Scouting-Report: Das sind Dayot Upamecano und Omar Richards
Zugegeben: Bei Dayot Upamecano bedarf es keiner großen Vorstellungsrunde mehr. Der Franzose hat sich nicht nur bereits in der französischen Nationalmannschaft präsentieren dürfen, wo die Konkurrenz riesig ist, er schickte auch in den direkten Duellen mit dem FC Bayern stets Bewerbungsschreiben heraus, weil er gegen Robert Lewandowski meist stark aufspielte.
Jetzt ist für beide Seiten der perfekte Zeitpunkt gekommen. Beim Rekordmeister steht ein weiterer kleiner Umbruch an, bei dem sich die Struktur in der Verteidigung verändern wird. David Alabas Abgang ist nach der Pressekonferenz am Dienstag sicher und bei Jérôme Boateng sowie Javi Martínez ist die Zukunft noch ungeklärt. Demnach ist trotz der großen Investitionen in den letzten Jahren (Lucas Hernández und Benjamin Pavard) erneut Handlungsbedarf in der Innenverteidigung da gewesen.
Upamecano ist jetzt 22 Jahre alt, hat sich in Leipzig als feste Größe und Teil der für das Team wichtigen Achse etabliert. In den vergangenen Jahren entwickelte er sich zu einem der besten Innenverteidiger seiner Altersklasse. Der Franzose bringt prinzipiell alles mit, was es beim FC Bayern auf dieser Position braucht.
Die Daten zeigen: Hier muss sich Upamecano noch anpassen
Die klassischen Attribute eines Innenverteidigers erfüllt er mit Bravour: Zweikampfstärke, Robustheit, Antritts- und Endgeschwindigkeit, Kopfballspiel, Stellungsspiel und Antizipation sind bereits auf Top-Level oder mindestens kurz davor. Darüber hinaus ist er jedoch auch schon stark in Bereichen, die den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Innenverteidiger im modernen Fußball ausmachen.
Dazu zählen sein Passspiel, das Lesen von Spielsituationen im Spielaufbau und die Fähigkeit, unter Druck kluge Entscheidungen zu treffen. Upamecano hat unter Julian Nagelsmann nochmal große Sprünge gemacht, was das angeht.
Interessant ist auch dieser statistische Vergleich mit Alaba. Wichtig ist zur Einordnung, dass RaBa Leipzig und der FC Bayern unterschiedliche Spielstile haben. Zwar sind sich beide in vielen Bereichen ähnlich, doch Leipzig spielt insbesondere gegen individuell unterlegene Mannschaften etwas ruhiger und geduldiger in Ballbesitzphasen. Bayern hingegen sucht schneller die Vertikalität durch lange Bälle oder scharfe Pässe in das gegnerische Drittel.
Top-Transfer unter Wert?
Hier wird sich Upamecano noch etwas anpassen müssen. Aktuell hat er deutlich weniger Aktionen pro Spiel als Alaba, in denen er den Ball in das nächste Drittel befördert – sei es mit Pässen oder mit Dribblings. Und doch sind seine Werte im internationalen Vergleich schon sehr gut. Upamecano wird aufgrund seiner Statur gern unterschätzt, was die technischen Aspekte seines Spiels angeht. Er ist stark im Andribbeln und gut darin, die erste Pressinglinie zu knacken.
Damit erfüllt er als Komplettpaket auf dem Papier alle Anforderungen, die es beim FC Bayern braucht. Mit Upamecano, Hernández und Niklas Süle werden die Bayern nach aktuellem Stand drei Innenverteidiger im Kader haben, die sich um zwei Positionen streiten. Hinzu kommt das große Talent Tanguy Nianzou, bei dem noch nicht ganz klar ist, wohin die Reise geht. Nianzou hat das Potential, sich mit regelmäßiger Spielzeit bei den Bayern zu etablieren, braucht dafür aber eine verletzungsfreie Zeit.
Es bleibt spannend, wie die Münchner angesichts der Verletzungen von Süle und Nianzou mit Boateng planen. Mit seiner Erfahrung und seiner Qualität wäre er definitiv ein Gewinn für den Kader. Die Frage wird sein, ob er seine Ansprüche zurückschrauben kann. Ein Süle-Verkauf, der bisher von Bayern-Seite aus kein Thema zu sein scheint, könnte aber auch nochmal heiß werden, sollte Boateng tatsächlich bleiben. Die Münchner würden so finanzielle Mittel für andere Baustellen frei machen und gleichzeitig Nianzou eine Perspektive offen halten.
Alles in allem haben die Bayern mit Upamecano aber einen Top-Transfer getätigt, der preislich (rund 42,5 Millionen Euro werden in den Medien angegeben) sogar etwas unter dem liegt, was für Innenverteidiger seiner Klasse in den letzten Jahren bezahlt wurde. Er dürfte damit auch der Top-Transfer des kommenden Sommers sein.
Omar Richards: Aus der zweiten englischen Liga zum Davies-Backup?
Die Planungen in der Innenverteidigung beeinflussen auch jene für die Linksverteidiger-Position. Wenn Alaba geht, haben die Münchner einen Spieler weniger im Kader, der dort spielen kann. Hernández müsste demnach dauerhaft in die Innenverteidigung rücken und könnte maximal aushelfen, wenn es zwingend erforderlich ist.
