Scouting-Report: Mickael Cuisance
Am Freitag-Abend bestätigte Sportchef Hassan Salihamidžić, dass der FC Bayern Mickael Cuisance von Borussia Mönchengladbach verpflichten wird. Ein überraschend kreativer Transfer für das zentrale Mittelfeld und für den Franzosen ein schönes Geburtstagsgeschenk. Er wurde am Freitag 20 Jahre alt.
Bisherige Karriere
Cuisance wurde im Jahr 1999 in Straßburg geboren und fand in der Jugend den Weg über Racing Straßburg zum AS Nancy. Zwar gelang ihm dort nie der Sprung in die Profimannschaft, doch der talentierte zentrale Mittelfeldmann etablierte sich ab der U16 in den Juniorennationalmannschaften der L’Equipe Tricolore.
Bei der U17 EM 2016 in Aserbaidschan, bei dem der Stern von Spielern wie Kai Havertz und Matthijs de Ligt aufging, schied er mit Frankreich sang und klanglos in der Vorrunde aus. Trotzdem wurde für jeden Scout sichtbar, dass der Linksfuß seinen Teamkollegen in Sachen Spielintelligenz und Spielhoheit deutlich voraus ist.
Der Wechsel nach Gladbach
Borussia Mönchengladbach, die unter Steffen Korrell ab 2015 einen eigenen Scout für die französischen U-Mannschaften abstellten, hatte Cuisance zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Schirm. 2017 schlugen sie zu und lotsten den damals 17-Jährigen für lächerliche 250.000 Euro Ausbildungsentschädigung nach Mönchengladbach. Auch Manchester City war damals an einer Verpflichtung interessiert. Cuisance entschied sich aber für den realistischeren Weg zu schneller Spielzeit und wagte den Sprung nach Deutschland.
Diese Entscheidung sollte sich schnell auszahlen, denn schon in der ersten Saison kam der selbstbewusste Franzose unter Dieter Hecking gleich 24 Mal zum Einsatz. Neun Mal sogar von Anfang an. Die Gladbacher hatten in dieser Saison einige Verletzungssorgen im zentralen Mittelfeld. Hecking schmiss Cuisance ins kalte Wasser und wurde nicht enttäuscht. Gladbachs Fans wählten ihn damals zum Spieler des Jahres.
Schlechter lief es in der abgelaufenen Saison. Lediglich ein Startelf-Einsatz und gerade einmal 269 Minuten Bundesliga-Luft waren ein klarer Rückschritt für den ehrgeizigen Nachwuchsmann. Bei der U20 WM in Polen schied er im Juni als Stammspieler (ein Tor) im Achtelfinale gegen die USA aus.
Warum also holt der FC Bayern einen Ersatzspieler aus Mönchengladbach, der zuletzt Probleme hatte in der Bundesliga Fuß zu fassen?
Stärken & Schwächen
Es soll in München ja durchaus schon zentrale Mittelfeldspieler gegeben haben, die gern mit ruhigen Querpässen das Spiel ordnen und Risiko scheuen. Cuisance ist eher das Gegenteil davon. Der Franzose, der auf allen zentralen Mittelfeldpositionen spielen kann, liebt das Risiko und kreative Momente.
Kleine Dribblings, Schnittstellenpässe, Durchstecker am Strafraum, lange Heber aus dem Fußgelenk, plötzliche Richtungswechsel gegen den Spielrhythmus. Das sind Elemente, die ihn von anderen zentralen Mittelfeldspielern unterscheiden. Er beherrscht selbstverständlich auch das Brot und Butter-Geschäft und kann den Ball laufen lassen, aber Cuisance hat immer den Kopf oben und ist auf der Suche nach einer Dynamik-Veränderung. Das ist das besondere in seinem Spiel. Er braucht das Spiel nicht zwingend vor sich, sondern kann auch mit dem Rücken zum Tor, mit schnellen Haken oder Übersteigern Pressingsituationen lösen.
