Variabilität total

Steffen Trenner 25.11.2014

Vor ein paar Jahren unter Louis van Gaal war das Bild noch ein anderes. Bayerns Formation war hier immer klar und eindeutig zu erkennen.Nach erfolgreichen aber taktisch uninspirierten Jahren unter Magath und Hitzfeld und der darauffolgenden chaotischen Zeit mit Klinsmann war der Niederländer darauf bedacht den Münchenern ein Spielsystem mit hoher Positionstreue zu vermitteln. Bayern spielte ein klares 4-2-3-1. Anpassungen gab es meist nur in Form des Personals und nicht durch Änderungen der Formation oder Ausrichtung. Das Vorziehen von Daniel van Buyten als kopfballstarke zweite Option im Angriff bei einem Rückstand war wohl die spektakulärste Variante in Bayerns Spiel. Auch unter Heynckes veränderte sich das zunächst häufig statische, flügellastige Spiel erst spät indem zunehmend Positionswechsel in der Offensive eingeführt wurden.

Guardiolas Ansatz war von Anfang an ein anderer. Er sprach häufig davon, dass er seine Mannschaft so weiterentwickeln will, dass sie auf unterschiedliche Anforderungen mit unterschiedlichen Formationen beziehungsweise Raumbesetzungen reagieren kann. Durch die Einführung einer Dreierkette als weitere Variante in der laufenden Saison ist er damit ein Stück weitergekommen. Zuletzt zeigte sein Team gegen Hoffenheim nach einer frühen Umstellung von Vierer- auf Dreierkette wie schnell und erfolgreich sie zwischen unterschiedlichen Ausrichtungen wechseln kann. Mario Götze kommentierte vor dem Spiel gegen Manchester City in dieser Woche passend: „Wir müssen in der Öffentlichkeit langsam wegkommen von dem Gedanken, dass es ein festes Spielsystem gibt. Wir wissen einfach, wo die Räume sind. Wenn der Gegner umstellt, stellen wir uns darauf ein und passen uns an. Unsere Flexibilität kann nur ein Vorteil sein.“

Die formative Variabilität wird in dieser Saison zur Methode und ist ein sich verstetigender Trend – wie ein kurzer Blick auf die 16 Pflichtspiele in Bundesliga und Champions League in dieser Saison zeigt. Klar ist dabei, dass die Verkürzung auf Formationen wie 3-4-3, 4-4-2 etc. keine umfassende Beschreibung sein kann. Trotzdem gibt es natürlich auch unter Guardiola Grundformationen, deren Darstellung für das Verständnis der jeweiligen Ausrichtung durchaus hilfreich sein kann.

Zahlenspiele:

1. Spieltag: FC Bayern München – VfL Wolfsburg 2:1 (1:0)

Beginn mit einem 3-3-3-1 mit gependelter Viererkette. Umstellung nach ca. 15 Minuten auf ein 4-2-4 mit beinahe klassischer Viererkette.

2. Spieltag: Schalke 04 – FC Bayern München 1:1 (0:1)

Erstes Spiel von Xabi Alonso. Beginn im 4-4-2 mit Lahm als Rechtsverteidiger. Im Verlauf des Spiels durch stärkere zentrale Positionierung von Lahm immer wieder auch mit Dreierkette.

3. Spieltag: FC Bayern München – VfB Stuttgart 2:0 (1:0)

Lahm und Alaba rücken neben Xabi Alonso ins Mittelfeld. Guardiola lässt ein 4-3-1-2 spielen und hat mit Stuttgart insgesamt wenig Probleme.

1. CL-Spieltag: FC Bayern München – Manchester City 1:0 (0:0)

Debüt von Medhi Benatia. Guardiola zieht Alaba zurück in die Dreierkette und beginnt mit einem 3-4-3. Nach 30 Minuten stellt der Coach um, rückt Alaba wieder ins Mittelfeld vor und agiert fortan in einem 4-3-1-2 beziehungsweise 4-3-3. Bayern erspielt sich so ein deutliches Chancenplus und belohnt sich spät mit dem Siegtreffer.

4. Spieltag: Hamburger SV –FC Bayern München 0:0

Guardiola hält am 4-3-3 fest, das gegen Manchester City den späten Erfolg brachte. Der Versuch Xabi Alonso, Mario Götze und Robert Lewandowski eine Erholungspause zu geben schlug Fehl.

5. Spieltag: FC Bayern München – SC Paderborn 4:0 (2:0)

Stärkere Ausrichtung im 4-2-4 oder 4-2-3-1 wie am ersten Spieltag gegen Wolfsburg. Zur Pause bringt Guardiola Rafinha und lässt ihn als Innenverteidiger spielen.

6. Spieltag: 1. FC Köln – FC Bayern München 0:2 (0:1)

Erneute Interpretation als 4-2-4 mit einem extrem abkippenden Alonso. Mehrfach entsteht in den ersten 50 Minuten eine 1-2-3-4-Staffelung mit Alonso als tiefstem Aufbauspieler. Ab der 60. Minute Umstellung auf ein klareres 4-2-3-1 mit weniger Risiko.

