Vorschau: FC Bayern München – Bayer 04 Leverkusen

Justin Trenner 24.11.2016

Vor dem Spiel sprachen wir mit Blogger Timo Schwarz, der die Krise der Leverkusener zu erklären versucht und auf das Wochenende blickt.

(Grafik: Michael Böck)
(Grafik: Michael Böck)

Hallo, zunächst beschäftigen wir uns mit dir. Stell dich unseren Lesern bitte kurz vor und erzähle uns, welche spezielle Bindung Du zu Bayer 04 hast.

Hallo! Mein Name ist Timo Schwarz, ich bin 17 Jahre alt, mache gerade mein Abitur und komme aus der Nähe von Osnabrück. Das klingt absolut nicht nach einer Verbundenheit zu Bayer Leverkusen und bis zur WM 2006 fand ich Fußball auch völlig uninteressant. Bernd Schneider hat mich dann begeistert. Dass seine Weltmeisterschaft eher unterdurchschnittlich war, wusste ich erst viel später. Seitdem bin ich leiden(schaftlich)er Fan und blogge seit einiger Zeit auf b04blog.de, worunter man mich auch auf Twitter finden kann.

Unterdurchschnittlich ist auch Leverkusen in die Saison gestartet. Grob gefragt: Woran liegt’s?

In meinen Augen ist die fehlende Lernfähigkeit der Hauptgrund. Auf allen Ebenen. Einen weiteren Tribünenverweis hielt ich noch vor wenigen Wochen für ausgeschlossen. Ein weiterer Wutausbruch Rudi Völlers bleibt auch nur eine Frage der Zeit. Aber es ist auch die fehlende spielerische Weiterentwicklung. Im dritten Jahr unter Roger Schmidt, insbesondere, weil kein Schlüsselspieler verkauft wurde, hätte man das erwarten müssen. Stattdessen zeigten sich bislang dieselben Probleme wie in den Vorjahren. Standards können weder verteidigt noch verwandelt werden und die defensive Absicherung ist oftmals sehr lückenhaft.

Viele Mannschaften kennen mittlerweile die aussichtsreichste Spielweise gegen uns. Gegen tief stehende Gegner haben wir hingegen immer noch keinen Ansatz. Es scheint, als würde taktisch nur auf einzeln auftretende Probleme reagiert werden statt aktiv das Spielsystem zu verbessern.

Verletzungen kommen zwar hinzu, würden auch Niederlagen gegen Topmannschaften rechtfertigen, geben aber keine Erklärung für Punktverluste gegen Lotte, Bremen oder Augsburg ab.

Du hast es angesprochen: Man hätte eigentlich damit rechnen können, dass Bayer jetzt den Umbruch der Dortmunder, vielleicht sogar den der Bayern nutzt. Gibt es langsam Zweifel an Schmidt und seinem System?

Bei vielen schon längst. Seit dieser Saison auch bei mir. Um das Maximum aus dem Kader herauszuholen ist Roger Schmidt sicherlich nicht der richtige Trainer. Dennoch gibt es für ihn zahlreiche gute Gründe. Die Entwicklung der Jugendspieler unter ihm ist im besonderen Maße herauszuheben, die Qualifikation der Champions League wurde jeweils erreicht und trotz der ganzen Kritikpunkte am System ist dies dennoch der Schlüssel zu deutlich überdurchschnittlichen Spielen.

Solange die Qualifikation zur Championsleague erreichbar scheint, ist Schmidt unkündbar. Und das ist auch vorerst gut so.

Roger Schmidt ist längst nicht mehr unumstritten.(Foto: Patrik Stollarz / AFP / Getty Images)
Roger Schmidt ist längst nicht mehr unumstritten.
(Foto: Patrik Stollarz / AFP / Getty Images)

Trotz aller Schwierigkeiten: Warum ist Leverkusen weiterhin ein Top-Team? Was macht sie besonders?

Leverkusen kann in einzelnen Spielen ein absolutes Top-Team sein. Die Siege gegen Dortmund und Tottenham waren daher auch nicht zufällig. Sie können alles auf den Platz bringen, was von einer internationalen Topmannschaft erwartet wird.

Zur uneingeschränkten internationalen Klasse würde ich Leverkusen dennoch nicht zählen. Dafür zeigen sie dieses Niveau zu selten. Bis zu dieser Saison habe ich gedacht, das wäre eigentlich das Normalniveau der Mannschaft und die schwächeren Spiele sind mit vielen Einzelgründen zu erklären. Es ist aber wohl andersherum.

