XXL-Analyse: Der Transfersommer des FC Bayern
Dies ist ein Gastbeitrag von Maxi Backa, den wir gern mit euch teilen wollen. Wir hoffen, ihr habt etwas Zeit mitgebracht für diese XXL-Analyse. Wer sich für eine weitere Perspektive interessiert, dem sei noch eine XXL-Kaderanalyse auf unserer Patreon-Seite empfohlen.
Welcher Bayern-Fan träumt nicht davon? Champions-League-Sieger mit attraktivem Fußball und einem Kader voller Eigengewächse oder zumindest mit Spielern, die schon sehr lange in München spielen und sich voll mit dem Verein identifizieren.
Das bleibt allerdings nicht ohne Grund ein Traum, denn einerseits ist es nicht so einfach, Spieler zu halten – wie es der FC Bayern gerade bei Alaba und Thiago erleben muss. Auf der anderen Seite sind Talente, die den dauerhaften Sprung aus der Akademie eines Top-Klubs in den Profikader schaffen, eher die Ausnahme als die Regel. Deshalb braucht es für jeden Verein immer wieder externe Verstärkungen, um die höchsten Ziele zu erreichen.
In den folgenden drei Abschnitt soll ein ausführlicher Ausblick auf die nächste Transferperiode gegeben werden, die bekanntlich dieses Jahr ausnahmsweise bis zum 5. Oktober geht. Zunächst wird es darum gehen, wie der derzeitige Stand der bayerischen Mannschaft ist. Wie lässt sich der Fußball unter Hansi Flick charakterisieren, wo sind die Stärken und welches ungenutzte Potential steckt im Kader? Anschließend soll im zweiten Abschnitt analysiert werden, wie die Perspektive der einzelnen Spieler aussieht und wie der Kader in der kommenden Saison aussehen könnte, um schlussendlich im dritten Abschnitt Profile für mögliche Neuzugänge zu definieren.
Abschnitt 1: So agieren die Bayern unter Hansi Flick
Seit der Amtsübernahme von Hansi Flick haben sich die Bayern zu einer absoluten Pressingmaschine entwickelt, wie sich in der Grafik des Twitter-Users @victorrenaud5 erkennen lässt. Demnach presst die Mannschaft sehr aktiv und erobert den Ball gerade nach Ballverlusten häufig sehr schnell zurück. Überdies versuchen die Bayern, dem Gegner schon frühzeitig in deren Hälfte den Ball abzunehmen. Dies lässt sich an der hohen Zahl von Pressingaktionen im letzten Drittel (siehe x-Achse der Grafik) feststellen.
Dies scheint ein unumstößlicher Teil der Philosophie von Trainer Hansi Flick zu sein. Dementsprechend war ein sehr hohes und sehr mannorientierte Pressing schon in seinen ersten Spielen bei den Bayern zu sehen.
So wählt Flick auch für seine Aufstellung gerne weiträumige Spieler aus, die im Pressing und direkten Zweikampf sehr schnell Zugriff erzeugen können. Das heißt, die Spieler müssen in der Lage sein, möglichst schnell einen großen Raum zu verteidigen. Durch Geschwindigkeit und physische Eigenschaften (siehe Goretzka, Davies) kann das genauso wie über ein geschicktes Vorausahnen von Situationen (Thiago, Alaba) gelingen.
Offensivspektakel mit direktem Spiel
Im eigenen Ballbesitz setzt Flick auf einen hohen Flügelfokus kombiniert mit einem eher vertikalen Ansatz, der von den Spielern weniger Querpässe, sondern eher direktes Spiel in die Spitze verlangt. Dies passt auch sehr gut zu den Spielern, da die derzeitigen Innenverteidiger Alaba und Boateng ebenso wie der im Vergleich zu Alphonso Davies durchschnittlich tiefer positionierte Pavard sehr gute Pässe aus der Abwehr spielen können.
Mit Thomas Müller hat man zudem einen Spieler, der sich überragend hinter dem gegnerischen Mittelfeld als Zielspieler und Verarbeiter dieser Pässe in Szene zu setzen weiß. Davies wiederum ist ein sehr linear agierender Außenverteidiger, der fast allein die Flügelzone bearbeiten kann. Damit gibt er Serge Gnabry die Möglichkeit, etwas mehr im linken Halbraum zu agieren, wo er Tiefenläufe starten kann oder als weiterer Zielspieler für Pässe fungieren kann.
