Von Musiala bis Gnabry: die Bayern-Spieler im Check für die Heim-EM

Georg Trenner 27.03.2024

Die letzte Länderspielpause innerhalb der Saison bedeutete auch die letzte echte Chance zum Experimentieren für den Bundestrainer. Julian Nagelsmann berief 26 Spieler in den Kader für die Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande, darunter sechs Debütanten. Einer davon, der Münchner Aleksandar Pavlović, sagte verletzungsbedingt ab. Dadurch reduzierte sich die ohnehin schon kleine Bayern-Fraktion bei der Nationalelf auf Joshua Kimmich, Jamal Musiala und Thomas Müller.

Was bedeuten die Nominierungen, Aufstellungen und gezeigten Leistungen für die deutschen Nationalspieler des FC Bayern? Eine Kursbestimmung knapp drei Monate vor der Europameisterschaft.

Kurs: Breakout-Sommer

Jamal Musiala 

Bei der Weltmeisterschaft in Katar hatte er sein Potenzial angedeutet, und doch war Jamal Musiala einer der tragischen Helden, als er gegen Costa Rica Dribbling um Dribbling versuchte, und Chance und Chance nicht ins Tor fallen wollte. Nach 90 Minuten standen für den damals 19-jährigen 20 Dribblings und acht Abschlüsse zu Buche – und für Deutschland das frühe WM-Aus. 

Rund eineinhalb Jahre später steht die Heim-Europameisterschaft vor der Tür. Was Musiala in Katar angedeutet hatte, kann er diesmal vollenden. In der Kaderanalyse des FC Bayern schrieb ich im Winter zur Einordnung Musialas: „Der Durchbruch zum Weltstar und unumstrittenen Tier-1-Spieler steht für Musiala noch aus. Eine Explosion in der Rückrunde und eine Musiala-Euro könnten diesen Sprung bringen.“ Es ist angerichtet.  

Kurs: Klare Rolle bei Nagelsmann

Manuel Neuer

Manuel Neuer und Julian Nagelsmann. Konnte das nach der Vorgeschichte in Bayern gutgehen oder würde Nagelsmann auf einen anderen Torhüter setzen? Es geht gut. Und Manuel Neuer bleibt die klare Nummer eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Nagelsmann machte dem Geburtstagskind – Neuer wird am 27. März 38 Jahre alt – ein vorzeitiges Präsent und erklärte ihn offiziell zum Stammtorhüter für die Europameisterschaft.

Einmal mehr widerlegt Neuer damit seine Kritiker. Er kam im Herbst unerwartet stark von seiner Verletzung zurück. Auch wenn er in Sachen Athletik altersbedingt ein bisschen nachgelassen hat, ist er als Führungsspieler und erster Aufbauspieler ein wichtiger Eckpfeiler für das Team.

Joshua Kimmich

Was seine Kritiker gerne übersehen: Bei Kimmich ist die Frage nie, ob er spielt – Kimmich spielt immer –, sondern wo er spielt. Die Diskussion erinnert an jene um Philipp Lahm, bei dem sich die Fußball-Intelligenzija in geraden Jahren einig war, dass er zwingend Linksverteidiger spielen müsse, nur um in ungeraden Jahren in gleicher Einigkeit zu entgegen, dass er zwingend Rechtsverteidiger spielen müsse. 

Bei Kimmich kommt eine Besonderheit hinzu: Kimmich selbst ist im Zentrum stärker als rechts. Seine Teams sind oft stärker mit Kimmich rechts statt im Zentrum.

Spätestens nach der Rückkehr von Toni Kroos ist der Weg zurück ins Zentrum der Nationalelf vorerst versperrt. Joshua Kimmich wird bei der Europameisterschaft eine wichtige Rolle spielen, als Rechtsverteidiger.

Thomas Müller 

Der 34-jährige Müller wird seine vierte Europameisterschaft bestreiten und zum vierten Mal versuchen, ein Tor zu schießen. In bisher 15 EM-Spielen gelang ihm das noch nicht. Diesmal wird er es als Joker versuchen müssen. Müllers Rolle im Nagelsmann-Kader scheint klar zu sein. Er wird gebraucht als erfahrener Co-Spieler-Trainer. Müller nimmt die Rolle an und unterstützt die jungen Stars um Musiala. Er ist damit ein wichtiger Mosaikstein.