Cuisance agiert dabei relativ unabhängig von der Positionierung auf der 6, 8 oder 10 als Box-to-Box Spieler, der die Räume zwischen den Strafräumen lauffreudig und agil abdeckt. Gegen den Ball kommt er stark über Timing und weniger über die Zweikampftechnik. Er wartet häufig auf den richtigen Moment, um den Gegner dann überfallartig zu attackieren. Auch sein Stellungsspiel ist überdurchschnittlich. Ivan Rakitic ist der Vergleich, der einigen Scouts beim Blick auf Cuisance Entwicklungsmöglichkeiten immer wieder einfällt.
Cuisance hat Defizite im Bereich Robustheit in seinen ersten beiden Profijahren weitgehend wettgemacht. Durch die geringe Spielzeit in der Vorsaison fehlt allerdings der Nachweis, dass der 1.81-Mann Spiele konstant positiv beeinflussen kann. Hinzu kommen Schwierigkeiten in der Ausbalancierung von Risiko und Klarheit im Passspiel. Um die 80% Passquote sind für einen Mittelfeldspieler ok, zeigen aber auch Luft nach oben. Auch im Angriffsdrittel fehlt manchmal die Genauigkeit in seinen Aktionen. Insgesamt täte mehr Torgefahr als Vorbereiter und Distanzschütze seinem Spiel gut.
Salihamidzic lobte am Freitag-Abend explizit die Mentalität des Franzosen. Gemeint ist sicher sein Selbstbewusstsein auf und neben dem Feld, sowie sein erkennbarer Siegeswille. Gleichzeitig wird Cuisance den Ruf des „Enfant terrible“, der ihn schon bei seiner Ankunft in Gladbach vorauseilte nicht los. Im März handelte er sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis einen Strafbefehl ein. Gladbach-Trainer Dieter Hecking bezeichnete ihn vielsagend als „lebensoffen“. Der Boulevard nannte ihn einen Schnösel. Schon im Winter 2018 forderte er intern einen Wechsel, um mehr Spielpraxis zu bekommen. Im Sommer war von einer geforderten Stammplatzgarantie die Rede, die Manager Eberl sichtbar irritierte.
In Gladbach plante man eigentlich für die Zukunft fest mit ihm. Nun geht es für das Talent eine Stufe höher in München weiter. Kovac hatte in Frankfurt einen durchaus guten Trackrecord mit Spielern, die als kompliziert gelten. Er muss nun auch Cuisance integrieren und formen.
Mögliche Rolle bei den Bayern
Grundsätzlich ist Cuisance natürlich in einer der 8er Rollen in Kovac derzeit präferiertem 4-3-3 denkbar. Die Nase vorn hat er dabei aber nicht. Zumal auch Coutinho hier sofort ein Kandidat ist. Spannender ist eine Rolle als Backup für Thiago, der in einer langen Saison mit Sicherheit Pausen braucht. Er hat beim derzeitigen Kader am ehesten ein Skillset, um im Bundesliga-Alltag die spielgestaltenden, kreativen Elemente von Thiagos Spiel zu ersetzen.
Es ist kein Geheimnis, das der FC Bayern im zentralen Mittelfeld nachlegen wollte. Marc Roca von RCD Espanyol ist der Name, der seit Wochen gehandelt wurde. Es käme durchaus überraschend, wenn die Verpflichtung von Cuisance die alleinige Antwort auf diese Überlegungen ist. Denn ein fertiger, auf höchstem Niveau erprobter Spieler ist er nicht. Im Normalfall wäre er ein klassischer Kandidat für eine Leihe. Kommt jedoch kein 6er mehr, könnte die beschriebene Backup-Rolle für Thiago tatsächlich eine spannende Chance für Cuisance sein, um sich mittelfristig in München zu bewähren.
Insgesamt ein Transfer ohne große Risiken, aber mit spannendem Potenzial. Es ist gut zu sehen, dass die Münchner unabhängig von der Suche nach „Superstars“ bei Spielern Ernst machen von deren Entwicklungspotenzial sie offenbar sehr überzeugt sind. Das ist zwar keine Erfolgsgarantie, aber unterstreicht eine gewisse planvolle Entschlossenheit, die zuletzt häufig fehlte.