Lewandowski ist ein weiterer Spieler, der mit dem Rücken zum gegnerischen Tor herausragende Ablagen geben kann und dem Spiel darüber hinaus ähnlich wie Müller und Gnabry durch gut getimte Läufe Tiefe geben kann. Daran lässt sich aber schon erkennen, dass sich sowohl Müller als auch Gnabry eher in der Zone zwischen der gegnerischen Verteidigungs- und Mittelfeldlinie wohl fühlen und nicht wie Thiago eher vor der eigenen Mittelfeldreihe, weshalb das Spiel schon allein dadurch eher vertikal angelegt werden muss.
Thiagos individuelle Klasse ist aber eine weitere Möglichkeit, die Spieler vor der letzten gegnerischen Verteidigungslinie in Szene zu setzen. Durch seine Körpertäuschungen in Verbindung mit einem überragenden ersten Kontakt kann er die gegnerische Linie häufig überspielen, so dass Müller, Lewandowski oder Gnabry den Ball in einer offenen Körperhaltung empfangen und so den Pass in die Tiefe spielen oder selbst Empfänger eines Schnittstellenpasses werden können.
Auch der oben angesprochene Flügelfokus, der durch die häufigen Verlagerungen entsteht, ist beim derzeitigen Personal sinnvoll, da man mit Davies, Gnabry und Coman gute Spieler für Hereingaben zur Verfügung hat und mit Müller, Gnabry, Lewandowski, Goretzka und, je nach Entscheidung im Sommer, auch Perišić sowohl im als auch um den Strafraum gute Abnehmer hat.
Wie sieht die optimale Kadergröße aus?
In der Theorie könnte die optimale Kaderzusammenstellung so einfach sein, wie Karl-Heinz Rummenigge einst die Kaderplanung für die Triple-Saison beschrieb. Er sagte sinngemäß, dass der Verein solange Spieler eingekauft hatte, bis jede Position im Kader mit zwei guten Spielern besetzt war. Allerdings weist diese Logik mehrere Fehler auf. Zum einen ist es unmöglich, jede Position gleichwertig doppelt zu besetzen. Es wäre beispielsweise utopisch, gleichwertigen Ersatz für Thiago oder Lewandowski zu verpflichten und ihn auf die Bank zu setzen. Und allein der Kauf von ähnlichen Spielertypen von minderer Qualität, die mit der Bank zufrieden wären, reicht nicht aus, denn ein ähnlicher, aber etwas schlechterer Spielertyp als der absolute Schlüsselspieler Lewandowski könnte allein schon das ganze Konstrukt des aktuellen Bayernspiels ins Wanken bringen.
Der unter Salihamidzic eingeschlagene Weg, Positionen mit polyvalenten Spielern mehrfach zu besetzen, erscheint deshalb logisch. Auch weil dadurch Möglichkeiten für die vielen hochtalentierten Campusspieler entstehen und weil jeder Spieler des Profi-Kaders eine realistische Chance auf viele Einsatzminuten hat. Letztendlich ist das auch ein Schritt in Richtung des eingangs erwähnten Traums, möglichst viele Jugendspieler einzubinden.
Die optimale Kadergröße könnte resultierend aus den Erfahrungen der letzten Jahre aus circa 19 Profis plus 4-5 junge Spieler und Torhüter bestehen, wobei das natürlich immer von der Vielseitigkeit der Spieler abhängt. Diese ist aber bei Bayern mit Spielern wie Gnabry, Kimmich, Alaba oder Pavard durchaus gegeben, sodass ein solch kleiner Kader eine realistische Möglichkeit darstellt, vorausgesetzt man hat einen variablen Trainer, der auf Ausfälle mit adäquaten Umstellungen reagieren kann. Diese Fähigkeit muss Hansi Flick erst noch zeigen, sein Experiment mit der Dreierkette Alaba, Lucas und Kimmich zeigt allerdings, dass er zu grundlegenden Adaptionen durchaus in der Lage sein könnte.
Abschnitt 2: Zukunftsausblick für die einzelnen Spieler
Alles in allem deutet sich also an, dass die Bayern aktuell gar nicht so schlecht aufgestellt sind. Um das zu überprüfen, soll im zweiten Abschnitt ein Ausblick auf die Zukunft gewagt werden, der die Perspektiven der einzelnen Spieler beleuchtet.
Die Torhüter
Neuer: Er wird auch nächstes Jahr das Bayern-Tor hüten. Immer noch ein sehr guter Torhüter, allerdings sollte man hier den Markt auf der Suche nach einem Nachfolger zumindest beobachten. Neuer ist gerade auch fußballerisch längst nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Es mehren sich die Aktionen, in denen Neuer den Ball einfach wegdrischt, anstatt durch kluge Aufbauaktionen Angriffe einzuleiten.