In welcher Ausrichtung und mit welchem Plan erwartest Du die Schmidt-Elf am Samstag?

Formell wird die Werkself im 4-2-2-2 System agieren. Ganz klassisch und ohne Überraschung in der Aufstellung. Lars Bender und Stefan Kießling werden wohl noch ausfallen, dürften aber ansonsten auch noch keine Alternative für die Startelf sein.

Sollte Xabi Alonso spielen, wird er natürlich das Zentrum der Leverkusener Pressingläufe sein. Ich rechne mit einer leicht defensiveren Spielweise als in den letzten Jahren. Bei gegnerischem Ballbesitz wird die Mannschaft wohl in ein 4-4-2 zurückfallen, wo die Außenspieler die Halbräume schließen und die Außenverteidiger leicht vorstoßen, um eine Überzahl im Mittelfeld herzustellen. Wenn Bayer eine Chance haben möchte, wird es auf die Abstände in der Viererkette ankommen. Mit den eingespielten Henrichs, Tah, Toprak und Wendell ist daher fest zu rechnen.

Mal ehrlich, wenn Leverkusen jetzt nicht in München punktet, wann dann? Wie schätzt Du die Chancen ein und was erwartest Du dir vom Spiel?

Die „Wenn nicht jetzt, wann dann“-Mentalität habe ich längst aufgegeben. Ich sehe Bayern München in der Favoritenrolle, was sich auch im Spiel zeigen wird. Nicht nur am Ballbesitz, sondern auch an den Torchancen. Vielleicht aber nicht zwangsläufig bei den Toren. Wenn es uns gelingt aus einer stabilen defensiven Grundordnung in einzelnen Druckphasen mit der nötigen Konsequenz und Entschlossenheit aufzutreten, dann halte ich es für gut möglich, dass wir Punkte mit nach Hause nehmen können. Die Anfälligkeit der Bayern haben schon viele Mannschaften angedeutet.

Wie geht’s aus?

Die beiden Torflauten treffen. Müller und Chicharito. 1:1.

Wenn ich mir einen Spieler von Bayer 04 aussuchen dürfte, wäre es Julian Brandt. Jetzt bist Du dran. Wen nimmst Du von den Bayern und wieso?

Robert Lewandowski. Vielleicht euer bester Spieler. Ein unglaublicher Stürmer, der in der Lage ist, aus jedem Ball eine gefährliche Torchance zu kreieren. Stark im Abschluss und Kopfball, körperlich robust, aber dennoch ein schneller und kreativer Stürmer. Auf Anhieb könnte er uns sicherlich am schnellsten helfen.

Ganz davon abgesehen, würde ich Julian Brandt gerne mal in einer anderen Mannschaft sehen. Aber das hat noch Zeit.

Zwar ist Leverkusens Start in die Liga sehr missglückt, aber sie bringen im Gesamtpaket genau das Rüstzeug mit, um den Bayern am Samstagabend richtig wehzutun.

Roger Schmidts Zeit bei Bayer 04 ist bisher als ordentlich bis gut zu bewerten. Er hat den Fußball in Leverkusen verändert und geprägt, aber nicht erfolgreicher gemacht. Die Frage danach, weshalb nicht mehr raussprang, lässt sich mit verschiedensten äußerlichen Faktoren begründen.

Trotzdem hat es der Trainer weder geschafft, die Defensive zu stabilisieren, noch in den ganz großen Spielen mit seiner Mannschaft voll da zu sein. Kein Titel, Platzierungen, die auch vor Schmidt an der Tagesordnung waren und die bisher verpasste Chance, die Schwächen der Topklubs zu nutzen.

Gegnervorschau

Flexible Offensivpower

Leverkusens Stil lässt sich am ehesten mit dem Begriff „Vollgasfußball“ beschreiben. Hohe Geschwindigkeit und Intensität, viele Zweikämpfe sowie der unbedingte Wille, attraktiven Offensivfußball zu spielen. Schmidts Leverkusen hat sich an guten Tagen zu einer Pressingmaschine entwickelt.

Meist agiert die Mannschaft in einem 4-2-2-2, in dem die Flügelspieler eher die Halbräume bespielen oder eine Seite überladen, als dem Spiel Breite zu geben. Durch die bewussten Überladungen in verschiedensten Zonen und die hohen technischen Fertigkeiten von Brandt, Chicharito, Volland, Kampl und Co. sind sie zu jeder Zeit in der Lage, Gefahr auszustrahlen.

