Vorschau: Alle Neune in Mainz?

Justin Trenner 23.04.2021

„Emotionen“ dürfte einer der ersten Begriffe sein, der vielen Fußballfans einfällt, wenn sie darüber philosophieren, was sie an ihren Sport bindet. Besondere Geschichten, enge Duelle mit Rivalen, dramatische Entscheidungen im letzten Augenblick. Eben wie 2001, als die Bayern mit ihrer allerletzten Aktion Deutscher Meister wurden. Als Patrik Andersson für Ekstase bei sich, seiner Mannschaft und den Fans sorgte. Freude und Leid – im Fußball sind sie oft ganz nah beieinander und so waren es eben die Schalker, die an diesem Tag nur vier Minuten lang in den Genuss kamen, mal wieder Deutscher Meister zu sein. Andersson machte ihnen diesen Traum zunichte.

Nicht nur aus neutraler Sicht ist das ein ganz besonderes Erlebnis gewesen. Je nach Fangeneration wird die Meisterschaft 2001 auch bei vielen Bayern-Fans großartige Erinnerungen hervorrufen. Heute scheint eine derartige Emotionalität in Verbindung mit einem Meistertitel kaum noch möglich zu sein. Zumindest bei mir. Und an dieser Stelle möchte ich ausnahmsweise in die Ich-Perspektive rücken. Ich kann es mir nicht erlauben, für die Vielzahl an Bayern-Fans zu sprechen. Zu unterschiedlich sind die Meinungen, was das angeht.

Aber ich nehme diese neunte Meisterschaft in Serie nur noch zur Kenntnis. Die Coronapandemie mag ihren Anteil daran haben. Andere Themen sind in den Fokus meines Alltags gerückt, die leeren Stadien versprühen bei mir nach anfänglicher Neugier, wie sich alles entwickeln würde und was die Spieler so sagen, keinen Charme mehr. Aber das ist es nicht allein. Schon die siebte Meisterschaft in Serie war für mich eine ganz seltsame. Einerseits war alles angerichtet: Die Bayern hatten einen Neun-Punkte-Rückstand auf Dortmund vor allem mit einer grandiosen Rückrunde aufgeholt. Dennoch war am letzten Spieltag noch nichts entschieden.

Trotz Anerkennung: Es packt mich längst nicht mehr

Eigentlich eine Situation, wie ich sie mir schon länger mal wieder gewünscht hatte. Meisterschaften sind auch dann schön, wenn sie dominant und deutlich errungen werden. Für die Titel unter Heynckes und Guardiola hatte ich mich sehr begeistern können. Jedes Spiel im Bundesligaalltag wirkte trotz mitunter deutlicher Siege wie ein Kunstwerk für sich. Vielleicht verkläre ich das rückblickend auch ein wenig, aber so fühlte ich damals noch.

Ich kann nicht genau sagen, wann die Sattheit bei mir genau eingesetzt hat. Schon unter Ancelotti ging meine Begeisterung für die Bundesliga-Spiele wohl ein Stück weit verloren. Die siebte Meisterschaft in Folge ist aber jene, die mir eindrucksvoll vor Augen geführt hat, dass es so eigentlich nicht weitergehen kann. Obwohl Robben und Ribéry einen traumhaften Abschied hatten, den man sich so nicht mal hätte ausdenken können, obwohl Bayern im allerletzten Spiel unter Druck stand und Dortmund seine Hausaufgaben zumindest im Parallelspiel erfüllt hatte und obwohl Frankfurt die Kiste zwischenzeitlich nochmal für ein paar Sekunden heiß gemacht hatte: So richtig emotional wurde ich nicht. Es war durchaus Freude in mir, die aber eher wegen des tollen Abschieds der beiden Legenden entstand (und auch Rafinha).

Siebenmal Meister in Folge? Achtmal? Neunmal? Wie ich bereits schrieb: Ich nehme das zur Kenntnis. Nicht, weil es mir nicht mehr genügt. Ich habe nichts als große Anerkennung für die Spieler und den ganzen Staff übrig. Aus sportlicher Sicht bin ich sehr angetan von der Einstellung, mit der insbesondere die Spieler, die von Anfang an dabei sind, Jahr für Jahr alles geben, um diesen Titel zu holen. Auch aus historischer Perspektive weiß ich den Lauf wertzuschätzen.

Die Reichen werden immer reicher

Das war es dann aber auch. Ich kann nicht ignorieren, dass das „System Fußball“, wie es neuerlich durch eine weitere UEFA-Reform und den fast schon dreisten Versuch, eine Super League an ihr vorbei zu gründen, bewiesen hat, eines ist, das die Reichen immer reicher werden lässt und die Schere in den nationalen Wettbewerben auseinander klaffen lässt. Selbst die Attacke der 12 Klubs wird nicht zu Konsequenzen führen. Zu bedeutend sind sie für die UEFA. „Money League“ wäre wohl treffender – und das ist nicht mal despektierlich gemeint.

Ich will mich in diesem Artikel ehrlich gesagt auch gar nicht darum bemühen, alternative Lösungen zu finden. Das ist außerhalb meines Kompetenzbereiches, wenngleich diese Diskussion sehr spannend sein kann. Was ich aber sagen will: So kann es für mich als Fan nicht weiter gehen. Klar, als Autor und Blogger profitiere ich sogar von der starken Kommerzialisierung des Fußballs in den letzten Jahrzehnten. Aber es gibt ja mehr als diese zwei Perspektiven und es gibt auch Positionen dazwischen.