Das führt dazu, dass die Bayern einen weiteren Linksverteidiger brauchen. Mit Omar Richards scheinen sie einen solchen nun gefunden zu haben, wie verschiedene Medienberichte bestätigten. Eine Bewertung des 23-Jährigen fällt jedoch nicht so leicht wie bei Upamecano. Der Linksverteidiger spielt aktuell auf Zweitliga-Niveau beim FC Reading in der englischen Championship.
Als großes Talent, das die Aufmerksamkeit vieler Top-Klubs erregt hätte, gilt Richards nicht. Dafür waren seine Leistungen in der Championship nicht besonders genug. Zwar ist der Engländer stets zuverlässig und zu seinen Stärken zählt ohne Frage, dass er in der Leistungskurve nur ganz wenige Ausreißer nach unten hatte, aber warum genau ein Klub wie der FC Bayern interessiert ist, ist manch einem, der den Spieler seit Jahren beobachtet, noch unklar.
Ähnlicher Spielertyp wie Davies, nur nicht so offensivstark?
Abgesehen vom Potential und Leistungsniveau passt der Spieler immerhin gut in das Positionsprofil bei den Münchnern. Er ist schnell, sehr athletisch und ist um Akzente in der Offensive bemüht. Dabei geht er recht häufig ins Dribbling – mit hoher Erfolgsquote (Whoscored: 68,2 %; Wyscout: 71,4 %).
Der Vergleich mit Davies hinkt etwas, weil die Niveauunterschiede zwischen Championship und Bundesliga zu groß sind, aber auch die Spielstile der Teams sich stark unterscheiden. Dennoch zeigt sich, dass beide recht ähnliche Spielertypen sind – mit der Einschränkung, dass der Neuzugang in der Offensive nicht so viel Impact hat, was Torschussvorlagen, Assists oder Tore angeht. Das liegt zu Teilen auch daran, dass Reading deutlich weniger Abschlüsse hat (10,7 pro Spiel) als die Bayern (16,3), aber seine Entscheidungsfindung im letzten Drittel ist dennoch ausbaufähig.
Bei Richards fällt dafür auf, dass er relativ selten den Ball verliert. Dass seine Passquote deutlich schlechter ist, liegt auch an den Mitspielern und am Spielstil. Richards ist, was Positionierung und Ballsicherheit angeht, ein zuverlässiger Spieler. Auch sein Zweikampfverhalten ist gut. Er gewinnt nicht nur viele Duelle, weil er viele führen muss, sondern hat darüber hinaus eine hohe Erfolgsquote.
Sofortige Hilfe oder Downgrade?
Wie viel Wert Statistiken und Bewertungen haben, muss sich erst noch zeigen. Das größte Fragezeichen ist nämlich, wie er sich an der Säbener Straße an das nun vielfach höhere Niveau anpassen kann. Immerhin: Körperlich und athletisch dürfte die Anpassung nicht schwerfallen. Der Sprung aus der Championship zum aktuell erfolgreichsten Team der Welt ist aber dennoch riesig – vor allem was das Tempo, die Drucksituationen und die Handlungsfähigkeit innerhalb von wenigen Bruchteilen einer Sekunde anbelangt.
Es ist sogar vorstellbar, dass Richards deshalb erstmal zwischen den Profis der Herren und den Amateuren pendelt, wenngleich die Medienberichte aktuell darauf hindeuten, dass er für die erste Mannschaft verpflichtet wird. Die Erwartungshaltung sollte dennoch nicht sein, dass er in München sofort durchstartet. Im Vergleich zu dieser Saison wäre es wohl erstmal ein großes Downgrade, sollten die Bayern tatsächlich mit Richards als Nummer 2 planen.
Wie der Kicker berichtet hat, war man in der Scouting-Abteilung des FC Bayern aber sehr überzeugt von der Lernfähigkeit des Spielers. Es wäre demnach nicht das erste Mal, dass ein Newcomer überrascht. Für ein positives Beispiel muss man nur auf den Stammspieler auf dieser Position schauen. Doch eine vorsichtige Erwartungshaltung ist definitiv angebrachter. Zumal die Davies-Geschichte nochmal anders gelagert und dessen Talent absehbarer war als jenes von Richards.
Da der Rekordmeister keine Ablösesumme bezahlt, ist der Transfer aber risikofrei. Sport1 berichtet zudem, dass Richards auch in der Innenverteidigung aushelfen kann, wenngleich er diese Position schon lange nicht mehr gespielt hat. Er passt somit nicht nur in die aktuelle Politik des Klubs, junge und polyvalente Spieler zu integrieren, sondern finanziell auch zur Coronazeit. Es wird spannend zu beobachten, wie die Bayern mit Richards planen und ob er trotz der fraglichen Qualität sofort und uneingeschränkt in der ersten Mannschaft Minuten sammelt. Es könnte jedenfalls ein Risiko sein, wenn kein Spieler mehr kommt, der die Linksverteidiger-Position mindestens als Nebenrolle beherrscht.
Eine weitere Kurzanalyse hat der Twitter-User @Pep_Fiction mit Hilfe der Scouting-Plattform Wyscout herausgearbeitet: