Real Madrid – FC Bayern München 2:2 (1:1)

Felix Trenner 01.05.2018

Falls ihr es verpasst habt:

Die Bayern hatten vor der Partie in Madrid nichts dem Zufall überlassen: Das Hotel wurde im Vergleich zum Vorjahr gewechselt, die verletzten Robben und Boateng eingeflogen und überhaupt wurde alles auf dieses eine große Spiel ausgerichtet. Auch die Aufstellung.

Tor und Defensive blieben von Überraschungen ausgenommen: Sven Ulreich lief zum ersten Mal in Madrid auf, anders als seine Vorderleute Kimmich, Süle, Hummels und Alaba, der in seinem 300. Bayern-Spiel an den Ort zurückkehrte, an dem er 2012 womöglich sein Bestes machte.

Im Mittelfeld überraschte Jupp Heynckes hingegen. Javi Martínez blieb am Anfang auf der Bank und wurde durch Corentin Tolisso ersetzt. Dazu kamen Thiago, James, Ribéry und Müller sowie Lewandowski im Sturm.

Bei Real gab es ebenfalls Überraschungen. Vazquez rückte für den verletzten Carvajal in die Viererkette neben Ramos, Varane und Marcelo. Interessanterweise verzichtete auch Zidane auf seinen besten Sechser und brachte Kovacic für Casemiro neben Modric und Kroos. Die Offensive formierte sich aus Asensio, Ronaldo und Benzema.

Rein in die Partie, die nicht besser hätte beginnen können. Die ersten Minuten gehörten komplett den Münchnern, die sogleich Kapital schlugen. Müller flankte von rechts, im Strafraum konnte Ramos nicht klären und Kimmich staubte ab – das 1:0 nach nicht einmal vier Minuten!

Das Tor gab den Plan der Münchner relativ gut wieder: Ribéry leitete von links mit einem guten Seitenwechsel die Situation ein, Tolisso rückte nach vorne und sorgte für Konfusion im Madrider Strafraum und Kimmich stand in Stürmermanier am gegnerischen Fünf-Meter-Raum. Risiko-, aber bis dato erfolgreich.

Bis dato, weil die Münchner den Anfangsschwung relativ schnell abflauen ließen und Real zu mehr Ballbesitz kam. Und weil Real Madrid eiskalt ist, verwerteten sie ihre erste Chance: Marcelo konnte sich in der 11. Minute gegen Kimmich durchsetzen, flankte auf den langen Pfosten, wo Benzema frei einköpfen konnte, weil Alaba ihm zu viel Platz ließ.

Das Gegentor markierte den Startpunkt zu einer der wohl furiosesten Halbfinal-Halbzeiten in der Geschichte der Champions League. Beide Mannschaften spielten mit komplett offenem Visier – und Bayern hatte die besseren Gelegenheiten. Lewandowski und Müller sorgten mehrmals für Gefahr im gegnerischen Strafraum.

Doch auch Real blieb brandgefährlich. Süle und Hummels hatten ebenso viele Eins-gegen-Eins-Duelle zu führen wie Ramos und Varane auf der anderen Seite. Insbesondere die ersten 25 Minuten der Partie offenbarten, was passiert, wenn zwei Mannschaften ohne defensive Sechser auflaufen.

Besonders gefährlich – gerade wegen der fehlenden Defensivabsicherung in Person von Martínez – wurde es für die Münchner immer dann, wenn Real das Pressing der Bayern umspielen konnte und Räume vorfand. Die Doppelchance für Marcelo in der 27./28. Minute ist hierfür das beste Beispiel: Nach Ballverlust im offensiven Drittel bekamen die Roten keinen Druck auf den Gegenspieler und etwa 10 Sekunden später musste Ulreich retten.

Doch gerade in dem Moment, in dem es so schien, als würde das 50:50-Spiel in Richtung Madrid kippen, hatten Müller und James die Riesengelegenheiten zur erneuten Führung – vergaben jedoch beide knapp vor dem Tor. Es war ein nervenaufreibendes Spiel mit ununterbrochenem Auf und Ab, aber auch mit Fehlern und daraus resultierenden Chancen auf beiden Seiten.

Die folgten auch noch in den letzten Minuten der ersten Halbzeit. Einen klaren Handelfmeter nach einer Kimmich-Flanke verwehrte der ansonsten solide Schiedsrichter Cakir – ein Elfmeter kurz vor der Pause hätte das Spiel noch einmal auf den Kopf gestellt. So blieb es beim 1:1 in einer unfassbar temporeichen und unheimlich faszinierenden ersten Halbzeit.

26 Sekunden dauerte die zweite Halbzeit, bis die Münchner wieder zwei Tore schießen mussten, um weiterzukommen. Einen riskanten, aber durchaus spielbaren Rückpass von Corentin Tolisso schätzte Ulreich komplett falsch ein und lieferte so das leere Tor an Karim Benzema aus. Ohne Frage ein katastrophaler Fehler des Torwarts, der den Ball sogar in die Hand hätte nehmen können – Gelb und ein indirekter Freistoß wären die bessere Alternative gewesen.

Die Bayern wirkten zum ersten Mal seit langer Zeit etwas konsterniert – für genau drei Minuten. Dann begann das Spiel aus der ersten Halbzeit von vorne: Großchance Real, Chance Bayern, Riesenchance Ronaldo und ein weiterer nicht gegebener Elfmeter für die Roten. Es war zum Verzweifeln, wie viel in der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit gegen den FC Bayern lief.

Rein taktisch gesehen mussten die Münchner weiter drauf los spielen und machten vieles richtig. Thiago verlagerte das Spiel nahezu perfekt, Tolisso bot sich immer wieder in den Halbräumen an und Müller schaffte immer wieder Überzahl im Strafraum. Selbst Hummels und James, nach 45 Minuten die schwächsten der starken Münchner, fanden nun ihre starke Form wieder.

In der 62. Minute fand der Ball endlich – ENDLICH – den Weg ins Tor von Keylor Navas. Süle flankte von rechts auf James, wo James es erst direkt versuchte und dann im Nachschuss traf. Ein erzwungenes, aber unglaublich verdientes Tor.

James feiert den Ausgleich zum 2:2-Endstand
(Foto: David Ramos/Getty Images)

Doch wer jetzt mit noch wilderen Bayern gerechnet hatte, hatte sich getäuscht. Die Münchner spielten vergleichsweise ruhig und warteten auf die Gelegenheiten. Die kamen: Nach Alaba-Flanke hätte Tolisso beinahe getroffen, doch Navas parierte famos. Für den Franzosen kam kurz darauf Sandro Wagner und war indirekt an der nächsten Hundertprozentigen durch James beteiligt, weil er im Sturm Ramos band. Die Bayern waren näher dran am 3:2 als Madrid, belohnten sich jedoch auch in der vierten Halbfinal-Halbzeit nicht.

Die letzten zehn Minuten liefen nun so ab, wie erwartet: Real nutzte jede Gelgenheit, um Zeit von der Uhr zu nehmen, die Bayern hingegen hatten leicht den Faden verloren und taten sich nach der Auswechslung von James schwer, aus dem Mittelfeld heraus Angriffe zu entwickeln. Andererseits: die Zeit der kontrollierten Spielzüge war ohnehin vorbei.

Von nun an flogen serienweise hohe Bälle in den Strafraum, die Münchner versuchten alles, um noch irgendwie die Chancen zu bekommen. Hummels hatte sie per Kopfball, Navas verhinderte sie und Müller verpasste in der letzten Sekunde knapp. Cakir pfiff das Spiel nach sechs Minuten Nachspielzeit ab, eine endgültige Verhöhnung angesichts der Tatsache, dass Real Madrid auf eine Art und Weise Zeit geschindet hatte, die jegliche Sympathien für die natürlich auch gute Leistung der Spanier zunichte machte.

Nach 180 Minuten mit packendem Fußball, Chancen ohne Ende, einer Vielzahl von Fehlern und großartiger Mentalität der Roten scheitert der FC Bayern erneut kurz vor dem Finale. Hat Real Madrid sich diesen Sieg verdient? Wenn man die Fan-Brille ablegt: Ja. Bayern hatte alles, was Madrid hatte – aber nicht diese brutale Abgezocktheit, die nötig ist, um die Champions League zu gewinnen. Es folgt der Versuch der sachlichen Analyse einer emotionalen Partie.

Drei Dinge, die auffielen:

1. Heynckes coacht nahezu perfekt

Es gibt einen Mann, vor dem man sich tief verneigen muss, wenn man es mit den Roten hält – und eigentlich auch, wenn man das nicht tut. Jupp Heynckes steht an erster Stelle dieser Analyse, weil er der entscheidende Faktor war, der den FC Bayern in dieser Saison überhaupt in die Nähe des Champions-League-Finals in Kiew gebracht hatte.

Jupp Heynckes warf in seinem letzten Champions-League-Spiel nochmal alles in die Waagschale
(Foto: GABRIEL BOUYS/AFP/Getty Images)

Im Rückspiel gegen Real setzte der 72-Jährige auf eine Taktik, die die wenigsten so erwartet hätten, die aber komplett sinnvoll war. Corentin Tolisso, James Rodriguez und Thiago waren das Kernstück einer Bayern-Elf, die herausragend gut eingestellt war. Das Dreieck schaffte es, das vielleicht beste Mittelfeld im Weltfußball der letzten drei Jahre zu dominieren. Toni Kroos und Luka Modric waren gezwungen, ihren eigenen Ballbesitzfußball komplett hinten anzustellen – die vielleicht höchste Auszeichnung, die man in einem Spiel gegen Real erhalten kann.

Es war beeindruckend zu sehen, dass der FC Bayern zurückkehrte zu jenen Tugenden, die die unter anderem die Guardiola-Periode von 2013 bis 2016 geprägt hatten. Der Gegner mag die besseren Einzelspieler haben, aber das Münchner Kollektiv kann jeden Ausfall ersetzen. Arjen Robben, Kingsley Coman, Arturo Vidal, Jerome Boateng, Manuel Neuer – die Liste derer, die dieses enge Spiel hätten entscheiden können, aber fehlten, ist lang.

Das ist vielleicht die wichtigste Lektion aus dem Halbfinale, gerade auch im Vergleich zum Ausscheiden in der vergangenen Saison. Unter Ancelotti scheiterte Bayern auf eine Art und Weise, wie viele gute Teams an Real scheitern – weil sie sich mit den Einzelspielern maßen. Heynckes war klug genug, darauf zu verzichten und zeigte, dass der FC Bayern weiterhin eine Mannschaft ist, die sich mit den Besten messen kann.

Aber nicht, weil die besten Spieler in München spielen, sondern weil das spieltaktische Niveau überragend ist. Allein das wirft ein spezielles Licht auf das Ausscheiden in dieser Saison – und relativiert vieles. Chapeu, Jupp.

2. Entscheiden individuelle Fehler wirklich?

Es gibt kaum etwas schwierigeres, als über den Fehler eines Spielers zu schreiben, der ein Spiel entschieden hat – und doch kommt man nicht umhin, Sven Ulreich anzusprechen. Einerseits, um ihn für die Vorgehensweise in der 46. Minute zu kritisieren. Sicherlich, der Pass von Tolisso war alles andere als klug, doch Ulreich hätte die Optionen gehabt, um die Situation zu klären. Torwart-fachlich war es ein großer Fehler, der zwar keineswegs den Drive aus dem Bayern-Spiel nahm, Reals Taktik jedoch in die Karten spielte.

Zweitens, und das ist fast noch ein wichtigerer Punkt, muss man Ulreichs Fauxpas ansprechen, um ihm Respekt zu zollen und ihn aus der Schusslinie zu nehmen. Die beeindruckende Flut an herablassenden Kommentaren, vor allem in den sozialen Medien, liefert den besten Anlass für eine kleine Verteidigung.

Ulreich hat in dieser Champions-League-Saison mehr überrascht als jeder andere Spieler im Bayern-Kader. Er hat einen entscheidenden Teil dazu beigetragen, dass er das größte Spiel seiner Karriere bekam. Er hat in diesem größten Spiel seiner Karriere den größten Fehler seiner Karriere gemacht. Und er hat danach überragend gehalten und unter anderem gegen Ronaldo ein vorzeitiges Ende der Aufholjagd beendet.

Dass die beiden Fehler, Rafinhas Pass aus dem Hinspiel und Ulreichs Luftloch in die Rechnung miteinbezogen werden muss, ist klar. Sie haben ein Weiterkommen deutlich erschwert, gleichzeitig fällt es schwer, das Scheitern daran festzumachen. Mehr dazu in Punkt Drei.

3. Kein Glück für den FC Bayern

Es bleibt dabei: Der FC Bayern arbeitet an einer beeindruckenden Serie an unglücklichen, knappen und in der Mehrzahl eher unverdienten Ausscheiden aus der Champions League. Es ist eine diffuse und vollkommen unklare Liste an Gründen, die den ganz großen Wurf auch dieses Jahr wieder verhindern.

Einerseits zählt dazu das Pech, erneut auf Spieler wie Arjen Robben zu verzichten. “Unterschiedsspieler” könnte man diese Kandidaten nennen, auch Kingsley Coman und Manuel Neuer zählen dazu. Sie fehlten in Madrid und hätten dieser entscheidende Funken sein können.

Der nächste Faktor ist das fehlende Spielglück. Die unglücklichen Gegentore fielen in der 44. und 46. Minute – dass die Bayern sich davon derart unbeeindruckt zeigten, muss man ihnen hoch anrechnen. Immer dann, wenn das Spiel jedoch endlich hätte in die Richtung der Münchner hätte kippen können, verhinderte irgendein Fuß oder der großartige Keylor Navas das. Aus einem 50:50-Spiel wurde somit nie ein 60:40-Spiel für Bayern.

Was kann man mit dieser Information anfangen bzw. wie kann man dieses Glück wieder mehr erzwingen? Einerseits, indem man geduldig den Weg geht, den das Team seit der Niederlage in Paris im Herbst 2017 eingeschlagen hat: Spielerische Entwicklung, mannschaftliche Geschlossenheit, klare Zielausrichtung und das Bewusstsein, dass fehlendes Spielglück (wie es etwa Real Madrid hat) der einzige unberechenbare Faktor in der Erfolgsformel bleibt.

Es ist dann eine Frage der Zeit und der Geduld, bis das Glück, das die Münchner zum Beispiel durch die Saison 2009/10 oder in Teilen auch durch das famose Jahr 2013 getragen hat, wieder zurückkehrt. Es bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft mit ihrem neuen Trainer sich auch in der nächsten Saison die Chance gibt, so nahe an ein großes Finale ranzukommen.

Real Madrid – FC Bayern 2:2 (1:1)
Real Madrid Navas – Vazquez, Ramos, Varane, Marcelo – Kovacic (62. Casemiro), Modric, Kroos, Asensio (88. Nacho) – Benzema (72. Bale), Ronaldo
Bank Casilla, Ceballos, Hernández, Mayoral
FC Bayern Ulreich – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – James (83. Martinez), Thiago, Tolisso (75. Wagner) – Ribéry, Müller – Lewandowski
Bank Starke, Bernat, Mai, Dorsch, Rudy
Tore 0:1 Kimmich (3.), 1:1 Benzema (11.), 2:1 Benzema (46.), 2:2 James (63.)
Gelbe Karten Varane, Vasquez, Modric, Casemiro / –
Schiedsrichter­ Cüneyt Cakir (Türkei)
Zuschauer 81.000 (ausverkauft)