Spiel des Lebens #14: Jürgen Klopp schlägt zurück. Das Ende einer Ära für die Bayern?

Dennis Trenner 12.01.2020

Dieser Artikel wurde von Manuel geschrieben.

Die Ausgangslage vor dem Spiel

Die Bayern hatten eine schwierige erste Hälfte der Saison unter ihrem neuen Trainer Niko Kovač hinter sich. Kovač hatte erst im Sommer 2018 von Jupp Heynckes übernommen, aber sein Start gestaltete sich holprig. Unter anderem gab es eine lange sieglose Serie über die Oktoberfest-Zeit.

Borussia Dortmund hingegen startete fulminant, dominierte die erste Hälfte der Saison und hatte sich schnell ein bedeutendes Punktepolster auf die Bayern erarbeitet. Im Saisonverlauf wurde immer deutlicher, dass sich die Zeit von Bayerns „Goldener Generation“ um Spieler wie Franck Ribéry und Arjen Robben langsam aber sicher ihrem Ende neigte.

Natürlich gab es immer noch vereinzelt große Momente. Am 10. November 2018 beispielsweise lieferten die Bayern eine brillante Leistung gegen Borussia Dortmund ab, verloren das Spiel am Ende aber 2:3. Der allgemeine Eindruck war, dass die Bayern zwar immer noch zu einzelnen, spektakulären Leistungen imstande waren, diese aber nicht mehr mit der selbstverständlichen Konstanz abrufen konnten, wie es noch unter Jupp Heynckes und Pep Guardiola der Fall gewesen war.

Während der Winterpause versuchten die Bayern der negativen Entwicklung entgegenzusteuern, indem sie Lucas Hernandez von Atletico Madrid zur Stärkung der Defensive und Callum Hudson-Odoi von Chelsea für etwas mehr Durchschlagskraft im Spiel nach vorne verpflichten wollten. Zudem wurden Präsident Uli Hoeneß, Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge und Sportdirektor Hasan Salihamidžić nicht müde zu betonen, dass die sich die Bayern in einem Übergangsjahr befänden.

Letztendlich wurde aus beiden Wintertransfers nichts – aber immerhin konnte Hernández für den Sommer verpflichtet werden (mehr dazu später). Parallel dazu gab es andauernde Diskussionen darüber, ob Niko Kovač der richtige Mann für den Umbau des Teams sei. Sein Spielstil schien nicht vollständig zu den Möglichkeiten und Ansprüchen des Kaders zu passen, außerdem schienen die Spieler nicht im gleichen Maße bereit für ihn durchs Feuer zu gehen, wie es zuvor noch bei seiner Mannschaft in Frankfurt der Fall gewesen war.

Der eigentliche große Prüfstein für die Bayern war allerdings schon immer die Champions League. Die Begegnung mit Liverpool, die die Achtelfinal-Auslosung ergeben hatte, wurde gemeinhin als der entscheidende Test dafür gesehen, was Kovač aus seiner Mannschaft gegen die großen Teams dieser Welt in der Lage sein würde herauszukitzeln.

Das Hinspiel an der Anfield Road deutete an, dass die Bayern immer noch auf Augenhöhe mit der Weltspitze waren. Sie erlangen ein torloses Unentschieden, was auf dem Papier ein ordentliches Resultat war und Ihnen alle Möglichkeiten für das Rückspiel offenhielt.

Falls ihr es verpasst habt

Die Aufstellungen

Die Bayern begannen in ihrer traditionellen 4-2-3-1 Formation. Kovačs Plan war, dass Thiago, Javi Martínez und James Rodríguez im Mittelfeld hinter Lewandowski für die so dringend benötigte Stabilität im Zentrum sorgen sollten. Gerade Martínez hatte im Hinspiel eine hervorragende Leistung gezeigt. Aber trotz Serge Gnabry auf dem rechten Flügel brachte die bayerische Offensive mit Franck Ribéry auf dem linken Flügel und James zentral hinter Lewandowski nicht die nötige Geschwindigkeit mit, um Liverpools hochstehendes Gegenpressing jemals ernsthaft in Verlegenheit bringen zu können. Das defensive Mittelfeld der Bayern war ebenfalls relativ statisch. Kovač hätte es besser wissen können, waren es doch seine Frankfurter, die seinerzeit im DFB-Pokal Finale das bayerische Mittelfeld um Martínez, James und Thiago mit konzentriertem Gegenpressing erfolgreich bearbeitet hatten…

Elf Mannen für Kovač.
(Bild: Odd Andersen/AFP via Getty Images)

Die erste Hälfte

Aber es sollte nicht sein. Beide Mannschaften mussten gewinnen, denn ein torloses Unentschieden hätte die Verlängerung und möglicherweise ein Elfmeterschießen bedeutet. Mit dem Szenario einer drohenden Verlängerung im Hinterkopf, hatten beide Trainer vor dem Spiel die Wichtigkeit einer vernünftigen Balance zwischen Angriff und Verteidigung hervorgehoben. Insbesondere Kovač setzte für dieses Spiel auf eine eher defensive Herangehensweise. Alle Angriffsbemühungen könnten nur auf Grundlage einer stabilen Defensive geschehen, gab er vor dem Spiel zu Protokoll. Dieser Ansatz wurde in der ersten Phase des Spiels deutlich sichtbar. Die ersten 13 Minuten waren ein reiner Balanceakt – ein taktisches Schachspiel, in dem keine Seite der anderen durch zu großes Risiko einen Vorteil geben wollte. Dann mussten die Gäste aus Liverpool den Verlust ihres Kapitäns Jordan Henderson aufgrund einer Muskelverletzung hinnehmen. Klopp, gesegnet mit dem Luxus einer tiefen Bank, brachte den defensiven Mittelfeldspieler Fabinho für Henderson.

