Scouting-Report: Renato Sanches

Steffen Trenner 10.05.2016

Bang! Während viele Bayern-Fans am Dienstag-Mittag auf eine Entscheidung im Fall Hummels warteten, gab der FC Bayern eine nüchterne Mitteilung heraus, dass er eines der heiß diskutierten europäischen Nachwuchstalente verpflichtet hat. Ohne Vorwarnung. Ohne ernstzunehmende Gerüchte im Vorfeld. Unter dem Radar. Es ist ein Zeugnis der professionellen Arbeit der Bayern im Bereich Scouting und Transferabwicklung, dass ein Wechsel dieser Größenordnung so „leise“ über die Bühne geht. Doch wer ist Renato Sanches und was ist von ihm zu erwarten? Unser Scouting-Report nähert sich den Stärken und Schwächen eines Senkrechtstarters:

Bisherige Karriere

Sanches kam bereits mit neun Jahren zu Benfica Lissabon und durchlief die für ihre technische Ausbildung geschätzte Jugendabteilung des Hauptstadt-Klubs. Sanches spielte ab der U15 in allen Juniorennationalmannschaften Portugals und scheiterte mit der U17 2014 erst im Halbfinale der EM gegen den späteren Titelgewinner England. Nach seinem 18. Geburtstag im August 2015 ging es dann sehr schnell. Profi-Vertrag bei Benfica im August, Pflichtspieldebüt für die erste Mannschaft im Oktober, Startelfdebüt in der Champions League im November, Nationalmannschaftsdebüt im März.

Im Sommer hat Sanches gute Chancen mit der portugiesischen Nationalmannschaft zur EM nach Frankreich zu reisen. Im Champions-League-Viertelfinale traf er auf den FC Bayern und spielte 180 Minuten durch. Wer glaubt der Spieler sei den Münchner Verantwortlichen um den technischen Direktor Michael Reschke erst da richtig aufgefallen, unterschätzt das inzwischen enorm professionalisierte und weitgefächerte Scouting-Netz der Münchner.

Stärken und Schwächen

Sanches ist ein Allrounder im zentralen Mittelfeld, dessen Stärken auf der 6, der 8 oder der 10 am besten zur Geltung kommen. Das erste was einem geradezu ins Auge springt, wenn man Sanches intensiv beobachtet, ist sein unheimlicher Motor. Der Portugiese ist lauffreudig, antrittschnell, dynamisch und jederzeit bereit etwas mit dem Ball anzustellen oder einem Gegner hinterher zu jagen.

Dabei spielt er seine hohe Geschwindigkeit und die für seine Körpergröße erstaunliche Robustheit aus. In letzterer erinnert er vor allem in der Balleroberung an Spieler wie Edgar Davids oder auch seinen neuen Teamkollegen Arturo Vidal – die Grätschen einmal ausgenommen. Seine energische Zweikampfführung sorgt dabei trotzdem manchmal für das ein oder andere Foul zu viel.

Mit dem Ball ist Sanches technisch sehr versiert und hat tolle Reaktionen und Ideen wenn er im Pressing unter Druck gesetzt wird. Sein Passspiel ist mutig, häufig vertikal, aber längst nicht konstant und ausgereift. Was mit Blick auf sein Alter und seine geringe Erfahrung auf allerhöchstem Niveau nicht überrascht. Auffällig sind seine klugen Bewegungen, wenn er im Zentrum unter Druck gesetzt wird. Er stellt sehr geschickt seinen Körper zwischen Ball und Gegner und dreht sich dann mit schnellen Bewegungen und Haken um den Gegenspieler herum. Er ist so extrem schwer im direkten Zweikampf vom Ball zu trennen. Auch in den Duellen gegen den FC Bayern war dies immer wieder zu erkennen. Seine Dribblingwerte sind für einen zentralen Mittelfeldspieler gut. Auch hier profitiert er von seinem Antritt.

Sanches hat einen harten Schuss, muss aber einen Weg finden in Strafraumnähe konstanter torgefährlich zu werden. Das gilt für seinen eigenen Abschluss aber gerade auch für die Torschussvorbereitung. Das Gesamtpaket aus Schnelligkeit, Robustheit, Präsenz, technischen Fähigkeiten und gutem Passspiel im Alter von 18 Jahren macht ihn zu einem so außergewöhnlichen Spieler.

Mögliche Rolle bei Bayern

Sanches wird eine der Planstellen im zentralen Mittelfeld besetzen. Mit dem sehr wahrscheinlichen Abgang von Sebastian Rode könnte hier schon bald eine frei werden. Hinzu kommt die sich verringernde Rolle von Xabi Alonso. Sanches kommt hier als gute Option neben Vidal, Alonso, Kimmich, Thiago und Martínez hinzu. Das wären sechs Spieler für wahrscheinlich drei zentrale Mittelfeldpositionen unter dem neuen Coach Ancelotti. Zu viel ist das bei dem enormen Pensum der Bayern sicher nicht. Zumal Martínez sicher weiter auch Minuten in der Innenverteidigung bekommen könnte. Unklar ist noch was mit Pierre Emile Højbjerg passiert. Auch hinter Götze, der auf der 9, auf dem Flügel oder in zentraler Rolle spielen kann, steht aktuell noch ein Fragezeichen.

Vieles wird davon abhängen wie schnell Sanches nachweisen kann, dass er seine beschriebenen Fähigkeiten konstant und auf hohem Niveau einsetzen kann. Erst dann wird sich zeigen ob er wie aktuell Coman schon in seiner ersten Saison ein Kandidat für die ganz großen Spiele sein kann. Die Qualität des Kaders insgesamt wird er definitiv verbessern. Ancelotti wird von Beginn an daran arbeiten müssen die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der zentralen Mittelfeldspieler bestmöglich miteinander zu kombinieren.

Der FC Bayern unterstreicht mit dem Transfer von Renato Sanches seinen Anspruch der letzten 1 1/2 Jahre hochtalentierte Spieler frühzeitig an den Verein zu binden und dafür auch kräftig zu investieren. Dass es den Münchnern dabei gelungen ist einen international umworbenen Spieler wie Sanches zu verpflichten, spricht für die Anziehungskraft des Vereins und seiner verhandelnden Akteure, die sicher nicht deutlich mehr Geld auf den Tisch gelegt haben als die Konkurrenz aus England. Auch das ist eine der Botschaften hinter diesem Transfer.