Miasanrot Roundtable: Fünf Fragen vor dem Rückspiel gegen Real Madrid
Die besteht neben unserem Vorschau-Autoren Justin aus: Martin Schneider, der für die Süddeutsche Zeitung in Madrid vor Ort sein wird; Nils Kern, Chefredakteur beim Real-Fachmagazin RealTotal; Tobias Escher, der in seinem neuen Buch unter anderem Zinedine Zidane als Trainer vorstellt und Christian, der am Ende des Tages einfach ein überragender Blogger ist.
Blicken wir noch einmal kurz auf das Hinspiel: Was hat der FC Bayern richtig gemacht, was hat Real richtig gemacht und warum ist das Spiel am Ende 2:1 ausgegangen?
Nils: Der FC Bayern hat vieles richtig gemacht, aber nur Real die “wichtigen” Sachen – Chancen zu nutzen, immerhin ging auch ein dritter Ball noch rein. Ein glücklicher Sieg für Madrid, aber Zidane wollte es genau so – also machte auch er es mit seiner defensiven Aufstellung und Taktik richtig.
Tobi: Im Endeffekt empfand ich beide Teams in ihrer Spielanlage als recht ähnlich. Das System pendelte jeweils zwischen 4-3-3 und 4-4-1-1, beide störten früh, beide versuchten eine tiefe Ballzirkulation herzustellen, bei beiden kippten die Sechser weit heraus. Ich fand sogar, dass es den Bayern besser gelungen ist, den Rhythmus des Gegners zu stören, die Passwege zu Modric und Kroos abzuschneiden. Das Ergebnis reflektiert am Ende eher die Zahl individueller Fehler denn die Stärkeverhältnisse auf dem Platz.
Christian: Stimme Tobi zu. Beide Mannschaften präsentierten sich ausgeglichen. Mir fiel auf, wie fahrig und unsouverän Real im eigenen Strafraum agierte. Da war fast bei jeder Bayern-Aktion Gefahr. Sollte uns das auch im Rückspiel gelingen, wäre bei einer besseren Chancenauswertung das Weiterkommen nicht mal ein Wunder.
Justin: Die ähnliche Spielanlage ist mir auch aufgefallen. Zwischendrin hatte ich das Gefühl, dass sich beide Mannschaften gegenseitig neutralisieren. Dann erzielte Bayern das Tor in eine Phase hinein, in der Real die Kontrolle zu übernehmen schien. Madrid wiederum erzielte den Ausgleich, als Bayern alles im Griff hatte. Leider fielen beide Tore durch teils eklatante Fehler. Trotzdem waren genug Abschlussmöglichkeiten zum Sieg da, und dann redet niemand mehr über ein überragendes Real Madrid. Der größte Unterschied war, dass die Königlichen abgezockter waren. Bei Bayern fehlt mir diese Eigenschaft in größeren Spielen schon seit Längerem.
Martin: Real hat gegen den Ball klug gearbeitet. Kein Trommelfeuer-Pressing wie Klopp oder Simeone sondern mit Kroos und Modric gut die Passwege zugestellt. Das haben die Bayern ganz gut gelöst, aber um diese Barriere mussten sie erstmal drumherum spielen. Dann hat Bayern – obwohl sie nach dem Robben-Aus faktisch nur noch einen Flügel hatten, es trotzdem v.a. durch James geschafft, Ribéry anzuspielen und der kam dann noch erstaunlich oft durch. Warum ist es dann so ausgegangen? Weil Madrid präziser ist als Phil Taylor bei ner Triple20. Da passt halt alles, wenns drauf ankommt und du hattest im Stadion immer das Gefühl: Wenn Thiago am Real-16er den Ball verliert, dann ist das ne todsichere Torchance für Real.
Welche Lehren sollten beide Mannschaften aus der ersten Begegnung ziehen? Erwartet ihr Umstellungen oder Anpassungen?
Nils: Der FCB sollte nun wissen, dass jeder Fehler bestraft wird. Und Real ist gewarnt vor einem maximal motivierten Ribéry und muss ihn ohne Carvajal verteidigen. Wir erwarten eine erneute Aufstellung mit mehr Fokus auf die Außen als das Zentrum, möglicherweise sogar ohne Casemiro, und ähnlich wie in der zweiten Halbzeit ein 4-4-1-1 mit Benzema als Umschaltstürmer.