Ich will den FC Bayern auch gar nicht (haupt-)verantwortlich für die Situation machen. Es gab und gibt in den letzten 40, 50 Jahren genug Argumente dafür, dass diese Vormachtstellung einfach verdient ist. Zur Wahrheit zählt auch, dass Klubs wie Borussia Dortmund es aus verschiedenen Gründen nicht geschafft haben, die Lücke zu verkleinern. Oder historisch gesehen andere große Teams nicht diese Entwicklung mitgehen konnten. Aber das bringt uns heute auch nicht weiter.

Um aber kurz beim Konkurrenten der letzten Jahre zu bleiben: Neben vielen Dingen, die sie kaum beeinflussen konnten, zählen eben auch die lange Suche nach einem Nachfolger für Jürgen Klopp und eine nicht immer optimale Transferpolitik dazu – beides ließe sich zumindest kontrovers diskutieren. Doch auch da komme ich zu dem Punkt, dass Bayern der einzige Klub ist, dem Fehler verziehen werden – weil es ihnen der Vorsprung erlaubt. Nicht mal Leipzig kann es sich mit starkem Geldgeber im Rücken erlauben, auch nur einen größeren Fehler zu machen. Eine Saison, in der Niko Kovač scharf für teils schwache Leistungen kritisiert wird, endet eben immer noch mit der Meisterschale. Eine Saison, in der Spielplan, interne Zerwürfnisse, eine fehlende Sommervorbereitung und lange Zeit kaum funktionierende Neuzugänge eigentlich ausreichend Steine in den Weg legen, endet sogar deutlich mit der Meisterschale. Einen Klub wie Dortmund werfen ähnliche Probleme richtig zurück. Und im Gegenteil brauchen sie nicht nur eine perfekte Saison, um selbst mal wieder Meister zu werden.

Und dann? Dann gehen die Top-Spieler zu einem Klub, der eine Stufe höher anzusiedeln ist. Der normale Karriereweg. Aber eben auch Teil des Problems. Bayern hatte sicherlich auch mal den einen oder anderen Abgang zu vermelden, aber die haben den Klub nur in den seltensten Fällen so hart getroffen wie große Wechsel bei der Konkurrenz. Die Ursachenforschung ist hier sicher divers und nicht immer liegt alles am „System Profifußball“, aber das Resultat ist eben eine unter diesen Umständen nicht mehr angreifbare Machtposition des FC Bayern in Deutschland.

Neunmal Meister? Check.

Nochmal: Ich weiß die sportliche Leistung der Bayern zu schätzen. Aber Emotionen verspüre ich nicht mehr. Im Gegenteil noch führt es dazu, dass ich mich als Fan langsam Stück für Stück entferne. Und der Ausblick stimmt mich auch nicht positiv. Selbst wenn RaBa Leipzig oder Borussia Dortmund mal Meister werden sollten: Mindestens acht der kommenden zehn Titel gehen an die Bayern, wenn sich nicht grundlegend irgendetwas verändert. Und das ist aus neutraler Sicht noch optimistisch.

Stattdessen wird man sich in den kommenden Jahren aber wohl weiterhin an Reformen des internationalen Fußballs versuchen, die den Superklubs die Taschen voll machen und die nationalen Ligen schwächen. Eine Lösung, um diese zu stärken, sehe ich jedenfalls nicht mehr kommen. Es würde mich zumindest sehr überraschen. Zu sehr hat sich der Fokus immer mehr vom Sport weg verschoben. Nicht erst seit heute oder zehn Jahren. Schon in den Siebzigern und Achtzigern ging das los. Wir erleben nur einen Höhepunkt (oder Tiefpunkt, je nach Perspektive) nach dem anderen. Und ich bin auch hier ehrlich: Die Champions-League-Duelle mit den anderen Superklubs, sie packen mich nach wie vor. Toller Fußball ist trotz der ganzen dreckigen Geschäfte nach wie vor toll. Aber würden sie mich auch packen, wenn ich sie jede Woche erlebe? Ich kann es nicht abschließend beantworten. Zumal ich nach wie vor an meinen persönlichen Bundesliga-Erlebnissen hänge und es bedauern würde, wenn die Bayern dem noch mehr entwachsen als ohnehin schon.

Bevor die Pläne einer Super League aber wieder konkreter werden, werden die Bayern aber erstmal ihren neunten Meistertitel in Serie holen. Am Wochenende haben sie dafür nochmal eine harte Nuss zu knacken. Mainz hat sich unter Bo Svensson zu einem unangenehmen Gegner entwickelt, der die Räume eng machen und schnell in die Offensive umschalten kann. Sie zählen zu den formstärksten Teams der Rückrunde und haben sich so in eine gute Ausgangslage für den Klassenerhalt gebracht. Doch läuft alles normal, werden die Bayern nach dem Spiel als Meister feststehen. Ein zweifelsohne beeindruckender Erfolg, der insbesondere in dieser harten Coronasaison nicht selbstverständlich ist und für den ich alle Hüte ziehe, die ich finde – wie auch das Beispiel Juventus in Italien zeigt, ist eine Vormachtstellung allein nicht alles. Sollte es schon am Wochenende klappen, werde ich es jedenfalls respektvoll zur Kenntnis nehmen.