Die Mannschaft spielt weitestgehend strukturiert mit dem Ball, kreiert stets Verbindungen und bricht auch gern über Einzelaktionen durch.

Einen besonderen Fokus werden die Münchner aber auf Julian Brandt legen, der nicht nur bei ihnen sehr begehrt sein dürfte. Der junge Nationalspieler zählt wahrscheinlich zu den intelligentesten Spielern der Liga. In 816 Bundesliga-Minuten hat er bereits fünf Torbeteiligungen gesammelt.

Die Werkself zeichnet sich zudem dadurch aus, dass ihre Tore auf viele Akteure verteilt sind. In 17 Pflichtspielen gab es 10 verschiedene Torschützen, die zusammen 27 Treffer erzielten. Chicharito (7) ist dabei die größte Waffe. Doch auch Volland, Mehmedi, Calhanoglu (alle 3), Kampl und der eben erwähnte Brandt (jeweils 2) sind nicht außer Acht zu lassen.

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Die beiden Mannschaften im Vergleich.
(Grafik: Lukas)

Zwischen Genie und Wahnsinn

Roger Schmidt ist ein großes Rätsel. Zum einen sorgt sein Stil für großes Spektakel, zum anderen schafft er es einfach nicht, kontinuierlichen Erfolg zu liefern und sich so endgültig von seinen Vorgängern abzugrenzen. Ein Grund, wenn nicht sogar der Hauptgrund, dürfte die Defensive sein. In 11 Bundesliga-Partien hagelte es bereits 18 Gegentreffer.

Leverkusen lässt dabei nicht mal viele Chancen zu – im Schnitt nur 9,8 pro Spiel und somit Platz 4. Es ist die Anzahl an großen Möglichkeiten für die Gegner, die ihnen wichtige Punkte kosten. Ist das hohe Pressing der Leverkusener erstmal überspielt, ist es ein einfaches, auch die Abwehr zu knacken. Das ist das Los eines nicht immer perfekten Angriffpressings.

Die Frage ist aber, weshalb dieses hohe Pressing nicht konstant funktioniert, denn die Ansätze sind ja durchaus gut. Gegen Dortmund spielte Bayer 04 ein hervorragendes Spiel gegen den Ball. Seit einigen Wochen hat Schmidt sein System etwas angepasst. Das 4-2-2-2, das auch gern mal zum 4-2-4 wird, ist nun auch häufig ein 3-4-3, das die Zentrale verstärkt und vor allem den Zugriff auf das gegnerische Aufbauspiel vereinfacht.

Leverkusen wird den Bayern einige Pressingfallen stellen. Die Entlastung des Sechsers und das Bilden von Dreiecken ist da besonders wichtig.
Leverkusen wird den Bayern einige Pressingfallen stellen. Die Entlastung des Sechsers und das Bilden von Dreiecken sind da besonders wichtig.

Die ballnahen Außenverteidiger rücken zur Unterstützung gern ins Mittelfeld auf, um situative Überzahl zu kreieren. Thomas Tuchel fand dagegen keine Lösungen. Gleich mehrere Umstellungen brachten keine nennenswerte Veränderung mit sich. Weigl war aus dem Spiel und das zweite Drittel gehörte der Schmidt-Elf.

Auch am Samstagabend dürfte ein ähnlicher Stil zu erwarten sein. Leverkusen sucht viele Zweikämpfe und stört dementsprechend auch mal mannorientiert. 20,9 erfolgreiche Zweikämpfe (Platz 2) sind es pro Spiel.

Da Alonso in Rostow nicht zum Einsatz kam, wird er gegen die Werkself vermutlich wieder spielen. Schaffen es die Bayern wieder nicht, den Spanier ausreichend zu unterstützen, so könnte das gegen das Pressing der Gäste tödlich sein. Der ehemalige Weltmeister wird sich in einer sehr engen Zentrale befinden und auf Schutz angewiesen sein. Ballverluste im Aufbauspiel gilt es für den Serienmeister zu vermeiden. Gerade, weil die Mannschaft von Roger Schmidt schnell und effektiv umschalten kann.