Tobi: Ich denke, Real wird nicht noch einmal mit Isco als verkappter Außenstürmer auflaufen. Dessen Rolle empfand ich als sehr suboptimal, Real hatte auf der Seite wenig Druck und stand auch defensiv nicht optimal. Das hat Zidane aber ja bereits zur Pause korrigiert. Bei den Bayern erwarte ich eher weniger Anpassungen, gerade auf der zweiten Halbzeit können sie ja aufbauen. Mich schmerzt das Fehlen von Boateng, der mit seinen flachen Pässen ins Halbfeld ein wichtiger Spielauslöser war in der Anfangsphase – und im Rückspiel sicher auch wäre.
Christian: Bayern wird sicher hoch stehen und versuchen, ein frühes Tor zu erzielen. Da Robben ja nicht spielen kann, wird es wieder mit Thiago, James und Müller gehen müssen. Diesmal hoffentlich mit einem besseren Thiago. Dazu wird Alaba hinzukommen. Eine klare Verbesserung zum Hinspiel.
Justin: Madrid hatte zwischen der 5. und 29. Minute eigentlich einen guten Plan. Die Außenstürmer standen teilweise etwas tiefer als Modric und Kroos, die wiederum attackierten den Sechser-Raum der Bayern. Dadurch bekamen sie Zugriff auf Bayerns Spiel. Die wiederum haben sich auch durch das Tor Selbstbewusstsein geholt, und Lösungen gegen das Pressing entwickelt. Dann offenbarten sich riesige Lücken neben Casemiro. Die gilt es auch im Rückspiel zu bespielen. Sollte Casemiro nicht spielen, könnte das sogar ein Vorteil für das Spiel mit dem Ball sein. Von den Halbräumen lässt sich Ribéry gut freispielen, der tatsächlich nochmal zu sehr guter Form aufläuft. Leider nur für maximal 70 Minuten.
Martin: Bayern muss wie im Hinspiel die Konter so gut wie möglich verhindern, einen zweiten Flügel schaffen, weil auch Madrid irgendwann checkt, dass alles über Ribéry geht – wäre ganz hilfreich, wenn entweder Thiago oder Müller diesen Raum zumindest besetzten. Gegen Marcelo ist defensiv immer was drin. Auch wenn Thiago jetzt nicht der geborene Außenbahn-ICE ist.
Insbesondere die Diskussionen um Robert Lewandowski bestimmten in den letzten Tagen die Schlagzeilen. Wie könnte man es schaffen, ihn besser einzusetzen als im Hinspiel und was müsste er selbst dafür tun?
Justin: Ich halte die Diskussion tatsächlich für sehr übertrieben. Lewandowski war im Hinspiel sehr engagiert, hat viele Bälle gefordert, sich fallen lassen, sich selbst Chancen erarbeitet und seine Mannschaft unterstützt. Für mich alles andere als ein lustloser Auftritt. Richtig ist, dass er Abschlussschwäche zeigte, aber das passiert den Besten. War Cristiano Ronaldo auch lustlos, weil er mit Hummels und Boateng, später Süle starke Gegenspieler hatte und selbst zu wenig Unterstützung erfuhr? Ich denke nicht, dass Bayern am eigenen Offensivspiel irgendetwas anpassen muss. Müller, James und Lewandowski haben die Innenverteidiger Reals gut beschäftigt. Und wenn bei Lewandowski das Glück im Abschluss zurückkommt, wird er im Santiago Bernabeu treffen.
Nils: Madrids Verteidiger sind nunmal kein Bundesliga-Niveau, trotzdem kam er zu Chancen – ob nach Standards oder aus dem Spiel heraus. Gehen 2 seiner 4 Chancen rein, ist er der Held des Abends.
Martin: Varane und Ramos lassen sich halt auch nicht beiseiteschieben wie ne leere Getränkekiste. Die Diskussion ist auch deswegen so stark, weil er die letzte Chance recht mies am Tor vorbeilupft. Letzter Eindruck und so. Bayern braucht ihn und dass er a bissl eigen ist, das weiß man nicht erst seit letzten Dienstag.
Wie schon im vergangenen Jahr war Marcelo erneut ein entscheidender Faktor für Real. Wer oder welche Taktik könnte ihn stoppen?
Justin: Tatsächlich habe ich im Hinspiel schon sehr gute Ansätze gesehen. Bayern hat Marcelo häufig in der Defensive gebunden, und ihn so beschäftigt. Über 90 Minuten kannst du diese Spieler eh nicht verteidigen, aber der Spielverlauf zeigt, dass Bayern diese Aufgabe schon ganz gut gelöst hat. Auch im Rückspiel muss es gelingen, Marcelo in Defensivaufgaben zu binden, und ihm die diagonalen Wege ins Zentrum zu versperren.