Die Bayern hatten zwar mit ca. 70% Ballbesitz bis zur 20. Minute das optische Übergewicht, konnten sich aber bis zu diesem Zeitpunkt genau wie ihr Gegner keine echte Torchance herausspielen. Dies änderte sich ungefähr fünf Minuten später, als Roberto Firmino aus ca. 20 Metern einen Gewaltschuss auf das Tor der Bayern abfeuerte, der Manuel Neuer zu einer Glanzparade zwang – die Mannschaft aus Liverpool hatte jetzt Blut geleckt. Neuer sollte im weiteren Spielverlauf noch zu einem der zentralen Protagonisten des Spiels werden. Nur wenige Augenblicke nach Firminos Schuss zeigte Virgil van Dijk seine ganze Klasse mit einem herausragenden Pass auf Sadio Mane, der Manuel Neuer blass aussehen ließ und das immens wichtige Auswärtstor für seine Mannschaft erzielen konnte.

Ein Wendepunkt des Spiels: Sadio Manés erstes Tor.
(Bild: Odd Andersen/AFP via Getty Images)

Mit dem einen Tor zeigte sich Liverpool aber nicht zufrieden. Sie wollten jetzt mehr. In der 35. Minute war es James Milner, der Manuel Neuer das nächste mal ernsthaft testete. Pfiffe und Buhrufe ertönten in der Allianz Arena, die Fans hatten mehr von ihrer Mannschaft erwartet. Rund 10 Minuten vor dem Halbzeitpfiff erfüllten die Bayern die Erwartungen ihrer Fans. Nach einem schnellen Konter brachte ein panikender Joël Matip eine Chance von Serge Gnabry im eigenen Tor unter. Damit stand die erste Halbzeit im Zeichen zweier schwerwiegender Fehler.

Gnabrys Ausgleich. Gerührt, nicht geschüttelt.
(Bild: Christof Stache/AFP via Getty Images)

Die zweite Halbzeit 

Die zweite Halbzeit knüpfte nahtlos dort an, wo die erste aufgehört hatte. Beide Mannschaften griffen weiter an. In der 47. Minute bekamen die Bayern ihre dritte Ecke des Spiels, die Liverpool umgehend für einen Konterangriff nutzte. Kovač war sich der Gefährlichkeit der Liverpooler Konter vor dem Spiel sehr wohl bewusst: „Wir können uns nicht einfach planlos hinten reinstellen. Wir müssen in unseren Rhythmus finden und wir wissen, dass Liverpool eine der stärksten Umschaltmannschaft ist.“

Trotzdem war es gerade das Umschaltspiel der Gäste, dass die Bayern am meisten in Gefahr brachte. Die Bayern wussten, dass sie auf ein zweites Tor spielen mussten, aber mit wieviel Risiko? Die Bayern kämpften jetzt um jeden Ball, James Rodriguez und Robert Lewandowski vorweg. Der Wille war da, aber die letzte Aktion fehlte, wie z. B. als Serge Gnabry nach einer Stunde der Liverpooler Viererkette entwischte, aber sein Pass quer durch den Strafraum zu schnell war, dass einer seiner heranstürmenden Mitspieler den Ball erreichen konnte. 

Virgil van Dijk: Kraft und Präzision.
(Bild: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Als das Spiel allmählich auf seine Schlussphase zulief, verlagerte sich die Balance mehr und mehr Richtung Liverpool. Die Bayern hatten das Spiel gerade einigermaßen unter Kontrolle gebracht, als Liverpool zuschlug. Virgil van Dijk verwandelte eine wunderschöne Flanke von James Milner mit einem kraftvollen Kopfball ins Netz um 1:2. Das Spiel war jetzt entschieden, aber noch nicht vorbei. Die Bayern versuchten noch einmal zurückzukommen, aber Liverpool antwortete mit noch aggressiverem Pressing. Nach einem Pass von Divock Origi schlug Mohamed Salah eine punktgenaue Flanke auf Sadio Mané, die der Stürmer zum 1:3 verwandelte und damit das Spiel endgültig entschied.

