach übereinstimmenden Medienberichten gilt es als ausgemachte Sache, dass der 56-jährige Italiener der neue Trainer beim FC Bayern wird. Ancelotti trainierte zuletzt Real Madrid, davor Paris Saint-Germain, den FC Chelsea und den AC Milan. Mit einem Engagement in München würde sich der Italiener in der letzten für ihn verbliebenen großen Liga Europas versuchen. Ancelotti ist geradezu der Gegenentwurf zu Pep Guardiola. Er ist selten bis nie emotional. Gefühlsregungen sind ihm völlig fremd. Selbst große Siege, wie den Champions League Triumph mit Real Madrid vor zwei Jahren, nimmt er fast stoisch zur Kenntnis. Dabei war es bereits sein dritter Sieg in der Königsklasse (2x Milan, 1x Madrid).

Diese ruhige Art ist auch das große Erfolgsgeheimnis des Trainers Ancelotti. Seine Mannschaften mögen ihn. Er kann mit jedem Fußballer gut umgehen. Gerade die Spieler von Real Madrid loben ihn für seine gute Kaderführung: „Vom ersten bis zum letzten Spieler“ (Sergio Ramos) bezieht Ancelotti den kompletten Kader mit ein. Seine Entlassung in Madrid am Ende der letzten Saison verstand niemand.

Ancelotti ähnelt hier in gewisser Weise dem späten Jupp Heynckes oder auch dem von vielen Spielern geschätzten Ottmar Hitzfeld. Dramen um Einzelspieler wie es beispielsweise Pep Gaurdiola mit Mandzukic hatte, sind Ancelotti fremd. So gesehen geht der FC Bayern wieder einen Schritt zurück, um doch einen erhofften Schritt nach vorn zu gehen. Vor dem „Spieler-Trainer“ Jupp Heynckes war mit Louis van Gaal ein Trainer am Werk, der auch eher über die taktische Disziplin kam, als über das Kadermanagement. Ein Zyklus aus Taktik-Trainern und Spieler-Trainern wäre ein wiederkehrendes Muster und geradezu konsequent.

Ancelotti setzte in den letzten Jahren bei Paris und in Madrid meist auf ein 4-2-3-1/4-4-2 System. Auch bei seiner Amtszeit bei Chelsea FC bewegten sich die taktischen Anpassungen auf Gegner im minimalen Bereich. Viel mehr lag der Fokus auf der individuellen Qualitäten der Einzelakteure. In London war es Didier Drogba und das Mittelfeld Ballack, Lampard und Essien, in Paris Zlatan Ibrahimovic und in Madrid natürlich Cristiano Ronaldo. Gerade in Madrid zeigte Ancelotti, dass er den Umgang mit Stars und „eigenen“ Charakteren wie Ronaldo beherrscht. Er holte Ronaldo von der linken Außenbahn weg und setzte ihn ab der Saison 2013/14 als Stürmer ein. Oftmals sogar eher in einem 4-4-2 System. In der ersten Ancelotti-Saison schoss Ronaldo 51 Tore in 47 Spielen. Noch beindruckender liest sich diese Statistik in der Champions League: 17 Tore in 11 Spielen. Im Folgejahr waren es sogar 61 Tore in 54 Partien. Hier zeigt sich die Stärke von Ancelotti – er kann mit dem vorhanden Spielermaterial nahe am Optimum arbeiten, ist nicht taktisch vorgeprägt, sondern passt sich dem Kader an.

Wer Ancelotti aber als reinen Players-Coach verorten will, der täuscht sich. Gerade durch seine minimalistischen Anpassungen kann er Gegner auseinandernehmen. Der FC Bayern hat dies vor zwei Jahren leidvoll erfahren. Mit einer Kontertaktik nutzte Ancelotti die Schwäche bei Ballverlusten gnadenlos aus. Die Mannschaft von Pep Guardiola war absolut unterlegen und verlor das Rückspiel im Champions League Halbfinale gegen Real Madrid mit 0:4. Es war die wohl größte sportliche Niederlage in der Trainerlaufbahn des Pep Guardiola. Die Konteranfälligkeit seines Ballbesitzspiels war zumindest in dieser Ausrichtung zu groß. Ancelotti hatte ihn entschlüsselt und die Schwachstellen seiner Mannschaft gnadenlos mit einem recht einfachen 4-4-2 ausgenutzt. Auch das siebte Duell zwischen Carlo Ancelotti und dem FC Bayern ging somit an den Italiener. Er verlor keines seiner bisherigen Aufeinandertreffen mit dem Rekordmeister.

Ancelottis Aufgaben

Pep Guardiola hinterlässt ein sportlich gut bestelltes Haus. Der Kader ist breit und hat viele facettenreiche Spieler.

FC Bayern München mögliche Grundformation unter AncelottiMögliche taktische Variante unter Carlo Ancelotti

Viele tragende Säulen sind langfristig an den Verein gebunden. Taktisch klug von Vereinsseite wurde kurz vor der Guardiola Entscheidung mit den Leistungsträgern Müller, Boateng, Martinez und Alonso verlängert. Spieltaktisch wird Ancelotti wohl nicht vom Ballbesitzfokus abrücken. Allerdings könnte sich die 4-3-3 Grundformation, die zuletzt häufig zu sehen war, eher in ein 4-4-2 bzw. 4-2-2-2 verschieben. Der Fokus dürfte dann auf den individuellen Qualitäten von Müller und Lewandowski liegen. Costa wäre auf der linken Seite der Vorlagengeber. Ähnlich wie es DiMaria in der Saison 2013/14 bei Real Madrid war. Im Zentrum würden Alonso (Kimmich) und Thiago die Antreiber auf einer Doppelsechs-Position spielen.

Zwischenmenschlich muss Ancelotti im Verein wohl an einigen Stellen kitten, was zu Bruch gegangen ist. Zu offen wurden in den letzten zweieinhalb Jahren Streitigkeiten in die Öffentlichkeit getragen. Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen Guardiola und dem Ärzteteam ist hier zu nennen. An dieser Stelle sind die Moderationsfähigkeiten von Ancelotti gefragt.

Ein völliger Einbruch der Mannschaft ist nicht zu erwarten. Ähnlich wie bei der Entscheidung Jupp Heynckes durch Pep Guardiola zu ersetzen, wird hoffentlich allen Beteiligten nochmal klar werden, welche Chance sie haben. Auch Pep wird hochmotiviert in das letzte halbe Jahr gehen und versuchen das perfekte Spiel noch ein Stück zu verbessern, um seine letzte Bayern-Saison mit dem größtmöglichen sportlichen Erfolg enden zu lassen.

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