Ulreich und Nübel: In Anbetracht der Verpflichtung von Nübel erscheint ein Abgang von Ulreich ausweglos zu sein. Nübel ist besonders im fußballerischen Bereich besser. Dies in Kombination mit seinem Potential sollte ihn zu einem klaren Upgrade im Vergleich zu (dem trotzdem grundsoliden) Ulreich werden lassen.
Früchtl und Hoffmann: Für Früchtl scheint eine Leihe zu einem mindestens ambitionierten Zweitligisten alternativlos um herauszufinden, ob er langfristig das Potential zum Bayern-Torhüter hat. Der ehemalige Junioren-Nationalspieler Ron-Thorben Hoffmann dagegen wird für die Amateure ein sicherer Rückhalt sein und bei den Profis des FC Bayern als dritter Torwart den Kader auffüllen, insofern kein Angebot mehr kommt, bei dem der 21-Jährige nochmal ins Grübeln gerät.
Die Feldspieler (von hinten nach vorn)
Hernández: Die großen Vorschusslorbeeren konnte Hernández bisher vor allem verletzungsbedingt noch nicht erfüllen, aber seine Polyvalenz ermöglicht es ihm, sowohl für die linke Innenverteidigerposition als auch für die Linksverteidigerposition ein überragender Rotationsspieler zu sein, der bei Umstellungen auf eine Dreierabwehrkette sicherlich in die Startelf rücken würde und auch ansonsten Davies und Alaba entlasten könnte. Im Falle des drohenden Abgangs von Alaba könnte er überdies die dadurch freiwerdende Position des linken Innenverteidigers übernehmen. Perspektivisch ist es selbstverständlich sein Anspruch, Stammspieler beim FC Bayern zu werden.
Süle: Hier wird es spannend zu sehen sein, wie er nach seiner zweiten Kreuzbandverletzung zurückkommt. Vielleicht hat ihm die lange Corona-Pause geholfen, an seinem Comeback zu arbeiten, aber in vielen vergleichbaren Fällen erreichten Profis nach zwei so schwerwiegenden Verletzungen im selben Knie nicht mehr ihr Leistungsniveau. Er ist aber, wenn er es doch wieder erreichen sollte, sicherlich der gesetzte Spieler auf der rechten Innenvertediger-Position.
Boateng: Hier gilt es mit dem Spieler zu klären, wie er sich seine Zukunft vorstellt. Er wird eine Chance gegen Süle bekommen, aber es ist davon auszugehen, dass man Süle die Zeit gibt, wieder an die Mannschaft heranzukommen, sodass Boateng wohl eher kein unumstrittener Stammspieler mehr ist. Allerdings hat er gerade vor der Pause gezeigt, dass er immer noch ein sehr guter Innenverteidiger ist, der Süle im Falle einer erneuten Verletzung (oder des Szenarios, dass er nicht mehr an sein altes Niveau herankommt) hervorragend ersetzen könnte. Eine Verlängerung scheint jedoch unwahrscheinlich und der Klub muss im Laufe der Saison bewerten, ob man 2021 einen Backup für Süle oder doch eher einen neuen Stammverteidiger braucht. Vielleicht kann auch Tanguy Nianzou diese Lücke relativ schnell füllen.
Mai: Er wurde bereits nach Darmstadt verliehen und ob er beim FC Bayern nach den schwierigen letzten Jahren und seiner stagnierenden Entwicklung überhaupt noch eine Zukunft hat, wird sich erst zeigen müssen. Gut sieht es dahingehend jedenfalls nicht aus.
Nianzou: Ein internationales Toptalent, das als Backup für die Innenverteidigung ein großartiger Transfer werden könnte.
Alaba: Ein absoluter Schlüsselspieler für die nächsten Jahre. Der FC Bayern wird sich zwar strecken müssen, um ihn noch lange in München zu halten, doch diesen Aufwand sollte es wert sein.
Davies: Vertrag verlängert, alles richtig gemacht. Sollte noch lange ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft sein.
Pavard: Durch seine Polyvalenz sowohl für die Innenverteidigung als auch für die Position des rechten Verteidigers mindestens ein guter Backup, der sicherlich immer wieder Minuten bekommen wird und es dem neuen Rechtsverteidiger sogar sehr schwer machen wird, an ihm vorbeizukommen. Für die Option als Teil der Innenverteidigung ist Skepsis angebracht, da ihm hier ein wenig die Ausstrahlung und damit einhergehende Körperlichkeit fehlt, die die Besten auf dieser Position haben. Überdies wirkt er zentral oft zu überhastet in seinen Defensivaktionen. Ein Innenverteidiger eines offensiven Teams sollte aber nicht immer auf den schnellen Ballgewinn gehen, sondern vor allem absichern und entschleunigen, da es im schlimmsten Fall durchaus passieren kann, dass man in Gleich- oder gar Unterzahl verteidigen muss.
Odriozola: Wird zurück nach Madrid gehen und durch einen neuen Rechtsverteidiger ersetzt. Defensiv mit zu offensichtlichen Mängeln, offensiv durch seine lineare Spielweise kein gutes Zusammenspiel mit Gnabry und Coman.
Kimmich: Wohl der zukünftige Kapitän. Sollte er mit einer Rückversetzung auf die rechte Abwehrseite einverstanden sein und sich die Möglichkeit ergeben, einen grandiosen Mittelfeldspieler zu bekommen, sollte man das machen. Will er aber unbedingt weiterhin auf der 6 spielen, sollte man nach einem Rechtsverteidiger suchen. Ein Spieler, den man unbedingt halten sollte.
Martínez: Einer der letzten verbliebenen Wembley-Helden sollte im Mittelfeld wegen seiner Mängel im Ballbesitzspiel (Freilaufverhalten, Passrange, Pressingresistenz) keine Rolle mehr spielen. Wäre eine Option als Innenverteidiger-Backup. Da er aber weniger gut als Boateng ins Flick-System passt (insbesondere hinsichtlich des Aufbauspiels), scheint eine Trennung unausweichlich.
Thiago: Eigentlich muss mit ihm verlängert werden. Er scheint das aber nicht zu wollen und man muss damit eine große Herausforderung auf dem Transfermarkt bewältigen, will man ihn adäquat ersetzen.
Goretzka: Mit seinen Läufen in die Tiefe ein sehr wertvoller Spieler, der sich auch wegen seiner Weiträumigkeit gegen den Ball darauf verlassen kann, im Mittelfeld viele Einsatzminuten zu bekommen.
Tolisso: Seit seiner Verletzung hat er an jener Weiträumigkeit im Spiel gegen den Ball verloren und passt damit nicht (mehr) perfekt in das von Flick präferierte Defensivsystem. Als Sechser fehlt ihm die Pressingresistenz und die Fähigkeit, das Spiel zu gestalten und zu strukturieren. Die Tendenz geht stark in Richtung Trennung – fraglich ist wegen des durch Corona geprägten Markts womöglich nur der Zeitpunkt.
Fein: Sein Signature-Move sind die Chipbälle hinter die Abwehr, die Bayern sehr gut brauchen könnte. Allerdings fehlt auch ihm im Spiel gegen den Ball die Weiträumigkeit, sodass er im Flick-System weniger gut aussehen wird als unter Dieter Hecking. Ideal wäre wohl eine weitere Leihe, aber das wird die Vorbereitung erst noch zeigen müssen.
Cuisance: Hat das Potential zu einem Spielertyp wie Thiago heranzuwachsen, wenngleich er anders als Thiago seine Stärken eher halbrechts hat. Eine Leihe wäre für ihn trotzdem eine Überlegung wert, wenn Flick ihm nicht genug Spielzeit garantieren kann.
Coutinho: Ein Spieler, der eigentlich auch in der Lage wäre, die vakante Kaderstelle des halblinken Kreativspielers zu besetzen. Er ist in der Lage, die gegnerischen Ketten zu überspielen (sei es durch Chipbälle oder Steckpässe). Allerdings lässt seine Entscheidungsfindung (gerade bei der Abschlussfindung) zu wünschen übrig und für sein exorbitantes Gehalt sind seine Leistungen generell zu schwankend. Die Tendenz geht hier also klar zu einer Trennung.
Coman: Ein dribbelstarker Flügelspieler, der ohne sein Verletzungspech wohl längst unumstrittener Stammspieler bei Bayern wäre. Deshalb konnte er sein Potential zu selten zeigen. Letztlich ist er aber trotzdem noch ein hochtalentierter junger Spieler, der auch nächste Saison auf viele Einsatzminuten kommen wird.