2. CL-Spieltag: ZSKA Moskau – FC Bayern München 0:1 (0:1)

Erneuter Beginn im 4-2-3-1, das gegen extrem defensive Moskauer häufig wie ein 2-3-5 aussah. Guardiola beordert Alaba im Verlauf der Partie aus dem Mittelfeld in eine tiefere Rolle neben Boateng und Benatia während Lahm als nomineller Rechtsverteidger stärker einkippt.

7. Spieltag: FC Bayern München – Hannover 96 4:0 (3:0)

Zum ersten Mal in der Saison setzt Guardiola auf ein klares 3-4-3 und zieht es bis zum Ende durch. Alaba agiert als linker Halbverteidger in der Dreierkette, Lahm dafür im zentralen Mittelfeld. Die Hausherren führen nach 38 Minuten mit 3:0.

8. Spieltag: FC Bayern München – Werder Bremen 6:0 (4:0)

Guardiola stellt erneut um auf ein 4-1-4-1 mit Alonso als alleinigem 6er hinter Hojbjerg und Lahm. Im Bezug auf Bayerns Gegenpressing wohl das beste Saisonspiel der Münchner.

3. CL-Spieltag: AS Rom – FC Bayern München 1:7 (0:5)

Die Explosion. Guardiola spielt mit einer 3-4-2-1 Grundformation mit einem extrem breiten und zurückgelagertem Robben neben Bernat, Alonso und Lahm. Durch die tiefe Positionierung entwischt Robben Cole immer wieder mit Anlauf im Rücken. Alaba spielt als offensiver linker Halbverteidiger in der Dreierkette. Nach 60 Minuten Umstellung auf ein 4-3-3 mit Rafinha und Bernat als Außenverteidiger.

9. Spieltag: Borussia Mönchengladbach – FC Bayern München 0:0

Erneute Umstellung auf ein breites 4-3-3. Die Folge gegen gut sortierte Borussen: Viele eigene Flanken und gefährliche gegnerische Konter. Guardiola scheut die ganz großen Umstellungen während der Partie. Die Hereinnahme von Pizarro als zusätzlichem zentralen Stürmer verpufft.

10. Spieltag: FC Bayern München – Borussia Dortmund 2:1 (0:1)

Beginn im 3-5-2 mit deutlich tiefer positioniertem Götze, der die Pressing-Umspielung durch das Zentrum unterstützen sollte. Dortmund trotz gutem Beginn mit immer mehr Problemen und eigener Umstellung auf 4-4-2 im Laufe der Partie. Bayern nun mit extremer Kontrolle und später Umstellung auf Viererkette mit Alonso als zusätzlicher Konter-Absicherung.

4. CL-Spieltag: FC Bayern München – AS Rom 2:0 (1:0)

Konservativere Ausrichtung der Bayern im 4-3-3 gegen Roms kompaktes 4-4-2. Zähes Spiel ohne große Anpassungen.

11. Spieltag: Eintracht Frankfurt – FC Bayern München 0:4 (0:1)

Sehr konservatives 4-2-3-1 nach der schweren Verletzung von Alaba. Lahm neben Alonso auf der Doppelsechs. Götze, Müller und Ribéry eindeutig hinter Lewandowski als einziger Spitze. Frankfurt wurde geduldig müde gespielt.

12. FC Bayern München – TSG Hoffenheim 4:0 (2:0)

Umstellung nach Lahms Verletzung auf ein 4-1-4-1. Nach 15 Minuten und großen Problemen mit Hoffenheims Pressing erneute Anpassung auf eine Dreierkette mit Bernat als Halbverteidiger und 3-4-3 Formation. Hoffenheims Pressing fortan zahnloser. Am Ende ungefährdeter Sieg für die Guardiola-Elf.

Auffällig ist auch beim Blick ins Detail, dass Guardiola fast in jedem Spiel kleinere oder größere Anpassungen vornimmt. Selbst nach hohen Siegen setzt er in aufeinanderfolgenden Spielen selten zwei Mal in Folge auf die selbe Ausrichtung. Vor allem Lahm und Alaba nutzte er dabei als Schachfiguren, um ihre spezifischen Stärken auf unterschiedlichen Positionen im Abwehrverbund, im Mittelfeld oder einer Kombination aus mehreren Positionen zur Geltung zu bringen. Es wird zu beobachten sein, ob die ständigen Rochaden und Umstellungen auch ohne diese beiden flexiblen Schlüsselspieler in den kommenden Wochen fortgesetzt werden.

Ohnehin wird sich Guardiola bewusst sein, dass er sich auf einem schmalen Grat zwischen sinnvoller individueller Anpassung und kollektiver Überforderung bewegt. Bisher hat sein Team die komplexen Anforderungen mit Bravour gemeistert. Guardiola ist auf dem Weg zur totalen Variabilität ein Stück weiter gekommen. Klar ist aber auch: Die ganz großen Prüfungen in dieser Saison stehen gerade in der Champions League noch bevor.

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