Dinge, die auffielen

Besonders interessant nach dem Spiel waren die Reaktionen der Spieler. Robert Lewandowski beispielsweise beschwerte sich über den Mangel an Offensivgeist in der Herangehensweise des Trainers: „Wir haben zu defensiv gespielt. Wir haben nach vorne nicht genug riskiert. Wenn man sich beide Spiele anguckt, hatten wir nicht viele Chancen. Daher hatten wir es auch nicht verdient, weiterzukommen.“

Mats Hummels sah es ähnlich: „Letztendlich haben wir keinen Druck entwickelt. Wir waren nicht aktiv genug und wir waren zu abwartend in einem Heimspiel gegen eine der besten Mannschaften der Welt.“ Niklas Süle hob Formprobleme hervor, sagte aber auch, dass der Matchplan nicht wie angedacht funktioniert hätte. Und Neuer sagte, dass seine Mannschaft „im Grunde nicht das Potenzial [hatte], Liverpool über zwei Spiele zu schlagen.“ 

Diese Aussagen sind vielsagend. Offenkundig hatten die Spieler nicht den Eindruck, dass ihre Mannschaft mit der richtigen Taktik auf das Feld geschickt wurde, um Liverpool schlagen zu können. Außerdem zweifelten sie anscheinend insgesamt daran, dass die Qualität ihrer Mannschaft grundsätzlich ausreichte, um ein Team vom Kaliber Liverpools zu schlagen. Dass sie noch im Hinspiel konkurrenzfähig waren, hatten sie vornehmlich einem disziplinierten Verteidigungsverhalten zu verdanken, und nicht einem attraktiven Angriffsfussball, wie er noch unter Jupp Heynckes und Pep Guardiola üblich war.

Niko Kovačs defensive Herangehensweise wurde nicht von jedem im Team geschätzt.
(Bild: Odd Andersen/AFP via Getty Images)

Der Fußball der Bayern gegen Liverpool war genau der Fußball, der Kovač zuvor bei Frankfurt noch zu so einem erfolgreichen Trainer gemacht hatte. Aber ein auf hohem körperlichen Einsatz basierendes Gegenpressing mag vielleicht mit einer Mannschaft wie Frankfurt funktionieren. Für die Bayern bedeutete dies einen vollkommen ungewohnten Ansatz, einen Ansatz, mit dem die Spieler nicht zufrieden waren und der auch in der Chefetage zu Diskussionen führte. Letztendlich bedeutete dieses Spiel den Anfang vom Ende der Karriere von Niko Kovač bei den Bayern. 

Die Bedeutung des Spiels

Niko Kovač konnte die Saison mit dem siebten Meistertitel der Bayern in Folge und dem Sieg im DFB-Pokal in einem aufregenden Finale gegen RB Leipzig noch so weit retten, dass es den Bossen quasi unmöglich war, ihn am Ende der Saison zu entlassen, obwohl solche Gerüchte sogar noch nach dem Pokalfinale in Berlin anhielten.

All diesen Gerüchten zum Trotz gingen die Bayern mit Niko Kovač als Trainer in die Saison 2019/20. Lucas Hernández und Benjamin Pavard stießen zur Mannschaft um die Defensive zu stärken. Auch sollen die Bayern kurz davor gewesen sein, Leroy Sané zu verpflichten, bis sich dieses Ansinnen nach seinem Kreuzbandriss wieder zerschlug. Stattdessen wurden Philippe Coutinho vom FC Barcelona und Ivan Perišić von Inter Mailand ausgeliehen. 

Insgesamt wirkte die Mannschaft auch mit Beginn der neuen Saison immer noch sehr wie eine Mannschaft im Umbruch und genau wie in der Vorsaison hatte Kovač nach wie vor deutliche Schwierigkeiten, die ihm zur Verfügung stehenden Teile zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzufügen. Obwohl er dank seiner Nicht-Entlassung im Sommer in einem gewissen Sinne eine zweite Chance bei den Bayern bekommen hatte, ließ sich der Eindruck niemals gänzlich abschütteln, dass er mit seiner Spielphilosophie und seiner Persönlichkeit zu keinem Zeitpunkt gänzlich von den Spielern akzeptiert wurde. Aussagen wie die über den qualitativen Unterschied zwischen den Kadern der Bayern und Liverpools unter Hinweis auf die unterschiedlichen Möglichkeiten beider Clubs am Transfermarkt, stärkten seinen Rückhalt im Team sicherlich nicht. Der Riss zwischen Kovač und den Bayern wurde im Laufe der Saison immer deutlicher und nach dem 1:5 in Frankfurt zogen die Bayern schließlich die Konsequenz und Kovač wurde entlassen.

Die Entlassung Kovačs markiert vielleicht den Wendepunkt in der Saison der Bayern. Unter Interimstrainer Hansi Flick kehren sie seitdem Zug um Zug zu ihrer alten Spielphilosophie zurück. Die Bayern haben in der Champions League in den letzten zehn Jahren sieben Mal mindestens das Halbfinale erreicht. Dies ist eine beeindruckende Statistik, allerdings haben die beiden Spiele gegen Liverpool deutlich gezeigt, dass der Club dringend einer Überholung bedarf und einen Mann auf der Trainerbank benötigt, der ihm die in den letzten Jahren irgendwo auf dem Weg verloren gegangene „Mia San Mia“-Mentalität wieder zurückbringt.