Kurs: Warten wie der Wind dreht

Leroy Sané

Kapitän İlkay Gündoğan lief zweimal auf der Zehn auf. Die Jungstars Musiala und Wirtz glänzten als Halbraum-Dribbler und -strategen daneben. Die Start-Plätze in der Offensive scheinen vorerst für Sané blockiert zu sein. Dass er die beiden wichtigen Vorbereitungsspiele gesperrt verpasst hat, hilft Sané ebenso wenig wie die formschwache Rückrunde im Bayerntrikot. Sein letztes Tor für den FC Bayern erzielte er vor fünf Monaten in der Bundesligahinrunde gegen Darmstadt.

Gleichzeitig bringt Sané offensiv alles mit. Er kann links, zentral oder rechts spielen, er kann Breite geben und enge Räume bespielen. Er könnte ein wichtiger Joker oder auch der Spieler werden, der als erstes in die Startelf rotiert, wenn Nagelsmann offensiv etwas verändern will oder muss. 

Während bei ihm der Platz im Kader Formsache sein sollte, könnte es bis ins Turnier hinein offenbleiben, ob er Edelreservist oder Vielspieler wird.

Aleksandar Pavlović

Der Shooting-Star der Bayern-Saison steht kurz davor, auf den EM-Zug zu springen. Stand kurz davor. Bis ihn ein Infekt außer Gefecht setzte. Er musste sein Debüt im Kreise der Nationalelf absagen. 

Trotzdem bleiben seine EM-Chancen intakt. Pavlović könnte von Nagelsmanns neuem Rollenspieler-Faible profitieren. Nagelsmann betonte mehrfach, sich am WM-Erfolg der Basketballer zu orientieren. Bei den Basketballern hatte jeder Spieler eine klare Rolle. Nicht nur in taktischer Hinsicht, sondern auch bezüglich der Hierarchie im Kader: Ribérys und Rafinhas.

Eine bewusst gewählte Mischung aus Bienenköniginnen und Drohnen statt einem Schwarm voller Königinnen. Pavlović könnte sich einen der letzten Drohnenplätze schnappen. Für ihn würde es eine Schnupper-Europameisterschaft werden. Traurig wäre er darüber kaum. 

Kurs: Sommerferien

Leon Goretzka

Es wird als Mysterium in die DFB-Geschichte eingehen, dass in den vergangenen fünf Jahren drei Bundestrainer so oft auf Kombinationen aus Kimmich, Goretzka, Kroos und Gündoğan als Doppelsechs setzten. Kein Duo funktionierte. Was nicht überrascht, weil alle ihre Stärken eher als Allrounder, Box-to-Box-Spieler, Verbindungsspieler oder offensiv gestaltend haben. Keiner der vier steht für defensive Stabilität, weder mit Ball, noch gegen den Ball. 

Dieses chaotische Zeitalter dürfte Geschichte sein. Und damit auch der Bedarf an mehr als drei Achtern im Kader. Kroos und Gündoğan sind gesetzt, dazu kommen Groß und im Notfall Kimmich oder Musiala. Für Goretzka wird es nicht reichen, trotz ansteigender Form beim FC Bayern.

Serge Gnabry

Gnabry in Form ist eigentlich ein idealer Spieler für die Tiefe des Kaders. Er verbindet enorme Torgefahr mit offensiver Flexibilität, er kann auf dem Flügel, in der Spitze oder im Halbraum spielen. Aber das ist jetzt die Halbraum-Offensive von Wirtz und Musiala. Mit Sané droht bereits ein Härtefall für die Bank, auf der zudem Thomas Müller sitzt. Drei altgediente Bayernstars auf der offensiven Ersatzbank? Unwahrscheinlich. Zumal mit Führich, Undav, Beier und Füllkrug weitere Offensivspieler Schlange stehen. Prognose: Ohne Verletzungen von Konkurrenten oder einem Sensations-Saison-Finish wird es für Gnabry nicht reichen.



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