Scouting-Report: Alphonso Davies

Steffen Trenner 25.07.2018

Nach der Unterschrift des Top-Talents stehe lediglich der obligatorische Medizincheck noch aus. Rund 13 Millionen Euro werden die Münchner offenbar nach Kanada überweisen. Mit Bonuszahlungen soll die Summer auf bis zu 20 Millionen Euro anwachsen können. Der 17-Jährige wäre damit der teuerste Transfer in der Geschichte der MLS.

Die Münchner setzen damit die unter Michael Reschke begonnene Transferstrategie fort, Talente früh in den Verein zu integrieren. In Kanada wird aktuell davon ausgegangen, dass Davies die MLS-Saison noch beenden wird. Die reguläre Saison geht dort bis Oktober. Die Playoffs dauern bis Dezember. Davies wird im November 18 Jahre alt. Offenbar kann der Transfer auf Grund von FIFA-Regularien ohnehin erst dann wirksam werden.

Bisherige Karriere

Davies wurde im Jahr 2000 in einem Flüchtlingslager in Ghana geboren. Seine Eltern waren dorthin vor dem grausamen Bürgerkrieg in Liberia geflohen. Nach sechs Jahren bekam die Familie Davies die Chance, nach Kanada auszuwandern und landete über Windsor in Edmonton, wo er mit dem Fußballspielen begann.

„Mit 10 Jahren passte Davies auf seinen Bruder und seine Schwester auf. Während andere Kinder mit Spielzeug oder Videogames spielten, wechselte Alphonso Windeln und machte das Essen“, erinnert sich sein Jugendtrainer Nick Huoseh in einer sehenswerten Doku. Davies Eltern arbeiteten in Schichtarbeit und hatten schlicht kein Geld für einen Babysitter. Davies musste früh erwachsen werden. Sicher ein Grund, warum Mitspieler und Trainer Davies bis heute als außergewöhnlich reif und fokussiert bezeichnen. Auf und neben dem Feld.

Im Jahr 2015 wechselte der damals 14-Jährige in die Jugendabteilung der Vancouver Whitecaps. Danach ging es Schlag auf Schlag. Mit 15 debütierte er in der MLS und war damit der zweitjüngste Debütant nach Freddy Adu. Mit 16 Jahren wurde er kanadischer Staatsbürger und vertrat sein Land nur kurze Zeit später beim Gold Cup, wo er mit drei Treffern den goldenen Schuh gewann. Unnötig zu erwähnen, dass er damit auch der jüngste je eingesetzte Spieler und jüngste Torschütze Kanadas wurde. In der aktuellen Saison wurde Davies endgültig Stammspieler in Vancouver und war in bisher 21 Spielen an 9 Toren beteiligt.

Stärken und Schwächen

Davies große Stärke ist nach wenige Sekunden zu erkennen: SPEEEEED! Der Linksfuß, der in dieser Saison fast immer auf der linken Seite auflief, rauscht wie eine Mischung aus ICE und Bulldozer über seine Seite. Es gibt in der MLS kaum einen Außenverteidiger, der seiner Wucht und seinem Tempo gewachsen ist. Mit 1,82 Meter ist der 17-Jährige etwas größer und stärker als die meisten Flügelspieler und überpowert seine Gegner regelmäßig. Hinzu kommt eine enorme Explosivität auf den ersten Metern.

Davies verlässt sich allerdings nicht allein auf seinen Speed. Seine Ballführung ist eng und durchaus trickreich. Vor allem der etwas aus der Mode gekommene Übersteiger prägt seine Dribbelversuche. 5,4 erfolgreiche Dribblings notiert die Statistik für ihn pro 90 Minuten. Der mit Abstand beste Wert in der gesamten Liga. Und das bei einer guten Quote.

Beinahe mühelos bricht er immer wieder zur Grundlinie des Gegners durch. Wenn man sieht, wie Davies in seinen besten Momenten Gegner überrennt, fühlt man sich mit den frischen Eindrücken von der WM unweigerlich an Kylian Mbappé erinnert. Auch wenn man sich ganz schnell vor Augen halten sollte, dass seine Gegner in der MLS nicht Marcelo oder Carvajal heißen, sondern Fisher, El-Munir oder Petrasso. Auch wenn die MLS an Qualität gewonnen hat: Wir reden hier über bestenfalls gehobenes Zweitliga-Niveau. Die Perspektive ist also wichtig.

Was hervorsticht: Für einen 17-Jährigen ist seine Entscheidungsfindung auf dem Feld meist klug und nur selten überhastet oder hektisch. Vor dem Tor sucht er stets den besser postierten Mitspieler. Er spielt insgesamt enorm vertikal und sucht immer den direkten Weg nach Vorne, was gut zum Style der MLS passt. Stark ist auch sein erster Kontakt, mit dem er sich regelmäßig sofort Raum verschafft oder einen Gegner narrt.

Es lässt sich zudem erahnen, dass Linksfuß Davies auf dem rechten Flügel – auf dem er in dieser Saison kaum gespielt hat – noch ein Stück freier und damit gefährlicher sein könnte. Auch sein tieferes Passpiel könnte dadurch stärker werden.

Defensiv versucht er ebenfalls viel über Schnelligkeit zu lösen. Er arbeitet gerade nach eigenem Ballverlust sehr engagiert mit zurück. Das Zweikampfverhalten ist dabei manchmal zu naiv. Sein Verhalten im Pressing ist wenig erprobt. Offensiv gibt es immer wieder Phasen, in denen er weniger Einfluss aufs Spiel nimmt, was aber auch mit dem Spielstil seiner Mannschaft zu tun hat. Vancouver ist eine Kontermannschaft, die fast immer weniger Ballbesitz hat als der Gegner. Sein Schuss ist OK bis gut, seine Flanken unauffällig.

Die Umstellung zum Spiel der Münchner mit viel Ballbesitz und (hoffentlich) diszipliniertem Gegenpressing wird riesig sein – auch wenn Kingsley Coman zuletzt gezeigt hat, wieviel Potenzial ein explosiver Flügelspieler gegen tiefstehende Teams entfalten kann.

Mögliche Rolle bei Bayern

Die Münchner haben nun eine ganze Armada hoffnungsvoller Offensivtalente in ihren Reihen. Davies, Batista-Meier, Evina, Yeong, Timossi Andersson. Alle mit Potenzial. Davies dürfte sich, wenn er nach München kommt, zunächst hinter Coman und Gnabry einreihen. Natürlich wäre eine Ausleihe innerhalb der Bundesliga sinnvoll, um sich ab 2019 an das Tempo der Bundesliga und der anderen europäischen Top-Ligen zu gewöhnen. Der Schritt über den großen Teich in ein völlig neues Umfeld ist bei aller Reife, die Davies bereits nachgewiesen hat, nicht ohne. Hier sollten die Münchner klug und bedacht vorgehen.

Sollte Davies zunächst weiter in Nordamerika bleiben, wäre es zumindest sinnvoll, im kommenden Jahr eine Mannschaft für ihn zu finden, die Ballbesitzfußball spielt.

Alles in allem: Ein kluger Transfer ohne große Risiken und sehr viel Potenzial, das nun gehoben werden muss.