Unsere Lieblingstrikots: Finale Dahoam in Indonesien

Katrin Trenner 29.12.2021

Die Vize-Bayern

Eigentlich ging ich mit einem sehr guten und freudigen Gefühl in die Saison (besonders mit Manuel Neuer und Jérôme Boateng unter den Neuzugängen des Vereins). Das lag vor allem daran, dass es in Indonesien, wo ich damals noch wohnte, ab der Saison 2011/12 möglich war, ausgewählte Bundesligaspiele im Fernsehen zu verfolgen. Zuvor wurden ausschließlich Spiele der Premier League, Seri A und La Liga ausgestrahlt, und ich musste mich darauf beschränken, Ligaradio zu hören. Das hatte nun ein Ende. Endlich konnte ich live vor dem Fernseher mitfiebern.

Im Mai sah leider alles schon ganz anders aus. Die Meisterschaft war bereits verloren, und auch das DFB Pokal-Finale hatte Borussia Dortmund für sich entschieden. Das war bitter, aber das Champions League-Finale stand noch an. Zuhause. Im eigenen Stadion, vor den eigenen Fans. Sollte es den Bayern gelingen, in der Königsklasse zu triumphieren, könnte man die Saison noch immer als Erfolg verbuchen. Es war der letzte Strohhalm, an den ich mich klammerte. 

Klassisches Trikot

Ich mag schnörkellose und klassische Trikots. Mit gestreiften Trikots kann ich nicht so viel anfangen, mit abenteuerlichen Farben auch nicht. Das traditionelle Bayern-Rot sagt mir am meisten zu. So war das Heimtrikot der Saison 2011/12 ganz nach meinem Geschmack, klassisch-elegant und mit schön eigearbeiteten Details wie dem gestickten „Mia San Mia“ auf der Innenseite am Rücken, und dem Schriftzug „Rekordmeister“ auf der anderen Seite.

Zu diesem Zeitpunkt besaß ich noch kein einziges Bayern München-Trikot, teils weil es in Indonesien schwierig bis unmöglich war, eines zu bekommen, aber auch weil ich es als einen unerhörten Luxus empfand, so viel Geld für ein Kleidungsstück auszugeben. Und dennoch dachte ich, es sei an der Zeit, dass mein bis dato einziges Trikot (das schwarze Nationalmannschaftstrikot von der WM 2010 in Südafrika) Gesellschaft bekommen würde. Also bestellte ich das Heimtrikot mit der Nummer 31 und dem Namen meines Lieblingsspielers Schweinsteiger auf dem Rücken, ließ es zu meinen Eltern nach Berlin schicken, die es mir wiederum bei ihrem Weihnachtsbesuch nach Jakarta mitbrachten. 

Das Drama nimmt seinen Lauf: Schweinsteiger im Finale Dahoam 2012.
(Foto: Mike Hewitt/Getty Images)

Das Trikot wurde zu meiner liebsten Wochenendkluft, weil es so bequem war, und in unserer Nachbarschaft war ich bald nicht nur mehr bekannt als Hundebesitzerin, die mit ihrem Border Collie durch die Straßen spazierte, sondern auch als eingefleischter Schweinsteiger-Fan. 

Der Morgen danach

Das Champions League-Finale fand an einem Samstagabend in München statt. Für mich in Jakarta hieß das: mitten in der Nacht in die deutsche Kneipe im südlichen Teil der Stadt fahren und dem Anpfiff um 1.45 Uhr morgens entgegenfiebern, selbstredend in meinem Schweinsteiger-Trikot. 

Doch es sollte nicht sein, und wir wissen alle, wie der Abend endete: Schweinsteiger verschoss seinen Elfmeter, ganz München verfiel in eine kollektive Schockstarre, die auch das ferne Indonesien, die deutsche Kneipe in Jakarta und mich und die anderen Bayern München-Fans mit einschloss. Als ich endlich wieder zuhause war, ging bereits die Sonne auf, und ich musste ins Büro – ich arbeitete damals bei einer Tageszeitung und hatte Sonntagsdienst. Es reichte noch für zwei Tassen Kaffee, bevor ich mich wieder auf den Weg machte. Immer noch in meinem Schweinsteiger-Trikot.

In der Redaktion war es anfangs noch sehr ruhig, doch als nach und nach meine Kollegen eintrafen und mich an meinem Computer sahen, konnte sich der ein oder andere eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen: „Katrin, dieses Trikot solltest du lieber gleich entsorgen, warum trägst du das noch? Und einen neuen Lieblingsspieler solltest du dir lieber auch gleich suchen, Schweinsteiger is finished.

„Not finished“

Ich ließ sie reden, faselte etwas von Solidarität und wahrer Liebe, und tat dann, was ich immer tue, wenn es mir schlecht geht oder ich etwas verarbeiten muss: schreiben.

Aus anfänglich zusammenhanglosen Gedanken und Sätzen wurde eine leidenschaftliche und glühende Verteidigungsrede für Bastian Schweinsteiger. Ich erklärte, dass ein herber Rückschlag oft als Motivation gilt, es besser zu machen, es allen zu zeigen und war mir sicher, dass das verlorene Champions League-Finale ein Wendepunkt ist. Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich geglaubt habe, oder ob ich es einfach nur glauben wollte, um mich selbst zu trösten. Jedenfalls schickte ich den Artikel an unseren Sportredakteur, der ihn noch am gleichen Tag veröffentlichte. 

Ein Jahr später, als Bayern das Triple gewann und ich wieder mit meinem Schweinsteiger-Trikot im Büro auftauchte, freute ich mich diebisch und sagte zu jenem Kollegen, der mir geraten hatte, mein Trikot wegzuwerfen: „Schweinsteiger isn’t finished – not by far!“

Für mich steht das Trikot seitdem symbolisch für Neubeginn und als Erinnerung daran, dass auch nach Tiefschlägen wieder bessere und erfolgreiche Zeiten kommen. Ich trage es bis heute noch gerne.