Perišič: Tat sich als wertvoller Kaderspieler hervor, der besonders gut in der Strafraumbesetzung bei Flanken gefällt. Auch nie durch Murren aufgefallen und hat sich zwischenzeitlich sogar fast in die Startelf gespielt. Hier ist ein weiteres Leihjahr genauso möglich wie eine Trennung. Allerdings wird die Entscheidung wohl erst fallen, wenn andere Personalien geklärt werden und abzusehen ist, welche Rolle er spielen würde. Auch Flicks Pläne mit Oliver Batista-Meier dürften entscheidend sein.
Sané: Im letzten Sommer war er der Königstransfer, der nicht kam. Seitdem hat sich viel verändert. Zum einen erlitt er seine schwere Kreuzbandverletzung, die Zweifel schürt, ob er sein altes Leistungsniveau jemals wieder erreichen kann. Zum anderen ist da aber auch der Durchbruch von Alphonso Davies. Dieser interpretiert die Rolle des Außenverteidigers anders als ein David Alaba oder Lucas Hernández. Denn während diese beiden oftmals eher zurückhaltend agieren, den Aufbau unterstützen und den Pass auf einen breit positionierten Eins-gegen-eins-Spieler (Sanés Paraderolle) suchen, rückt Davies gern selbst auf, um auf dem Flügel für Durchbrüche zu sorgen. Noch ist nicht sicher, inwieweit sich Sané und Davies vielleicht sogar Platz wegnehmen könnten.
Denn Sané wurde ja nicht zuletzt von Löw aus dem Kader zur WM 2018 gestrichen, weil er sich im offensiven Halbraum nicht so wohlfühlt. Auch Davies zeigte bisher immer wieder, dass ihm, um eingerückter zu agieren, einige wichtige Aspekte fehlen (Pressingresistenz, Passrange). Trotz allem besteht durchaus die Chance, dass er ein herausragender Transfer sein kann, besonders da er eine große Schwachstelle des Kaders im Falle einer Davies-Verletzung beheben würde. Außerdem ist auch vorstellbar, dass Davies und Sané sich zu einem Duo ergänzen, welches durch ihre Explosivität in Kombination mit Vorder-/Hinterlaufen, aus dem Nichts Durchbrüche generieren kann. Denn nur, weil es auf dem Papier aktuell Schwierigkeiten geben könnte, heißt das nicht, dass diese beiden jungen Spieler sich nicht weiterentwickeln können.
Gnabry: Einer der Spieler, die die Zukunft des FC Bayern entscheidend prägen werden. Als Außenspieler ist er aus der Mannschaft dank seiner Dynamik, Dribblingstärke und Torgefährlichkeit ohnehin nicht mehr wegzudenken. Er fühlt sich dabei sowohl an der Außenlinie als auch in den Halbräumen wohl und könnte im Falle eines Systemwechsels auch in einer noch zentraleren Position eingesetzt werden. Auch nächste Saison wird er ein Schlüsselspieler der Mannschaft sein.
Oliver Batista-Meier: Der FC Bayern und sein Umfeld halten weiterhin sehr viel von ihm, obwohl er wegen einiger Verletzungen zuletzt stagnierte. Auch Flick soll ein Fan des 19-Jährigen sein. In der kommenden Saison könnte ein Perišić-Abgang ihm ebenso in die Karten spielen wie ein eng getakteter Spielplan. Ein Pendeln zwischen der Stammelf der Amateure und regelmäßigen Einsätzen für die Profis könnte eine realistische Option sein, wobei auch da unklar ist, wie er mit dieser Unregelmäßigkeit zurecht käme.
Müller: Der Deuter des rechten Halbraums. Müller ist in seiner derzeitigen Verfassung ein extrem wichtiger Bestandteil des FC Bayern.
Lewandowski: Ein absoluter Ausnahmespieler, der die Mannschaft schon oft gerettet hat und dies vielleicht sogar noch lange tun wird.
Zirkzee/Arp: Die Backup-Stürmer für Lewandowski müssen sich wohl noch gedulden, ehe sie eine ernsthafte Rolle im Profikader einnehmen können. Einer der beiden könnte verliehen werden, der andere Wriedt bei den Amateuren ersetzen und im Falle eines Lewandowski-Ausfalls den Profikader ergänzen. Gerade beim schon recht weiten Zirkzee sollte aber hinterfragt werden, ob die 3. Liga seinem Niveau noch gerecht wird. Für seine Entwicklung könnte deshalb auch eine Leihe diskutiert werden. Arp hingegen ist lange nicht so weit und würde als Stammspieler in der 3. Liga wohl noch von den Erfahrungen profitieren. Auch bei ihm ist eine Leihe jedoch nicht ausgeschlossen.
tl;dr: Möglicher Kader ohne weitere Neuzugänge
Nächstes Jahr (wohl) im Kader: Neuer, Nübel, Hoffmann, Lucas, Süle, Nianzou, Alaba, Davies, Pavard, Kimmich, Cuisance, Goretzka, Coman, Gnabry, Sané, Batista-Meier, Müller, Lewandowski
Wackelkandidaten: Alaba, Boateng, Martínez, Tolisso (alle noch unklar), Zirkzee (evtl. Leihe), Arp (evtl. Leihe), Perišić (evtl. erneute Leihe), Fein (evtl. erneut verliehen)
(Fast) sicherer Abgang: Früchtl (Leihe), Odriozola (Leihende), Coutinho (Leihende), Thiago (will wechseln)
Zwei mögliche Kaderszenarien
Die Zukunft der Wackelkandidaten hängt von zwei wesentlichen Faktoren ab. Erstens, inwieweit sich Bayern trotz der Corona-Krise personell verstärkt. Zweitens, welche Formation(en) Hansi Flick zur neuen Saison als Alternative zum 4-3-3/4-2-3-1 etablieren möchte.
Im Folgenden sollen zwei Szenarien beleuchtet werden: Das wahrscheinliche Light-Szenario, das durch Corona stark beeinflusst wird und mein persönliches Wunschszenario als Bayern-Fan. Zunächst aber das „Light-Szenario“, das nur minimale Anpassungen am Kader erfordert.
Im „Light-Szenario“ wird Lewandowski durch Zirkzee oder Arp ersetzt, so dass hier nur zwei Positionen offen bleiben: Ein zentraler Mittelfeldmann als Ersatz für Thiago (Grafik wurde vor seinem Wechselwunsch erstellt) ein Rechtsverteidiger. Der Rechtsverteidiger sollte ein anderer Typ sein als Pavard. Es sollte ein Spieler sein, der ähnlich wie Odriozola seine Stärken eher in der Offensive hat und durch gutes Passspiel und ein gutes Dribbling zu überzeugen weiß.
Alternativ könnte Flick mit diesem Kader auch auf Flügel verzichten und wahlweise auf ein 4-Raute-2 setzen oder ein 3-4-1-2 (3-4-2-1) installieren. Dies könnte jeweils mit dem aggressiven Flick-Pressing verknüpft werden und böte außerdem implizit die Chance, den Flügelfokus zu beheben, da viele Spieler eher zentral positioniert sind. Ähnlich spielt es zurzeit auch das DFB-Team unter Löw. Dort haben Sané und besonders Gnabry zuletzt geglänzt. Hier wäre besonders wichtig, dass ein rechter Wing-back nach München kommen würde, der ähnlich wie Davies in der Lage ist, über den Flügel Durchbrüche zu generieren und quasi als Breitengeber fungieren könnte, der wie ein horizontaler Wandspieler die Bälle in die Räume klatschen lässt.
So könnte man auch Hernández in die Mannschaft einbauen, da er in der Dreierkette neben Alaba und Süle verteidigen könnte und im Falle einer Raute die Position des linken Innenverteidigers einnehmen könnte. Die Weiträumigkeit der Mittelfeldspieler könnte zudem gut genutzt werden und auch Thiago (oder ein vergleichbarer Neuzugang) könnte die zusätzliche Absicherung nutzen, um mit noch mehr Risiko zu spielen und Bayerns Tiefensprinter (Gnabry, Goretzka, Müller und Co.) in Szene zu setzen.
Mit der Frage nach einem Thiago-Ersatz beschäftigt sich dann vor allem der dritte Abschnitt. Zunächst aber mein Wunschszenario:
Mein Wunschszenario umfasst einige Abgänge mehr. So sollten auch Boateng (über dem Zenit) und Tolisso (spielstärkere Alternative erforderlich) den Verein verlassen. Dementsprechend braucht man auch mehr Neuzugänge. Da Kimmich mit seiner Spielstärke und Flankenstärke noch immer den nahezu perfekten Außenverteidiger für die Bayern verkörpert, würde eine Rückbeorderung Sinn machen.
Allerdings gibt es hier schon die ersten Fragezeichen, denn Flick hat Joshua Kimmich bisher stets im Mittelfeld aufgestellt und ihm zu Beginn seiner Amtsperiode sogar den Vorzug vor Thiago, der zweifelsfrei einer der besten Sechser der Welt ist, gegeben. Überdies hat Kimmich seine Versetzung sehr erfreut zur Kenntnis genommen und es ist nicht abzusehen, wie er auf eine Rückversetzung reagieren würde. Diese wäre es aber nicht wert, den vielleicht zukünftigen Kapitän der Mannschaft zu vergraulen. Da dies hier aber ein Wunschszenario ist, gehen wir mal davon aus, dass Kimmich die Rückversetzung akzeptiert.
Trotz allem würde ein weiterer Rechtsverteidiger Sinn ergeben. Einerseits, um Kimmich zumindest als Alternative für die Zentrale zu behalten und andererseits, da Pavard in Anbetracht des Abgangs von Boateng und Martínez vor allem zentral benötigt werden würde. Allerdings könnte auch Alaba notfalls die rechte Halbposition in der Innenverteidigung bekleiden, da er als zentraler Spieler ausgebildet wurde und sich somit schneller wieder an die Automatismen gewöhnen würde.
Abschnitt 3: Profile für mögliche Neuzugänge
Aus diesen Szenarien heraus sollen nun Spielerprofile erstellt werden, denen potentielle Neuzugänge des FC Bayern entsprechen sollten. Außerdem werden bereits einige Optionen benannt.
Rechtsverteidiger
Bei der Suche nach einem rechten Verteidiger handelt es sich eher um die Suche nach einem Ergänzungsspieler. Sergiño Dest (Ajax) wäre ein solcher und scheint einer der Favoriten zu sein.
Dest ist auch deshalb so lange der Favorit auf diese Rolle gewesen, weil er nicht nur jung und talentiert, sondern auch sehr flexibel einsetzbar ist. So könnte er ebenso als Flügelverteidiger in einem Dreierkettensystem wie als normaler Außenverteidiger mit Viererkette agieren. Durch seinen Offensivdrang ist er gegen tiefstehende Gegner eine gute Alternative.
Neben Dest am lautesten war in letzter Zeit Max Aarons im Gespräch, der ein ähnliches Profil vorweisen kann und daher ähnlich geeignet für die Anforderungen der Bayern scheint. Andere Optionen mit ähnlichem Skillset wären Semedo (Barcelona), Hakimi (Inter) (gewesen) oder Pereira (Leicester).
Eine alternative Lösung wäre der Versuch einer Umschulung nach dem Vorbild Davies. Dies ist allerdings mit großem Risiko verbunden, da man natürlich schwer vorhersagen kann, wie schnell sich ein Spieler an eine neue Position und die damit verbundene veränderte Aufgabenstellung gewöhnen kann. Sollte Thiago tatsächlich gehen, braucht man Kimmich selbstverständlich zentral und sollte zumindest überlegen, einen bereits hochklassigen Verteidiger wie Cancelo zu holen.
Zentrales Mittelfeld
Neben Sané stehen dann noch ein bis zwei weitere große Transfers an. Einerseits ein spielstarker und technisch versierter Achter und andererseits ein Spieler für die Sechser-Position – vielleicht aber auch jemand, der beides verkörpern kann. Der Sechser sollte spielerische Stärke mit großer Weiträumigkeit im Pressing und Zweikampfstärke verknüpfen, um die Anforderungen von Flick zu erfüllen. Die Ideallösung wäre hier Rodri, der Bayern aber letzten Sommer einen Korb gab, um sich Manchester City und Pep Guardiola anzuschließen. Eine andere passende Alternative wäre Rúben Neves (Wolves), der spielerisch sehr stark ist und mit seinen 23 Jahren eine Lösung mit Zukunft wäre.
Eine recht teure Alternative wäre Tanguy Ndombele (Tottenham), der vor allem durch seine Dynamik und Dribbelstärke auf sich aufmerksam macht. Er wäre vielleicht zu haben, da er unter Mourinho bisher einen eher schweren Stand hatte. Die Spurs werden ihn aber höchstwahrscheinlich nicht (deutlich) unter dem damaligen Einkaufspreis abgeben wollen und der betrug stolze 60 Millionen Euro. Unwahrscheinlich, dass die Bayern nach den jüngsten Aussagen aus der Vereinsspitze nochmal so viel Geld in die Hand nehmen.
Auch Saúl (Atlético) und Fabian Ruiz (Napoli) wären gerade spielerisch herausragende Verstärkungen, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass Bayern deren Ablöse bezahlt. Denn Ruiz passt nicht perfekt ins Pressingsystem und Saúl ist ein absoluter Schlüsselspieler Atleticos, der sicherlich unheimlich teuer werden würde.