Nils: Ein so kreativer Spieler mit unberechenbaren Bewegungen – egal ob nach außen oder in die Mitte – ist nur schwer zu verteidigen, hat Marcelo einen guten Tag, spielt auch RM gut. Seine offensive Spielweise führt zu Löchern hinten, die in dieser Saison zu einigen Gegentoren führten, doch sollte RM genau wie im Hinspiel wieder 2 Flügelspielern spielen, um die Außenverteidiger zu unterstützen. Im Hinspiel hatte er einen ordentlichen Tag, das geht besser, aber auch schlechter.
Tobi: Ich finde auch, dass die Bayern es eigentlich gar nicht schlecht gemacht haben. Kimmich ist immer sofort nach vorne gestoßen, wenn Marcelo eine Lücke gelassen hat. Beim Tor sehe ich eher den Fehler darin, dass eine solche Flanke durchrutscht – das darf auf dem Niveau nicht passieren.
Martin: Ich fand, sie haben ihn gestoppt soweit man ihn halt stoppen kann.
Was spricht für und was spricht gegen ein Weiterkommen des FC Bayern? Was ist euer Tipp?
Nils: Dank Zidane weiß man inzwischen auch in Madrid, wie Ergebnisfußball geht. Angreifen müssen die Blancos wie im Hinspiel nicht, sondern werden sich erstmal auf die Defensive und Konter fokussieren. Sollte die neue Schwachstelle – Reals rechte Seite dank Carvajals Ausfall – halten, kann der Bayern erfolglos anrennen. Mein Tipp: 2:2.
Tobi: Die Ausgangslage ist brutal. Man braucht eigentlich frühe Tore, ansonsten kann Madrid irgendwann Konterfußball spielen. Und das kann jede Mannschaft auf diesem Niveau. Es würde mich nicht wundern, wenn die Bayern noch einmal mehr Ballbesitz haben. Man muss versuchen, wie im Hinspiel gut in die Halbräume zu bekommen. Lässt man sich zu sehr auf die Flügel drängen, spielt das Real in die Karten mit ihrer Strafraumverteidigung. Gelingt das, sehe ich angesichts der zweiten Halbzeit des Hinspiels aber die Hoffnung, dass die Bayern doch weiterkommen.
Christian: Ich sehe eigentlich Bayern im Vorteil. Schätze Madrid stärker ein, wenn sie gezwungen sind, selbst das Spiel zu machen. Diesen Fokus auf die Defensive – da sind andere Teams stärker als Real. Wenn Bayern es erneut schafft, die Konter zu unterbinden (wäre Rafinhas Megabock nicht gewesen, hätten wir da im Hinspiel eine exzellente Bilanz gehabt), kommen wir ins Finale. Bin erschreckend optimistisch und tippe 1:3 nach 90 Minuten.
Justin: Vor dem Hinspiel war ich grenzenlos optimistisch. Der Spielverlauf hat meinen Optimismus bestätigt. Wie oben schon erwähnt: Real ist einfach unglaublich erfahren und abgezockt. Die brauchen eine Chance für zwei Tore. Bayern muss bei sich bleiben, gut in die Halben kommen und von da dann Ribéry, James, Lewandowski und James in Szene setzen. So ist Real verwundbar. Ich bin zu 100% davon überzeugt, dass wir entweder nach dem Rückspiel sagen: „Mist. Das Finale war mehr als möglich.“ Oder wir feiern die Party der Saison. Ich tippe auf 2 schnelle Tore, Verlängerung und den entscheidenden Treffer durch Wagner. Wer sonst?
Martin: Es ist faszinierend, wie sich der Eindruck im Stadion von dem manchmal am Fernseher unterscheidet. Weil ich ausnahmsweise mir das Hinspiel mal in Ruhe im Stadion angucken konnte (also ohne parallel eine Einzelkritik zu hacken) sah ich, warum Madrid zweimal in Folge die Champions League gewonnen hat. Die haben eine unfassbare Qualität im Kader und zwar nicht im platten Sinne, sondern wenn man sich die Details anguckt. Passgeschwindigkeit, Ballannahme, Antritt, Antizipation, Abschlussgenauigkeit (Allein wie Ronaldo bei dieser wegen Hand abgepfiffene Aktion mit seinem schwachen Fuß ins lange Eck wummst). So Fußballgrundtugenden und in den Bereichen seh ich sie tatsächlich stärker als die Bayern. Darum glaub ich nicht, dass Real das noch vergeigt. Aber mei. Gibt uninteressantere Spiele.