WM-Blog: Kein Bayern-Tor in Russland

Justin Trenner 04.07.2018

Man muss sich dieser Thematik etwas differenzierter annähern als mit bloßen Fakten. Zu sagen, dass die Bayern-Spieler weniger Qualität hätten als in den Turnieren zuvor, wäre ebenso absurd wie die Behauptung, dass sie alle außer Form sind.

Ohnehin wird im Fußball viel zu oft das Individuum betrachtet. Ronaldo schoss Portugal mit seinen drei Treffern 2016 nicht im Alleingang zum Titel. Im Finale fehlte er seinem Team sogar über weite Strecken der Partie. Für Real Madrid erzielte der Superstar gleich mehrere wichtige Treffer in den vergangenen Champions-League-Spielzeiten. Trotzdem müssen diese Abschluss-Situationen eingeleitet, vorbereitet und freigelaufen werden.

Ronaldos Anteil an den Erfolgen seiner Teams war groß, aber es gab keinesfalls einen Alleingang. Genauso wenig ist Messi für das schlechte Abschneiden der Argentinier verantwortlich. Er hat höchstens eine Teilschuld. Betrachtet man den Fußball nicht ständig in diesen Extremen, fällt eine realistische und objektivere Bewertung von Leistungen auch einfacher.

Wir lieben diese Extreme und sie gehören dazu. Natürlich müssen sich manche Spieler mehr an ihren individuellen Leistungen messen lassen als andere. Aber wenn diese Weltmeisterschaft eines zeigt, dann, dass Fußball eben immer noch ein Mannschaftssport ist. Funktioniert das Kollektiv, funktionieren oft auch die Stars auf einem ganz anderen Level. Vielleicht gab es früher mal Spieler, die eine ganze Mannschaft zum Titel getragen haben. Doch der Fußball hat sich weiterentwickelt und funktioniert nur noch, wenn eine Mannschaft zusammen stark ist.

Der Bayern-Fluch?

Der FC Bayern stellte bei dieser WM, zählt man Neuzugang Goretzka dazu, 12 Spieler. Goretzka, Rudy, Süle, Thiago und Tolisso saßen dabei oft auf der Bank und hatten zusammen eine gute Chance auf ein Tor. Hummels und Boateng sind Innenverteidiger. An Toren werden die Beiden nicht gemessen, wenngleich Erstgenannter seine große Möglichkeit gegen Südkorea hatte. Neuer traf überraschend ebenfalls nicht. Bleiben James, Lewandowski und Müller als reine Offensivspieler sowie Kimmich, der als Außenverteidiger keine nennenswerte Torchance zu bieten hatte.

Gerade von Lewandowski und Müller hätte man sich das eine oder andere Tor erhofft. Nun war der Pole aber überhaupt nicht eingebunden. Pässe seiner Mannschaft erreichten ihn höchstens mal außerhalb des Strafraums und seine Läufe in die Tiefe wurden nicht belohnt. Es ist nicht fair, Polens Ausscheiden an ihm festzumachen. Die gesamte Mannschaft war nicht in der Lage, genügend Druck nach vorn zu entwickeln.

Oftmals fand sich Lewandowski in Eins-gegen-Drei-Situationen wieder, die er einfach nicht gewinnen konnte. Die bittere Erkenntnis für den Stürmer: mehr war nicht drin. Polen war insgesamt zu statisch und behäbig. Die Probleme lagen im Aufbauspiel und im Mittelfeld.

Müllers Situation diskutierten wir bereits im Podcast. Ihm kann man noch am ehesten einen Vorwurf machen, weil er seiner Form auch unabhängig von der schwachen Leistung des deutschen Teams hinterherläuft.

Seine Einbindung war ebenfalls nicht gut, aber das entlastet ihn nur teilweise. Müller, der sonst immer für ein Tor gut war, ist diesmal nicht in der Lage gewesen, seiner Mannschaft zu helfen.

Für James ist am Dienstagabend ebenfalls Schluss im Turnier gewesen. Der Kolumbianer konnte nur in einer Partie zeigen, dass er der wichtigste Spieler seines Teams ist. Leider war er in den restlichen Spielen angeschlagen oder verletzt. Andernfalls wäre das erste Bayern-Tor bei der WM 2018 durchaus möglich gewesen.

James konnte seiner Mannschaft im Achtelfinale nicht helfen.
(Foto: Matthias Hangst / Getty Images)

Es bleibt aber festzuhalten, dass die Bewertung nach Toren kein fairer Indikator für einen Rückschluss auf die Qualität des FC Bayern ist. Dafür ist Fußball zu komplex. Allerdings gibt es durchaus Kriterien, die solche Rückschlüsse zulassen.

Gerade das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft sollte auch beim FC Bayern Thema sein. Gegen Mexiko spielten fünf Bayern-Spieler und zwei Akteure aus der Bundesliga. Im zweiten Spiel waren es erneut fünf aus München und drei Bundesliga-Spieler. In der letzten Partie reduzierte sich die Anzahl an Bayern-Spielern auf vier. Es blieb aber bei drei Bundesligisten.

Die Qualität in der Bundesliga hat abgenommen. Bayern entfernt sich zunehmend von der Konkurrenz und wird selbst in schwächeren Spielzeiten mit deutlichem Vorsprung Meister. Andere Mannschaften bringen ihr Niveau oft nur dann auf den Platz, wenn es gegen den Serienmeister aus München geht. Konstanz ist nicht vorhanden.

Die Nationalmannschaft war deshalb auch ein Spiegelbild einer Liga, die seit einigen Monaten nicht mehr in der Lage ist, im internationalen Vergleich ganz oben mitzumischen. Aus der Liga der Weltmeister wurde eine Ansammlung ganz ordentlicher Mannschaften. Auch das Abschneiden in Europa League und Champions League war ein Indikator für den schwächelnden deutschen Fußball. Es wird in Zukunft Ideen brauchen, wie man den Rückstand auf die Konkurrenz verringern kann.

Für den FC Bayern kann das frühe Aus seiner Spieler bei der Weltmeisterschaft in Russland aber auch viele positive Aspekte mit sich bringen.

„Weltmeister sind schwerer zu motivieren“

Kovac wird die Nationalspieler früher bei sich begrüßen dürfen, als es ursprünglich vermutet wurde. Lediglich Tolisso ist jetzt noch im Turnier und der wird – so sieht es im Moment jedenfalls aus – höchstens von der Bank kommen. Zum Saisonstart dürfte deshalb ein frischer Bayern-Kader erwartet werden.

Das neue Trainerteam hat genügend Zeit, um sich und die Mannschaft auf das wichtige erste Saisondrittel vorzubereiten. Auf seiner ersten Pressekonferenz antwortete Kovac auf die Frage, ob es nun schwerer sei, die Spieler zu motivieren, dass es eher einfacher wäre. Top-Spieler wären nach Misserfolgen viel hungriger als nach einem Titel. „Weltmeister sind schwerer zu motivieren“, sagte der Berliner.

Mit der aktuellen Situation ergeben sich für Kovac durchaus Vorteile, die Guardiola und Ancelotti bei Amtsantritt nicht hatten. Trotz vieler Titel in den letzten Jahren ist der FC Bayern angreifbar geworden. Der Status der Unbesiegbarkeit hat auch auf nationaler Ebene endgültig gelitten. Das nagt natürlich am Selbstverständnis, aber es dürfte auch die Motivation der Spieler erhöhen.

Wenn Kovac seine Empathie und Redegewandtheit, die er unter der Woche abermals unter Beweis stellte, auch in den Teamansprachen und Einzelgesprächen umsetzen kann, ist bereits viel gewonnen. Kommt dann noch die nötige Kompetenz im sportlich-taktischen Bereich dazu, wie ihn der Trainer gerne nennt, kann der FC Bayern etwas froher in die Zukunft blicken als noch vor wenigen Monaten.

Solange die Bayern-Spieler im richtigen Trikot wieder Tore erzielen, kann es dem Rekordmeister nämlich egal sein, wie viele Tore sie bei der Weltmeisterschaft auf dem Konto hatten.