Eine interessante und auf den ersten Blick utopische Lösung wäre Sergio Busquets vom FC Barcelona. Die Katalanen haben nicht nur finanzielle Probleme, sondern auch ein theoretisches Überangebot im Mittelfeld. Busquets vereint im Prinzip alle Fähigkeiten, die der neue Spieler des FC Bayern mitbringen sollte: Passrange, Pressingresistenz, die Fähigkeit, das Spiel zu ordnen und zu gestalten, Weiträumigkeit gegen den Ball und er würde zudem noch massig Erfahrung mitbringen. Es bleibt trotzdem fraglich, ob Barcelona eine solche Vereinslegende für einen angemessenen Preis abgeben würde. Man würde damit den vielen Campustalenten (Fein, Stiller, Rhein) aber immerhin nicht langfristig den Weg in den Profikader verbauen, sondern hätte eine kurzfristige Übergangslösung. Ähnlich wie mit Xabi Alonso damals.
Wer ersetzt Thiago?
Ein darüber hinaus viel diskutierter Spieler ist das Talent Eduardo Camavinga, der neben seiner technischen Fähigkeiten auch über eine gewisse Weiträumigkeit verfügt, sich aber erst noch entwickeln müsste, um konstant auf sehr hohem Niveau zu agieren.
Fast all den genannten Kandidaten ist gemein, dass sie auch als offensiverer Achter eingesetzt werden könnten, wie es aktuell bei Thiago der Fall ist. Idealerweise sollte also ein Spieler verpflichtet werden, der auch mit Dribblings Gegner überspielen kann. Außerdem sollte er Pressingresistenz mit einer Kreativität vereinen, die es ihm ermöglicht tiefstehende Gegner zu bespielen und gegen aggressiv pressende Gegner eine stetige Anspielstation zu sein. Die Kirsche auf der Torte wäre es, wenn dieser Spieler sogar noch auf den Flügeln aushelfen könnte. Diese Beschreibung schreit eigentlich nach Julian Brandt (Dortmund), der für eine offensivere Achterposition zweifelsfrei eine Ideallösung sein könnte, wenn die Sechserposition unabhängig von ihm zusätzlich ausreichend bekleidet wird.
Allerdings ist fraglich, ob er nach seinem Wechsel zum BVB im letzten Sommer überhaupt daran interessiert wäre, nach München zu kommen. Sollte das nicht gelingen, wäre Naby Këita eine Option. Der ehemalige Leipziger konnte sich bei Liverpool auch verletzungsbedingt nie so richtig durchsetzen, hat aber noch immer überragende Qualitäten und wäre gerade vor dem Hintergrund seiner Red-Bull-Vergangenheit perfekt für das Pressing der Bayern geeignet.
Ein anderer Spieler, der an dieser Stelle zumindest noch erwähnt werden soll, ist das deutsche Toptalent Kai Havertz (bald Chelsea), der auch immer wieder mit Bayern in Verbindung gebracht wurde. Sein Profil hätte gut zu den Ideen von Hansi Flick gepasst, doch war die Ablöse schlicht zu hoch, um ihn in diesem Sommer zu holen. Und genau deshalb ist die Situation auch so knifflig. Bayern braucht einen talentierten Spieler, der sofort weiterhelfen kann, eine möglichst breite Anzahl von Fähigkeiten abdeckt und dazu nicht zu teuer ist. Alles andere als einfach.
Fazit
Der nächste Transfersommer bietet wegen der Polyvalenz vieler Spieler des Kaders (Kimmich, Pavard, Gnabry etc.) viele Möglichkeiten. Beim Vorgehen auf dem Transfermarkt sollte aber erst die Achse der Mannschaft gesichert werden, bevor in die Breite investiert wird. Schließlich würde die Verpflichtung eines Spielers wie Busquets andere Ergänzungen erfordern als die Verpflichtung eines Talents wie Camavinga.
Es wartet also ein spannendes Transferfenster auf die Bayernfans. Gerade die Situation um Kai Havertz hat aber gezeigt, dass dieses nicht ohne Komplikationen laufen wird und Bayern viel Geduld braucht. Schließlich führt nicht nur ein Weg zum Erfolg und vielleicht führen die Entwicklungen auf dem Markt ja sogar noch zu einer weiteren Top-Verpflichtung neben Leroy Sané.
Fakt ist aber, dass durch die besondere Situation womöglich doch noch der Traum vieler Fans ein Stück näher rückt, dass nicht nur einige Campus-Talente ihre Chance erhalten werden, sondern die eine oder andere Identifikationsfigur doch noch länger beim FC Bayern bleibt, als ursprünglich geplant war.