Leverkusen führt sehr viele Zweikämpfe, kommt jedoch auf eine durchschnittliche Quote.(Grafik: Lukas)
Leverkusen führt sehr viele Zweikämpfe, kommt jedoch auf eine durchschnittliche Quote.
(Grafik: Lukas)

Weder Pep, noch Carlo

Leverkusen attackiert besonders gerne über die Halbräume, was für die Bayern kein gutes Zeichen ist. Ancelottis 4-4-2 gegen den Ball öffnet genau dort nämlich einige Räume, die zuletzt auch von den Gegnern als Schwachstelle ausgemacht wurden.

Das Problem des Rekordmeisters liegt in der Zwischenlösung Ancelottis. Es wirkt so, als würden einige Spieler noch das Pep’sche Gegenpressing praktizieren wollen, während andere sich eher passiv fallen lassen. Das Team ist gegen den Ball kein Team und auch in Ballbesitz komplett unstrukturiert.

Leverkusen kreiert und initiiert sehr viele Chancen aus den Halbräumen. Genau dort sind die Bayern anfällig.(Grafik: Lukas)
Leverkusen kreiert sehr viele Chancen aus den Halbräumen oder von der Außenbahn. Genau dort sind die Bayern anfällig. Überdies ist Alabas Seite sehr offen.
(Grafik: Lukas)

Verteidigen die Bayern hoch, sehen sie meist noch besser aus als im tiefen Mittelfeldpressing. Die Spieler sind für letzteres einfach nicht geduldig genug. Sie wollen den Ball und sie wollen Fußball spielen. Das Angriffspressing ist jedoch zu inkonsequent. Drei Angreifer, die halbherzig anlaufen und hinter sich eine nur wenig abgesicherte Zone vorfinden, weil die Achter nicht energisch genug nachrücken.

Ancelotti sollte seinen Stil überdenken

Der FC Bayern hat also ein Strukturproblem. Das diskutieren wir seit einigen Wochen im Blog, doch Verbesserungen gab es speziell gegen hochstehende Gegner keine. Ancelotti zeigt sich kritikresistent und redet, zumindest vor den Kameras, jegliche Probleme weg.

Er würde jedoch gut daran tun, seinen Stil zu überdenken. Derzeit findet der Italiener nicht die richtige Position für Müller, lässt zudem Alonso ein ums andere Mal ins offene Messer laufen, wechselt Spieler aus, die gut im Spiel waren und schafft es nicht, dass die Mannschaft kompakt und effektiv verteidigt.

Gut, das Müller-Problem mag sich auf eine Abschlusskrise beschränken. Fakt ist jedoch, dass durch die Aufstellung des Nationalspielers auf dem Flügel eine Eins-gegen-Eins-Waffe weniger aufgeboten werden kann.

Selbst in Rostow fehlte es an Geschlossenheit. Derzeit kann man elf Individualisten beobachten, die auf ihre richtige Zusammensetzung warten, um wieder als Team zu funktionieren. Doch geht es schon lange nicht mehr nur um die richtige Formation, die bestenfalls sowieso nur eine Nummer ist.

Spieler stehen sich auf den Füßen, besetzen zu zweit oder gar zu dritt eine Zone und lassen so wichtige Räume unbesetzt. Das von Guardiola mühevoll zusammengefügte Gebilde scheint nicht mehr existent zu sein.

Ancelotti hat dieses fertige Positionsspiel-Puzzle der Bayern fallen lassen und muss jetzt einen eigenen Weg finden, wie er die Einzelteile wieder zusammensetzt. Schafft er das gegen Leverkusen noch nicht, dürfte es wieder eine sehr zähe und unangenehme Begegnung für alle Bayern-Fans werden.

Allerdings wäre dieses Duell, in dem zwei schwächelnde Top-Klubs aufeinander treffen, der perfekte Moment für eine Reaktion. Die Bayern mögen wieder „back to earth“ sein, aber sie sind immer noch die Bayern. Das gilt es am Wochenende zu beweisen. Als Team.

Fünf Thesen zum Spiel

  1. Der vorläufige Befreiungsschlag gelingt und Bayern gewinnt.
  2. Müller trifft.
  3. Leverkusen trifft auch.
  4. In der ersten halben Stunde fällt ein Tor.
  5. Kimmich wird an mindestens einem Tor direkt beteiligt sein.

Leider waren vier von fünf Thesen aus der BVB-Vorschau richtig, deshalb nutze ich das Momentum und versuche Bayern aus der Krise zu schreiben. Alles raushauen. Gesamt: 39/80

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