Frage der Stabilität: Pavards Verletzung schmerzt gleich doppelt

Justin Trenner 30.07.2020

Dieser Text wurde von Gastautor Florian Papenfuhs verfasst. Florian hospitierte bereits bei Sky Sport sowie 11Freunde und möchte darüber hinaus weiterhin sportjournalistisch arbeiten.

Es gibt in der Popmusik ein ewig wiederkehrendes Narrativ, das wahrscheinlich ein jeder von uns schon einmal so oder so ähnlich gehört hat: You don’t know what you’ve got, until it’s gone. In dem mittlerweile gänzlich zum Kalenderspruch verkommenen Ausruf steckt selbstredend auch ein Funken Wahrheit.

Denn die Verletzung von Benjamin Pavard ereilt den mit Abstand unbesungensten Teil der Bayern-Viererkette. In den letzten Monaten geriet der Franzose gegenüber dem wiedererstarkten Mittelblock um Alaba und Boateng sowie dem zurecht bejubelten Alphonso Davies etwas ins Hintertreffen. Ein nicht zu unterschätzendes Problem stellt die Verletzung von Benjamin Pavard dennoch dar.

Vom Absteiger zum Durchstarter beim FC Bayern

Sollte Benjamin Pavard ein Einsatz in Portugal beim Finaltunier der Champions League tatsächlich verwehrt bleiben, kann er dennoch auf eine klasse Saison zurückblicken. Bei all dem Trubel der letzten zwölf Monate vergisst man beinahe, dass es seine erste im Trikot des Rekordmeisters war.

Bereits im letzten Winter wurde der Transfer Pavards vom VfB Stuttgart nach München etwas voreilig als perfekt vermeldet, im Sommer stand der Franzose dann vor allem durch den gleichzeitigen Transfer seines Landsmanns Lucas Hernández im Fokus. Mit dem Außenverteidigerpärchen des amtierenden Weltmeisters sollte in München endlich die Defensive stabilisiert werden.

Kritik gab es vor allem an den Ablösesummen für die beiden Verteidiger: 35 Millionen Euro für einen 23-Jährigen, der mit Stuttgart abgestiegen war? Die 80 Millionen Euro für den schwer verletzten Hernández verstand ebenfalls nicht jeder Fan. Dazu kam, dass beide keine reinen Außenverteidiger sind, sondern sich auch in der Zentrale wohlfühlen.

Nur Trimmel und Hakimi gefährlicher

Während Hernández, nach seiner Genesung erneut von Verletzungen zurückgeworfen, nie die Möglichkeit hatte zu zeigen, wie er dem FC Bayern helfen kann, erledigte Pavard seine Aufgaben hinten rechts überraschend abgeklärt. Er ist bei weitem nicht so spektakulär wie sein Gegenpart Alphonso Davies, macht jedoch, sicherlich auch altersbedingt, weniger Fehler. In der Defensive ist Pavard sich nicht zu schade, den Ball auch mal wegzuholzen, in Zweikämpfen zeigt er eine gewisse Risikofreudigkeit, die jedoch nie in den Leichtsinn kippt.

Auf der anderen Seite des Feldes hilft er den Bayern mit seinen langen Bällen im Aufbauspiel oder mit Flanken, wenn er selbst mit nach vorn geht. Ohnehin bewegt er sich im letzten Drittel recht intelligent, startet im richtigen Moment einen Lauf in die Tiefe oder rückt bei Bedarf etwas ein.

In der Bundesliga haben nur Unions Gerhard Trimmel und Achraf Hakimi auf seiner Position mehr Torbeteiligungen vorzuweisen (so man Hakimi denn als Rechtsverteidiger verorten möchte). Dazu kommt, dass sein spektakulärer Treffer bei der Weltmeisterschaft gegen Argentinien nicht zufällig gefallen ist. Die Direktabnahmen von der rechten Seite scheint Pavard sich als Trademark-Move ausbauen zu wollen, der in der Zukunft sicherlich für zwei bis drei Tore pro Saison gut sein könnte.

Kimmich oder Odriozola?

Bei allen Stärken, die die 35 Millionen Euro an Ablöse zu einem wahren Schnäppchen machen, ist die Möglichkeit, Joshua Kimmich im Mittelfeld der Bayern in Ruhe das Spiel lenken zu lassen vielleicht der größte Vorteil. Genau dieser Umstand schmerzt im Bezug auf die Verletzung des Franzosen am meisten. Die zwei offensichtlichsten Möglichkeiten, die Coach Hansi Flick im Viertelfinalspiel gegen Chelsea hat, sind Kimmich zurückziehen oder Álvaro Odriozola statt Pavard aufzubieten.

Der Nachteil der ersten Option ist natürlich der Verlust in der Zentrale. Kimmich ist im Mittelfeld von unschätzbarem Wert. Selbst wenn sich ein Gespann aus Thiago und Goretzka als Ersatz gut liest, ändert ein doch recht aggressiv agierender Kimmich an Stelle von „Safety First“-Pavard die Statik des Bayern-Spiels. Und mit Blick auf die letzten Wochen werden alle Beteiligten versuchen, so wenig zu verändern wie möglich. Bei allen Unsicherheiten hat Kimmich jedoch nachgewiesen, dass er ein herausragender Rechtsverteidiger sein kann.

Die Option Odriozola hingegen hat den Nachteil, dass der Spanier de facto nicht seriös zu bewerten ist. Für das Trainerteam, die die tägliche Trainingsarbeit sehen, natürlich schon eher. Dennoch stehen für Odriozola gerade einmal drei Bundesliga-Spiele zu Buche. Flick muss abschätzen, ob er es dem 24-jährigen nach Einsätzen gegen Paderborn, Düsseldorf und Wolfsburg nun über 90 Minuten zutraut, gegen die besten Spieler Europas zu verteidigen. Die restliche Mannschaft bliebe so jedoch unbescholten vom Pavard-Ausfall.

Ist Pavard der heimliche Königstransfer des letzten Sommers?

Anhand der gefühlten Greifbarkeit des Triples und der Top-Form, in der sich die Bayern befinden, ist es unwahrscheinlich, dass Flick auf ganz ausgefallene Experimente wie dem Verschieben von Davies beziehungsweise Alaba auf die Rechtsverteidigerposition setzt.

Der Ausfall Pavards ist mit dem aktuellen Kader jedenfalls eine große Herausforderung für das Trainerteam. Denn auch ohne ein Mitwirken in Portugal hätte Pavard an einem möglichen Champions-Leauge-Triumph einen großen Anteil. Er wäre dann mit 24 Jahren Triple-Sieger und amtierender Weltmeister. Doch der Weg dorthin ist nun erheblich erschwert.

Uli Hoeneß sagte im letzten Herbst, Pavard werde „einer der besten Transfers, die wir je gemacht haben“. Bis ein jeder diese Einschätzung bestätigen kann, fließt noch viel Wasser die Isar herunter. Der Anfang von Benjamin Pavards Bayern-Laufbahn ist aber zweifelsohne vielversprechend.